Thema: gefunden.
Wie haben sie dich, Baum, verschnitten
Wie stehst du fremd und sonderbar!
Wie hast du hundertmal gelitten,
Bis nichts in dir als Trotz und Wille war!
Ich bin wie du, mit dem verschnittnen,
Gequälten Leben brach ich nicht
Und tauche täglich aus durchlittnen
Roheiten neu die Stirn ins Licht.
Was in mir weich und zart gewesen,
Hat mir die Welt zu Tod gehöhnt,
Doch unzerstörbar ist mein Wesen,
Ich bin zufrieden, bin versöhnt,
Geduldig neue Blätter treib ich
Aus Ästen hundertmal zerspellt,
Und allem Weh zu Trotze bleib ich
Verliebt in die verrückte Welt.
( Gestutzte Eiche von Herman Hesse)
Eigentlich eine weitere Tätowierung wert.
Wie stehst du fremd und sonderbar!
Wie hast du hundertmal gelitten,
Bis nichts in dir als Trotz und Wille war!
Ich bin wie du, mit dem verschnittnen,
Gequälten Leben brach ich nicht
Und tauche täglich aus durchlittnen
Roheiten neu die Stirn ins Licht.
Was in mir weich und zart gewesen,
Hat mir die Welt zu Tod gehöhnt,
Doch unzerstörbar ist mein Wesen,
Ich bin zufrieden, bin versöhnt,
Geduldig neue Blätter treib ich
Aus Ästen hundertmal zerspellt,
Und allem Weh zu Trotze bleib ich
Verliebt in die verrückte Welt.
( Gestutzte Eiche von Herman Hesse)
Eigentlich eine weitere Tätowierung wert.
Thema: monolog
1.
Stehen uns so gemeinschaftlich die Beine in den Bauch, die Kollegstufe, die nicht mehr so heißt seit dem G8, zusammengehalten wie eine Schafherde von der Betreuungslehrkraft, die sich schwer und mächtig stetig im Kreis um uns herum bewegt, als würde sie Angst haben, dass sich einer von der Gruppe entfernt und auf dem Bahnsteig verloren geht, und warten.
Dann und wann fährt ein Zug vorbei, jedes Mal ist es nicht unserer, einmal steigt trotzdem jemand ein,weil er es nicht mitbekommen hat, kommt aber gerade noch rechtzeitig wieder raus, um weiter mit uns zu warten, und während wir da so in unserer Herde stehen, mit hochgezogenen Schultern, die Gesichter in dicken Schals vergraben und die Füße gefühlt durch die Schuhe hindurch festgefroren, warte ich eigentlich nur noch auf Schnee, doch ein Blick aufs Ei-Phone des Kommentators offenbart, dass es mit -21,5 Grad selbst für Schnee zu kalt ist.
I
In meinen Ohren The Noose in der von mir nicht online gefundenen Studioversion,eines der Lieder, auf die "atmosphärisch" passt, auf meinen Ohren die Plüschohrwärmer, die dafür sorgen,dass ich zwar mit Abstand am seltsamsten aussehe, aber es auch mit Abstand am Wärmsten habe. Zumindest am Kopf.
Leider kann ich es nicht wie die Freundin des Problems handhaben, die sich fröstelnd an ihren Freund kuschelt und ebenfalls auf den Zug wartet, der, bevor er in der Zivilisation ankommt, zunächst jede Häuseransammlung ansteuert, die sich irgendwie an die Gleise gedrängt hat, und somit auch ihr Heimatdorf.
Irgendwann sieht man ihn dann, den Zug, ein schnaufender, dampfender roter Schrotthaufen, der sich behäbig den Berg hinaufquält, gefühlt fast wieder rückwärts hinunterrollt, es aber dann doch schafft, vor uns zum Stehen zu kommen.
Beim Einsteigen die charakteristische Gestankswolke, eine Mischung aus Alkohol, ein wenig Urin und daraus entstandenem Ammoniak, jahrealtem, unter die Sitze geklebten Kinderkaugummi und im ungünstigsten Fall irgendein Wurstbrot, das zuvor verspeist wurde oder eben immernoch daliegt.
Ohne Blondinenfraktion von ungewohnter Stille umgeben, suche ich mir ein Abteil, in dem noch niemand sitzt, und will mich gerade darüber freuen, als die Tür aufgeht und die Problemfreundin ihn hinter sich ins Abteil zieht. "Ey, ich sollt vielleicht bei meinem Kurs bleiben", protestiert er lachend, während sie ihn kichernd zu einer Sitzbank schleift.
Ich beschließe, die Musik lauter zu stellen.
Durchsagen,wann welcher Bahnhof erreicht ist? Unnötig, starre aus dem Fenster auf die tausendfach gefahrene Strecke, den einzigen Weg in die Zivilisation, vorbeirauschende Felder, die auch in der Prärie liegen könnten, ockerbraungelbverdorrt, im Vorbeifahren wirkt es eigentlich ganz idyllisch hier,im Vorbeifahren sieht man nicht, wie es ist,sondern nur, wie es aussieht.
Sonst war er für mich immer perfekt, das Problem.
Aber jetzt, Pickel hat er mit einem Mal, das, worüber er sich lustig gemacht hat, früher, als ich in der sechsten Klasse war, das einzige Mädchen mit Hautunreinheiten, die sind auch nicht so schnell wieder weggegangen und waren dementsprechend öfters Grund zum Spott, aber alle, die sich drüber lustig gemacht haben, sind jetzt selbst geplagt davon, während ich vergleichsweise meine Ruhe habe,ha, Karma.
Außer im Fall des Übersportlers, täglich Fitnessstudio hat ihm den anvisierten Muskelaufbau nicht in der gewünschten Geschwindigkeit gebracht und die Bodybuilder dort sagen, das bringt was.
Aber das Problem,das ist kein Übersportler, wenn auch sehr skibegeistert.
Sie bestimmt auch, hat er ja gesagt, er will eine Wintersporttaugliche.
Hm, schön,dass er eine gefunden hat, die anscheinend passt.
Ich denke mir das so und meine es nicht einmal ironisch, fühle eigentlich garnichts außer leichtem Druckschmerz.
Ist das jetzt echt dein Ernst?, frage ich meinen Verstand.
Ich glaube schon, antwortet er.
Sehe mir wieder das Problem in der Scheibenspiegelung an, mit den Nichtmehrwuschelhaaren, die heute geglättet sind, nie hätte er das von sich aus getan, war wohl ihre Idee, mit seinen ihn neuerdings plagenden Hautunreinheiten, der eigentlich zu großen Nase und dem eigentlich zu schmalen Gesicht, seinen Gammelklamotten (Standard, seit er mit dem coolen Hiphopfan befreundet ist) und der Standardbräune, die er jahreszeitenunabhängig immer hat, im Winter vom Skifahren, im Sommer vom Schwimmen, und mir fallen die Dinge auf, die nicht perfekt sind.
