Dienstag, 7. Februar 2012
Thema: monolog
1.

Stehen uns so gemeinschaftlich die Beine in den Bauch, die Kollegstufe, die nicht mehr so heißt seit dem G8, zusammengehalten wie eine Schafherde von der Betreuungslehrkraft, die sich schwer und mächtig stetig im Kreis um uns herum bewegt, als würde sie Angst haben, dass sich einer von der Gruppe entfernt und auf dem Bahnsteig verloren geht, und warten.
Dann und wann fährt ein Zug vorbei, jedes Mal ist es nicht unserer, einmal steigt trotzdem jemand ein,weil er es nicht mitbekommen hat, kommt aber gerade noch rechtzeitig wieder raus, um weiter mit uns zu warten, und während wir da so in unserer Herde stehen, mit hochgezogenen Schultern, die Gesichter in dicken Schals vergraben und die Füße gefühlt durch die Schuhe hindurch festgefroren, warte ich eigentlich nur noch auf Schnee, doch ein Blick aufs Ei-Phone des Kommentators offenbart, dass es mit -21,5 Grad selbst für Schnee zu kalt ist.
I
In meinen Ohren The Noose in der von mir nicht online gefundenen Studioversion,eines der Lieder, auf die "atmosphärisch" passt, auf meinen Ohren die Plüschohrwärmer, die dafür sorgen,dass ich zwar mit Abstand am seltsamsten aussehe, aber es auch mit Abstand am Wärmsten habe. Zumindest am Kopf.
Leider kann ich es nicht wie die Freundin des Problems handhaben, die sich fröstelnd an ihren Freund kuschelt und ebenfalls auf den Zug wartet, der, bevor er in der Zivilisation ankommt, zunächst jede Häuseransammlung ansteuert, die sich irgendwie an die Gleise gedrängt hat, und somit auch ihr Heimatdorf.
Irgendwann sieht man ihn dann, den Zug, ein schnaufender, dampfender roter Schrotthaufen, der sich behäbig den Berg hinaufquält, gefühlt fast wieder rückwärts hinunterrollt, es aber dann doch schafft, vor uns zum Stehen zu kommen.
Beim Einsteigen die charakteristische Gestankswolke, eine Mischung aus Alkohol, ein wenig Urin und daraus entstandenem Ammoniak, jahrealtem, unter die Sitze geklebten Kinderkaugummi und im ungünstigsten Fall irgendein Wurstbrot, das zuvor verspeist wurde oder eben immernoch daliegt.
Ohne Blondinenfraktion von ungewohnter Stille umgeben, suche ich mir ein Abteil, in dem noch niemand sitzt, und will mich gerade darüber freuen, als die Tür aufgeht und die Problemfreundin ihn hinter sich ins Abteil zieht. "Ey, ich sollt vielleicht bei meinem Kurs bleiben", protestiert er lachend, während sie ihn kichernd zu einer Sitzbank schleift.
Ich beschließe, die Musik lauter zu stellen.
Durchsagen,wann welcher Bahnhof erreicht ist? Unnötig, starre aus dem Fenster auf die tausendfach gefahrene Strecke, den einzigen Weg in die Zivilisation, vorbeirauschende Felder, die auch in der Prärie liegen könnten, ockerbraungelbverdorrt, im Vorbeifahren wirkt es eigentlich ganz idyllisch hier,im Vorbeifahren sieht man nicht, wie es ist,sondern nur, wie es aussieht.
Sonst war er für mich immer perfekt, das Problem.
Aber jetzt, Pickel hat er mit einem Mal, das, worüber er sich lustig gemacht hat, früher, als ich in der sechsten Klasse war, das einzige Mädchen mit Hautunreinheiten, die sind auch nicht so schnell wieder weggegangen und waren dementsprechend öfters Grund zum Spott, aber alle, die sich drüber lustig gemacht haben, sind jetzt selbst geplagt davon, während ich vergleichsweise meine Ruhe habe,ha, Karma.
Außer im Fall des Übersportlers, täglich Fitnessstudio hat ihm den anvisierten Muskelaufbau nicht in der gewünschten Geschwindigkeit gebracht und die Bodybuilder dort sagen, das bringt was.
Aber das Problem,das ist kein Übersportler, wenn auch sehr skibegeistert.
Sie bestimmt auch, hat er ja gesagt, er will eine Wintersporttaugliche.
Hm, schön,dass er eine gefunden hat, die anscheinend passt.
Ich denke mir das so und meine es nicht einmal ironisch, fühle eigentlich garnichts außer leichtem Druckschmerz.
Ist das jetzt echt dein Ernst?, frage ich meinen Verstand.
Ich glaube schon, antwortet er.
Sehe mir wieder das Problem in der Scheibenspiegelung an, mit den Nichtmehrwuschelhaaren, die heute geglättet sind, nie hätte er das von sich aus getan, war wohl ihre Idee, mit seinen ihn neuerdings plagenden Hautunreinheiten, der eigentlich zu großen Nase und dem eigentlich zu schmalen Gesicht, seinen Gammelklamotten (Standard, seit er mit dem coolen Hiphopfan befreundet ist) und der Standardbräune, die er jahreszeitenunabhängig immer hat, im Winter vom Skifahren, im Sommer vom Schwimmen, und mir fallen die Dinge auf, die nicht perfekt sind.
Schaue ihn mir so an, diesen Menschen, der so viel Bedeutung hat, der doch immer so perfekt war." Er war doch immer so perfekt", murmelt die Erinnerung ungläubig und das Herz will ihr eigentlich zustimmen, aber da meldet sich ganz leise das Gefühl, und ergänzt fast nicht hörbar,"aber eben nicht für dich". Das Gefühl spricht erstaunlich gefasst, erstaunlich ruhig und erstaunlich sanft. Ich atme tief durch und nehme mir vor, das so anzunehmen, wie das Gefühl es sagt.
With your halo slippin' down...
Es tut nicht weh, wenn ich ihn sehe. Nicht so sehr, wie ich erwartet habe, nur, wenn ich sein Mädchen sehe, drehe ich um und laufe einen anderen Weg zum Biologiesaal, auch,wenn das Verspätung bedeutet.
Aber der große Zusammenbruch bleibt aus.
Und der Verstand sagt, eigentlich ist das Wahnsinn. Weißt du Mayhem, eigentlich ist das alles der totale Wahnsinn.
Entweder der normale Jugendwahnsinn, oder Wahnsinn von der filmreifen Sorte.


