Thema: monolog
27. Januar 12 | Autor: mayhem | 0 Kommentare | Kommentieren
Nicht-Warhhaben-Wollen, das ist es.
Während ich ihn so anstarre...ungläubig(?), macht es klick und ich kann das Gefühl, oder eher den Mangel an Gefühl, definieren. Verdrängung, die sich bei mir mit der Zeit zu einem richtigen Reflex weiterentwickelt hat.
So starre ich ihn in gemeinsamen Freistunden an, gelegentlich schaut er zurück, wie immer, und er hört Musik, wie immer, und überhaupt ist alles wie immer, während ich versuche, mir das Gegenteil begreiflich zu machen.
Deshalb ist da auch kein Überschmerz. Weil ich es immernoch nicht wahrhabe(n kann/will).
Als er in der letzten Freistunde extra hierbleibt, um dann sie und ihre Freundinnen heimzufahren, ist das seltsam.
Surreal, ein bisschen.
Nur, als sie zusammen zum Auto laufen, er sein Zeug reinwirft und ihre Sachen sorgsam im Kofferraum deponiert, da tut es ein bisschen weh.
Dabei sind sie zum Glück kein Überpärchen, nichtmal ihre Hand hält er, aber ich weiß ja, dass er Überpärchensein in der Öffentlichkeit nicht mag.
Mein Kaffee und ich, wir lehnen so am Bushaltestellenschild und sehen zum Auto rüber, mit ein wenig Melancholie, ein wenig Traurigkeit und ein wenig Schmerz.
But now it's over...
Ich reiße mich los von ihrem Anblick und mache mich auf den Weg zurück zur Schule, bin eine derjenigen, die sich bereit erklärt haben, noch schnell beim Ausräumen des ehemaligen Hausaufgabenraumes, der jetzt ein weiteres Zimmer für Lehrer-Eltern-Gespräche werden soll, zu helfen.
Nächstes Jahr ist er weg und seine Freundin eine derjenigen, die sich das Oberstufenzimmer mit meiner Stufe teilen.
Schlittere so den Weg entlang, denke, wenigstens ist kein Mitglied der Blondinenfraktion mehr da und habe fast sofort einen Ansatz von schlechtem Gewissen, weil ich Blondine 1 nicht zugehört habe, als sie immer wieder meine Versuche, es zu begreifen, mit neuesten Fakten aus ihrem Liebesleben, Geschichten von ihrem Kampfdackel,Hinweisen in Richtung "gib dem halbschwulen Fotographen doch endlich eine Chance" und anderen wichtigen Aussagen unterbrach.
Ich berufe mich darauf,dass ich auch nur ein Mensch bin, ein ziemlich labiler eigentlich noch dazu.
Ja, wirklich. Eigentlich bin ich sehr leicht aus der Bahn zu werfen und über-verletzlich, ich komme im realen Leben nur nie dazu.
"Frau Mayhem, könnte ich dich dann ganz kurz sprechen?" Die Lehrkraft, die die Ehre hatte,mein wunderbares Portfolio vor den Latz geknallt zu bekommen, steuert mit schwerfälligem Gang auf mich zu.
-"Ich muss eigentlich mithelfen beim Aufräumen..."
"Das haben die schon fertig. Es geht um dein Portfolio, kurze Nachbesprechung". Hui, da liest aber jemand schnell.
Der Betreuungslehrkraftmensch stirnrunzelt mich über den Rand seiner rundglasigen Brille hinweg an.
"Psychatrie also? "
-"Ja".
"Hast du nicht gesagt, genau das willst du nicht machen? "
-"Ja." Danke, ich weiß auch selbst,dass ich seltsam bin.
"Naja, ich meine ja nur. Du könntest auch Medienpsychologie machen..."
-"Ich will mein Geld aber nicht damit verdienen, andere Leute zu einer anderen Meinung hinzumanipulieren oder ihnen zu erzählen,dass sie genau das eine Produkt unbedingt brauchen. Und das andere da, und das nächste.."
"Du denkst zu rücksichtsvoll. Sicherere Einnahmequelle wäre es, klinische Psychologie geht zurück."
-"Ich weiß, das habe ich in meinem Vortrag ja auch erwähnt. "
"Psychotherapeutin müsstest du ja dann machen, das kostet auch ganz schön Geld, du mussts aber machen,wenn du überhaupt was finden willst.."
-"Vorausgesetzt, ich überstehe das Grundstudium."
"Mathe immernoch nicht deine Stärke?"
-"Nein."
Es wird weitergeblättert.
"Deine Begründung für den Beruf...nichts anderes hätte ich erwartet."
-"Wieso das?" Bin ich wirklich so berechenbar?
"Was das angeht, bist du ziemlich berechenbar." Na danke. "Das muss nichts schlechtes sein, es war nur sehr offensichtlich, das du so etwas schreiben würdest."
Was haben Sie erwartet, kreative Geistesergüsse? Ich habe das innerhalb von eineinhalb Stunden in tiefster, dunkelster Nacht (mehr oder weniger) verfasst.
-" Wieso war es denn offensichtlich?"
"Das kannst du dir bestimmt denken. Hier hast du es jedenfalls wieder, die äußere Form ist in Ordnung, die Mappe nicht mehr ganz neu, aber ich hoffe, dass eine echte Bewerbung dann besser aussieht, auch,wenn die, wie du im Lebenslauf geschrieben hast, wohl frühestens 2019 rausgeht."
Mit einer Husch, Husch!-Bewegung werde ich aus dem Büro bugsiert und im wahrsten Sinne des Wortes vor die Tür gesetzt.
Draußen wirbeln Schneewolken durch die Asphaltprärie und ich bringe es sogar fertig,meinen Bus noch zu erwischen, zum Glück gibt es Busfahrer, die warten, wenn man, mit einem schwarzen Schnellhefter wedelnd und dabei fast den Rest (Tasche, Ordner, Jacke, Tragetasche) verlierend hinter seinem Gefährt her rennt.
Natürlich legte ich dabei die übliche Eleganz an den Tag.
"Deine Begründung für den Beruf..nichts anderes hätte ich erwartet."
Vielleicht bin ich ja berechenbar. Oder das ist wieder so eine Logiksache,dann bin ich aus der Nummer draußen, logisches Denken beherrsche ich in etwa so gut wie Norwegisch. Oder Mathematik.
Vielleicht erschließt es sich ja irgendwie aus dem logischen Zusammenhang, dass meine Bewerbung sagt, ich interessiere mich für die menschliche Psyche und was sie beeinflusst, habe beim roten Kreuz Erfahrungen mit Menschen in Krisensituationen und Problemfällen gesammelt, beherrsche die Gratwanderung zwischen routiniertem Zupacken und sensiblem Verständnis,wenn es um Kontakt mit den Problemfällen geht, und die einzige sinnvolle Schlussfolgerung aus diesen Fakten ist, dass ich diejenige werde, die sich um die verstörten Jugendlichen, Drogenabhängigen, und die gescheiterten Existenzen kümmert.
"Sag mal,war das klar, dass ich sowas schreibe?"
Am anderen Ende der Leitung ist die alte Sache, der, als er hörte, dass ich am Telefon bin, seiner Schwester das Gerät entwendet und sich selbst drangehängt hatte, und der, nachdem ich kurz gezögert hatte, das Anschreiben vorgelesen bekam.
-"Ja." Gesprächig wie immer.
"Und warum?"
-"Naja. Du bist so ein..menschlicher Mensch. Ich glaube,wenn es eine Person gibt, die sagen darf, dass sie immer da ist, bist du das. Du verstehst solche Sachen auch immer,wenn es einem schlecht geht. Und solche Leute. Vielleicht hilft das denen,wenn sie wissen,dass jemand da ist, der sie versteht. Vielleicht gehts denen dann besser."
"Meinst du?"
-"Ja, außerdem siehst du immer,was los ist..das ist schon geistiges sezieren", lacht er. "Ich glaube, das muss man da können. Geistig sezieren, verstehen und helfen."
"Ich werds versuchen, dann. 2019 oder so."
-"So spät erst?"
"Alte Sache, ich bin noch nichtmal 18."
-"Achso, stimmt ja, du bist ja n Stück jünger als ich..ich vergesse das immer wieder."
"Passiert."
-"Was passiert?" Am anderen Ende wieder die Stimme der Schwester.
"Wo hast du die alte Sache hin?"
-"Der muss lernen. Wollte nur Tschüss sagen, ich muss auch gleich weg. Was ist eigentlich mit dem Kerl da, ich glaube, er heißt Problem? Du meintest ja, der wäre irgendwie was besonderes, hat sich da was für dich ergeben?"
Ich lege auf.
Während ich ihn so anstarre...ungläubig(?), macht es klick und ich kann das Gefühl, oder eher den Mangel an Gefühl, definieren. Verdrängung, die sich bei mir mit der Zeit zu einem richtigen Reflex weiterentwickelt hat.
So starre ich ihn in gemeinsamen Freistunden an, gelegentlich schaut er zurück, wie immer, und er hört Musik, wie immer, und überhaupt ist alles wie immer, während ich versuche, mir das Gegenteil begreiflich zu machen.
Deshalb ist da auch kein Überschmerz. Weil ich es immernoch nicht wahrhabe(n kann/will).
Als er in der letzten Freistunde extra hierbleibt, um dann sie und ihre Freundinnen heimzufahren, ist das seltsam.
Surreal, ein bisschen.
Nur, als sie zusammen zum Auto laufen, er sein Zeug reinwirft und ihre Sachen sorgsam im Kofferraum deponiert, da tut es ein bisschen weh.
Dabei sind sie zum Glück kein Überpärchen, nichtmal ihre Hand hält er, aber ich weiß ja, dass er Überpärchensein in der Öffentlichkeit nicht mag.
Mein Kaffee und ich, wir lehnen so am Bushaltestellenschild und sehen zum Auto rüber, mit ein wenig Melancholie, ein wenig Traurigkeit und ein wenig Schmerz.
But now it's over...
Ich reiße mich los von ihrem Anblick und mache mich auf den Weg zurück zur Schule, bin eine derjenigen, die sich bereit erklärt haben, noch schnell beim Ausräumen des ehemaligen Hausaufgabenraumes, der jetzt ein weiteres Zimmer für Lehrer-Eltern-Gespräche werden soll, zu helfen.
Nächstes Jahr ist er weg und seine Freundin eine derjenigen, die sich das Oberstufenzimmer mit meiner Stufe teilen.
Schlittere so den Weg entlang, denke, wenigstens ist kein Mitglied der Blondinenfraktion mehr da und habe fast sofort einen Ansatz von schlechtem Gewissen, weil ich Blondine 1 nicht zugehört habe, als sie immer wieder meine Versuche, es zu begreifen, mit neuesten Fakten aus ihrem Liebesleben, Geschichten von ihrem Kampfdackel,Hinweisen in Richtung "gib dem halbschwulen Fotographen doch endlich eine Chance" und anderen wichtigen Aussagen unterbrach.
Ich berufe mich darauf,dass ich auch nur ein Mensch bin, ein ziemlich labiler eigentlich noch dazu.
Ja, wirklich. Eigentlich bin ich sehr leicht aus der Bahn zu werfen und über-verletzlich, ich komme im realen Leben nur nie dazu.
"Frau Mayhem, könnte ich dich dann ganz kurz sprechen?" Die Lehrkraft, die die Ehre hatte,mein wunderbares Portfolio vor den Latz geknallt zu bekommen, steuert mit schwerfälligem Gang auf mich zu.
-"Ich muss eigentlich mithelfen beim Aufräumen..."
"Das haben die schon fertig. Es geht um dein Portfolio, kurze Nachbesprechung". Hui, da liest aber jemand schnell.
Der Betreuungslehrkraftmensch stirnrunzelt mich über den Rand seiner rundglasigen Brille hinweg an.
"Psychatrie also? "
-"Ja".
"Hast du nicht gesagt, genau das willst du nicht machen? "
-"Ja." Danke, ich weiß auch selbst,dass ich seltsam bin.
"Naja, ich meine ja nur. Du könntest auch Medienpsychologie machen..."
-"Ich will mein Geld aber nicht damit verdienen, andere Leute zu einer anderen Meinung hinzumanipulieren oder ihnen zu erzählen,dass sie genau das eine Produkt unbedingt brauchen. Und das andere da, und das nächste.."
"Du denkst zu rücksichtsvoll. Sicherere Einnahmequelle wäre es, klinische Psychologie geht zurück."
-"Ich weiß, das habe ich in meinem Vortrag ja auch erwähnt. "
"Psychotherapeutin müsstest du ja dann machen, das kostet auch ganz schön Geld, du mussts aber machen,wenn du überhaupt was finden willst.."
-"Vorausgesetzt, ich überstehe das Grundstudium."
"Mathe immernoch nicht deine Stärke?"
-"Nein."
Es wird weitergeblättert.
"Deine Begründung für den Beruf...nichts anderes hätte ich erwartet."
-"Wieso das?" Bin ich wirklich so berechenbar?
"Was das angeht, bist du ziemlich berechenbar." Na danke. "Das muss nichts schlechtes sein, es war nur sehr offensichtlich, das du so etwas schreiben würdest."
Was haben Sie erwartet, kreative Geistesergüsse? Ich habe das innerhalb von eineinhalb Stunden in tiefster, dunkelster Nacht (mehr oder weniger) verfasst.
-" Wieso war es denn offensichtlich?"
"Das kannst du dir bestimmt denken. Hier hast du es jedenfalls wieder, die äußere Form ist in Ordnung, die Mappe nicht mehr ganz neu, aber ich hoffe, dass eine echte Bewerbung dann besser aussieht, auch,wenn die, wie du im Lebenslauf geschrieben hast, wohl frühestens 2019 rausgeht."
Mit einer Husch, Husch!-Bewegung werde ich aus dem Büro bugsiert und im wahrsten Sinne des Wortes vor die Tür gesetzt.
Draußen wirbeln Schneewolken durch die Asphaltprärie und ich bringe es sogar fertig,meinen Bus noch zu erwischen, zum Glück gibt es Busfahrer, die warten, wenn man, mit einem schwarzen Schnellhefter wedelnd und dabei fast den Rest (Tasche, Ordner, Jacke, Tragetasche) verlierend hinter seinem Gefährt her rennt.
Natürlich legte ich dabei die übliche Eleganz an den Tag.
"Deine Begründung für den Beruf..nichts anderes hätte ich erwartet."
Vielleicht bin ich ja berechenbar. Oder das ist wieder so eine Logiksache,dann bin ich aus der Nummer draußen, logisches Denken beherrsche ich in etwa so gut wie Norwegisch. Oder Mathematik.
Vielleicht erschließt es sich ja irgendwie aus dem logischen Zusammenhang, dass meine Bewerbung sagt, ich interessiere mich für die menschliche Psyche und was sie beeinflusst, habe beim roten Kreuz Erfahrungen mit Menschen in Krisensituationen und Problemfällen gesammelt, beherrsche die Gratwanderung zwischen routiniertem Zupacken und sensiblem Verständnis,wenn es um Kontakt mit den Problemfällen geht, und die einzige sinnvolle Schlussfolgerung aus diesen Fakten ist, dass ich diejenige werde, die sich um die verstörten Jugendlichen, Drogenabhängigen, und die gescheiterten Existenzen kümmert.
"Sag mal,war das klar, dass ich sowas schreibe?"
Am anderen Ende der Leitung ist die alte Sache, der, als er hörte, dass ich am Telefon bin, seiner Schwester das Gerät entwendet und sich selbst drangehängt hatte, und der, nachdem ich kurz gezögert hatte, das Anschreiben vorgelesen bekam.
-"Ja." Gesprächig wie immer.
"Und warum?"
-"Naja. Du bist so ein..menschlicher Mensch. Ich glaube,wenn es eine Person gibt, die sagen darf, dass sie immer da ist, bist du das. Du verstehst solche Sachen auch immer,wenn es einem schlecht geht. Und solche Leute. Vielleicht hilft das denen,wenn sie wissen,dass jemand da ist, der sie versteht. Vielleicht gehts denen dann besser."
"Meinst du?"
-"Ja, außerdem siehst du immer,was los ist..das ist schon geistiges sezieren", lacht er. "Ich glaube, das muss man da können. Geistig sezieren, verstehen und helfen."
"Ich werds versuchen, dann. 2019 oder so."
-"So spät erst?"
"Alte Sache, ich bin noch nichtmal 18."
-"Achso, stimmt ja, du bist ja n Stück jünger als ich..ich vergesse das immer wieder."
"Passiert."
-"Was passiert?" Am anderen Ende wieder die Stimme der Schwester.
"Wo hast du die alte Sache hin?"
-"Der muss lernen. Wollte nur Tschüss sagen, ich muss auch gleich weg. Was ist eigentlich mit dem Kerl da, ich glaube, er heißt Problem? Du meintest ja, der wäre irgendwie was besonderes, hat sich da was für dich ergeben?"
Ich lege auf.
Thema: monolog
27. Januar 12 | Autor: mayhem | 0 Kommentare | Kommentieren
Menschen.
Menschenmenschenmenschen.
Sind eine Einheitsmasse, die so an mir vorbeiplätschert, als ich zum Fotomenschen laufe, eigentlich mit dem Vorsatz, meine Kamera abzuholen, praktisch ist es irgendwie eine Art Verdrängung.
Und während ich so laufe, erst auf dem Gehsteig vorbei am Drogeriemarkt, der Tankstelle und dem Supermarkt, dann über das Kopfsteinpflaster der Altstadt, wo es so wirkt, als würden sich die Dächer der Fachwerkhäuser über meinem Kopf berühren, wiederhole ich es ein paar Mal in Gedanken.