Schaue ihn mir so an, diesen Menschen, der so viel Bedeutung hat, der doch immer so perfekt war." Er war doch immer so perfekt", murmelt die Erinnerung ungläubig und das Herz will ihr eigentlich zustimmen, aber da meldet sich ganz leise das Gefühl, und ergänzt fast nicht hörbar,"aber eben nicht für dich". Das Gefühl spricht erstaunlich gefasst, erstaunlich ruhig und erstaunlich sanft. Ich atme tief durch und nehme mir vor, das so anzunehmen, wie das Gefühl es sagt.
With your halo slippin' down...
Es tut nicht weh, wenn ich ihn sehe. Nicht so sehr, wie ich erwartet habe, nur, wenn ich sein Mädchen sehe, drehe ich um und laufe einen anderen Weg zum Biologiesaal, auch,wenn das Verspätung bedeutet.
Aber der große Zusammenbruch bleibt aus.
Und der Verstand sagt, eigentlich ist das Wahnsinn. Weißt du Mayhem, eigentlich ist das alles der totale Wahnsinn.
Entweder der normale Jugendwahnsinn, oder Wahnsinn von der filmreifen Sorte.
2.
"Und finanzielle Unterstützung durch Ihr Unternehmen?"
Habe mich als Einzige getraut, noch eine Frage zu stellen, als es hieß, gibt es noch Fragen.
Und so sitze ich, klassisches "Arbeiterkind", in einer der drei renommiertesten Kliniken Deutschlands, und frage den Vortragenden, der von hohem Niveau, aber auch sehr guten Arbeitsbedingungen und allem von Gratismassage bis -maniküre für die Mitarbeiter erzählte, ob man, wenn man sein Psychologiestudium abgeschlossen hat und in dieser Hyperklinik für Burnout-, depressions- und Suchtgeplagte Neureiche, Halbberühmtheiten oder Erben anfangen möchte, den Psychotherapeutenschein mitfinanziert bekommt.
"Die Psychotherapeutenausbildung kostet nämlich laut Ihrem Seminarheft 4.800Euro mindestens!", ruft der Kommenator rein, sichtlich begeistert, weil er auch etwas beizutragen wusste, "Hab mir nämlich Ihr Infomaterial schon durchgelesen!"
Der Vortragende zupft am Kragen seines Poloshirts.
"Wissen Sie, Frau, äh", er schaut auf mein Namensklebeschildchen, "Frau Mayhem, das monatliche Gehalt eines Psychologen beträgt bei uns 3000 bis 4000 Euro netto und wir unterstützen Sie finanziell,wenn Sie nicht auf dem Klinikgelände wohnen möchten, insofern sollte das kein größeres Problem darstellen".
Er sagt das so, mit dem vielen Geld, als wäre das völlig normal.
So viel Geld, denke ich, davon könnte ich der Katze einen größeren Kratzbaum kaufen, einfach so.
Oder mir auch dann frischen Ingwer für meinen Tee mitnehmen, wenn er nicht reduziert ist. Mir dann sogar ein Bücherregal kaufen, das groß genug ist, um auch die Bücher meiner Mutter darin unterzubringen, nicht so wie jetzt, wo nicht einmal meine eigenen alle einen Platz haben.
Selbst mit dem "niedrigen" Gehalt würde ich beinahe dreimal so viel verdienen wie mein Vater, einfach mal so.
Ich erkundige mich, wie viele Bewerber denn auf eine Stelle kämen, der Vortragende erklärt, sie hätten 70 Psychologen und entsprechend viele Ärzte, hätten auch gerne mehr eingestellt, allerdings habe er nach der Lektüre einiger Bewerbungen das Gefühl gehabt, selbst "ein paar Gesprächstherapien" zur Verarbeitung des Gelesenen zu brauchen.
Beschließe, entgegen jeder Wahrscheinlichkeit und against all odds (Unfähigkeit, sich aufzuraffen, sowohl meinerseits als auch seitens der Lehrkräfte, riesige Wissenslücken, die sich nicht mehr füllen lassen, unfähige Lehrer, utopische Anforderungen) nicht nur ein ausreichend gutes Abitur hinzulegen, sondern auch die greifbarste Uni in Grund und Boden zu studieren, um in dieser verdammten Klinik Arbeit zu bekommen, wenn möglich nicht nur als "Raumpflegefachkraft".
Nicht weit weg von der Absteige, im tödlichen Radius des Atomkraftwerks, vegetarisches Essen bevorzugt, alles fairtrade, Geburtstagsfeiern für die Mitarbeiter. Durchschnittsklient versnobt-arroganter Mittvierziger, dem "doch eigentlich nichts fehlt", laut eigener Aussage, der aber trotzdem da ist, seltsamerweise.
Sehe mich schon jetzt über meine Klienten ("Wir nennen sie nicht "Patienten", sondern "Klienten"") jammern.
Habe vor,denen, die keinen Weg mehr sehen, bei der Suche zu helfen, und für die Minderheit, die traumatisierten Kinder, da zu sein.
Da sein, das kann ich. Alles andere wird sich zeigen,wenn es so weit ist.
3.
Aber ich will den Büchern meiner Mutter einen gemütlichen Platz geben, und ich will ein Bild von ihr aufstellen.
Ich will ein Bild von ihr aufstellen und das von mir und meinem Vater, aus dem Urlaub, damals, mit 5 oder maximal 7, und wenn sie mal nicht mehr ist, auch die Asche meiner Katze dort hinstellen;
Von meiner Arbeit nach Hause kommen und das Gefühl haben,dass es das Richtige ist, was ich tue, auch,wenn es nicht leicht ist, so wie jetzt auch, wenn ich Bereitschaftsdienst habe, nur anders;
Und sollte es sich aus irgendeinem Grund doch ergeben,dass entgegen jeder Intention einmal Klein-Mayhem das Licht der Welt erblickt, will ich, dass er/sie/es sich keine Gedanken machen muss, wie zur Hölle die Berlinfahrt jetzt auch noch finanziert werden soll, oder ein Besuch im Kino.
Aber vor allem soll der/die/das Klein-Mayhem eine Familie haben, eine richtige.
Und weil das nicht geht, weil es niemals so sein wird, dass ich komplett mit mir selbst klarkomme (wie soll ich es dann bei anderen Nahestehenden schaffen?) oder das alles, was war, ruhen lassen kann, weil schon meine leicht verstörte Mutter schrieb, sie wolle niemals so sein wie ihre Mutter, und dann doch hundertfach schlimmer war, wird es kein Klein-Mayhem geben.
Katzen kommen mit mir klar, meistens; von allen anderen Lebensformen wäre es wohl auf Dauer zu viel verlangt.
Stehen uns so gemeinschaftlich die Beine in den Bauch, die Kollegstufe, die nicht mehr so heißt seit dem G8, zusammengehalten wie eine Schafherde von der Betreuungslehrkraft, die sich schwer und mächtig stetig im Kreis um uns herum bewegt, als würde sie Angst haben, dass sich einer von der Gruppe entfernt und auf dem Bahnsteig verloren geht, und warten.