2.
"Und finanzielle Unterstützung durch Ihr Unternehmen?"
Habe mich als Einzige getraut, noch eine Frage zu stellen, als es hieß, gibt es noch Fragen.
Und so sitze ich, klassisches "Arbeiterkind", in einer der drei renommiertesten Kliniken Deutschlands, und frage den Vortragenden, der von hohem Niveau, aber auch sehr guten Arbeitsbedingungen und allem von Gratismassage bis -maniküre für die Mitarbeiter erzählte, ob man, wenn man sein Psychologiestudium abgeschlossen hat und in dieser Hyperklinik für Burnout-, depressions- und Suchtgeplagte Neureiche, Halbberühmtheiten oder Erben anfangen möchte, den Psychotherapeutenschein mitfinanziert bekommt.
"Die Psychotherapeutenausbildung kostet nämlich laut Ihrem Seminarheft 4.800Euro mindestens!", ruft der Kommenator rein, sichtlich begeistert, weil er auch etwas beizutragen wusste, "Hab mir nämlich Ihr Infomaterial schon durchgelesen!"
Der Vortragende zupft am Kragen seines Poloshirts.
"Wissen Sie, Frau, äh", er schaut auf mein Namensklebeschildchen, "Frau Mayhem, das monatliche Gehalt eines Psychologen beträgt bei uns 3000 bis 4000 Euro netto und wir unterstützen Sie finanziell,wenn Sie nicht auf dem Klinikgelände wohnen möchten, insofern sollte das kein größeres Problem darstellen".
Er sagt das so, mit dem vielen Geld, als wäre das völlig normal.
So viel Geld, denke ich, davon könnte ich der Katze einen größeren Kratzbaum kaufen, einfach so.
Oder mir auch dann frischen Ingwer für meinen Tee mitnehmen, wenn er nicht reduziert ist. Mir dann sogar ein Bücherregal kaufen, das groß genug ist, um auch die Bücher meiner Mutter darin unterzubringen, nicht so wie jetzt, wo nicht einmal meine eigenen alle einen Platz haben.
Selbst mit dem "niedrigen" Gehalt würde ich beinahe dreimal so viel verdienen wie mein Vater, einfach mal so.
Ich erkundige mich, wie viele Bewerber denn auf eine Stelle kämen, der Vortragende erklärt, sie hätten 70 Psychologen und entsprechend viele Ärzte, hätten auch gerne mehr eingestellt, allerdings habe er nach der Lektüre einiger Bewerbungen das Gefühl gehabt, selbst "ein paar Gesprächstherapien" zur Verarbeitung des Gelesenen zu brauchen.
Beschließe, entgegen jeder Wahrscheinlichkeit und against all odds (Unfähigkeit, sich aufzuraffen, sowohl meinerseits als auch seitens der Lehrkräfte, riesige Wissenslücken, die sich nicht mehr füllen lassen, unfähige Lehrer, utopische Anforderungen) nicht nur ein ausreichend gutes Abitur hinzulegen, sondern auch die greifbarste Uni in Grund und Boden zu studieren, um in dieser verdammten Klinik Arbeit zu bekommen, wenn möglich nicht nur als "Raumpflegefachkraft".
Nicht weit weg von der Absteige, im tödlichen Radius des Atomkraftwerks, vegetarisches Essen bevorzugt, alles fairtrade, Geburtstagsfeiern für die Mitarbeiter. Durchschnittsklient versnobt-arroganter Mittvierziger, dem "doch eigentlich nichts fehlt", laut eigener Aussage, der aber trotzdem da ist, seltsamerweise.