"Das Problem, was ist eigentlich mit dem? " -"Ach,der ist bestimmt bei seinem Mädchen. Der ist ja nur noch bei der".
Der simple Abiturientendialog, heute gehört beim Anstehen für einen weiteren Mensabon.
Der Dialog, der es bestätigt hat und den ultimativen Zusammenbruch hätte auslösen sollen, aber stattdessen bin ich von der Mensa sofort Richtung Altstadt gelaufen, habe mich im Laden abweisen lassen,Komplikationen, S.amsung hat die Kamera ohne Begründung zurückgeschickt,nicht repariert, habe es dabei die ganze Zeit in mein Hirn hämmern wollen.
In Gedanken ständig wiederholt, den Satz. Das Bild heraufbeschworen, wie sie so dasaßen, vor den Ferien.
Geistig auf mich eingeprügelt, um ein Gefühl aus mir herauszukriegen, aber das Problem ist, ich will es nicht wahrhaben.
Mein Verstand macht dicht und will es nicht begreifen, und als mir das so auffällt, während ich am Reformhaus vorbeilaufe, hat das was resignationsauslösendes.
Dass mein Herz nicht verstehen will, kenne ich ja.
Et tu, Gehirn?
Sogar du?
Ich weiß nicht,was ich sagen soll.
Es wäre gut,wenn ich es begreifen würde, dann könnte ich heulen und schreien, depressive Lieder schreiben, die nie jemand zu Gesicht bekommen wird und irgendwann wäre es verarbeitet, aber dieser Verdrängungsreflex...
"Morgen" Eine ehemalige Mathelehrkraft steht gerade vorm Schuhgeschäft und hat mich gegrüßt.
-"Morgen." Laufe weiter.
Freundin.Freundinfreundinfreundin.Er. Hat eine Freundin. Eine feste. Sie. Das Mädchen. Sie hört David Guetta. Und verwendet zu viel Make Up, obwohl sie mit weniger davon sehr hübsch ist.
Die, die besser ist als ich, hört David Guetta.
Können Sie sich das vorstellen? Verstörend.
So produziert mein Hirn munter weiter dumme Aussagen, während der emotionale Rest sich völlig enthält und wohl in den Winterschlaf gefallen ist; lediglich ein kleines bisschen Schmerz ist da,und so betrete ich das Schulgelände wieder, ohne einen Nervenzusammenbruch erlitten zu haben, und eine einzelne Schneeflocke fällt mir auf die Nase, als ich nach oben blicke, um abzuschätzen, ob ich mich darüber aufregen sollte, meinen Schirm daheim vergessen zu haben.
Die einzelne Schneeflocke hat ihre Freunde mitgebracht, und so bleibe ich noch ein wenig draußen sitzen, während sie langsam den Boden bedecken und ein paar Fünftklässler fangen spielen.
Zum Glück, endlich wieder mal normale Fünftklässler, nicht so verkorkste, wie wir das damals waren. Oder so seltsame,wie ich das war.
Auf einer Bank sitzt das Mädchen mit einer Freundin und blättert durch eine Zeitschrift, irgendwann gehen Freundin und Zeitschrift und sie bleibt alleine sitzen.
Den Schnee, der sich auf meine Schultern als ganz dünne Schicht gesammelt hat, schiebe ich langsam weg und gehe auch, nicht durch den Haupteingang, dafür hätte ich an ihr vorbei gemusst, sondern den anderen Weg. Will nicht mitbekommen, wenn sie da eventuell verpärchend mit dem Problem herumsitzt.
Überhaupt, wieso muss das jetzt passieren?
Es wäre ja zu einfach gewesen, zu leicht für mich,wenn wir uns einfach aus den Augen verloren hätten und er sich dann irgendeine gesucht hätte.
Die einfachen Lösungen, die sind ja immer für die anderen reserviert, ich bekomme immer den Mist zugeteilt.
I've been waiting for a guide to come and take me by the hand...
Meine eingeschneite Jacke und ich, wir liegen auf dem Gammelsofa im Gammeloberstufenzimmer und starren die Decke an, während die Heizung dafür sorgt, dass die weißen Eiskristalle flüssig und meine Haare somit nass werden, und währenddessen warten wir auf den ultimativen Zusammenbruch und veranstalten eine Art Rückschau.
In der Rückschau taucht es alles auf, die ganzen Sachen, die in mein Leben gestopft wurden, weil die einfachen ja für den Rest der Welt reserviert waren, und damit nicht doch irgendeine Gefühlsregung für die Außenwelt sichtbar wird, schließe ich die Augen und konzentriere mich auf meine Atmung. Musik ganz laut machen, Rest ausblenden, Atmen.
Einfach weiteratmen.
Nichts anderes. Runterschlucken, das Gefühlszeug.
Ganz tief vergraben, irgendwo in mir drin, wo es nie wieder ohne Hilfe rauskommt.
Das umsetzen, was ich dem Student immer sage: Ich habe nicht vor, mich in irgendwen zu verlieben.
Das, was ich mir schon bei der alten Sache vorgenommen habe:Es einfach nicht zulassen.
Das ganze Ding,einfach ignorieren, wegwerfen.
Das werde ich tun, denke ich so bei mir. Und ich nehme das Gefühlszeug, den ganzen Klumpen mit diesen Sachen,die ich ja doch nie aussprechen oder gar zeigen kann, trage ihn ganz weit weg und vergrabe ihn mehrere Meter tief im Boden, um sicher zu gehen,dass er nicht wieder rauskommt, auch,wenn er schreit.
Bis die Blondinenfraktion auftaucht, habe ich ihn fertig vergraben und bin schon wieder da, und sie merken nicht,dass da was fehlt; so höre ich mir die üblichen Beziehungsgeschichten und Lebensdramen an,lächle an den passenden Stellen, bin aber geistig irgendwie gelähmt.
Und das Herz, das ist auch ruhig; da ist nicht einmal Genervtsein, da ist einfach garnichts.
Solange der Schmerz bei der Leere fehlt, werde ich sie wohl kultivieren.
Ich kultiviere die Leere, während ich darauf warte, dass ich endgültig zusammenbreche und/oder/weil der Gefühlsklumpen doch irgendwie wieder freikommt..
Die alte Sache sagte mal,faszinierend an mir sei unter anderem, dass ich es schaffen würde, andere Leute zu stützen, obwohl mir selbst jegliche Stabilität fehlt.
Menschenmenschenmenschen.
Sind eine Einheitsmasse, die so an mir vorbeiplätschert, als ich zum Fotomenschen laufe, eigentlich mit dem Vorsatz, meine Kamera abzuholen, praktisch ist es irgendwie eine Art Verdrängung.
Und während ich so laufe, erst auf dem Gehsteig vorbei am Drogeriemarkt, der Tankstelle und dem Supermarkt, dann über das Kopfsteinpflaster der Altstadt, wo es so wirkt, als würden sich die Dächer der Fachwerkhäuser über meinem Kopf berühren, wiederhole ich es ein paar Mal in Gedanken.
"Das Problem, was ist eigentlich mit dem? " -"Ach,der ist bestimmt bei seinem Mädchen. Der ist ja nur noch bei der".
Der simple Abiturientendialog, heute gehört beim Anstehen für einen weiteren Mensabon.
Der Dialog, der es bestätigt hat und den ultimativen Zusammenbruch hätte auslösen sollen, aber stattdessen bin ich von der Mensa sofort Richtung Altstadt gelaufen, habe mich im Laden abweisen lassen,Komplikationen, S.amsung hat die Kamera ohne Begründung zurückgeschickt,nicht repariert, habe es dabei die ganze Zeit in mein Hirn hämmern wollen.
In Gedanken ständig wiederholt, den Satz. Das Bild heraufbeschworen, wie sie so dasaßen, vor den Ferien.
Geistig auf mich eingeprügelt, um ein Gefühl aus mir herauszukriegen, aber das Problem ist, ich will es nicht wahrhaben.
Mein Verstand macht dicht und will es nicht begreifen, und als mir das so auffällt, während ich am Reformhaus vorbeilaufe, hat das was resignationsauslösendes.
Dass mein Herz nicht verstehen will, kenne ich ja.
Et tu, Gehirn?
Sogar du?
Ich weiß nicht,was ich sagen soll.
Es wäre gut,wenn ich es begreifen würde, dann könnte ich heulen und schreien, depressive Lieder schreiben, die nie jemand zu Gesicht bekommen wird und irgendwann wäre es verarbeitet, aber dieser Verdrängungsreflex...
"Morgen" Eine ehemalige Mathelehrkraft steht gerade vorm Schuhgeschäft und hat mich gegrüßt.
-"Morgen." Laufe weiter.
Freundin.Freundinfreundinfreundin.Er. Hat eine Freundin. Eine feste. Sie. Das Mädchen. Sie hört David Guetta. Und verwendet zu viel Make Up, obwohl sie mit weniger davon sehr hübsch ist.
Die, die besser ist als ich, hört David Guetta.
Können Sie sich das vorstellen? Verstörend.
So produziert mein Hirn munter weiter dumme Aussagen, während der emotionale Rest sich völlig enthält und wohl in den Winterschlaf gefallen ist; lediglich ein kleines bisschen Schmerz ist da,und so betrete ich das Schulgelände wieder, ohne einen Nervenzusammenbruch erlitten zu haben, und eine einzelne Schneeflocke fällt mir auf die Nase, als ich nach oben blicke, um abzuschätzen, ob ich mich darüber aufregen sollte, meinen Schirm daheim vergessen zu haben.
Die einzelne Schneeflocke hat ihre Freunde mitgebracht, und so bleibe ich noch ein wenig draußen sitzen, während sie langsam den Boden bedecken und ein paar Fünftklässler fangen spielen.
Zum Glück, endlich wieder mal normale Fünftklässler, nicht so verkorkste, wie wir das damals waren. Oder so seltsame,wie ich das war.
Auf einer Bank sitzt das Mädchen mit einer Freundin und blättert durch eine Zeitschrift, irgendwann gehen Freundin und Zeitschrift und sie bleibt alleine sitzen.
Den Schnee, der sich auf meine Schultern als ganz dünne Schicht gesammelt hat, schiebe ich langsam weg und gehe auch, nicht durch den Haupteingang, dafür hätte ich an ihr vorbei gemusst, sondern den anderen Weg. Will nicht mitbekommen, wenn sie da eventuell verpärchend mit dem Problem herumsitzt.
Überhaupt, wieso muss das jetzt passieren?
Es wäre ja zu einfach gewesen, zu leicht für mich,wenn wir uns einfach aus den Augen verloren hätten und er sich dann irgendeine gesucht hätte.
Die einfachen Lösungen, die sind ja immer für die anderen reserviert, ich bekomme immer den Mist zugeteilt.
I've been waiting for a guide to come and take me by the hand...
Meine eingeschneite Jacke und ich, wir liegen auf dem Gammelsofa im Gammeloberstufenzimmer und starren die Decke an, während die Heizung dafür sorgt, dass die weißen Eiskristalle flüssig und meine Haare somit nass werden, und währenddessen warten wir auf den ultimativen Zusammenbruch und veranstalten eine Art Rückschau.
In der Rückschau taucht es alles auf, die ganzen Sachen, die in mein Leben gestopft wurden, weil die einfachen ja für den Rest der Welt reserviert waren, und damit nicht doch irgendeine Gefühlsregung für die Außenwelt sichtbar wird, schließe ich die Augen und konzentriere mich auf meine Atmung. Musik ganz laut machen, Rest ausblenden, Atmen.
Einfach weiteratmen.
Nichts anderes. Runterschlucken, das Gefühlszeug.
Ganz tief vergraben, irgendwo in mir drin, wo es nie wieder ohne Hilfe rauskommt.
Das umsetzen, was ich dem Student immer sage: Ich habe nicht vor, mich in irgendwen zu verlieben.
Das, was ich mir schon bei der alten Sache vorgenommen habe:Es einfach nicht zulassen.
Das ganze Ding,einfach ignorieren, wegwerfen.
Das werde ich tun, denke ich so bei mir. Und ich nehme das Gefühlszeug, den ganzen Klumpen mit diesen Sachen,die ich ja doch nie aussprechen oder gar zeigen kann, trage ihn ganz weit weg und vergrabe ihn mehrere Meter tief im Boden, um sicher zu gehen,dass er nicht wieder rauskommt, auch,wenn er schreit.
Bis die Blondinenfraktion auftaucht, habe ich ihn fertig vergraben und bin schon wieder da, und sie merken nicht,dass da was fehlt; so höre ich mir die üblichen Beziehungsgeschichten und Lebensdramen an,lächle an den passenden Stellen, bin aber geistig irgendwie gelähmt.
Und das Herz, das ist auch ruhig; da ist nicht einmal Genervtsein, da ist einfach garnichts.
Solange der Schmerz bei der Leere fehlt, werde ich sie wohl kultivieren.
Ich kultiviere die Leere, während ich darauf warte, dass ich endgültig zusammenbreche und/oder/weil der Gefühlsklumpen doch irgendwie wieder freikommt..
Die alte Sache sagte mal,faszinierend an mir sei unter anderem, dass ich es schaffen würde, andere Leute zu stützen, obwohl mir selbst jegliche Stabilität fehlt.
Thema: oh happy day.
22. Januar 12 | Autor: mayhem | 0 Kommentare | Kommentieren
"Hey du".
Freundliches Lächeln seitens der alten Sache, als ich, nachdem ich erst eine dreiviertel Stunde am Abfahrts- und dann nochmal zwanzig Minuten am Ankunftsbahnhof gewartet habe (im ersten Fall auf den Zug, im zweiten Fall auf die Feindin, die versprochen hatte, mich aufzusammeln und mitzunehmen), relativ eingefroren und ohne perfekt sitzende Frisur nebst Feindin das Haus seiner Eltern betrete, natürlich nicht durch die Haustür, sondern, wie alle anderen irgendwie auch, über die Terasse.
Er sitzt so da mit seiner Freundin und ich will gerade auch zu ihr Hallo sagen, als etwas auf mich zuschießt, mich so fest umarmt,dass mir die Luft wegbleibt und mich ein Stück hochhebt (das muss man(n) erstmal schaffen).
Es ist der Kumpel mit der weiblichen Seite, der,während er mich umarmt, leider nicht mitbekommt, wie mich seine Freundin mit Blicken erdolcht.
Als er mich loslässt, umarmt sie mich auch, dieses "iiih, muss ich das jetzt anfassen?"-Umarmen, das manche Leute so machen, wenn sie jemanden eigentlich nicht mögen, aber so "kill them with kindness"mäßig drauf sind.
Die alte Sache umarmt mich nicht, seine Freundin begrüßt mich ebenfalls freundlich (sie kann sprechen?) und ich gehe davon aus,dass wir nicht mehr Leute werden, als sie mit einer anderen Bekannten in den Raum kommt, kurz grüßt und sich dann sofort in einer Diskussion über die 15cm-Absatzstiefel versenkt, die sie gerne hätte. Geht aber nicht, sie spart seit drei Jahren für einen Frankreichaufenthalt.
Ich lasse mich neben dem Familienhund auf dem Sofa nieder, der sofort seinen Kopf zum Kraulen auf meinem Bein ablegt. Man könnte dem Hund auch kurze Zöpfe flechten, fällt mir gerade auf. Dabei ist es kein Handtaschenhund, sondern ein ganz normaler.
Hm, sollten sie Liebesfilme sehen wollen,könnte ich dem Hund immernoch Rastas -"ALTER! wieso habt ihr mich nicht eingeladen?"
In der Terassentür steht der Student, leicht bläulich angelaufen, ebenfalls Kategorie "vom Winde verweht", mit Jogginghose an den Beinen und Wahnsinn im Blick, und starrt die alte Sache vernichtend an.
"Meine Schwester hat eingeladen."
Der Blick des Bösen wandert zur Schwester."Och, dich hab ich vergessen", lacht sie. Ist typisch für sie, alles nicht so dramatisch.
"Naja, macht ja nichts." Die plötzlich hinter mir aufgetauchte Stimme lässt mich zusammenzucken.
Faust tritt hinter dem Sofa (!) hervor, soweit man eben aus einer Zimmerecke, die von einem Sofa verstellt wird, hervortreten kann, lässt sich neben mir nieder und fragt, ob er mich erschreckt habe.
Ich verneine und weise darauf hin,dass ich lediglich nicht daran gewöhnt bin,dass die Wand hinter mir vermeintlich anfängt zu sprechen.
Oder sich Leute hinter mir und hinter dem Sofa verstecken.
Der Student will sich auf meiner anderen Seite hinsetzen, aber ich ziehe die Feindin am Arm aufs Sofa, sie reagiert auch prompt, wirkt zwar etwas irritiert, als ich aber in Richtung des tiefgefrorenen Studenten nicke, versteht sie. Wenigstens der Hund ist ein netter Mensch und dackelt zum Studenten, um sich von ihm weiterstreicheln zu lassen, Faust hatte ihm ja seinen Platz neben mir streitig gemacht.
Weil Hasischatzi sich auf ihrem Freund ablegen will, sitzen schließlich Faust, ich, die Feindin, sie und ihre Bekannte gequetscht auf einem Drittel des Sofas, während Hasischatzi und der Kumpel auf den anderen zwei Dritteln liegen. Die alte Sache war wenigstens so nett, sich mit seiner Freundin in einen der großen Sessel zu verlagern.