Dann und wann fährt ein Zug vorbei, jedes Mal ist es nicht unserer, einmal steigt trotzdem jemand ein,weil er es nicht mitbekommen hat, kommt aber gerade noch rechtzeitig wieder raus, um weiter mit uns zu warten, und während wir da so in unserer Herde stehen, mit hochgezogenen Schultern, die Gesichter in dicken Schals vergraben und die Füße gefühlt durch die Schuhe hindurch festgefroren, warte ich eigentlich nur noch auf Schnee, doch ein Blick aufs Ei-Phone des Kommentators offenbart, dass es mit -21,5 Grad selbst für Schnee zu kalt ist.
I
In meinen Ohren The Noose in der von mir nicht online gefundenen Studioversion,eines der Lieder, auf die "atmosphärisch" passt, auf meinen Ohren die Plüschohrwärmer, die dafür sorgen,dass ich zwar mit Abstand am seltsamsten aussehe, aber es auch mit Abstand am Wärmsten habe. Zumindest am Kopf.
Leider kann ich es nicht wie die Freundin des Problems handhaben, die sich fröstelnd an ihren Freund kuschelt und ebenfalls auf den Zug wartet, der, bevor er in der Zivilisation ankommt, zunächst jede Häuseransammlung ansteuert, die sich irgendwie an die Gleise gedrängt hat, und somit auch ihr Heimatdorf.
Irgendwann sieht man ihn dann, den Zug, ein schnaufender, dampfender roter Schrotthaufen, der sich behäbig den Berg hinaufquält, gefühlt fast wieder rückwärts hinunterrollt, es aber dann doch schafft, vor uns zum Stehen zu kommen.
Beim Einsteigen die charakteristische Gestankswolke, eine Mischung aus Alkohol, ein wenig Urin und daraus entstandenem Ammoniak, jahrealtem, unter die Sitze geklebten Kinderkaugummi und im ungünstigsten Fall irgendein Wurstbrot, das zuvor verspeist wurde oder eben immernoch daliegt.
Ohne Blondinenfraktion von ungewohnter Stille umgeben, suche ich mir ein Abteil, in dem noch niemand sitzt, und will mich gerade darüber freuen, als die Tür aufgeht und die Problemfreundin ihn hinter sich ins Abteil zieht. "Ey, ich sollt vielleicht bei meinem Kurs bleiben", protestiert er lachend, während sie ihn kichernd zu einer Sitzbank schleift.
Ich beschließe, die Musik lauter zu stellen.
Durchsagen,wann welcher Bahnhof erreicht ist? Unnötig, starre aus dem Fenster auf die tausendfach gefahrene Strecke, den einzigen Weg in die Zivilisation, vorbeirauschende Felder, die auch in der Prärie liegen könnten, ockerbraungelbverdorrt, im Vorbeifahren wirkt es eigentlich ganz idyllisch hier,im Vorbeifahren sieht man nicht, wie es ist,sondern nur, wie es aussieht.
Sonst war er für mich immer perfekt, das Problem.
Aber jetzt, Pickel hat er mit einem Mal, das, worüber er sich lustig gemacht hat, früher, als ich in der sechsten Klasse war, das einzige Mädchen mit Hautunreinheiten, die sind auch nicht so schnell wieder weggegangen und waren dementsprechend öfters Grund zum Spott, aber alle, die sich drüber lustig gemacht haben, sind jetzt selbst geplagt davon, während ich vergleichsweise meine Ruhe habe,ha, Karma.
Außer im Fall des Übersportlers, täglich Fitnessstudio hat ihm den anvisierten Muskelaufbau nicht in der gewünschten Geschwindigkeit gebracht und die Bodybuilder dort sagen, das bringt was.
Aber das Problem,das ist kein Übersportler, wenn auch sehr skibegeistert.
Sie bestimmt auch, hat er ja gesagt, er will eine Wintersporttaugliche.
Hm, schön,dass er eine gefunden hat, die anscheinend passt.
Ich denke mir das so und meine es nicht einmal ironisch, fühle eigentlich garnichts außer leichtem Druckschmerz.
Ist das jetzt echt dein Ernst?, frage ich meinen Verstand.
Ich glaube schon, antwortet er.
Sehe mir wieder das Problem in der Scheibenspiegelung an, mit den Nichtmehrwuschelhaaren, die heute geglättet sind, nie hätte er das von sich aus getan, war wohl ihre Idee, mit seinen ihn neuerdings plagenden Hautunreinheiten, der eigentlich zu großen Nase und dem eigentlich zu schmalen Gesicht, seinen Gammelklamotten (Standard, seit er mit dem coolen Hiphopfan befreundet ist) und der Standardbräune, die er jahreszeitenunabhängig immer hat, im Winter vom Skifahren, im Sommer vom Schwimmen, und mir fallen die Dinge auf, die nicht perfekt sind.
Schaue ihn mir so an, diesen Menschen, der so viel Bedeutung hat, der doch immer so perfekt war." Er war doch immer so perfekt", murmelt die Erinnerung ungläubig und das Herz will ihr eigentlich zustimmen, aber da meldet sich ganz leise das Gefühl, und ergänzt fast nicht hörbar,"aber eben nicht für dich". Das Gefühl spricht erstaunlich gefasst, erstaunlich ruhig und erstaunlich sanft. Ich atme tief durch und nehme mir vor, das so anzunehmen, wie das Gefühl es sagt.
With your halo slippin' down...
Es tut nicht weh, wenn ich ihn sehe. Nicht so sehr, wie ich erwartet habe, nur, wenn ich sein Mädchen sehe, drehe ich um und laufe einen anderen Weg zum Biologiesaal, auch,wenn das Verspätung bedeutet.
Aber der große Zusammenbruch bleibt aus.
Und der Verstand sagt, eigentlich ist das Wahnsinn. Weißt du Mayhem, eigentlich ist das alles der totale Wahnsinn.
Entweder der normale Jugendwahnsinn, oder Wahnsinn von der filmreifen Sorte.
2.
"Und finanzielle Unterstützung durch Ihr Unternehmen?"
Habe mich als Einzige getraut, noch eine Frage zu stellen, als es hieß, gibt es noch Fragen.
Und so sitze ich, klassisches "Arbeiterkind", in einer der drei renommiertesten Kliniken Deutschlands, und frage den Vortragenden, der von hohem Niveau, aber auch sehr guten Arbeitsbedingungen und allem von Gratismassage bis -maniküre für die Mitarbeiter erzählte, ob man, wenn man sein Psychologiestudium abgeschlossen hat und in dieser Hyperklinik für Burnout-, depressions- und Suchtgeplagte Neureiche, Halbberühmtheiten oder Erben anfangen möchte, den Psychotherapeutenschein mitfinanziert bekommt.