Ich beschließe, mal ein wenig Stimmung zu machen, auch, weil Hasischatzi so erdolchungsblickmotiviert ist.
"Sag mal Kumpel, wieso antwortest du eigentlich nicht auf meine sms?"
Er wirkt irritiert. "Welche sms? die letzte, die ich von dir habe, ist vom 12.Juni."
-"Ich hab dir letztes Jahr im November schon geschrieben,eigentlich auch an Silvester, aber irgendwie kam da nix zurück und anderweitig gemeldet hast du dich ja auch nicht so wirklich".
Er schaut sehr irritiert, Hasischatzi sehr böse.
"Ach, das liegt nur an deinem Handy", winkt er ab.
Und später aufs Thema Eifersucht angesprochen:"Also mein Hasischatzi, die ist ja gar nicht eifersüchtig".
Die Feindin lacht ihr kurzes, kleines Lachen, dass sie bei Aussagen, die fast schon ironisch sein könnten, immer lacht. "Also das würde ich ja jetzt nicht so sagen". Und widmet sich wieder ihrem Handy, wie immer. Erneut habe ich das Gefühl,dass sie eigentlich gar keine Lust hat, hier zu sein.
"Und du, du bist immer noch single?", fragt mich Hasischatzi mit Gehässigkeit in der Stimme, die von Pseudofreundlichkeit nur schlecht überdeckt wird.
"Ja, ich hätte keinen Bock drauf,dass da jemand an mir dranklebt, mich nonstop einschränkt und Terror bei jeder Gelegenheit macht, die sich bietet."
Faust grinst in seine neueste Bartmode, Modell klein und geflochten, hinein, Hasischatzi macht große Augen.
Muss ja auch mal geklärt werden, sowas.
"Wobei so eine Beziehung ja auch Vorteile hat..", gibt er zu bedenken.
"...ab einem gewissen Grad an "Schatzimausipupsi" und Klettigkeit aber irgendwie nervig wird", ergänze ich, und erinnere mich an ein Wort, dass ich bei Morphine gelesen habe: Beziehungsimperialismus (ich möchte bitte, dass es in den Duden aufgenommen wird).
"Stimmt, ich seh das ja auch so",pflichtet mir der inzwischen nicht mehr ganz so bläuliche Student bei.
"Sag mal, wo kommst du eigentlich her?", frage ich ihn, "Ich denke, du bist dieses Wochenende in deinem Studienort?"
-"ja, aber dann dachte ich mir, dvd-Abend wäre ja ganz nett, und du meintest ja,dass heute was ist, also bin ich hergefahren... Bis kurz vorher hat mich der Intellektuelle mitgenommen,die restlichen 7km bin ich halt gelaufen".
Ja gut, nach 5km zum Bahnhof und dem Warten sah ich wohl ähnlich aus.
Natürlich ist er nur wegen den Filmen hier.
Man einigt sich darauf, einen bösen Horrorfilm zu sehen, der dann garnicht so böse ist, aber auch nur, weil wir nebenher reden, manchmal, nichts zu tiefgründiges, aber immerhin, wir reden.
Irgendwann meint die alte Sache, er möchte mir etwas zeigen, und wir sitzen vor seinem Laptop und schauen Bilder an, vom Konzert, zu dem er mich eingeladen hatte, unter der Woche, dann von seiner Schulzeit.
Vom Leistungskurs mit dem Studenten, vom Abiturstreich. Von ihm, während er sich auf ebendiesen vorbereitet, mit zurückpomadisierten Haaren, enger schwarzer Hose, schwarzem Shirt und rundglasiger Sonnenbrille. Von seinem Hund.
Ich sitze so nebendran und ein bisschen Melancholie ist da schon,weil es gerade wieder ist wie früher.
Selbst, als er seine Freundin dazuruft und ihr Bilder zeigt und erklärt, ist da kein Gefühl von Ausgestoßenheit oder fünftes Rad am Wagen. Ich entschließe mich dann trotzdem, wieder an meinen Platz zu gehen, der inzwischen von Hasischatzis Füßen vereinnahmt wird, und während ich so rüberschaue, zu den zwei am Computer, ist da überraschenderweise kein Stahlseil, das mein Herz zerteilen will (hilfe, dieser Horrorfilm hat mich traumatisiert). Irgendjemand hat das Herz mit Polstermaterial eingepackt, deswegen ist da nur Druckschmerz, aber nichts akut lebensgefährliches, also irgendwie abgetrennte Herzteile oder eine tiefe Fleischwunde. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht hier. Nicht für ihn.
Vielleicht sind aber die Gefühlsprozesse, die leise und ständig an einem nagen, die gefährlicheren. Who knows.
Sie sehen glücklich aus, zur Abwechslung auch mal beide, nicht nur er.
Denke so bei mir,dass das schön ist, dass er glücklich ist.
Zwar nicht mit mir, aber immerhin, glücklich. Wenigstens einer.
Irgendwann nach dem dritten Film verabschiedet sich Faust und nimmt den Studenten gleich mit.
Ersterer sagt, es war schön, mal wieder mit mir zu reden, und zwirbelt dabei den gezopften Bart, letzterer sagt kein Wort und geht dann auch. Vielleicht, weil die alte Sache in seinem Auftrag ausloten sollte, wie es denn so emotional bei mir aussieht, und ich ziemlich viel Deutlichkeit in meine Aussage gepackt hatte.
Eigentlich wollte ich ja mit ihm reden, darüber. Hat sich aber nicht ergeben, hm.
Überhaupt bleiben die Gespräche an der Oberfläche, und so rede ich zwischendurch relativ viel, aber die Feindin und der Kumpel mit der weiblichen Seite können mir geistig nicht folgen, finden die absurd-semiwitzige Aussage deshalb nicht ganz so toll wie ich, und die Feindin lacht wieder dieses kleine, fiese Lachen, und hängt ein "bla, bla bla" an. Das Drahtseil hat gerade ein Stück Herzschutzpolstermaterial durchgeschnitten.
Merkt sie natürlich nicht, und fährt fort, auf ihrem Handy herumzutippen.
Als die alte Sache wieder einen Beamtenwitz machen will, verteidige ich die Feindin trotzdem. Und komme rückblickend zu dem Schluss, dass ich mich wohl nicht nur in Beziehungsdingen unfähig anstelle, sondern auch Freundschaften irgendwie nicht so super auf die Reihe bekomme.
Vielleicht liegt es ja auch am Rest der Welt. Bestimmt.
Trotzdem sowas.
Sitze auf dem Balkon vor ihrem Zimmer, habe die Schwester der alten Sache an meiner starken Schulter hängen und beschränke mich darauf, einfach da zu sein.
Das kann ich gut, einfach da sein; etwas sagen ist viel schwerer, und Mitgefühl zeigen sowieso. Oder allgemein Gefühle.
Und sie erzählt so von Faust, den sie toll findet aber er sie nicht, und von dem Mädchen,das mir schon in der AG, in der ich mit ihr und Faust war, das Leben schwer gemacht hat, weil sie dachte, ich wäre Konkurrenz für sie, und davon,dass dieses Mädchen und Faust eben nicht nur freundschaftlich verbunden gewesen waren, und dass sie keine Chancen bei ihm hat und das Leben grausam ist.
Ich sage ihr, dass Liebe manchmal wehtut, sie sagt, verlieben ist ihr vorher nicht so passiert, und sie wusste nicht,dass es so sehr wehtut.
Fast hätte ich gesagt, ich wusste es auch nicht. In keinem der beiden Fälle wusste ich,dass es (wieder) so wehtun würde. Und man es eventuell nicht richtig wegkriegt.
Stattdessen meine ich, dass das wohl dazugehört, dass es wehtut, Ausgeglichenheitsgeschichte. Und dass es mir ganz oft ganz wehtut.
Aber es ist doch Faust, sagt sie. Den sehe sie ja praktisch jedes Wochenende.
Ich denke mir, so ging es mir bei deinem Bruder auch.
Und das Problem, das habe ich jeden Tag gesehen und sehe es immernoch jeden Tag.
Sage ihr, dass es eine richtig beschissene Situation ist, und dass es sich so furchtbar anhört, dieses "Kopf hoch, da musst du jetzt durch!". Und dass sie da nicht durchmuss, und wenn, dann nicht alleine.
Dass ich da bin, jederzeit, egal um welche Uhrzeit, mitgehe,wenn sie nicht alleine mit ihrem Bruder, Faust und den anderen unterwegs sein möchte, und zu ihr komme, wenn sie nicht mit ihnen weggehen, aber auch nicht alleine daheim rumsitzen will.
"Zur Not lauf ich vorbei, an den Bahngleisen entlang geht das relativ flott". Als ich es ausgesprochen habe, fällt mir auf, dass ich es ihrem Bruder mal so ähnlich gesagt hatte, als es ihm gerade schlecht ging.
Hatte ihm gesagt, dass er sich jederzeit melden kann, wenn was ist; dass ich da bin für ihn, und wenn das bedeutet, dass ich an den Bahngleisen entlang, damit es schneller geht und ich mich nicht verirre, zu ihm laufe und da bleibe, bis es ihm besser geht.Weil wir Freunde sind.
Oder eher Freunde waren, sagt das Drahtseil und durchschneidet wieder ein Stück Herzpolstermaterial.
Autsch.
Und wir sitzen so auf den Balkon, die Schwester und ich, jeder mit seiner Tasse Kamillentee vor sich, und starren in den bewölkten Nachthimmel. Ein Stockwerk tiefer geht bei der alten Sache und seiner Freundin das Zimmerlicht aus, und so bleibt der einzige Lichtpunkt die Straßenlaterne auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Sie sagt, wird schon alles werden. Und das es nicht mehr so schlimm ist,jetzt.
Ich sage, liegt bestimmt am Kamillentee, der beruhigt ja.
Freundliches Lächeln seitens der alten Sache, als ich, nachdem ich erst eine dreiviertel Stunde am Abfahrts- und dann nochmal zwanzig Minuten am Ankunftsbahnhof gewartet habe (im ersten Fall auf den Zug, im zweiten Fall auf die Feindin, die versprochen hatte, mich aufzusammeln und mitzunehmen), relativ eingefroren und ohne perfekt sitzende Frisur nebst Feindin das Haus seiner Eltern betrete, natürlich nicht durch die Haustür, sondern, wie alle anderen irgendwie auch, über die Terasse.
Er sitzt so da mit seiner Freundin und ich will gerade auch zu ihr Hallo sagen, als etwas auf mich zuschießt, mich so fest umarmt,dass mir die Luft wegbleibt und mich ein Stück hochhebt (das muss man(n) erstmal schaffen).
Es ist der Kumpel mit der weiblichen Seite, der,während er mich umarmt, leider nicht mitbekommt, wie mich seine Freundin mit Blicken erdolcht.
Als er mich loslässt, umarmt sie mich auch, dieses "iiih, muss ich das jetzt anfassen?"-Umarmen, das manche Leute so machen, wenn sie jemanden eigentlich nicht mögen, aber so "kill them with kindness"mäßig drauf sind.
Die alte Sache umarmt mich nicht, seine Freundin begrüßt mich ebenfalls freundlich (sie kann sprechen?) und ich gehe davon aus,dass wir nicht mehr Leute werden, als sie mit einer anderen Bekannten in den Raum kommt, kurz grüßt und sich dann sofort in einer Diskussion über die 15cm-Absatzstiefel versenkt, die sie gerne hätte. Geht aber nicht, sie spart seit drei Jahren für einen Frankreichaufenthalt.
Ich lasse mich neben dem Familienhund auf dem Sofa nieder, der sofort seinen Kopf zum Kraulen auf meinem Bein ablegt. Man könnte dem Hund auch kurze Zöpfe flechten, fällt mir gerade auf. Dabei ist es kein Handtaschenhund, sondern ein ganz normaler.
Hm, sollten sie Liebesfilme sehen wollen,könnte ich dem Hund immernoch Rastas -"ALTER! wieso habt ihr mich nicht eingeladen?"
In der Terassentür steht der Student, leicht bläulich angelaufen, ebenfalls Kategorie "vom Winde verweht", mit Jogginghose an den Beinen und Wahnsinn im Blick, und starrt die alte Sache vernichtend an.
"Meine Schwester hat eingeladen."
Der Blick des Bösen wandert zur Schwester."Och, dich hab ich vergessen", lacht sie. Ist typisch für sie, alles nicht so dramatisch.
"Naja, macht ja nichts." Die plötzlich hinter mir aufgetauchte Stimme lässt mich zusammenzucken.
Faust tritt hinter dem Sofa (!) hervor, soweit man eben aus einer Zimmerecke, die von einem Sofa verstellt wird, hervortreten kann, lässt sich neben mir nieder und fragt, ob er mich erschreckt habe.
Ich verneine und weise darauf hin,dass ich lediglich nicht daran gewöhnt bin,dass die Wand hinter mir vermeintlich anfängt zu sprechen.
Oder sich Leute hinter mir und hinter dem Sofa verstecken.
Der Student will sich auf meiner anderen Seite hinsetzen, aber ich ziehe die Feindin am Arm aufs Sofa, sie reagiert auch prompt, wirkt zwar etwas irritiert, als ich aber in Richtung des tiefgefrorenen Studenten nicke, versteht sie. Wenigstens der Hund ist ein netter Mensch und dackelt zum Studenten, um sich von ihm weiterstreicheln zu lassen, Faust hatte ihm ja seinen Platz neben mir streitig gemacht.
Weil Hasischatzi sich auf ihrem Freund ablegen will, sitzen schließlich Faust, ich, die Feindin, sie und ihre Bekannte gequetscht auf einem Drittel des Sofas, während Hasischatzi und der Kumpel auf den anderen zwei Dritteln liegen. Die alte Sache war wenigstens so nett, sich mit seiner Freundin in einen der großen Sessel zu verlagern.
Ich beschließe, mal ein wenig Stimmung zu machen, auch, weil Hasischatzi so erdolchungsblickmotiviert ist.
"Sag mal Kumpel, wieso antwortest du eigentlich nicht auf meine sms?"
Er wirkt irritiert. "Welche sms? die letzte, die ich von dir habe, ist vom 12.Juni."
-"Ich hab dir letztes Jahr im November schon geschrieben,eigentlich auch an Silvester, aber irgendwie kam da nix zurück und anderweitig gemeldet hast du dich ja auch nicht so wirklich".
Er schaut sehr irritiert, Hasischatzi sehr böse.
"Ach, das liegt nur an deinem Handy", winkt er ab.
Und später aufs Thema Eifersucht angesprochen:"Also mein Hasischatzi, die ist ja gar nicht eifersüchtig".
Die Feindin lacht ihr kurzes, kleines Lachen, dass sie bei Aussagen, die fast schon ironisch sein könnten, immer lacht. "Also das würde ich ja jetzt nicht so sagen". Und widmet sich wieder ihrem Handy, wie immer. Erneut habe ich das Gefühl,dass sie eigentlich gar keine Lust hat, hier zu sein.
"Und du, du bist immer noch single?", fragt mich Hasischatzi mit Gehässigkeit in der Stimme, die von Pseudofreundlichkeit nur schlecht überdeckt wird.
"Ja, ich hätte keinen Bock drauf,dass da jemand an mir dranklebt, mich nonstop einschränkt und Terror bei jeder Gelegenheit macht, die sich bietet."
Faust grinst in seine neueste Bartmode, Modell klein und geflochten, hinein, Hasischatzi macht große Augen.
Muss ja auch mal geklärt werden, sowas.
"Wobei so eine Beziehung ja auch Vorteile hat..", gibt er zu bedenken.
"...ab einem gewissen Grad an "Schatzimausipupsi" und Klettigkeit aber irgendwie nervig wird", ergänze ich, und erinnere mich an ein Wort, dass ich bei Morphine gelesen habe: Beziehungsimperialismus (ich möchte bitte, dass es in den Duden aufgenommen wird).
"Stimmt, ich seh das ja auch so",pflichtet mir der inzwischen nicht mehr ganz so bläuliche Student bei.
"Sag mal, wo kommst du eigentlich her?", frage ich ihn, "Ich denke, du bist dieses Wochenende in deinem Studienort?"
-"ja, aber dann dachte ich mir, dvd-Abend wäre ja ganz nett, und du meintest ja,dass heute was ist, also bin ich hergefahren... Bis kurz vorher hat mich der Intellektuelle mitgenommen,die restlichen 7km bin ich halt gelaufen".
Ja gut, nach 5km zum Bahnhof und dem Warten sah ich wohl ähnlich aus.
Natürlich ist er nur wegen den Filmen hier.
Man einigt sich darauf, einen bösen Horrorfilm zu sehen, der dann garnicht so böse ist, aber auch nur, weil wir nebenher reden, manchmal, nichts zu tiefgründiges, aber immerhin, wir reden.
Irgendwann meint die alte Sache, er möchte mir etwas zeigen, und wir sitzen vor seinem Laptop und schauen Bilder an, vom Konzert, zu dem er mich eingeladen hatte, unter der Woche, dann von seiner Schulzeit.
Vom Leistungskurs mit dem Studenten, vom Abiturstreich. Von ihm, während er sich auf ebendiesen vorbereitet, mit zurückpomadisierten Haaren, enger schwarzer Hose, schwarzem Shirt und rundglasiger Sonnenbrille. Von seinem Hund.
Ich sitze so nebendran und ein bisschen Melancholie ist da schon,weil es gerade wieder ist wie früher.
Selbst, als er seine Freundin dazuruft und ihr Bilder zeigt und erklärt, ist da kein Gefühl von Ausgestoßenheit oder fünftes Rad am Wagen. Ich entschließe mich dann trotzdem, wieder an meinen Platz zu gehen, der inzwischen von Hasischatzis Füßen vereinnahmt wird, und während ich so rüberschaue, zu den zwei am Computer, ist da überraschenderweise kein Stahlseil, das mein Herz zerteilen will (hilfe, dieser Horrorfilm hat mich traumatisiert). Irgendjemand hat das Herz mit Polstermaterial eingepackt, deswegen ist da nur Druckschmerz, aber nichts akut lebensgefährliches, also irgendwie abgetrennte Herzteile oder eine tiefe Fleischwunde. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht hier. Nicht für ihn.
Vielleicht sind aber die Gefühlsprozesse, die leise und ständig an einem nagen, die gefährlicheren. Who knows.
Sie sehen glücklich aus, zur Abwechslung auch mal beide, nicht nur er.
Denke so bei mir,dass das schön ist, dass er glücklich ist.
Zwar nicht mit mir, aber immerhin, glücklich. Wenigstens einer.
Irgendwann nach dem dritten Film verabschiedet sich Faust und nimmt den Studenten gleich mit.
Ersterer sagt, es war schön, mal wieder mit mir zu reden, und zwirbelt dabei den gezopften Bart, letzterer sagt kein Wort und geht dann auch. Vielleicht, weil die alte Sache in seinem Auftrag ausloten sollte, wie es denn so emotional bei mir aussieht, und ich ziemlich viel Deutlichkeit in meine Aussage gepackt hatte.
Eigentlich wollte ich ja mit ihm reden, darüber. Hat sich aber nicht ergeben, hm.
Überhaupt bleiben die Gespräche an der Oberfläche, und so rede ich zwischendurch relativ viel, aber die Feindin und der Kumpel mit der weiblichen Seite können mir geistig nicht folgen, finden die absurd-semiwitzige Aussage deshalb nicht ganz so toll wie ich, und die Feindin lacht wieder dieses kleine, fiese Lachen, und hängt ein "bla, bla bla" an. Das Drahtseil hat gerade ein Stück Herzschutzpolstermaterial durchgeschnitten.
Merkt sie natürlich nicht, und fährt fort, auf ihrem Handy herumzutippen.
Als die alte Sache wieder einen Beamtenwitz machen will, verteidige ich die Feindin trotzdem. Und komme rückblickend zu dem Schluss, dass ich mich wohl nicht nur in Beziehungsdingen unfähig anstelle, sondern auch Freundschaften irgendwie nicht so super auf die Reihe bekomme.
Vielleicht liegt es ja auch am Rest der Welt. Bestimmt.
Trotzdem sowas.
Sitze auf dem Balkon vor ihrem Zimmer, habe die Schwester der alten Sache an meiner starken Schulter hängen und beschränke mich darauf, einfach da zu sein.
Das kann ich gut, einfach da sein; etwas sagen ist viel schwerer, und Mitgefühl zeigen sowieso. Oder allgemein Gefühle.
Und sie erzählt so von Faust, den sie toll findet aber er sie nicht, und von dem Mädchen,das mir schon in der AG, in der ich mit ihr und Faust war, das Leben schwer gemacht hat, weil sie dachte, ich wäre Konkurrenz für sie, und davon,dass dieses Mädchen und Faust eben nicht nur freundschaftlich verbunden gewesen waren, und dass sie keine Chancen bei ihm hat und das Leben grausam ist.
Ich sage ihr, dass Liebe manchmal wehtut, sie sagt, verlieben ist ihr vorher nicht so passiert, und sie wusste nicht,dass es so sehr wehtut.
Fast hätte ich gesagt, ich wusste es auch nicht. In keinem der beiden Fälle wusste ich,dass es (wieder) so wehtun würde. Und man es eventuell nicht richtig wegkriegt.
Stattdessen meine ich, dass das wohl dazugehört, dass es wehtut, Ausgeglichenheitsgeschichte. Und dass es mir ganz oft ganz wehtut.
Aber es ist doch Faust, sagt sie. Den sehe sie ja praktisch jedes Wochenende.
Ich denke mir, so ging es mir bei deinem Bruder auch.
Und das Problem, das habe ich jeden Tag gesehen und sehe es immernoch jeden Tag.
Sage ihr, dass es eine richtig beschissene Situation ist, und dass es sich so furchtbar anhört, dieses "Kopf hoch, da musst du jetzt durch!". Und dass sie da nicht durchmuss, und wenn, dann nicht alleine.
Dass ich da bin, jederzeit, egal um welche Uhrzeit, mitgehe,wenn sie nicht alleine mit ihrem Bruder, Faust und den anderen unterwegs sein möchte, und zu ihr komme, wenn sie nicht mit ihnen weggehen, aber auch nicht alleine daheim rumsitzen will.
"Zur Not lauf ich vorbei, an den Bahngleisen entlang geht das relativ flott". Als ich es ausgesprochen habe, fällt mir auf, dass ich es ihrem Bruder mal so ähnlich gesagt hatte, als es ihm gerade schlecht ging.
Hatte ihm gesagt, dass er sich jederzeit melden kann, wenn was ist; dass ich da bin für ihn, und wenn das bedeutet, dass ich an den Bahngleisen entlang, damit es schneller geht und ich mich nicht verirre, zu ihm laufe und da bleibe, bis es ihm besser geht.Weil wir Freunde sind.
Oder eher Freunde waren, sagt das Drahtseil und durchschneidet wieder ein Stück Herzpolstermaterial.
Autsch.
Und wir sitzen so auf den Balkon, die Schwester und ich, jeder mit seiner Tasse Kamillentee vor sich, und starren in den bewölkten Nachthimmel. Ein Stockwerk tiefer geht bei der alten Sache und seiner Freundin das Zimmerlicht aus, und so bleibt der einzige Lichtpunkt die Straßenlaterne auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Sie sagt, wird schon alles werden. Und das es nicht mehr so schlimm ist,jetzt.
Ich sage, liegt bestimmt am Kamillentee, der beruhigt ja.
Thema: von herzen
18. Januar 12 | Autor: mayhem | 0 Kommentare | Kommentieren
Standing in line
To see the show tonight
And there's a light on
Heavy glow
By the way I tried to say
I'd be there...
( By the Way-Red Hot Chili Peppers)
Alte Sache,
Ich weiß noch, als wir zum Ersten Mal zusammen in der Absteige waren.
Ich hatte die Mitgitarristin, mit der ich damals noch Kontakt hatte, dabei und wir waren früher da und ich praktisch ein Nervenbündel, bis du dann endlich mit deiner Schwester aufgetaucht bist.
Sie kam mir damals genau so vor, wie sie eigentlich ist: Einfach gestrickt, ein bisschen laut, aber ziemlich ehrlich und nett.
Ich hatte dich davor eine Weile nicht gesehen, waren es zwei Monate?
In diesen zwei Monaten habe ich hibbelnd in front of my computer gesessen und gewartet,dass du schreibst.
Am ersten Rotkreuzabend, da hatte ich dich wieder gesehen, nach drei ganzen Jahren warst du auf einmal wieder da in meinem Leben, dein Haar war damals so lang wie meins und auch zusammengebunden, aber lockiger, und ich habe dich angesehen und war praktisch wieder genau so weg wie damals vor drei Jahren.
Habe dich den ganzen Abend angestarrt und mich nicht getraut, mit dir zu reden, aber dann bist du länger dageblieben, wie die Mitsanitäterin und ihr Vater, und während die sich Getränke geholt haben, saßen wir beide alleine am Tisch, und du hast genauso seltsam geschaut wie ich, und das erste,was ich zu dir gesagt habe, war: "Ich kann ganz furchtbar schlecht mit fremden Menschen reden."
Wenn die Angst dich übermannt und du keinen Ton herausbekommst, dann thematisiere sie einfach. Anscheinend hat das funktioniert, wir haben ein bisschen geredet und du hast mir von der Absteige erzählt, die ich vorher nur von Außen kannte und mir lieber nicht aus der Nähe ansehen wollte, weil die Leute, die da hingingen, damals alle so abgeranzt und abgefuckt gegen mich wirkten.
Ich habe mich nach diesem Abend trotzdem überwunden und Kontakt gesucht, unter dem Vorwand, mich wegen dem Konzert melden zu wollen, zu dem du mich mitnehmen wolltest. Beatsteaks waren es, ich weiß es noch. Du auch?
Diverse Wochen Funkstille und einen Rotkreuzabend später waren wir dann da, in der Absteige.
Es folgten weitere Absteigentage, selten auch mal ohne deine Schwester, und man haute mir dann so irgendwie euren restlichen Bekanntenkreis um die Ohren, das war anstrengend für mich, so viele fremde Menschen und außerdem hatte ich Angst, irgendwie komisch zu wirken oder zu kindlich oder sowas.
Hat anscheinend doch funktioniert, heute hat deine Schwester mich wieder zu einem DVD-Abend eingeladen.
Weißt du, in meiner Wunschvorstellung war das immer so,dass ich diejenige bin,mit der du am DVD-Abend verkuschelt rumsitzt.
Nicht so verkuschelt, ich bin ja keine große Freundin extremer öffentlicher Zuneigungsbekundungen, aber so ein bisschen hätte ich schon ganz nett gefunden.
Es war eine Illusion, mir einzureden, über die drei Jahre wäre es verloren gegangen.
Eigentlich dachte ich auch, es könnte etwas werden, schließlich war da etwas Besonderes, da war auch die Aufmerksamkeit da, am Anfang,wenn wir wegwaren, und es hat ja gepasst, Verständnis ohne Worte und da war keinerlei Negativgefühl,wenn ich mit dir zusammen war.
Ich glaube, du bist bis heute die einzige Person, bei der es mir so geht, selbst jetzt, wo das einzige,was wir noch zusammenkriegen, ein bisschen Teilzeitfreundschaft ist.
Du hast das irgendwie nicht so mitbekommen, ich bin anscheinend gut im Gefühle tarnen und verstecken; es ging dann auch bergab, als ich dir in einem Gespräch das erklärte, was ich mir dachte: Dass ich mir im Verliebtheitsfall die Frage stellen würde, ob ich mich der Person, die ich liebe, wirklich antun will. Mit allen Macken und Ticken und Narben und dem Vergangenheitsklotz, den Ausdrucksschwierigkeiten,wenn es um Gefühle geht, der großen Unsicherheit und meiner gnadenlosen Verplantheit.
Anscheinend hat das irgendwie nicht so super gewirkt, jedenfalls hat sich das Ganze dann irgendwie..aufgelöst. Freundschaft war da noch,immernoch besonders und mit viel Verständnis ohne Worte, aber auch mit, und so hast du mir dann davon erzählt, als du dich in sie verliebt hast und wolltest meinen Ratschlag hören.
Weißt du, irgendwie tat das weh.
Ich habe trotzdem mit dir mitgefiebert, wenn auch für einen anderen Ausgang als du.
Als es mit ihr nichts wurde, hast du es bei der Feindin versucht, mir aber davon nichts erzählt,weil ich wohl zu gut mit ihr befreundet schien; dann kam deine jetzige Freundin an die Reihe, die dann eben nicht nein gesagt hat.
Ich weiß nicht, wie "besonders" das Freundschaftsding bei uns war. Ich meine,das,was du mir erzählt hast, und angeblich nur mir, hast du ja mit dem selben Zusatz auch den anderen erzählt; die Masche war auch die selbe, die ganze Aufmerksamkeit, das Besonderheitsgefühl, und sobald man etwas falsches sagte, war es dann eben nichts mehr; ich will das ja eigentlich immernoch nicht glauben, dass das so war und du das absichtlich getan hast, war es auch keine Absicht, weil du ganz treudoof nicht gerafft hast, was du eigentlich machst.
Die Feindin mag dich nicht.
Weil du schlechte Witze machst, vor allem über Beamte, und weil der Kontakt so plötzlich abbrach, sowohl bei ihr als auch bei mir.
Ich mag dich noch, als Freund.
Finde es nicht gut, dass du gesagt hast,du hättest es nur mir erzählt; ich die erste gewesen wäre,mit der du darüber geredet hast; dass wir alle irgendwie ins Schema deiner Exfreundin passen und am allermeisten deine Aktuelle, wo du doch sagst,du hast mit der Vergangenheit abgeschlossen; dass wir, die Feindin und ich, oft garnicht mehr eingeladen werden; dass ich gucken muss, wo ich bleibe,wenn ich doch mal da bin, weil ich mit niemandem reden kann, sind ja alle im Pärchen, außer deiner Schwester und ihr, die dann miteinander reden, und dem Studenten, der in seiner Verliebtheit belastend und manchmal auch nervig ist, obwohl ich doch sehr klaren Klartext geredet habe.
Jetzt ja auch mit dir; du kamst dir ja ganz unauffällig vor, also habe ich ganz unauffällig die Fronten zwischen dem Studenten und mir geklärt.
Wir haben dann noch ein bisschen geredet und du meintest, du würdest ja zwischenmenschliches gut bemerken, außer, wenn sich jemand in dich verliebt hat.
Weißt du,als du das geschrieben hast, hätte ich am liebsten "JA, ICH WEISS" mit mehreren Ausrufezeichen geschrieben. "Ja, ich weiß, weil ich es war".
Ich habe oft überlegt,es dir zu sagen, weil du im Gegensatz zum Problem jemand bist, bei dem ich weiß,dass er mich nicht auslachen würde. Du hättest mich wahrscheinlich angesehen und wärst genauso fertig gewesen wie ich.
Ich habe es dir nie gesagt. Gegen Ende hätte ich es gekonnt, aber ich habe es nicht, weil es die Freundschaft kaputt gemacht hätte, die Freundschaft, die die andere Hälfte des Spagats ist, den der Kontakt mit dir für mich darstellt.
Es hat nichts daran geändert,dass diese Freundschaft verfällt.
Wenn doch mal wieder was ist, fühlt es sich nicht ganz so kaputt an, auch,wenn wir an den seltenen Terminen,an denen wir uns sehen, nicht mehr reden, nicht mehr wie früher und oft genug nichtmal normal, aber wenn nicht gerade Funkstille ist, fühlt es sich an,als könnte man da noch was retten.
Ich will da auch noch was retten, weil du einer der tollsten Menschen bist, die mir je begegnet sind, fertig.
Quasi Seelenverwandschaft auf Freundschaftsebene.
Vielleicht war das ja gar kein Verliebtsein, es hat sich sowieso anders angefühlt, nicht wie das Gefühl beim Problem, also eine weitere Mutation von Liebe, mein Herz ist irgendwie unfähig, etwas normales hervor zu bringen.
Das, was da für dich war, das war nicht ganz so destruktiv wie die Sache mit dem Problem, aber trotzdem anstrengend genug.
Wenn ich früh graues Haar bekomme, bist du Schuld, jawohl.
Hast mich mindestens zwei Lebensjahre durch emotionalen Stress gekostet, und einiges an Tränen.
Ohne es je gemerkt zu haben, ohne auch nur ansatzweise auf die Idee gekommen zu sein.
Die Frage,was wäre, wenn du es gemerkt hättest, wird wohl noch eine Weile bleiben, aber ihr seid ja anscheinend ganz gut arrangiert miteinander und wohl auch glücklich, du und sie, das Exfreundindouble, und ich will euch das nicht kaputt machen.
In emotional verwirrten Momenten habe ich natürlich auch schonmal gehofft, dass Schluss ist zwischen euch, aber weil du ein grundstabiler Mensch bist, mit solider Seele und solidem Hintergrund, der gerne solide, lange haltende Beziehungen führt, wird das wohl nicht so schnell passieren.
Ich habe mich ein Stück weit damit abgefunden, ein schleichender Prozess war das Abfinden, es ging jedenfalls besser als beim Problem, vielleicht auch, weil du mich schon im Voraus durch so viele emotionale Zusammenbrüche geschleift hast, dass der endgültige Schlag gar nicht mehr so brutal war; kannte das ja schon, war vorbereitet und lag ja schon am Boden, somit konnte es mich auch nicht mehr niederschlagen.
Wir sind da so rumgelaufen auf dem Fest in der Stadt, sie und du händchenhaltend, ich dann irgendwann alleine oder mit ihr weil der mitgeschleifte Kumpel mit der weiblichen Seite mit seinem jetzigen Hasischatzi ins Gespräch gekommen war,und während ich vorm Weggehen noch Angst gehabt hatte, ich könnte das Bedürfnis verspüren, mich von der nächsten Brücke zu schmeißen, war das dann irgendwie garnicht so.
Schockzustand,dachte ich mir. Schockzustand,der Zusammenbruch, der große, der kommt schon noch.
Ihr seid jetzt bald ein halbes Jahr zusammen und der große Zusammenbruch war noch nicht da.
Ein Spagat ist es immernoch, ich muss ausgleichen zwischen der Feindin, die dich nicht mag, und dir, der du deswegen die Feindin etwas irritierend findest;
zwischen dem Nullbockgefühl,wenn ihr wieder sowas ultracooles vorhabt wie den Abend mit hirnlosen Partyspielen, und dem Wissen,dass man sonst garnicht mehr eingeladen wird;
und das Isolationsgefühl ist da auch noch, weil ich ohne Feindin schon garnicht mehr weiß, mit wem ich reden soll, seit du beziehungstechnisch ausgelastet bist und der Kumpel auf Befehl Wunsch Hasischatzis nicht mehr mit mir redet.