"Die Psychotherapeutenausbildung kostet nämlich laut Ihrem Seminarheft 4.800Euro mindestens!", ruft der Kommenator rein, sichtlich begeistert, weil er auch etwas beizutragen wusste, "Hab mir nämlich Ihr Infomaterial schon durchgelesen!"
Der Vortragende zupft am Kragen seines Poloshirts.
"Wissen Sie, Frau, äh", er schaut auf mein Namensklebeschildchen, "Frau Mayhem, das monatliche Gehalt eines Psychologen beträgt bei uns 3000 bis 4000 Euro netto und wir unterstützen Sie finanziell,wenn Sie nicht auf dem Klinikgelände wohnen möchten, insofern sollte das kein größeres Problem darstellen".
Er sagt das so, mit dem vielen Geld, als wäre das völlig normal.
So viel Geld, denke ich, davon könnte ich der Katze einen größeren Kratzbaum kaufen, einfach so.
Oder mir auch dann frischen Ingwer für meinen Tee mitnehmen, wenn er nicht reduziert ist. Mir dann sogar ein Bücherregal kaufen, das groß genug ist, um auch die Bücher meiner Mutter darin unterzubringen, nicht so wie jetzt, wo nicht einmal meine eigenen alle einen Platz haben.
Selbst mit dem "niedrigen" Gehalt würde ich beinahe dreimal so viel verdienen wie mein Vater, einfach mal so.
Ich erkundige mich, wie viele Bewerber denn auf eine Stelle kämen, der Vortragende erklärt, sie hätten 70 Psychologen und entsprechend viele Ärzte, hätten auch gerne mehr eingestellt, allerdings habe er nach der Lektüre einiger Bewerbungen das Gefühl gehabt, selbst "ein paar Gesprächstherapien" zur Verarbeitung des Gelesenen zu brauchen.
Beschließe, entgegen jeder Wahrscheinlichkeit und against all odds (Unfähigkeit, sich aufzuraffen, sowohl meinerseits als auch seitens der Lehrkräfte, riesige Wissenslücken, die sich nicht mehr füllen lassen, unfähige Lehrer, utopische Anforderungen) nicht nur ein ausreichend gutes Abitur hinzulegen, sondern auch die greifbarste Uni in Grund und Boden zu studieren, um in dieser verdammten Klinik Arbeit zu bekommen, wenn möglich nicht nur als "Raumpflegefachkraft".
Nicht weit weg von der Absteige, im tödlichen Radius des Atomkraftwerks, vegetarisches Essen bevorzugt, alles fairtrade, Geburtstagsfeiern für die Mitarbeiter. Durchschnittsklient versnobt-arroganter Mittvierziger, dem "doch eigentlich nichts fehlt", laut eigener Aussage, der aber trotzdem da ist, seltsamerweise.
Sehe mich schon jetzt über meine Klienten ("Wir nennen sie nicht "Patienten", sondern "Klienten"") jammern.
Habe vor,denen, die keinen Weg mehr sehen, bei der Suche zu helfen, und für die Minderheit, die traumatisierten Kinder, da zu sein.
Da sein, das kann ich. Alles andere wird sich zeigen,wenn es so weit ist.
3.
Aber ich will den Büchern meiner Mutter einen gemütlichen Platz geben, und ich will ein Bild von ihr aufstellen.
Ich will ein Bild von ihr aufstellen und das von mir und meinem Vater, aus dem Urlaub, damals, mit 5 oder maximal 7, und wenn sie mal nicht mehr ist, auch die Asche meiner Katze dort hinstellen;
Von meiner Arbeit nach Hause kommen und das Gefühl haben,dass es das Richtige ist, was ich tue, auch,wenn es nicht leicht ist, so wie jetzt auch, wenn ich Bereitschaftsdienst habe, nur anders;
Und sollte es sich aus irgendeinem Grund doch ergeben,dass entgegen jeder Intention einmal Klein-Mayhem das Licht der Welt erblickt, will ich, dass er/sie/es sich keine Gedanken machen muss, wie zur Hölle die Berlinfahrt jetzt auch noch finanziert werden soll, oder ein Besuch im Kino.
Aber vor allem soll der/die/das Klein-Mayhem eine Familie haben, eine richtige.
Und weil das nicht geht, weil es niemals so sein wird, dass ich komplett mit mir selbst klarkomme (wie soll ich es dann bei anderen Nahestehenden schaffen?) oder das alles, was war, ruhen lassen kann, weil schon meine leicht verstörte Mutter schrieb, sie wolle niemals so sein wie ihre Mutter, und dann doch hundertfach schlimmer war, wird es kein Klein-Mayhem geben.
Katzen kommen mit mir klar, meistens; von allen anderen Lebensformen wäre es wohl auf Dauer zu viel verlangt.
Thema: gefunden.
"Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stufe zur andern
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen
Jahr lang ins Ungewisse hinab."
(aus F.Hölderlin: Hyperions Schicksalslied )
Auf keiner Stätte zu ruhn
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stufe zur andern
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen
Jahr lang ins Ungewisse hinab."
(aus F.Hölderlin: Hyperions Schicksalslied )
Morgens halb sieben in Deutschland. Ich betrete leise die Wohnung meines Großvaters, um zu sehen, ob er es alleine geschafft hat, aufzustehen, oder ob ich helfen muss.
Er sitzt am Küchentisch und wirkt ein wenig verloren und sehr alt, sagt, er hat es zwar geschafft aufzustehen und so weit zu kommen, aber ich solle ihm bitte Socken und Schuhe anziehen.
Mache ich, Kaffee gleich auch, er ist nämlich nach seinem kleinen Unfall auch physisch angeknackst, wenn es dumm läuft, sogar im wahrsten Sinne des Wortes.
Er bedankt sich und sagt, gegen neun Uhr soll ich doch bitte Feuerholz bringen.
"Ja Opa, mach ich. Bis dann", verabschiede ich mich, krieche zurück ins warme Bett und werde um Punkt halb neun von einem energischen Klopfen gegen die Zimmerdecke (oder den Boden, je nachdem, von welcher Wohnung aus man die Sache betrachtet) geweckt. Im Erwartung des Schlimmsten reiße ich im (ziemlich schnellen) Verlassen unserer Wohnung auf dem Weg zur Treppe die Notfalltasche, die neuerdings wegen ihm an unserer Türe hängt, an mich, hetze in die Küche, aus der das Klopfen kam, und renne ihn fast über den Haufen.
Aus verständnislosen Augen, die von der dicken Brille tausendfach vergrößert werden, schaut er mich an.
"Willste nicht mal mein Feuerholz holen?"
Oh, ach so. Ist ja nur noch eine halbe Stunde bis zur ausgemachten Uhrzeit.
"Ja, kann ich machen. Wo ists denn?"
-"Heuboden, gleich links. Und bring Tannenzapfen und zwei Briketts mit, sonst geht das Feuer nicht an".
Ich wickle mich in meine Strickjacke und schlurfe, noch beschlafanzugt, aber mit besagter Jacke, über den Hof in Richtung des Erfüllungsortes meiner Mission.