Deine Schwester, die lacht manchmal,wenn ich rede,weil sie geistig überlastet ist; und sie findet das seltsam,wenn Faust und ich über den Sinn des Lebens oder die Lektüre, aus der sein Name stammt, diskutieren, während er seine Zigarre raucht, sein Rumglas leert und ich die restliche Kohlensäure aus meinem Mediumwasser rausschüttle, reden ist deswegen oft nicht so drin.
Ich verlegte mich also auf das,was ich am besten kann: Verunsichert schweigen.
Überhaupt hatte das alles, das ganze Drama, auch seine positiven Auswirkungen.
Jetzt mal abgesehen von diesem klischeehaften "ich bin härter geworden", das stimmt nämlich nicht..
Ich lasse die Unsicherheit einfach Unsicherheit sein und habe eine bemerkenswerte Scheißegaleinstellung gegenüber dem Rest des Kollegiatenhaufens entwickelt, überhaupt ist meine Arschlochtoleranz ziemlich groß geworden; weiß ja,dass da Leute sind, die mich irgendwie zu mögen scheinen. Oder schienen, man weiß es nicht.
Vielleicht ist ein Teil deiner unendlichen Stabilität, die ich so bewundere, auf mich übergegangen, und ich erwische mich damit, wie ich zwar wieder dauernd unterbrochen werde und trotzdem jedem Mist zuhöre und dabei mitfühle, aber mir denke, dann ist es eben so.
Und bei jedem "Du musst selbstbewusster werden" ein "Nein,das ist schon ganz gut so, wie es ist" denke. Manche Leute sind eben nicht für sowas gemacht.
Wir sind beide solche Sonderfälle, du und ich; die irgendwie immer für jeden da sind, aber umgedreht dann irgendwie alleine dastehen. Sich eigentlich nicht trauen, mit Fremden zu reden oder Kontakt zu haben, und wenn das bedeutet, auf ein Getränk zu verzichten, weil man sich nicht alleine an die fremde Bar mit fremden Personal traut. Oder zuspätkommen, weil man sich nicht traut, bei den Leuten, die man zum ersten Mal besucht, zu klingeln und hin- und her überlegt, wie man auf andere Art und Weise rein oder wieder nach Hause kommt.
Vielleicht heißt das, dass ich nicht ganz so komisch bin, wie es sich manchmal anfühlt, vielleicht heißt es aber auch,dass wir beide einen ganz massiven Schaden haben, aber das Wichtigste ist das "beide" in dem Satz.
Ich war nicht alleine mit meinem Schaden.
Eine Zeit lang war ich nicht alleine damit, mit mir, mit all dem, und ich hatte zumindest das Gefühl, jemanden gefunden zu haben, mit dem ich über es alles hätte reden können. Ich habe dieses Gefühl auch manchmal heute noch, aber es verblasst immer mehr, so wie die Erinnerungen an früher,an den Anfang, bei dir zu verblassen scheinen und es die Freundschaft, die doch so besonders war, tut.
Vermutlich ist da nichts mehr zu retten, danke sagen möchte ich dir trotzdem.
Nicht persönlich, das würde dich nur verwirren und ich müsste dir zwangsläufig sagen, was da so zweitweise in mir drin los war, und so schreibe ich dir wieder einen Brief, den ich nie abschicken werde.
In meinem Blog, den du hoffentlich nie finden wirst.
Vielleicht schließt es dieser Brief ab, was auch immer "es" ist;
"es", das angefangen hat vor fünf Jahren,als du am Schaltpult gesessen hast und mir deinen Rücken zugewandt hast; das weiterging, als du bei eurem Abistreich auf der Bühne gesessen und Gitarre gespielt hast; das einen Schubs bekam, als ich dich und deine Damals-noch-Freundin gesehen habe, das sich verlief im Sand und abgeschlossen war; das wieder da war, als dein Name im Verteiler dieser einen Mail auftauchte; wiederbelebt wurde, wieder voll da war, diverse Schläge einstecken musste, emotional zu Grabe getragen wurde, leider mehrfach wieder auferstand und jetzt nach vollendeter Metamorphose anders vorliegt.
Trotz allem Danke.
Vielleicht auch, weil meine ganze Person sich in diesem einen Jahr mehr verändert hat, als das eigentlich denkbar war, und diese Veränderung nicht völlig negativ war;
eventuell,weil du geholfen hast bei dieser Selbstfindungssache,
weil ich ohne dich niemals in die Absteige gegangen wäre,
auch, weil ich sonst die Feindin nicht kennengelernt hätte,
obwohl es mir diverse hirnlose Spieleabende und Herzschmerz erspart hätte,
weil ich einiges verpasst hätte,
du meinen Musikgeschmack erweitert hast,
du mir manchmal Halt gegeben hast,
und den Glauben an sowas wie Seelenverwandschaft, auf welcher Gefühlsebene auch immer.
und weil du mir,ganz manchmal, das Gefühl gegeben hast,dass ich nicht alleine bin.
Nicht alleine mit mir, mit dem ganzen Mist, dem kaputten Herz und der kaputten Persönlichkeit, der seltsamen Augenfarbe, dem Musikgeschmack und der -begeisterung, dem Liebesherzschmerz und der Depressivität; mit so simplen Dingen wie der Mittelalteraffinität.
Egal, ob es eine Illusion war oder nicht, es hat sich real angefühlt, in diesen Momenten.
Wenn es also nicht stimmt, wenn es nicht wirklich war und nur gespielt oder unecht, dann war es gut gemacht.
Ich möchte dir also danke sagen, dafür, dass du mir eine Zeit lang die Illusion gegeben hast, ich wäre jemand, zumindest für dich.
Und wenn es irgendwann so ist, dass du diese Freundschaft, die da mal war, doch ein bisschen vermisst, dann melde dich doch bitte bei mir.Sag mir einfach Bescheid, egal wann.
Ich würde mich freuen.
Das Böse alias Mayhem.
To see the show tonight
And there's a light on
Heavy glow
By the way I tried to say
I'd be there...
( By the Way-Red Hot Chili Peppers)
Alte Sache,
Ich weiß noch, als wir zum Ersten Mal zusammen in der Absteige waren.
Ich hatte die Mitgitarristin, mit der ich damals noch Kontakt hatte, dabei und wir waren früher da und ich praktisch ein Nervenbündel, bis du dann endlich mit deiner Schwester aufgetaucht bist.
Sie kam mir damals genau so vor, wie sie eigentlich ist: Einfach gestrickt, ein bisschen laut, aber ziemlich ehrlich und nett.
Ich hatte dich davor eine Weile nicht gesehen, waren es zwei Monate?
In diesen zwei Monaten habe ich hibbelnd in front of my computer gesessen und gewartet,dass du schreibst.
Am ersten Rotkreuzabend, da hatte ich dich wieder gesehen, nach drei ganzen Jahren warst du auf einmal wieder da in meinem Leben, dein Haar war damals so lang wie meins und auch zusammengebunden, aber lockiger, und ich habe dich angesehen und war praktisch wieder genau so weg wie damals vor drei Jahren.
Habe dich den ganzen Abend angestarrt und mich nicht getraut, mit dir zu reden, aber dann bist du länger dageblieben, wie die Mitsanitäterin und ihr Vater, und während die sich Getränke geholt haben, saßen wir beide alleine am Tisch, und du hast genauso seltsam geschaut wie ich, und das erste,was ich zu dir gesagt habe, war: "Ich kann ganz furchtbar schlecht mit fremden Menschen reden."
Wenn die Angst dich übermannt und du keinen Ton herausbekommst, dann thematisiere sie einfach. Anscheinend hat das funktioniert, wir haben ein bisschen geredet und du hast mir von der Absteige erzählt, die ich vorher nur von Außen kannte und mir lieber nicht aus der Nähe ansehen wollte, weil die Leute, die da hingingen, damals alle so abgeranzt und abgefuckt gegen mich wirkten.
Ich habe mich nach diesem Abend trotzdem überwunden und Kontakt gesucht, unter dem Vorwand, mich wegen dem Konzert melden zu wollen, zu dem du mich mitnehmen wolltest. Beatsteaks waren es, ich weiß es noch. Du auch?
Diverse Wochen Funkstille und einen Rotkreuzabend später waren wir dann da, in der Absteige.
Es folgten weitere Absteigentage, selten auch mal ohne deine Schwester, und man haute mir dann so irgendwie euren restlichen Bekanntenkreis um die Ohren, das war anstrengend für mich, so viele fremde Menschen und außerdem hatte ich Angst, irgendwie komisch zu wirken oder zu kindlich oder sowas.
Hat anscheinend doch funktioniert, heute hat deine Schwester mich wieder zu einem DVD-Abend eingeladen.
Weißt du, in meiner Wunschvorstellung war das immer so,dass ich diejenige bin,mit der du am DVD-Abend verkuschelt rumsitzt.
Nicht so verkuschelt, ich bin ja keine große Freundin extremer öffentlicher Zuneigungsbekundungen, aber so ein bisschen hätte ich schon ganz nett gefunden.
Es war eine Illusion, mir einzureden, über die drei Jahre wäre es verloren gegangen.
Eigentlich dachte ich auch, es könnte etwas werden, schließlich war da etwas Besonderes, da war auch die Aufmerksamkeit da, am Anfang,wenn wir wegwaren, und es hat ja gepasst, Verständnis ohne Worte und da war keinerlei Negativgefühl,wenn ich mit dir zusammen war.
Ich glaube, du bist bis heute die einzige Person, bei der es mir so geht, selbst jetzt, wo das einzige,was wir noch zusammenkriegen, ein bisschen Teilzeitfreundschaft ist.
Du hast das irgendwie nicht so mitbekommen, ich bin anscheinend gut im Gefühle tarnen und verstecken; es ging dann auch bergab, als ich dir in einem Gespräch das erklärte, was ich mir dachte: Dass ich mir im Verliebtheitsfall die Frage stellen würde, ob ich mich der Person, die ich liebe, wirklich antun will. Mit allen Macken und Ticken und Narben und dem Vergangenheitsklotz, den Ausdrucksschwierigkeiten,wenn es um Gefühle geht, der großen Unsicherheit und meiner gnadenlosen Verplantheit.
Anscheinend hat das irgendwie nicht so super gewirkt, jedenfalls hat sich das Ganze dann irgendwie..aufgelöst. Freundschaft war da noch,immernoch besonders und mit viel Verständnis ohne Worte, aber auch mit, und so hast du mir dann davon erzählt, als du dich in sie verliebt hast und wolltest meinen Ratschlag hören.
Weißt du, irgendwie tat das weh.
Ich habe trotzdem mit dir mitgefiebert, wenn auch für einen anderen Ausgang als du.
Als es mit ihr nichts wurde, hast du es bei der Feindin versucht, mir aber davon nichts erzählt,weil ich wohl zu gut mit ihr befreundet schien; dann kam deine jetzige Freundin an die Reihe, die dann eben nicht nein gesagt hat.
Ich weiß nicht, wie "besonders" das Freundschaftsding bei uns war. Ich meine,das,was du mir erzählt hast, und angeblich nur mir, hast du ja mit dem selben Zusatz auch den anderen erzählt; die Masche war auch die selbe, die ganze Aufmerksamkeit, das Besonderheitsgefühl, und sobald man etwas falsches sagte, war es dann eben nichts mehr; ich will das ja eigentlich immernoch nicht glauben, dass das so war und du das absichtlich getan hast, war es auch keine Absicht, weil du ganz treudoof nicht gerafft hast, was du eigentlich machst.
Die Feindin mag dich nicht.
Weil du schlechte Witze machst, vor allem über Beamte, und weil der Kontakt so plötzlich abbrach, sowohl bei ihr als auch bei mir.
Ich mag dich noch, als Freund.
Finde es nicht gut, dass du gesagt hast,du hättest es nur mir erzählt; ich die erste gewesen wäre,mit der du darüber geredet hast; dass wir alle irgendwie ins Schema deiner Exfreundin passen und am allermeisten deine Aktuelle, wo du doch sagst,du hast mit der Vergangenheit abgeschlossen; dass wir, die Feindin und ich, oft garnicht mehr eingeladen werden; dass ich gucken muss, wo ich bleibe,wenn ich doch mal da bin, weil ich mit niemandem reden kann, sind ja alle im Pärchen, außer deiner Schwester und ihr, die dann miteinander reden, und dem Studenten, der in seiner Verliebtheit belastend und manchmal auch nervig ist, obwohl ich doch sehr klaren Klartext geredet habe.
Jetzt ja auch mit dir; du kamst dir ja ganz unauffällig vor, also habe ich ganz unauffällig die Fronten zwischen dem Studenten und mir geklärt.
Wir haben dann noch ein bisschen geredet und du meintest, du würdest ja zwischenmenschliches gut bemerken, außer, wenn sich jemand in dich verliebt hat.
Weißt du,als du das geschrieben hast, hätte ich am liebsten "JA, ICH WEISS" mit mehreren Ausrufezeichen geschrieben. "Ja, ich weiß, weil ich es war".
Ich habe oft überlegt,es dir zu sagen, weil du im Gegensatz zum Problem jemand bist, bei dem ich weiß,dass er mich nicht auslachen würde. Du hättest mich wahrscheinlich angesehen und wärst genauso fertig gewesen wie ich.
Ich habe es dir nie gesagt. Gegen Ende hätte ich es gekonnt, aber ich habe es nicht, weil es die Freundschaft kaputt gemacht hätte, die Freundschaft, die die andere Hälfte des Spagats ist, den der Kontakt mit dir für mich darstellt.
Es hat nichts daran geändert,dass diese Freundschaft verfällt.
Wenn doch mal wieder was ist, fühlt es sich nicht ganz so kaputt an, auch,wenn wir an den seltenen Terminen,an denen wir uns sehen, nicht mehr reden, nicht mehr wie früher und oft genug nichtmal normal, aber wenn nicht gerade Funkstille ist, fühlt es sich an,als könnte man da noch was retten.
Ich will da auch noch was retten, weil du einer der tollsten Menschen bist, die mir je begegnet sind, fertig.
Quasi Seelenverwandschaft auf Freundschaftsebene.
Vielleicht war das ja gar kein Verliebtsein, es hat sich sowieso anders angefühlt, nicht wie das Gefühl beim Problem, also eine weitere Mutation von Liebe, mein Herz ist irgendwie unfähig, etwas normales hervor zu bringen.
Das, was da für dich war, das war nicht ganz so destruktiv wie die Sache mit dem Problem, aber trotzdem anstrengend genug.
Wenn ich früh graues Haar bekomme, bist du Schuld, jawohl.
Hast mich mindestens zwei Lebensjahre durch emotionalen Stress gekostet, und einiges an Tränen.
Ohne es je gemerkt zu haben, ohne auch nur ansatzweise auf die Idee gekommen zu sein.
Die Frage,was wäre, wenn du es gemerkt hättest, wird wohl noch eine Weile bleiben, aber ihr seid ja anscheinend ganz gut arrangiert miteinander und wohl auch glücklich, du und sie, das Exfreundindouble, und ich will euch das nicht kaputt machen.
In emotional verwirrten Momenten habe ich natürlich auch schonmal gehofft, dass Schluss ist zwischen euch, aber weil du ein grundstabiler Mensch bist, mit solider Seele und solidem Hintergrund, der gerne solide, lange haltende Beziehungen führt, wird das wohl nicht so schnell passieren.
Ich habe mich ein Stück weit damit abgefunden, ein schleichender Prozess war das Abfinden, es ging jedenfalls besser als beim Problem, vielleicht auch, weil du mich schon im Voraus durch so viele emotionale Zusammenbrüche geschleift hast, dass der endgültige Schlag gar nicht mehr so brutal war; kannte das ja schon, war vorbereitet und lag ja schon am Boden, somit konnte es mich auch nicht mehr niederschlagen.
Wir sind da so rumgelaufen auf dem Fest in der Stadt, sie und du händchenhaltend, ich dann irgendwann alleine oder mit ihr weil der mitgeschleifte Kumpel mit der weiblichen Seite mit seinem jetzigen Hasischatzi ins Gespräch gekommen war,und während ich vorm Weggehen noch Angst gehabt hatte, ich könnte das Bedürfnis verspüren, mich von der nächsten Brücke zu schmeißen, war das dann irgendwie garnicht so.
Schockzustand,dachte ich mir. Schockzustand,der Zusammenbruch, der große, der kommt schon noch.
Ihr seid jetzt bald ein halbes Jahr zusammen und der große Zusammenbruch war noch nicht da.
Ein Spagat ist es immernoch, ich muss ausgleichen zwischen der Feindin, die dich nicht mag, und dir, der du deswegen die Feindin etwas irritierend findest;
zwischen dem Nullbockgefühl,wenn ihr wieder sowas ultracooles vorhabt wie den Abend mit hirnlosen Partyspielen, und dem Wissen,dass man sonst garnicht mehr eingeladen wird;
und das Isolationsgefühl ist da auch noch, weil ich ohne Feindin schon garnicht mehr weiß, mit wem ich reden soll, seit du beziehungstechnisch ausgelastet bist und der Kumpel auf
Deine Schwester, die lacht manchmal,wenn ich rede,weil sie geistig überlastet ist; und sie findet das seltsam,wenn Faust und ich über den Sinn des Lebens oder die Lektüre, aus der sein Name stammt, diskutieren, während er seine Zigarre raucht, sein Rumglas leert und ich die restliche Kohlensäure aus meinem Mediumwasser rausschüttle, reden ist deswegen oft nicht so drin.
Ich verlegte mich also auf das,was ich am besten kann: Verunsichert schweigen.
Überhaupt hatte das alles, das ganze Drama, auch seine positiven Auswirkungen.
Jetzt mal abgesehen von diesem klischeehaften "ich bin härter geworden", das stimmt nämlich nicht..
Ich lasse die Unsicherheit einfach Unsicherheit sein und habe eine bemerkenswerte Scheißegaleinstellung gegenüber dem Rest des Kollegiatenhaufens entwickelt, überhaupt ist meine Arschlochtoleranz ziemlich groß geworden; weiß ja,dass da Leute sind, die mich irgendwie zu mögen scheinen. Oder schienen, man weiß es nicht.
Vielleicht ist ein Teil deiner unendlichen Stabilität, die ich so bewundere, auf mich übergegangen, und ich erwische mich damit, wie ich zwar wieder dauernd unterbrochen werde und trotzdem jedem Mist zuhöre und dabei mitfühle, aber mir denke, dann ist es eben so.
Und bei jedem "Du musst selbstbewusster werden" ein "Nein,das ist schon ganz gut so, wie es ist" denke. Manche Leute sind eben nicht für sowas gemacht.
Wir sind beide solche Sonderfälle, du und ich; die irgendwie immer für jeden da sind, aber umgedreht dann irgendwie alleine dastehen. Sich eigentlich nicht trauen, mit Fremden zu reden oder Kontakt zu haben, und wenn das bedeutet, auf ein Getränk zu verzichten, weil man sich nicht alleine an die fremde Bar mit fremden Personal traut. Oder zuspätkommen, weil man sich nicht traut, bei den Leuten, die man zum ersten Mal besucht, zu klingeln und hin- und her überlegt, wie man auf andere Art und Weise rein oder wieder nach Hause kommt.
Vielleicht heißt das, dass ich nicht ganz so komisch bin, wie es sich manchmal anfühlt, vielleicht heißt es aber auch,dass wir beide einen ganz massiven Schaden haben, aber das Wichtigste ist das "beide" in dem Satz.
Ich war nicht alleine mit meinem Schaden.
Eine Zeit lang war ich nicht alleine damit, mit mir, mit all dem, und ich hatte zumindest das Gefühl, jemanden gefunden zu haben, mit dem ich über es alles hätte reden können. Ich habe dieses Gefühl auch manchmal heute noch, aber es verblasst immer mehr, so wie die Erinnerungen an früher,an den Anfang, bei dir zu verblassen scheinen und es die Freundschaft, die doch so besonders war, tut.
Vermutlich ist da nichts mehr zu retten, danke sagen möchte ich dir trotzdem.
Nicht persönlich, das würde dich nur verwirren und ich müsste dir zwangsläufig sagen, was da so zweitweise in mir drin los war, und so schreibe ich dir wieder einen Brief, den ich nie abschicken werde.
In meinem Blog, den du hoffentlich nie finden wirst.
Vielleicht schließt es dieser Brief ab, was auch immer "es" ist;
"es", das angefangen hat vor fünf Jahren,als du am Schaltpult gesessen hast und mir deinen Rücken zugewandt hast; das weiterging, als du bei eurem Abistreich auf der Bühne gesessen und Gitarre gespielt hast; das einen Schubs bekam, als ich dich und deine Damals-noch-Freundin gesehen habe, das sich verlief im Sand und abgeschlossen war; das wieder da war, als dein Name im Verteiler dieser einen Mail auftauchte; wiederbelebt wurde, wieder voll da war, diverse Schläge einstecken musste, emotional zu Grabe getragen wurde, leider mehrfach wieder auferstand und jetzt nach vollendeter Metamorphose anders vorliegt.
Trotz allem Danke.
Vielleicht auch, weil meine ganze Person sich in diesem einen Jahr mehr verändert hat, als das eigentlich denkbar war, und diese Veränderung nicht völlig negativ war;
eventuell,weil du geholfen hast bei dieser Selbstfindungssache,
weil ich ohne dich niemals in die Absteige gegangen wäre,
auch, weil ich sonst die Feindin nicht kennengelernt hätte,
obwohl es mir diverse hirnlose Spieleabende und Herzschmerz erspart hätte,
weil ich einiges verpasst hätte,
du meinen Musikgeschmack erweitert hast,
du mir manchmal Halt gegeben hast,
und den Glauben an sowas wie Seelenverwandschaft, auf welcher Gefühlsebene auch immer.
und weil du mir,ganz manchmal, das Gefühl gegeben hast,dass ich nicht alleine bin.
Nicht alleine mit mir, mit dem ganzen Mist, dem kaputten Herz und der kaputten Persönlichkeit, der seltsamen Augenfarbe, dem Musikgeschmack und der -begeisterung, dem Liebesherzschmerz und der Depressivität; mit so simplen Dingen wie der Mittelalteraffinität.
Egal, ob es eine Illusion war oder nicht, es hat sich real angefühlt, in diesen Momenten.
Wenn es also nicht stimmt, wenn es nicht wirklich war und nur gespielt oder unecht, dann war es gut gemacht.
Ich möchte dir also danke sagen, dafür, dass du mir eine Zeit lang die Illusion gegeben hast, ich wäre jemand, zumindest für dich.
Und wenn es irgendwann so ist, dass du diese Freundschaft, die da mal war, doch ein bisschen vermisst, dann melde dich doch bitte bei mir.Sag mir einfach Bescheid, egal wann.
Ich würde mich freuen.
Das Böse alias Mayhem.
Thema: oh happy day.
Wenn mir schonmal der Geduldsfaden reißt, dann richtig.
Meistens reißt er auch nicht einfach so, sondern bedingt durch viele Einzelfaktoren, die als Minimesser am Seilstrang meiner Geduld gesäbelt haben, bis er immer dünner wurde und schließlich kaputt gegangen ist.
Heute war so ein Seilrisstag,wenn auch nicht nur für mich.
An diesem Seilrisstag betrat ich das Schulhaus mit dem guten Gefühl, in der schon länger bekannten Arbeitsstunde sowohl die geforderten Aufgaben als auch meine Mathehausaufgabe erledigen zu können, weil ich einen netten Mitschüler gefunden hatte, der entgegen aller Erwartungen weiter gekommen war als ich und dank dem letzten Jahr Biologie (damals,als ich noch verstanden habe, was wir eigentlich machen...) und Englisch noch Abschreibschulden für mindestens fünf Schuljahre bei mir hatte, warf nichtsahnend einen Blick auf den Vertretungsplan, elektronisch, braucht man ja unbedingt, der sich genau in diesem Moment aktualisieren wollte.
Spontan wünschte ich mir Sportausfall für den nächsten Tag, wurde aber enttäuscht, stattdessen stand da auf einmal, die erste bis dritte und die fünfte bis sechste Stunde Unterricht würden für mich entfallen.
Wunderbar, wenn man wegen einer einzigen Stunde, die vormittags stattfindet, früh um sieben zum Bus laufen darf und eine dreiviertel Stunde unterwegs ist, drei Stunden wartet, eine Stunde Unterricht hat, wieder zwei Stunden wartet, eine dreiviertel Stunde nach Hause unterwegs ist, lernt.
Als ich den restlichen im Oberstufenzimmer Anwesenden die frohe Botschaft überbringe, geht dort das allgemeine Aufregen los, man hätte ja länger schlafen können, und nichtmal der neue Drogeriemarkt habe offen, der macht nämlich erst um halb zehn auf, somit blieb ja keine andere Möglichkeit, als auf/in den fast schon wieder lebenden Sofas sitzend dahinzuvegetieren, bis wieder Unterricht war.
Freistunden sind super, aber nur,wenn man was zu tun hat; ab einer Konzentration von über vier Stück ohne festen Plan wird die Sache irgendwie nervig, besonders,wenn man weiß,dass die Deutschlehrkraft nur "krank" ist, weil sie die Klausur für die Jahrgangsstufe über uns erstellen muss und zeitlich hintendran ist.
Nach Vollendung der Mathehausaufgabe, des Arbeitsstundenauftrags und aus Langeweile der Englischhausaufgabe eines Mitkollegiaten aus dem anderen Kurs wollte ich die mir gegebene Möglichkeit des Musikhörens und Schlafens (zum Glück hatte ich ein in beiderlei Hinsicht ganzes Sofa für mich alleine ergattert) nutzen, wurde aber jäh aus dem beginnenden Halbschlaf gerissen, als das schrille Gekicher losging.
Das schrille Gekicher deutet immer auf ein- und die selbe Personengruppe hin; es ist nicht möglich,dass normalsterbliche Mädchen so schrill Kichern wie diese, daran erkannte ich sie, ohne die Augen öffnen zu müssen.
Auch die mehrmalige Betätigung der "Lauter"-Taste brachte nichts außer meinen mp3-Player an seine Grenzen, und so beschloss ich, diese Notlage auszunutzen, stellte die Musik leiser und konzentrierte mich zur Abwechslung mal wieder auf die Gespräche derer, zu denen ich technisch gesehen gehören sollte.
Da wurde die zweite minderjährige Schwangerschaft erwähnt und mit xy verglichen, und es wurde spekuliert, ob es so gesund für deren Kind sei, wenn sie immernoch rauche. Stimmt, sie raucht ja. Hat sie irgendwie schon immer, ich kenne sie nur mit Fluppe im Mundwinkel. Hm. Wohl nicht so gesund für alle beiden Beteiligten.
Ihr Freund,der raucht nicht. Der ist ein bisschen nerdig angehaucht, schraubt hauptberuflich an Autos rum und ist ein ganz normaler Jugendlicher, der bestimmt genauso geschockt war wie seine nach dem Abschluss arbeitslose, aber ultracoole Freundin.
Eigentlich sind sie ganz süß zusammen, die beiden, so richtig große-Liebe-mäßig,mit viel Gefühl, gesunder Beziehung,beide glücklich und solchen Geschichten. Ob sie das mit dem Kind auf die Reihe kriegen? Ich wünsche es ihnen.
"Boah, und der Kerl von der xy,das is ja son Opfer ey!" Namenlose Stimme aus der Welt außerhalb meines Gehirns und hinter meinen immernoch geschlossenen Augen
-"Echt ey. Ich hab mich eh immer gefragt,was die von dem will, und jetzt is die auch noch schwanger von ihm!"
und ihre Gesprächspartnerin.
"Naja, isse ja selbst Schuld,wenn se mit dem fickt. Aber ich will nicht wissen, wie das Kind dann aussieht", lacht ein Teil der schrill kichernden.
Mein Geduldsfaden ist..angespannt.Sowieso schon den ganzen Tag.
-"Ja, echt . Voll eklig. Ich würd das Kind entsorgen, und den Kerl gleich auch. Aber die tut mir nicht Leid, die xy."
"Haste recht, die soll gucken, wie se klarkommt. Frag mich eh, was das soll, die macht das bestimmt nur, um Aufmerksamkeit zu kriegen".
Ich beschließe, die Stöpsel aus dem Ohr zu nehmen, mich aufrecht hinzusetzen und in der seit Tagen auf Hochtouren laufenden Diskussion mal ein bisschen klar Schiff zu machen.
"Ich weiß zwar nicht, was in euren Gehirnen vorgeht, aber ziemlich viel kanns ja nicht sein, wenn sich schon die Idee drin bildet, dass sich Mädchen schwängern lassen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Davon abgesehen, ein Kind entsorgen, wie krank seid ihr eigentlich? Ich mag Kinder ganz und gar nicht, aber sie leben, versteht ihr das,was das bedeutet? Hätten eure Eltern so gedacht, wärt ihr jetzt nicht hier. Davon abgesehen ists xys Sache, mit wem sie ins Bett geht, und wenn sie im Gegensatz zu euch eine funktionierende Beziehung zustande gebracht hat, die nicht wie bei machen anderen hier im Raum nur darauf basiert, dass sie von ihren Kerlen ausgenutzt werden, ist das toll, und nur,weil ihr das nicht schafft, braucht ihr nicht versuchen, ihren Freund fertigzumachen. Es ist einfach mal sowas von scheißegal, wie alt oder jung der ist oder wie er aussieht, hauptsache,sie sind glücklich. und so weit ich weiß, sind das die beiden, und das ist die Hauptsache. Den Rest schaffen sie auch irgendwie."
Auftritt Ende, Mayhem im Eiltempo Richtung Sekretariat ab,weil eine Durchsage gerade verlangt hat,dass sie dort antanzt.
Natürlich zu erst wieder das falsche Sekretariat erwischt, woher soll ich auch wissen,dass nicht das für die Oberstufe, sondern das andere gemeint ist.
Dort wartet die Sekretärin bereits entnervt darauf,dass ich auftauche und drückt mir wortlos den Telefonhörer in die Hand.
"Ja? "
-"Mayhem, gut,dass ich dich erwische. Hab ich dich aus dem Unterricht geholt?", hörte ich die Stimme der Vatersfreundin am anderen Ende der Leitung fragen.
"Nee, hab frei. Was ist los? "Unfall? Großvater Mayhem im Krankenhaus? Katze saß wieder in der Mikrowelle und mein Vater hat eingeschalten?
-"Es ist wegen Opa Mayhem, du.."
"WAS?"
-"du musst ihn abholen. Er hat doch heute einen Arzttermin, da ist er zwischen halb eins und eins fertig, ich kann ihn nur hinfahren und nicht mehr holen,wegen der Arbeit, da müsste er drei Stunden auf mich warten, auf dich ja dann nicht so lange. Geht das, dass ihr dann mit dem Bus oder der Bahn heimfahrt? Oder soll er alleine Bus fahren?"
Sicherlich nicht. Das Letzte,was ich will, ist,dass mein verkindlichter, vernebelter Großvater alleine mit den ganzen Schülern Bus fährt.
"Ich hab früher aus, ich hol ihn dann ab. Wo ist er?"
-"Bei seinem Hausarzt. Wenn ihr Zug fahrt, könnte euch der Nachbar abholen,der muss zum Einkaufen in die Richtung."
"Ich kümmer mich drum".
"Entschuldigung, dauert das noch lange?", mischte sich die Sekretärin ein.
"Die Frage würde ich Ihnen auch gerne stellen", merkt der Fotographiekursleiter, der gerade die letzen Lernkopien für uns erstellt und sie mir später in die Hand drücken wird, an und deutet auf das Nagellackfläschchen,das vor ihr steht. Eins zu Null für ihn.
"Also, Vatersfreundin, ich muss dann mal weg. Ich hol ihn ab, muss schauen, mit welchem Bus wir dann fahren,weil es da heute irgendwie Probleme gibt (wofür es eine extra Durchsage gegeben hatte), aber irgendwie kommen wir schon heim".
-"Ja, ok. Aber pass auf ihn auf, ne?"
"Das brauchst du mir nicht extra sagen".
Bei meiner Rückkehr ins Oberstufenzimmer ist die Diskussion über meinen kleinen...Ausbruch noch in vollem Gange, mittlerweile wurde das Ganze natürlich ausgeschmückt und so war Blondine Nr.2, die mit Blondine Nr.1 zur regulären Freistunde erschienen war, ganz überrascht,als sie feststellte,dass ich ja relativ ruhig war.
"Ach, du weißt doch, wie die drauf sind", winkte ich ab.
"Ich muss heute Mittag übrigens früher weg, hab noch was zu erledigen, du musst also alleine zum Friseur".
Wir haben einen Friseur, der netterweise Ponynachschneiden gratis und spontan ohne Termin erledigt, alleine hingehen wäre aber irgendwie doof, deshalb wollte mich Blondine Nr.2 eigentlich mitnehmen.
"Ja, kein Problem, mein Freund hat mir eh ne sms geschrieben,dass er mich von der Schule abholt, der muss heute nicht arbeiten, sagt er."
Kicherkicherkicher von Blondine Nr.1, und natürlich geht die Freunddiskussion wieder los. Wie toll sie doch sind, ihre Kerle, was sie alles mit denen anstellen könnten,wenn sie wollten, was man alles unter der Dusche machen kann, das Übliche.
Ich erlaube meinen Gedanken, sich vom Thema zu entfernen und beschränke mich auf gelegentliche "Ja"s, Nicken und immer mal ein angedeutetes Grinsen, während ich überlege, wie ich es schaffe, meinen Großvater heil durch den Kleinkampf namens Busfahrt mit der alternativen Linie zu kriegen.
Die alternative Linie,das bedeutet einfach,dass alle Schüler in einen Bus geworfen werden, egal, in welche Richtung sie müssen; mit Glück fährt der Bus erst in meine Richtung,dann wären wir nach zehn Stationen/Dörfern da, ansonsten würde es doppelt so lange dauern. Leider sah ich heute nicht zum Kindererschrecken aus, somit würde es schwierig werden, einen Sitzplatz für meinen Opa zu besorgen.
"Aber ich find das voll normal, ich bin garnicht so mega-eifersüchtig, oder, Mayhem?"
-"Äh, ja. "
"Hast du mir zugehört?" Empörte Blondine Nr.2, ich beschließe, sie durch gezielten Einsatz halb-geistreicher Aussagen zu verwirren.
-"Naja, ich finde halt, das ist ein bisschen ein schwieriges Thema, wanns zu viel ist,hängt ja auch vom Partner ab.. Also Eifersucht kann schon normal sein und ists denk ich mal auch, aber es gibt halt einen Punkt, ab dem es nicht mehr normal ist, und das ist dann auch nicht mehr ok. Da macht sich der Freund oder die Freundin dann ja auch Gedanken.."
"Siehste, die Mayhem sagt immer so schlaues Zeugs", kichert Blondine Nr.1. Ich habe gerade einen Faustschlag-Drang. Sollte ich jemals zu einem dauerkichernden Mädchen mutieren, hoffe ich,dass jemand anders auch so einen Drang hat und ihn auslebt, bis ich zur Besinnung komme.