Der Heuboden ist tiefdunkel, heu-los, nicht isoliert und so instabil,dass Opa Mayhem mir versprechen musste, da nicht mehr raufzugehen. So einen Fall aus 2, 3 Metern Höhe vertrage ich im Zweifelsfall noch besser als er, erst recht in seinem aktuellen Zustand.
Also hangle ich mich hoch, öffne die Luke, greife nach links, wo ich allerdings nicht das erwartete Feuerholz, sondern nur ein morsches Stück Bodenbalken erwische, das prompt abbricht und runterfällt.
How wonderful.
Seufzend schwinge ich mich ganz nach oben, taste mich vorwärts und suche, sobald sich meine Augen an fast völlige Dunkelheit gewöhnt haben, das Feuerholz.
Finde es dann auch, allerdings am anderen Ende des Heubodens und sehr weit vorne, direkt an der Dachkante. Von wo auch das Licht kommt, da die Ziegel nicht komplett dicht sind und nicht bis aufs Mauerwerk herunterreichen.
Also, gaaaaaaaaaanz weit ausstrecken, Holzsscheite angeln, sie ihm bringen.
"Und was ist mit den Tannenzapfen? Und den Briketts?"
Ein einfaches "danke" wäre auch schön, ja.. "Ich hab die Tannenzapfen nicht gefunden, wo sollen die denn sein?"
-"Direkt neben dem Holz, gleich links."
Also kletterte ich wieder hoch, suchte schließlich den ganzen Heuboden ab, fand aber keine Tannenzapfen, in keiner Ecke, nirgends. Etwas verunsichert und mit Horrorszenarien im Kopf (er muss erfrieren,weil er sich kein Feuer machen kann/Ich muss meinen Vater anrufen und um Hilfe bitten) steige ich wieder nach unten, wo er auch prompt in der Tür steht. "Nicht da oben, in der Garage!" Danke für die Info.
Ich spare mir den Hinweis, dass er behauptet hatte, die Tannenzapfen wären auch oben auf dem Heuboden. Bin ja froh,wenn er zusammenkriegt, was er alles für sein Feuerchen braucht.
Die Tannenzapfen sind bald gefunden, auch die Briketts habe ich schnell ausfindig gemacht, und so verkrümle ich mich um dreiviertel zehn erneut ins Bett.
Um um viertel elf wieder geweckt zu werden, diesmal von der Türklingel.
Als ich öffne, sieht mich eine circa Mittvierzigerin, Modell "jungebliebene Mutter" mit zerfärbtem Kurzhaarschnitt und zu viel Make Up etwas überrascht an.
"Habe ich dich jetzt etwa geweckt?"
-"Ja, da waren Sie aber nicht die Erste".
"Oh, das tut mir aber Leid." Sie lacht gekünstelt.
"Die Freundin deines Vaters hat gesagt, du kannst mir auch die Sachen geben? " Ah, da war ja was.
Die Freundin meines Vaters hat eine neue Beschäftigung gefunden, sie dealt jetzt neben ihrem normalen Job mit Plastikschüsseln und ähnlichen Waren; gestern wurde ich sogar darauf hingewiesen, dass heute jemand seine Sachen holen würde. Warum auch immer die bei uns deponiert wurden, die Vatersfreundin scheint wirklich zu vergessen,wo sie wohnt, trotz ihrer immer wieder betonten Selbstständigkeit.
"Siebenundzwanzig siebzig sinds." Ich zeige der Zerfärbten die an der Tüte festgeheftete Rechnung.
Sie scheint zu überlegen, ob sie mir vertrauen kann, händigt mir dann aber das Geld aus und haut wieder ab. Um halb.
Ich starte einen letzten Versuch, zu schlafen, der aber unterbrochen wird, als ich um fünf nach halb elf das Auto meines Vaters ankommen höre. Fiese Welt.
Erhebe mich also endgültig, gehe raus in die kalte Welt,beziehungsweise den Flur, um ihm zu sagen, dass bei Opa Mayhem alles in Ordnung ist, und wäre fast auf einen Schmetterling getreten.
Ein Schmetterling.
Mitten im Winter.
Sitzt so desorientiert auf dem Boden, direkt vor mir,bewegt langsam seine Flügel und dreht sich noch langsamer, aber stetig im Kreis.
Ein Tagpfauenauge ist es. Mitten im Winter.
Ich hole ein Blatt Papier, schiebe es vorsichtig unter den Schmetterling, schlittere über den Hof und trage das Tier vorbei an meinem verdutzten Vater in den Garten, wo ich es auf dem Boden, nahe dem Mauerwerk des Heubodens, absetzte. Schmetterlinge überwintern auch in Mauern, das haben sie uns irgendwann einmal beigebracht, und ich dachte so bei mir,wenn ich ihn dort absetze, kann der Schmetterling ein Winterquartier beziehen oder wo anders hin, je nachdem, was er denn vorhat.
Ich hätte ihm gerne einen Tee gekocht, er sah nämlich ziemlich verfroren aus,der Schmetterling. so lies ich ihn dann sitzen,weil ich es mir schwierig vorstellte, eine Tasse zu finden,die klein genug für ihn ist.
Teetrinken mit einem Schmetterling wäre aber bestimmt interessant gewesen, gewiss hätte er viel zu erzählen gehabt, hätte er denn mit mir sprechen können.
"Mayhem, hast du es auch geschafft mit dem Fahren, schön!" Der Veranstaltungsveranstalter umarmt mich und deutet auf vier meiner Mitsanitäter. "Die sind auch da, kannst dich ja zu ihnen setzen." Was bleibt mir denn anderes übrig?
Die Begrüßung fällt eher verhalten aus, allgemein reden wir nicht viel, eine ist mir unsypmathisch, die anderen drei sind zusammen mit der Vierten so eine feste Gruppe, wie die ganze Sanitätsgruppe es ist, ich habe es in über einem Jahr nicht geschafft, da Fuß zu fassen. So sitze ich zurückhaltend-schweigend auf meinem Stuhl und starre aus dem Fenster, bis mir die Sicht verstellt wird- vom Bedreadeten.
Nachdem er mir erst in der Bahn,dann auf mehreren Rotkreuzveranstaltungen begegnet war, hatte ich ihn ja irgendwie nicht mehr gesehen, auch jetzt stand er mit dem Rücken zu mir.
Ich hatte ihn damals seltsam gefunden, vielleicht auch, weil er anscheinend etwas trennungstraumatisiert gewesen war..wie er so einfach so von seiner essgestörten Ex erzählt hatte, mir, einer Fremden.
Aber ich scheine für manche Leute ja irgendwie eine sehr vertrauenserweckende Ausstrahlung zu haben.
Hm. Hallo sagen?
Nein, beschließe ich. Die Wahrscheinlichkeit,dass er sich nicht mehr an mich erinnerte, war doch ziemlich groß.. Was er wohl heute hier tat? Vielleicht wieder kochen.