"Ja, aber ich find das garnicht komisch bei mir", verteidigt sich Blondine Nr.2, "wenn die Tusse ihn den ganzen Abend anschaut und sich da mit ihm unterhält,dann is das voll normal,dass ich ihm verbiete,dass er sie annimmt,wenn sie ihn auf F.acebook addet, und wenn der mit so vielen Weibern sms schreibt, is das ja wohl auch ok,dass ich die dann lese,wenn er sein Handy liegen lässt".
"Das heißt, sobald ich deinen Freund angucke, bin ich draußen?", erkundige ich mich.
"Boah,wenn du dich an meinen Freund ranschmeißt ey!" Wütende Blondine Nr.2.
"Ich glaube, sie meint eher, dass dein Kerl ja ganz normal mit der geredet haben könnte", beschwichtigt sie Blondine Nr.1.
"Ja, nur weil der nicht rafft,dass die sich an ihn ranschmeißt, und das voll ignoriert.. ich erkenn das ja wohl besser als er!"
"Ja aber wenn er das ignoriert, ist doch alles ok?" Ich sah vermutlich mal wieder das Problem nicht.
"Man ey, du siehst einfach das Problem nicht!"
Sag ich doch.
Blondine Nr.1 überlegte, ob es vielleicht sein könne,dass die Zweite nur dachte, die ominöse "Tusse" würde sich für den Blondine Nr.2-Freund interessieren, und ich füge hinzu, dass man ja manchmal zur Überinterpretation neige, gerade, wenn es um eine Person geht, die einem wichtig ist.
"DU willst MIR was über Beziehungen erzählen?" Hupsa, anscheinend ist Blondine Nr.2 gerade der Geduldsfaden gerissen." Ich war mit mehr Kerlen zusammen und hab ja wohl somit mehr Beziehungserfahrung als du, wenn man verliebt ist,dann ist das so! Aber du, du weißt ja nichtmal, was Liebe eigentlich ist!"
Aua.
Blondine Nr.1 alias die zweite Zweckgemeinschaft scheint hin- und hergerissen, auf wessen Seite sie sich stellen soll und wartet augenscheinlich darauf,dass ich zurückwettere oder die Flucht ergreife.
Ich entscheide mich für keins von beidem.
"Wenn du das so siehst". Werft mich doch bitte vor den nächsten Zug, ja?
"Kann ich Ihnen helfen?" Eine Sprechstundenhilfe sieht mich über den Rand ihrer runden Brillengläser hinweg an, wie ich so halb gefroren und mit ein bisschen Schnee auf der Schulter vor ihrem Tresen stehe und genau so verwirrt, verloren und verpeilt wirke wie immer.
"Ich,äh, möchte meinen Großvater abholen, wenn er schon fertig ist."
-"Wie heißt er denn?"
"Großvater Mayhem".
"Ach, der Großvater Mayhem!" Ihr Gesicht erhellt sich und ich ahne ungutes. "Der hat ja unsere ganze Praxis unterhalten,so ein drolliger Kerl ist das. Der erzählt ja in einer Tour, was ihm gerade einfällt." Sie haben das Problem erfasst, ja. Nur vergisst er leider immer wieder,was er sagt und schon gesagt hat. Und wie ich heiße.
-"Ja, mein Opa. Wissen Sie, ob er schon fertig ist? Ansonsten würde ich mich ins Wartezimmer setzen."
"Ich schick ihn dann zu dir, du kannst ruhig ins Wartezimmer". Ach, und jetzt, wo klar ist, wer mein Großvater ist, werde ich auf einmal geduzt, nur, weil er Ihnen vermutlich alles über mich und meine Kindheit erzählt hat,was ihm gerade eingefallen ist?
Das Wartezimmer ist ein typisches Ärztekrankenzimmer, mit hell-dezenter Farbe an der Wand, Kinderbeschäftigungskram in der Ecke und schlechten Zeitschriften auf Tisch. Außer mir ist niemand da, und so kann ich mich ganz auf die Ruhe konzentrieren, die erst dann unterbrochen wird, als man Großvater Mayhem mit einer anderen Angestellten reden hört.
Ich stehe auf und nehme schonmal seine Jacke mit, die er im Wartezimmer hat liegen lassen, sodass wir gleich loskönnen.
"Und studieren wird sie dann, jaja", erzählt er der Arztangestellten gerade mit ganz großen Augen, "früher bei uns,da gab es ja sowas nicht, studierende Frauen."
Die Arzthelferin lächelt mich an, ich kenne dieses Lächeln, dieses versucht freundliche, eigentlich aber mitleidige.
"Opa, ich bin da, wir müssten mit dem Bus fahren, die Vatersfreundin arbeitet ja heute", informiere ich ihn und reiche ihm seine Jacke.
"Oh ja, mit dem Bus fahren.. Ich bin ja schon lange nicht mehr Bus gefahren, ich weiß noch, das letzte Mal in Frankreich..."
Während er weiter redet,lasse ich mir sein Apothekenrezept geben und auf dem Weg zur richtigen Bushalte lösen wir es gleich ein.
Noch eine Unterhaltung in der Apotheke, dann haben wir es irgendwann geschafft und warten vor der Hauptschule auf den Bus der alternativen Linie.
"Und, wie lange hast du jetzt noch Schule,Mayhem?", erkundigte sich mein Großvater.
-"Dieses Jahr noch, nächstes Jahr mach ich Abitur."
"Ach, Abitur. Du machst Abitur?"
-"Ja, ist zumindest so geplant."
"Und dann, was machst du dann nach deinem Abitur?"
-"Vermutlich studieren, vorher eventuell ein freiwilliges soziales Jahr."
"Ach, studieren." Er runzelt die Stirn. "Seit wann willst du denn studieren? Davon hast du mir aber noch nichts erzählt."
Ich verzichte darauf,das irgendwie klären zu wollen. "Überlege ich mir schon ein bisschen, bin aber jetzt glaub ich sicher."
"Jaja, früher bei uns, da gabs sowas nicht.Deine Großmutter, die hat garnichts gelernt, die hat im Haus gearbeitet und dann haben wir geheiratet, dann hat sie auch wieder im Haus gearbeitet".
Die Bushalte füllt sich langsam, und es scheint unmöglich, sowohl eine Karte, als auch einen Sitzplatz für ihn sichern zu können. Der Busfahrer kontrolliert nur Leute,deren Gesichter er nicht kennt..
Ich suche meine Wochenkarte heraus und drücke sie Großvater Mayhem in die Hand. "Da, das musst du vorzeigen,wenn der Busfahrer dich kontrolliert."
"Und dann weitergehen?",fragt er.
"Und dann weitergehen", antworte ich.
Weitergehen ist auch das,was ich tue, als ich mit professionell gelangweilter Mine und dem alten Ticket der vorherigen Woche am Busfahrer vorbeischlurfe, der kennt mein Gesicht und schaut deshalb nicht genau auf das Ticket, bei dem ich die Zahl, die stören könnte, rein zufällig mit dem Finger abdecke.
Weitergehen und eine Sitzbank blockieren, sodass Opa Mayhem, der sich hinter mir hält, nicht stehen muss.
Ich lasse ihn am Fenster sitzen, weil die Sonne scheint und das durch die Scheibe schön warm wird, und ich glaube, er mag das.
Verzichte darauf, Musik zu hören, auch,wenn wir uns anschweigen, und während er fasziniert aus dem Fenster auf die vorbeirauschende,mit Frost überzogene Landschaft starrt, passieren wir eine Haltestelle nach der anderen, bis schließlich an einer das Problem mit zwei Freunden einsteigt und sich in der gegenüberliegenden Sitzbank niederlässt.
"Scheiß Karre", beschwert es sich beim Kumpanen,"nichtmal die paar Minusgrade übersteht se".
"Naja,wenigstens haben wir den Bus erwischt". Ach Kumpane, wenn es nach mir geht, hättet ihr ruhig laufen können.
Eine Weile sind sie ruhig, dann beginnen sie, in Richtung meines Großvaters zu starren,der inzwischen eingeschlafen ist und ganz leise schnarcht. Ich bemühe mich, sie zu ignorieren, bis..
"Ah Mayhem, biste heut mit Familie unterwegs? Opa ist der Beste, was?" Gott, wie ich diesen Ton in der Stimme des Problems hasse. Und das arrogante Grinsen dazu, ich dachte, wir wären aus dieser Phase schon seit ein paar Jahren draußen und hätten uns irgendwie auf Ignoranz festgelegt.
Der Kumpan und der andere lachen.
Einfach weiteratmen. So wie früher. Einfach ignorieren.
"Naja, Freunde haste ja nicht,was?", mischt sich der Kumpan ein.
Einfach ignorieren. So wie früher. Nichts sagen. Möglichst geringe Angriffsfläche geben.
"Vielleicht solllen wir den alten Sack mal aufwecken!"
"WAG ES NICHT."
Der andere,der aufgestanden war, um wasauchimmer zu unternehmen,fand plötzlich seinen ausgestreckten Arm im festesten Klammergriff,den ich hinbekam, wieder, und Überraschung,da war sogar so etwas wie Schrecken in seinem Gesicht.
"Wag es nicht", wiederhole ich mich, stehe langsam auf und schließlich vor ihm. Starre ihm ins Gesicht, ohne zu blinzeln.
Schubse irgendwann seinen Arm weg und ihn in Richtung Sitzbank und lasse mich wieder neben meinem immernoch schlafenden Großvater nieder.
Betretenes Schweigen.
Ausnahmsweise fährt der Bus in die richtige Richtung,aber eine Alternativlinie wäre ja nicht alternativ, wenn niemand umsteigen müsste und alles einfach und in Ordnung wäre, und so mussten wir alle den Bus verlassen, mein Großvater und ich sowieso, diejenigen, die in die andere Richtung mussten, um umzusteigen.
Als erstes verließ Opa Mayhem den Bus, hinter ihm ich, beim Rausgehen wurde mir aber ein Bein gestellt, sodass ich stolperte und auf dem glatten Boden fast hinfiel.
Ich wusste auch ohne es gesehen zu haben,wer es gewesen war. Wie früher. Damals,als ich dachte, es tut weh. Und was das eigentlich sollte. Und wieso ich. Und vor allem, wieso er. Und wieso nicht wir.
Ich drehe mich um, da steht er und grinst wieder sein arrogantes Grinsen, nicht das,das er zum Unsicherheitüberspielen aufsetzt, sondern das andere.
"Opa, warte mal Kurz". Ich stelle Opa Mayhem neben dem Bushaltenschild ab und gehe die paar Schritte bis zum Problem, das breit grinsend, aber ein Stück vor seinen Freunden stand. Je näher ich kam,desto unsicherer wirkte er, und als ich dann vor ihm stehe, Auge in Auge, da sage ich es,ganz einfach, sehr bitter, die Erkenntnis all dieser Jahre seit der fünften Klasse, seit dem ausversehenverlieben mit den schmerzhaften Folgen:
"Arschloch."
Er schnaubt, ich drehe mich um und gehe zu meinem immernoch am Bushaltenschild wartenden Großvater zurück, der die ganze Zeit auf einen Punkt gestarrt hat und irgendwie abwesend war.
"Komm Opa, wir gehen mal lieber heim, bevor wir festfrieren", sage ich und nehme die Tüte mit seinen Medikamenten, die er auf die Mauer hinter sich gelegt hatte und ansonsten wohl vergessen hätte.
Meistens reißt er auch nicht einfach so, sondern bedingt durch viele Einzelfaktoren, die als Minimesser am Seilstrang meiner Geduld gesäbelt haben, bis er immer dünner wurde und schließlich kaputt gegangen ist.
Heute war so ein Seilrisstag,wenn auch nicht nur für mich.
An diesem Seilrisstag betrat ich das Schulhaus mit dem guten Gefühl, in der schon länger bekannten Arbeitsstunde sowohl die geforderten Aufgaben als auch meine Mathehausaufgabe erledigen zu können, weil ich einen netten Mitschüler gefunden hatte, der entgegen aller Erwartungen weiter gekommen war als ich und dank dem letzten Jahr Biologie (damals,als ich noch verstanden habe, was wir eigentlich machen...) und Englisch noch Abschreibschulden für mindestens fünf Schuljahre bei mir hatte, warf nichtsahnend einen Blick auf den Vertretungsplan, elektronisch, braucht man ja unbedingt, der sich genau in diesem Moment aktualisieren wollte.
Spontan wünschte ich mir Sportausfall für den nächsten Tag, wurde aber enttäuscht, stattdessen stand da auf einmal, die erste bis dritte und die fünfte bis sechste Stunde Unterricht würden für mich entfallen.
Wunderbar, wenn man wegen einer einzigen Stunde, die vormittags stattfindet, früh um sieben zum Bus laufen darf und eine dreiviertel Stunde unterwegs ist, drei Stunden wartet, eine Stunde Unterricht hat, wieder zwei Stunden wartet, eine dreiviertel Stunde nach Hause unterwegs ist, lernt.
Als ich den restlichen im Oberstufenzimmer Anwesenden die frohe Botschaft überbringe, geht dort das allgemeine Aufregen los, man hätte ja länger schlafen können, und nichtmal der neue Drogeriemarkt habe offen, der macht nämlich erst um halb zehn auf, somit blieb ja keine andere Möglichkeit, als auf/in den fast schon wieder lebenden Sofas sitzend dahinzuvegetieren, bis wieder Unterricht war.
Freistunden sind super, aber nur,wenn man was zu tun hat; ab einer Konzentration von über vier Stück ohne festen Plan wird die Sache irgendwie nervig, besonders,wenn man weiß,dass die Deutschlehrkraft nur "krank" ist, weil sie die Klausur für die Jahrgangsstufe über uns erstellen muss und zeitlich hintendran ist.
Nach Vollendung der Mathehausaufgabe, des Arbeitsstundenauftrags und aus Langeweile der Englischhausaufgabe eines Mitkollegiaten aus dem anderen Kurs wollte ich die mir gegebene Möglichkeit des Musikhörens und Schlafens (zum Glück hatte ich ein in beiderlei Hinsicht ganzes Sofa für mich alleine ergattert) nutzen, wurde aber jäh aus dem beginnenden Halbschlaf gerissen, als das schrille Gekicher losging.
Das schrille Gekicher deutet immer auf ein- und die selbe Personengruppe hin; es ist nicht möglich,dass normalsterbliche Mädchen so schrill Kichern wie diese, daran erkannte ich sie, ohne die Augen öffnen zu müssen.
Auch die mehrmalige Betätigung der "Lauter"-Taste brachte nichts außer meinen mp3-Player an seine Grenzen, und so beschloss ich, diese Notlage auszunutzen, stellte die Musik leiser und konzentrierte mich zur Abwechslung mal wieder auf die Gespräche derer, zu denen ich technisch gesehen gehören sollte.
Da wurde die zweite minderjährige Schwangerschaft erwähnt und mit xy verglichen, und es wurde spekuliert, ob es so gesund für deren Kind sei, wenn sie immernoch rauche. Stimmt, sie raucht ja. Hat sie irgendwie schon immer, ich kenne sie nur mit Fluppe im Mundwinkel. Hm. Wohl nicht so gesund für alle beiden Beteiligten.
Ihr Freund,der raucht nicht. Der ist ein bisschen nerdig angehaucht, schraubt hauptberuflich an Autos rum und ist ein ganz normaler Jugendlicher, der bestimmt genauso geschockt war wie seine nach dem Abschluss arbeitslose, aber ultracoole Freundin.
Eigentlich sind sie ganz süß zusammen, die beiden, so richtig große-Liebe-mäßig,mit viel Gefühl, gesunder Beziehung,beide glücklich und solchen Geschichten. Ob sie das mit dem Kind auf die Reihe kriegen? Ich wünsche es ihnen.
"Boah, und der Kerl von der xy,das is ja son Opfer ey!" Namenlose Stimme aus der Welt außerhalb meines Gehirns und hinter meinen immernoch geschlossenen Augen
-"Echt ey. Ich hab mich eh immer gefragt,was die von dem will, und jetzt is die auch noch schwanger von ihm!"
und ihre Gesprächspartnerin.
"Naja, isse ja selbst Schuld,wenn se mit dem fickt. Aber ich will nicht wissen, wie das Kind dann aussieht", lacht ein Teil der schrill kichernden.
Mein Geduldsfaden ist..angespannt.Sowieso schon den ganzen Tag.
-"Ja, echt . Voll eklig. Ich würd das Kind entsorgen, und den Kerl gleich auch. Aber die tut mir nicht Leid, die xy."
"Haste recht, die soll gucken, wie se klarkommt. Frag mich eh, was das soll, die macht das bestimmt nur, um Aufmerksamkeit zu kriegen".
Ich beschließe, die Stöpsel aus dem Ohr zu nehmen, mich aufrecht hinzusetzen und in der seit Tagen auf Hochtouren laufenden Diskussion mal ein bisschen klar Schiff zu machen.
"Ich weiß zwar nicht, was in euren Gehirnen vorgeht, aber ziemlich viel kanns ja nicht sein, wenn sich schon die Idee drin bildet, dass sich Mädchen schwängern lassen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Davon abgesehen, ein Kind entsorgen, wie krank seid ihr eigentlich? Ich mag Kinder ganz und gar nicht, aber sie leben, versteht ihr das,was das bedeutet? Hätten eure Eltern so gedacht, wärt ihr jetzt nicht hier. Davon abgesehen ists xys Sache, mit wem sie ins Bett geht, und wenn sie im Gegensatz zu euch eine funktionierende Beziehung zustande gebracht hat, die nicht wie bei machen anderen hier im Raum nur darauf basiert, dass sie von ihren Kerlen ausgenutzt werden, ist das toll, und nur,weil ihr das nicht schafft, braucht ihr nicht versuchen, ihren Freund fertigzumachen. Es ist einfach mal sowas von scheißegal, wie alt oder jung der ist oder wie er aussieht, hauptsache,sie sind glücklich. und so weit ich weiß, sind das die beiden, und das ist die Hauptsache. Den Rest schaffen sie auch irgendwie."
Auftritt Ende, Mayhem im Eiltempo Richtung Sekretariat ab,weil eine Durchsage gerade verlangt hat,dass sie dort antanzt.
Natürlich zu erst wieder das falsche Sekretariat erwischt, woher soll ich auch wissen,dass nicht das für die Oberstufe, sondern das andere gemeint ist.
Dort wartet die Sekretärin bereits entnervt darauf,dass ich auftauche und drückt mir wortlos den Telefonhörer in die Hand.
"Ja? "
-"Mayhem, gut,dass ich dich erwische. Hab ich dich aus dem Unterricht geholt?", hörte ich die Stimme der Vatersfreundin am anderen Ende der Leitung fragen.
"Nee, hab frei. Was ist los? "Unfall? Großvater Mayhem im Krankenhaus? Katze saß wieder in der Mikrowelle und mein Vater hat eingeschalten?
-"Es ist wegen Opa Mayhem, du.."
"WAS?"
-"du musst ihn abholen. Er hat doch heute einen Arzttermin, da ist er zwischen halb eins und eins fertig, ich kann ihn nur hinfahren und nicht mehr holen,wegen der Arbeit, da müsste er drei Stunden auf mich warten, auf dich ja dann nicht so lange. Geht das, dass ihr dann mit dem Bus oder der Bahn heimfahrt? Oder soll er alleine Bus fahren?"
Sicherlich nicht. Das Letzte,was ich will, ist,dass mein verkindlichter, vernebelter Großvater alleine mit den ganzen Schülern Bus fährt.
"Ich hab früher aus, ich hol ihn dann ab. Wo ist er?"
-"Bei seinem Hausarzt. Wenn ihr Zug fahrt, könnte euch der Nachbar abholen,der muss zum Einkaufen in die Richtung."
"Ich kümmer mich drum".
"Entschuldigung, dauert das noch lange?", mischte sich die Sekretärin ein.
"Die Frage würde ich Ihnen auch gerne stellen", merkt der Fotographiekursleiter, der gerade die letzen Lernkopien für uns erstellt und sie mir später in die Hand drücken wird, an und deutet auf das Nagellackfläschchen,das vor ihr steht. Eins zu Null für ihn.
"Also, Vatersfreundin, ich muss dann mal weg. Ich hol ihn ab, muss schauen, mit welchem Bus wir dann fahren,weil es da heute irgendwie Probleme gibt (wofür es eine extra Durchsage gegeben hatte), aber irgendwie kommen wir schon heim".
-"Ja, ok. Aber pass auf ihn auf, ne?"
"Das brauchst du mir nicht extra sagen".
Bei meiner Rückkehr ins Oberstufenzimmer ist die Diskussion über meinen kleinen...Ausbruch noch in vollem Gange, mittlerweile wurde das Ganze natürlich ausgeschmückt und so war Blondine Nr.2, die mit Blondine Nr.1 zur regulären Freistunde erschienen war, ganz überrascht,als sie feststellte,dass ich ja relativ ruhig war.
"Ach, du weißt doch, wie die drauf sind", winkte ich ab.
"Ich muss heute Mittag übrigens früher weg, hab noch was zu erledigen, du musst also alleine zum Friseur".
Wir haben einen Friseur, der netterweise Ponynachschneiden gratis und spontan ohne Termin erledigt, alleine hingehen wäre aber irgendwie doof, deshalb wollte mich Blondine Nr.2 eigentlich mitnehmen.
"Ja, kein Problem, mein Freund hat mir eh ne sms geschrieben,dass er mich von der Schule abholt, der muss heute nicht arbeiten, sagt er."
Kicherkicherkicher von Blondine Nr.1, und natürlich geht die Freunddiskussion wieder los. Wie toll sie doch sind, ihre Kerle, was sie alles mit denen anstellen könnten,wenn sie wollten, was man alles unter der Dusche machen kann, das Übliche.
Ich erlaube meinen Gedanken, sich vom Thema zu entfernen und beschränke mich auf gelegentliche "Ja"s, Nicken und immer mal ein angedeutetes Grinsen, während ich überlege, wie ich es schaffe, meinen Großvater heil durch den Kleinkampf namens Busfahrt mit der alternativen Linie zu kriegen.
Die alternative Linie,das bedeutet einfach,dass alle Schüler in einen Bus geworfen werden, egal, in welche Richtung sie müssen; mit Glück fährt der Bus erst in meine Richtung,dann wären wir nach zehn Stationen/Dörfern da, ansonsten würde es doppelt so lange dauern. Leider sah ich heute nicht zum Kindererschrecken aus, somit würde es schwierig werden, einen Sitzplatz für meinen Opa zu besorgen.
"Aber ich find das voll normal, ich bin garnicht so mega-eifersüchtig, oder, Mayhem?"
-"Äh, ja. "
"Hast du mir zugehört?" Empörte Blondine Nr.2, ich beschließe, sie durch gezielten Einsatz halb-geistreicher Aussagen zu verwirren.
-"Naja, ich finde halt, das ist ein bisschen ein schwieriges Thema, wanns zu viel ist,hängt ja auch vom Partner ab.. Also Eifersucht kann schon normal sein und ists denk ich mal auch, aber es gibt halt einen Punkt, ab dem es nicht mehr normal ist, und das ist dann auch nicht mehr ok. Da macht sich der Freund oder die Freundin dann ja auch Gedanken.."
"Siehste, die Mayhem sagt immer so schlaues Zeugs", kichert Blondine Nr.1. Ich habe gerade einen Faustschlag-Drang. Sollte ich jemals zu einem dauerkichernden Mädchen mutieren, hoffe ich,dass jemand anders auch so einen Drang hat und ihn auslebt, bis ich zur Besinnung komme.
"Ja, aber ich find das garnicht komisch bei mir", verteidigt sich Blondine Nr.2, "wenn die Tusse ihn den ganzen Abend anschaut und sich da mit ihm unterhält,dann is das voll normal,dass ich ihm verbiete,dass er sie annimmt,wenn sie ihn auf F.acebook addet, und wenn der mit so vielen Weibern sms schreibt, is das ja wohl auch ok,dass ich die dann lese,wenn er sein Handy liegen lässt".
"Das heißt, sobald ich deinen Freund angucke, bin ich draußen?", erkundige ich mich.
"Boah,wenn du dich an meinen Freund ranschmeißt ey!" Wütende Blondine Nr.2.
"Ich glaube, sie meint eher, dass dein Kerl ja ganz normal mit der geredet haben könnte", beschwichtigt sie Blondine Nr.1.
"Ja, nur weil der nicht rafft,dass die sich an ihn ranschmeißt, und das voll ignoriert.. ich erkenn das ja wohl besser als er!"
"Ja aber wenn er das ignoriert, ist doch alles ok?" Ich sah vermutlich mal wieder das Problem nicht.
"Man ey, du siehst einfach das Problem nicht!"
Sag ich doch.
Blondine Nr.1 überlegte, ob es vielleicht sein könne,dass die Zweite nur dachte, die ominöse "Tusse" würde sich für den Blondine Nr.2-Freund interessieren, und ich füge hinzu, dass man ja manchmal zur Überinterpretation neige, gerade, wenn es um eine Person geht, die einem wichtig ist.
"DU willst MIR was über Beziehungen erzählen?" Hupsa, anscheinend ist Blondine Nr.2 gerade der Geduldsfaden gerissen." Ich war mit mehr Kerlen zusammen und hab ja wohl somit mehr Beziehungserfahrung als du, wenn man verliebt ist,dann ist das so! Aber du, du weißt ja nichtmal, was Liebe eigentlich ist!"
Aua.
Blondine Nr.1 alias die zweite Zweckgemeinschaft scheint hin- und hergerissen, auf wessen Seite sie sich stellen soll und wartet augenscheinlich darauf,dass ich zurückwettere oder die Flucht ergreife.
Ich entscheide mich für keins von beidem.
"Wenn du das so siehst". Werft mich doch bitte vor den nächsten Zug, ja?
"Kann ich Ihnen helfen?" Eine Sprechstundenhilfe sieht mich über den Rand ihrer runden Brillengläser hinweg an, wie ich so halb gefroren und mit ein bisschen Schnee auf der Schulter vor ihrem Tresen stehe und genau so verwirrt, verloren und verpeilt wirke wie immer.
"Ich,äh, möchte meinen Großvater abholen, wenn er schon fertig ist."
-"Wie heißt er denn?"
"Großvater Mayhem".
"Ach, der Großvater Mayhem!" Ihr Gesicht erhellt sich und ich ahne ungutes. "Der hat ja unsere ganze Praxis unterhalten,so ein drolliger Kerl ist das. Der erzählt ja in einer Tour, was ihm gerade einfällt." Sie haben das Problem erfasst, ja. Nur vergisst er leider immer wieder,was er sagt und schon gesagt hat. Und wie ich heiße.
-"Ja, mein Opa. Wissen Sie, ob er schon fertig ist? Ansonsten würde ich mich ins Wartezimmer setzen."
"Ich schick ihn dann zu dir, du kannst ruhig ins Wartezimmer". Ach, und jetzt, wo klar ist, wer mein Großvater ist, werde ich auf einmal geduzt, nur, weil er Ihnen vermutlich alles über mich und meine Kindheit erzählt hat,was ihm gerade eingefallen ist?
Das Wartezimmer ist ein typisches Ärztekrankenzimmer, mit hell-dezenter Farbe an der Wand, Kinderbeschäftigungskram in der Ecke und schlechten Zeitschriften auf Tisch. Außer mir ist niemand da, und so kann ich mich ganz auf die Ruhe konzentrieren, die erst dann unterbrochen wird, als man Großvater Mayhem mit einer anderen Angestellten reden hört.
Ich stehe auf und nehme schonmal seine Jacke mit, die er im Wartezimmer hat liegen lassen, sodass wir gleich loskönnen.
"Und studieren wird sie dann, jaja", erzählt er der Arztangestellten gerade mit ganz großen Augen, "früher bei uns,da gab es ja sowas nicht, studierende Frauen."
Die Arzthelferin lächelt mich an, ich kenne dieses Lächeln, dieses versucht freundliche, eigentlich aber mitleidige.
"Opa, ich bin da, wir müssten mit dem Bus fahren, die Vatersfreundin arbeitet ja heute", informiere ich ihn und reiche ihm seine Jacke.
"Oh ja, mit dem Bus fahren.. Ich bin ja schon lange nicht mehr Bus gefahren, ich weiß noch, das letzte Mal in Frankreich..."
Während er weiter redet,lasse ich mir sein Apothekenrezept geben und auf dem Weg zur richtigen Bushalte lösen wir es gleich ein.
Noch eine Unterhaltung in der Apotheke, dann haben wir es irgendwann geschafft und warten vor der Hauptschule auf den Bus der alternativen Linie.
"Und, wie lange hast du jetzt noch Schule,Mayhem?", erkundigte sich mein Großvater.
-"Dieses Jahr noch, nächstes Jahr mach ich Abitur."
"Ach, Abitur. Du machst Abitur?"
-"Ja, ist zumindest so geplant."
"Und dann, was machst du dann nach deinem Abitur?"
-"Vermutlich studieren, vorher eventuell ein freiwilliges soziales Jahr."
"Ach, studieren." Er runzelt die Stirn. "Seit wann willst du denn studieren? Davon hast du mir aber noch nichts erzählt."
Ich verzichte darauf,das irgendwie klären zu wollen. "Überlege ich mir schon ein bisschen, bin aber jetzt glaub ich sicher."
"Jaja, früher bei uns, da gabs sowas nicht.Deine Großmutter, die hat garnichts gelernt, die hat im Haus gearbeitet und dann haben wir geheiratet, dann hat sie auch wieder im Haus gearbeitet".
Die Bushalte füllt sich langsam, und es scheint unmöglich, sowohl eine Karte, als auch einen Sitzplatz für ihn sichern zu können. Der Busfahrer kontrolliert nur Leute,deren Gesichter er nicht kennt..
Ich suche meine Wochenkarte heraus und drücke sie Großvater Mayhem in die Hand. "Da, das musst du vorzeigen,wenn der Busfahrer dich kontrolliert."
"Und dann weitergehen?",fragt er.
"Und dann weitergehen", antworte ich.
Weitergehen ist auch das,was ich tue, als ich mit professionell gelangweilter Mine und dem alten Ticket der vorherigen Woche am Busfahrer vorbeischlurfe, der kennt mein Gesicht und schaut deshalb nicht genau auf das Ticket, bei dem ich die Zahl, die stören könnte, rein zufällig mit dem Finger abdecke.
Weitergehen und eine Sitzbank blockieren, sodass Opa Mayhem, der sich hinter mir hält, nicht stehen muss.
Ich lasse ihn am Fenster sitzen, weil die Sonne scheint und das durch die Scheibe schön warm wird, und ich glaube, er mag das.
Verzichte darauf, Musik zu hören, auch,wenn wir uns anschweigen, und während er fasziniert aus dem Fenster auf die vorbeirauschende,mit Frost überzogene Landschaft starrt, passieren wir eine Haltestelle nach der anderen, bis schließlich an einer das Problem mit zwei Freunden einsteigt und sich in der gegenüberliegenden Sitzbank niederlässt.
"Scheiß Karre", beschwert es sich beim Kumpanen,"nichtmal die paar Minusgrade übersteht se".
"Naja,wenigstens haben wir den Bus erwischt". Ach Kumpane, wenn es nach mir geht, hättet ihr ruhig laufen können.
Eine Weile sind sie ruhig, dann beginnen sie, in Richtung meines Großvaters zu starren,der inzwischen eingeschlafen ist und ganz leise schnarcht. Ich bemühe mich, sie zu ignorieren, bis..
"Ah Mayhem, biste heut mit Familie unterwegs? Opa ist der Beste, was?" Gott, wie ich diesen Ton in der Stimme des Problems hasse. Und das arrogante Grinsen dazu, ich dachte, wir wären aus dieser Phase schon seit ein paar Jahren draußen und hätten uns irgendwie auf Ignoranz festgelegt.
Der Kumpan und der andere lachen.
Einfach weiteratmen. So wie früher. Einfach ignorieren.
"Naja, Freunde haste ja nicht,was?", mischt sich der Kumpan ein.
Einfach ignorieren. So wie früher. Nichts sagen. Möglichst geringe Angriffsfläche geben.
"Vielleicht solllen wir den alten Sack mal aufwecken!"
"WAG ES NICHT."
Der andere,der aufgestanden war, um wasauchimmer zu unternehmen,fand plötzlich seinen ausgestreckten Arm im festesten Klammergriff,den ich hinbekam, wieder, und Überraschung,da war sogar so etwas wie Schrecken in seinem Gesicht.
"Wag es nicht", wiederhole ich mich, stehe langsam auf und schließlich vor ihm. Starre ihm ins Gesicht, ohne zu blinzeln.
Schubse irgendwann seinen Arm weg und ihn in Richtung Sitzbank und lasse mich wieder neben meinem immernoch schlafenden Großvater nieder.
Betretenes Schweigen.
Ausnahmsweise fährt der Bus in die richtige Richtung,aber eine Alternativlinie wäre ja nicht alternativ, wenn niemand umsteigen müsste und alles einfach und in Ordnung wäre, und so mussten wir alle den Bus verlassen, mein Großvater und ich sowieso, diejenigen, die in die andere Richtung mussten, um umzusteigen.
Als erstes verließ Opa Mayhem den Bus, hinter ihm ich, beim Rausgehen wurde mir aber ein Bein gestellt, sodass ich stolperte und auf dem glatten Boden fast hinfiel.
Ich wusste auch ohne es gesehen zu haben,wer es gewesen war. Wie früher. Damals,als ich dachte, es tut weh. Und was das eigentlich sollte. Und wieso ich. Und vor allem, wieso er. Und wieso nicht wir.
Ich drehe mich um, da steht er und grinst wieder sein arrogantes Grinsen, nicht das,das er zum Unsicherheitüberspielen aufsetzt, sondern das andere.
"Opa, warte mal Kurz". Ich stelle Opa Mayhem neben dem Bushaltenschild ab und gehe die paar Schritte bis zum Problem, das breit grinsend, aber ein Stück vor seinen Freunden stand. Je näher ich kam,desto unsicherer wirkte er, und als ich dann vor ihm stehe, Auge in Auge, da sage ich es,ganz einfach, sehr bitter, die Erkenntnis all dieser Jahre seit der fünften Klasse, seit dem ausversehenverlieben mit den schmerzhaften Folgen:
"Arschloch."
Er schnaubt, ich drehe mich um und gehe zu meinem immernoch am Bushaltenschild wartenden Großvater zurück, der die ganze Zeit auf einen Punkt gestarrt hat und irgendwie abwesend war.
"Komm Opa, wir gehen mal lieber heim, bevor wir festfrieren", sage ich und nehme die Tüte mit seinen Medikamenten, die er auf die Mauer hinter sich gelegt hatte und ansonsten wohl vergessen hätte.