"Also,wir fangen dann mal an". Der Veranstaltungsveranstalter startet seine Präsentation, die die nächsten Stunden in Anspruch nimmt.
Irgendwann drifte ich ab und widme mich der genaueren Betrachtung des Auslagentisches, wo es nicht nur Prospekte mit Fortbildungen (einige schon rum, von vielen den Anmeldeschluss verpasst, der Rest beißt sich mit der Klausurenphase und der ultimative Kurs geht leider an dem Tag los, an dem ich den Besuch abends in die Absteige schleifen werde, weshalb ich nicht teilnehmen kann- wird nur angerechnet, wenn man an jedem Tag da ist), usb-Sticks (alle weg, bevor ich mich traue, mir einen zu nehmen) und Gummibärchen gibt, sondern auch Plüschbären.
Weiße und braune Plüschbären, mit schiefen Gesichtern und Flicken.
"Das sind die Tröstebären", sagt der Bedreadete, der am Auslagentisch lehnt und anscheinend meinen Blick bemerkt hat, "die hatten wir auf dem Rettungswagen sonst immer für Kindernotfälle dabei, damit die Kleinen wenigstens ein bisschen abgelenkt sind. Die da waren ne Fehlproduktion, sieht man ja am Gesicht, deswegen sind die jetzt hier."
Ich empfinde spontan Sympathie für die aussortierten Plüschbären, die nicht mal eine Chance bekommen hatten, ihre Tröstebärqualitäten unter Beweis zu stellen.
"Sag mal, kann man die sich mitnehmen?", frage ich, Plüschtieren generell nicht abgeneigt.
"Willst du dir jetzt son hässliches Vieh mitnehmen?" Die unsympathische Mitsanitäterin sieht mich mit einer Mischung aus Verachtung und Spott an. "Wofür brauchst du überhaupt so einen Tröste-Teddy?", fragt eine andere Mitsanitäterin.
"Ach, seid doch ruhig", grunzt der Bedreadete unwillig und wirft mir einen weißen Plüschbären in die Arme.
"Behalt den, das ist jetzt deiner."
Und als ich anscheinend etwas verwirrt schaue, deutet er auf einen anderen Bären,der ein paar Plätze weiter neben einer Tasche mit "vegan and proud"-Aufnäher sitzt. "Da ist meiner. Und den behalte ich auch."
Sein Bär war nicht richtig weiß und nicht richtig braun und hatte ebenfalls ein krummes Gesicht.
"Die bräunlichen Bären sind eigentlich schöner als die anderen", stelle ich fest,während das unvermeidliche Getuschel der Mitsanitäterinnen losgeht, "Aber die hätte man doch alle noch verwenden können."
"Nee, der Chef hat gesagt, wenn wir schon sowas wollen,dann werden nur die guten verwendet und der Rest geschreddert", erklärt der Bedreadete und geht langsam zu seinem Platz, nimmt den bräunlichen Tröstebären und setzt sich mit ihm auf den freien Stuhl neben mir.
Wir stellen fest, dass unsere Bären sich sehr ähnlich sehen, und während bei allen anderen Bären das linke Auge ein wenig höher sitzt als das rechte, ist es bei unseren Bären ein gutes Stück tiefer platziert.
"Die sehen ähnlich mutiert aus, bestimmt sind das Plüschebärenkumpels", meint der Bedreadete, und so sitzen wir in unserem Vortrag, zwei theoretisch (so gut wie) Erwachsene, und reden über Plüschbären, bis der Bedreadete in der Küche verschwindet.
Er kommt da auch nicht so schnell wieder raus,auch nicht nach der Essensausgabe und nachdem alle fertig sind, und während ich so vor mich hin überlege, ob ich mich mit ihm anfreunden möchte oder nicht, taucht bereits Papa Mayhem auf, der mich abholen möchte.
Er bleibt im Türrahmen stehen, so muss ich den ganzen Raum durchqueren, um ihm zu sagen,dass ich a) gesehen habe,dass er da ist, b) mich vom Rest verabschieden muss, er c) deswegen bitte warten soll und es d) nicht lange dauern wird.
Bis ich wieder bei meinem Platz und somit meiner Tasche und Jacke angekommen bin, ist die "vegan and proud"-Tasche verschwunden, ebenso wie der seltsamfarbene Bär.
Meiner sitzt auf meinen Platz und ich betrachte ihn unschlüssig.
"Nimm ihn mit, du siehst aus wie jemand, der einen gebrauchen kann". Der Bedreadete, in weiter Jacke und fast komplett vermummt mit dickem Schal und großer Mütze, steht wieder neben mir.
"Weshalb bist du dir eigentlich schon wieder so sicher, abschätzen zu können, wie es in mir aussieht?", frage ich ihn.
-"Ach, nur son Gefühl. Und deine Reaktion sagt,dass ich Recht habe."
Idiot.
"Na gut, wenn du sagst,dass wir sie mitnehmen dürfen". Während wir den Ausgang ansteuern, versuche ich, den Tröstebären in meine Tasche zu stopfen, wo ich etwas weiteres, plüschiges ertaste, das sich bei genauerem Hinsehen als der braune Plüschbär entpuppt.
Der Bedreadete bemerkt meinen Blick.
"Das sind doch Plüschbärkumpels, die darf man nicht trennen", erklärt er mir in betont-übersteigertem ernsten Ton, und ich stelle fest, dass jemand eine ähnlich große Macke hat wie ich.
Auf die Frage, ob er nicht einen eigenen Stoffbären bräuchte, zieht er einen weißen aus seiner Jackentasche und lässt ihn zum Abschied winken.
Und jetzt sitze ich so hier, mit meinen zwei Tröstebären, und sie schauen mich aus ihren zu tief platzierten, schiefen Augen an, der braune sieht aus, als hätte er nur ein Auge, der weiße dafür, als hätte er nur ein Ohr, und ich habe zwar immernoch nicht für die Bioklausur gelernt, dafür heute aber einen Schmetterling vor dem Tod,meinen Opa vorm Erfrieren und zwei Plüschbärkumpels vorm Zerschreddern gerettet.
Gute Leistung, würd ich sagen.
Er sitzt am Küchentisch und wirkt ein wenig verloren und sehr alt, sagt, er hat es zwar geschafft aufzustehen und so weit zu kommen, aber ich solle ihm bitte Socken und Schuhe anziehen.
Mache ich, Kaffee gleich auch, er ist nämlich nach seinem kleinen Unfall auch physisch angeknackst, wenn es dumm läuft, sogar im wahrsten Sinne des Wortes.
Er bedankt sich und sagt, gegen neun Uhr soll ich doch bitte Feuerholz bringen.
"Ja Opa, mach ich. Bis dann", verabschiede ich mich, krieche zurück ins warme Bett und werde um Punkt halb neun von einem energischen Klopfen gegen die Zimmerdecke (oder den Boden, je nachdem, von welcher Wohnung aus man die Sache betrachtet) geweckt. Im Erwartung des Schlimmsten reiße ich im (ziemlich schnellen) Verlassen unserer Wohnung auf dem Weg zur Treppe die Notfalltasche, die neuerdings wegen ihm an unserer Türe hängt, an mich, hetze in die Küche, aus der das Klopfen kam, und renne ihn fast über den Haufen.
Aus verständnislosen Augen, die von der dicken Brille tausendfach vergrößert werden, schaut er mich an.
"Willste nicht mal mein Feuerholz holen?"
Oh, ach so. Ist ja nur noch eine halbe Stunde bis zur ausgemachten Uhrzeit.
"Ja, kann ich machen. Wo ists denn?"
-"Heuboden, gleich links. Und bring Tannenzapfen und zwei Briketts mit, sonst geht das Feuer nicht an".
Ich wickle mich in meine Strickjacke und schlurfe, noch beschlafanzugt, aber mit besagter Jacke, über den Hof in Richtung des Erfüllungsortes meiner Mission.
Der Heuboden ist tiefdunkel, heu-los, nicht isoliert und so instabil,dass Opa Mayhem mir versprechen musste, da nicht mehr raufzugehen. So einen Fall aus 2, 3 Metern Höhe vertrage ich im Zweifelsfall noch besser als er, erst recht in seinem aktuellen Zustand.
Also hangle ich mich hoch, öffne die Luke, greife nach links, wo ich allerdings nicht das erwartete Feuerholz, sondern nur ein morsches Stück Bodenbalken erwische, das prompt abbricht und runterfällt.
How wonderful.
Seufzend schwinge ich mich ganz nach oben, taste mich vorwärts und suche, sobald sich meine Augen an fast völlige Dunkelheit gewöhnt haben, das Feuerholz.
Finde es dann auch, allerdings am anderen Ende des Heubodens und sehr weit vorne, direkt an der Dachkante. Von wo auch das Licht kommt, da die Ziegel nicht komplett dicht sind und nicht bis aufs Mauerwerk herunterreichen.
Also, gaaaaaaaaaanz weit ausstrecken, Holzsscheite angeln, sie ihm bringen.
"Und was ist mit den Tannenzapfen? Und den Briketts?"
Ein einfaches "danke" wäre auch schön, ja.. "Ich hab die Tannenzapfen nicht gefunden, wo sollen die denn sein?"
-"Direkt neben dem Holz, gleich links."
Also kletterte ich wieder hoch, suchte schließlich den ganzen Heuboden ab, fand aber keine Tannenzapfen, in keiner Ecke, nirgends. Etwas verunsichert und mit Horrorszenarien im Kopf (er muss erfrieren,weil er sich kein Feuer machen kann/Ich muss meinen Vater anrufen und um Hilfe bitten) steige ich wieder nach unten, wo er auch prompt in der Tür steht. "Nicht da oben, in der Garage!" Danke für die Info.
Ich spare mir den Hinweis, dass er behauptet hatte, die Tannenzapfen wären auch oben auf dem Heuboden. Bin ja froh,wenn er zusammenkriegt, was er alles für sein Feuerchen braucht.
Die Tannenzapfen sind bald gefunden, auch die Briketts habe ich schnell ausfindig gemacht, und so verkrümle ich mich um dreiviertel zehn erneut ins Bett.
Um um viertel elf wieder geweckt zu werden, diesmal von der Türklingel.
Als ich öffne, sieht mich eine circa Mittvierzigerin, Modell "jungebliebene Mutter" mit zerfärbtem Kurzhaarschnitt und zu viel Make Up etwas überrascht an.
"Habe ich dich jetzt etwa geweckt?"
-"Ja, da waren Sie aber nicht die Erste".
"Oh, das tut mir aber Leid." Sie lacht gekünstelt.
"Die Freundin deines Vaters hat gesagt, du kannst mir auch die Sachen geben? " Ah, da war ja was.
Die Freundin meines Vaters hat eine neue Beschäftigung gefunden, sie dealt jetzt neben ihrem normalen Job mit Plastikschüsseln und ähnlichen Waren; gestern wurde ich sogar darauf hingewiesen, dass heute jemand seine Sachen holen würde. Warum auch immer die bei uns deponiert wurden, die Vatersfreundin scheint wirklich zu vergessen,wo sie wohnt, trotz ihrer immer wieder betonten Selbstständigkeit.
"Siebenundzwanzig siebzig sinds." Ich zeige der Zerfärbten die an der Tüte festgeheftete Rechnung.
Sie scheint zu überlegen, ob sie mir vertrauen kann, händigt mir dann aber das Geld aus und haut wieder ab. Um halb.
Ich starte einen letzten Versuch, zu schlafen, der aber unterbrochen wird, als ich um fünf nach halb elf das Auto meines Vaters ankommen höre. Fiese Welt.
Erhebe mich also endgültig, gehe raus in die kalte Welt,beziehungsweise den Flur, um ihm zu sagen, dass bei Opa Mayhem alles in Ordnung ist, und wäre fast auf einen Schmetterling getreten.
Ein Schmetterling.
Mitten im Winter.
Sitzt so desorientiert auf dem Boden, direkt vor mir,bewegt langsam seine Flügel und dreht sich noch langsamer, aber stetig im Kreis.
Ein Tagpfauenauge ist es. Mitten im Winter.
Ich hole ein Blatt Papier, schiebe es vorsichtig unter den Schmetterling, schlittere über den Hof und trage das Tier vorbei an meinem verdutzten Vater in den Garten, wo ich es auf dem Boden, nahe dem Mauerwerk des Heubodens, absetzte. Schmetterlinge überwintern auch in Mauern, das haben sie uns irgendwann einmal beigebracht, und ich dachte so bei mir,wenn ich ihn dort absetze, kann der Schmetterling ein Winterquartier beziehen oder wo anders hin, je nachdem, was er denn vorhat.
Ich hätte ihm gerne einen Tee gekocht, er sah nämlich ziemlich verfroren aus,der Schmetterling. so lies ich ihn dann sitzen,weil ich es mir schwierig vorstellte, eine Tasse zu finden,die klein genug für ihn ist.
Teetrinken mit einem Schmetterling wäre aber bestimmt interessant gewesen, gewiss hätte er viel zu erzählen gehabt, hätte er denn mit mir sprechen können.
"Mayhem, hast du es auch geschafft mit dem Fahren, schön!" Der Veranstaltungsveranstalter umarmt mich und deutet auf vier meiner Mitsanitäter. "Die sind auch da, kannst dich ja zu ihnen setzen." Was bleibt mir denn anderes übrig?
Die Begrüßung fällt eher verhalten aus, allgemein reden wir nicht viel, eine ist mir unsypmathisch, die anderen drei sind zusammen mit der Vierten so eine feste Gruppe, wie die ganze Sanitätsgruppe es ist, ich habe es in über einem Jahr nicht geschafft, da Fuß zu fassen. So sitze ich zurückhaltend-schweigend auf meinem Stuhl und starre aus dem Fenster, bis mir die Sicht verstellt wird- vom Bedreadeten.
Nachdem er mir erst in der Bahn,dann auf mehreren Rotkreuzveranstaltungen begegnet war, hatte ich ihn ja irgendwie nicht mehr gesehen, auch jetzt stand er mit dem Rücken zu mir.
Ich hatte ihn damals seltsam gefunden, vielleicht auch, weil er anscheinend etwas trennungstraumatisiert gewesen war..wie er so einfach so von seiner essgestörten Ex erzählt hatte, mir, einer Fremden.
Aber ich scheine für manche Leute ja irgendwie eine sehr vertrauenserweckende Ausstrahlung zu haben.
Hm. Hallo sagen?
Nein, beschließe ich. Die Wahrscheinlichkeit,dass er sich nicht mehr an mich erinnerte, war doch ziemlich groß.. Was er wohl heute hier tat? Vielleicht wieder kochen.
"Also,wir fangen dann mal an". Der Veranstaltungsveranstalter startet seine Präsentation, die die nächsten Stunden in Anspruch nimmt.
Irgendwann drifte ich ab und widme mich der genaueren Betrachtung des Auslagentisches, wo es nicht nur Prospekte mit Fortbildungen (einige schon rum, von vielen den Anmeldeschluss verpasst, der Rest beißt sich mit der Klausurenphase und der ultimative Kurs geht leider an dem Tag los, an dem ich den Besuch abends in die Absteige schleifen werde, weshalb ich nicht teilnehmen kann- wird nur angerechnet, wenn man an jedem Tag da ist), usb-Sticks (alle weg, bevor ich mich traue, mir einen zu nehmen) und Gummibärchen gibt, sondern auch Plüschbären.
Weiße und braune Plüschbären, mit schiefen Gesichtern und Flicken.
"Das sind die Tröstebären", sagt der Bedreadete, der am Auslagentisch lehnt und anscheinend meinen Blick bemerkt hat, "die hatten wir auf dem Rettungswagen sonst immer für Kindernotfälle dabei, damit die Kleinen wenigstens ein bisschen abgelenkt sind. Die da waren ne Fehlproduktion, sieht man ja am Gesicht, deswegen sind die jetzt hier."
Ich empfinde spontan Sympathie für die aussortierten Plüschbären, die nicht mal eine Chance bekommen hatten, ihre Tröstebärqualitäten unter Beweis zu stellen.
"Sag mal, kann man die sich mitnehmen?", frage ich, Plüschtieren generell nicht abgeneigt.
"Willst du dir jetzt son hässliches Vieh mitnehmen?" Die unsympathische Mitsanitäterin sieht mich mit einer Mischung aus Verachtung und Spott an. "Wofür brauchst du überhaupt so einen Tröste-Teddy?", fragt eine andere Mitsanitäterin.
"Ach, seid doch ruhig", grunzt der Bedreadete unwillig und wirft mir einen weißen Plüschbären in die Arme.
"Behalt den, das ist jetzt deiner."
Und als ich anscheinend etwas verwirrt schaue, deutet er auf einen anderen Bären,der ein paar Plätze weiter neben einer Tasche mit "vegan and proud"-Aufnäher sitzt. "Da ist meiner. Und den behalte ich auch."
Sein Bär war nicht richtig weiß und nicht richtig braun und hatte ebenfalls ein krummes Gesicht.
"Die bräunlichen Bären sind eigentlich schöner als die anderen", stelle ich fest,während das unvermeidliche Getuschel der Mitsanitäterinnen losgeht, "Aber die hätte man doch alle noch verwenden können."
"Nee, der Chef hat gesagt, wenn wir schon sowas wollen,dann werden nur die guten verwendet und der Rest geschreddert", erklärt der Bedreadete und geht langsam zu seinem Platz, nimmt den bräunlichen Tröstebären und setzt sich mit ihm auf den freien Stuhl neben mir.
Wir stellen fest, dass unsere Bären sich sehr ähnlich sehen, und während bei allen anderen Bären das linke Auge ein wenig höher sitzt als das rechte, ist es bei unseren Bären ein gutes Stück tiefer platziert.
"Die sehen ähnlich mutiert aus, bestimmt sind das Plüschebärenkumpels", meint der Bedreadete, und so sitzen wir in unserem Vortrag, zwei theoretisch (so gut wie) Erwachsene, und reden über Plüschbären, bis der Bedreadete in der Küche verschwindet.
Er kommt da auch nicht so schnell wieder raus,auch nicht nach der Essensausgabe und nachdem alle fertig sind, und während ich so vor mich hin überlege, ob ich mich mit ihm anfreunden möchte oder nicht, taucht bereits Papa Mayhem auf, der mich abholen möchte.
Er bleibt im Türrahmen stehen, so muss ich den ganzen Raum durchqueren, um ihm zu sagen,dass ich a) gesehen habe,dass er da ist, b) mich vom Rest verabschieden muss, er c) deswegen bitte warten soll und es d) nicht lange dauern wird.
Bis ich wieder bei meinem Platz und somit meiner Tasche und Jacke angekommen bin, ist die "vegan and proud"-Tasche verschwunden, ebenso wie der seltsamfarbene Bär.
Meiner sitzt auf meinen Platz und ich betrachte ihn unschlüssig.
"Nimm ihn mit, du siehst aus wie jemand, der einen gebrauchen kann". Der Bedreadete, in weiter Jacke und fast komplett vermummt mit dickem Schal und großer Mütze, steht wieder neben mir.
"Weshalb bist du dir eigentlich schon wieder so sicher, abschätzen zu können, wie es in mir aussieht?", frage ich ihn.
-"Ach, nur son Gefühl. Und deine Reaktion sagt,dass ich Recht habe."
Idiot.
"Na gut, wenn du sagst,dass wir sie mitnehmen dürfen". Während wir den Ausgang ansteuern, versuche ich, den Tröstebären in meine Tasche zu stopfen, wo ich etwas weiteres, plüschiges ertaste, das sich bei genauerem Hinsehen als der braune Plüschbär entpuppt.
Der Bedreadete bemerkt meinen Blick.
"Das sind doch Plüschbärkumpels, die darf man nicht trennen", erklärt er mir in betont-übersteigertem ernsten Ton, und ich stelle fest, dass jemand eine ähnlich große Macke hat wie ich.
Auf die Frage, ob er nicht einen eigenen Stoffbären bräuchte, zieht er einen weißen aus seiner Jackentasche und lässt ihn zum Abschied winken.
Und jetzt sitze ich so hier, mit meinen zwei Tröstebären, und sie schauen mich aus ihren zu tief platzierten, schiefen Augen an, der braune sieht aus, als hätte er nur ein Auge, der weiße dafür, als hätte er nur ein Ohr, und ich habe zwar immernoch nicht für die Bioklausur gelernt, dafür heute aber einen Schmetterling vor dem Tod,meinen Opa vorm Erfrieren und zwei Plüschbärkumpels vorm Zerschreddern gerettet.
Gute Leistung, würd ich sagen.