Sehe mich schon jetzt über meine Klienten ("Wir nennen sie nicht "Patienten", sondern "Klienten"") jammern.
Habe vor,denen, die keinen Weg mehr sehen, bei der Suche zu helfen, und für die Minderheit, die traumatisierten Kinder, da zu sein.
Da sein, das kann ich. Alles andere wird sich zeigen,wenn es so weit ist.


3.
Aber ich will den Büchern meiner Mutter einen gemütlichen Platz geben, und ich will ein Bild von ihr aufstellen.

Ich will ein Bild von ihr aufstellen und das von mir und meinem Vater, aus dem Urlaub, damals, mit 5 oder maximal 7, und wenn sie mal nicht mehr ist, auch die Asche meiner Katze dort hinstellen;
Von meiner Arbeit nach Hause kommen und das Gefühl haben,dass es das Richtige ist, was ich tue, auch,wenn es nicht leicht ist, so wie jetzt auch, wenn ich Bereitschaftsdienst habe, nur anders;
Und sollte es sich aus irgendeinem Grund doch ergeben,dass entgegen jeder Intention einmal Klein-Mayhem das Licht der Welt erblickt, will ich, dass er/sie/es sich keine Gedanken machen muss, wie zur Hölle die Berlinfahrt jetzt auch noch finanziert werden soll, oder ein Besuch im Kino.
Aber vor allem soll der/die/das Klein-Mayhem eine Familie haben, eine richtige.
Und weil das nicht geht, weil es niemals so sein wird, dass ich komplett mit mir selbst klarkomme (wie soll ich es dann bei anderen Nahestehenden schaffen?) oder das alles, was war, ruhen lassen kann, weil schon meine leicht verstörte Mutter schrieb, sie wolle niemals so sein wie ihre Mutter, und dann doch hundertfach schlimmer war, wird es kein Klein-Mayhem geben.
Katzen kommen mit mir klar, meistens; von allen anderen Lebensformen wäre es wohl auf Dauer zu viel verlangt.




Dienstag, 31. Januar 2012
Thema: gefunden.
"Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stufe zur andern
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen
Jahr lang ins Ungewisse hinab.
"

(aus F.Hölderlin: Hyperions Schicksalslied )




Samstag, 28. Januar 2012
Morgens halb sieben in Deutschland. Ich betrete leise die Wohnung meines Großvaters, um zu sehen, ob er es alleine geschafft hat, aufzustehen, oder ob ich helfen muss.
Er sitzt am Küchentisch und wirkt ein wenig verloren und sehr alt, sagt, er hat es zwar geschafft aufzustehen und so weit zu kommen, aber ich solle ihm bitte Socken und Schuhe anziehen.
Mache ich, Kaffee gleich auch, er ist nämlich nach seinem kleinen Unfall auch physisch angeknackst, wenn es dumm läuft, sogar im wahrsten Sinne des Wortes.
Er bedankt sich und sagt, gegen neun Uhr soll ich doch bitte Feuerholz bringen.
"Ja Opa, mach ich. Bis dann", verabschiede ich mich, krieche zurück ins warme Bett und werde um Punkt halb neun von einem energischen Klopfen gegen die Zimmerdecke (oder den Boden, je nachdem, von welcher Wohnung aus man die Sache betrachtet) geweckt. Im Erwartung des Schlimmsten reiße ich im (ziemlich schnellen) Verlassen unserer Wohnung auf dem Weg zur Treppe die Notfalltasche, die neuerdings wegen ihm an unserer Türe hängt, an mich, hetze in die Küche, aus der das Klopfen kam, und renne ihn fast über den Haufen.
Aus verständnislosen Augen, die von der dicken Brille tausendfach vergrößert werden, schaut er mich an.
"Willste nicht mal mein Feuerholz holen?"
Oh, ach so. Ist ja nur noch eine halbe Stunde bis zur ausgemachten Uhrzeit.
"Ja, kann ich machen. Wo ists denn?"
-"Heuboden, gleich links. Und bring Tannenzapfen und zwei Briketts mit, sonst geht das Feuer nicht an".
Ich wickle mich in meine Strickjacke und schlurfe, noch beschlafanzugt, aber mit besagter Jacke, über den Hof in Richtung des Erfüllungsortes meiner Mission.
Der Heuboden ist tiefdunkel, heu-los, nicht isoliert und so instabil,dass Opa Mayhem mir versprechen musste, da nicht mehr raufzugehen. So einen Fall aus 2, 3 Metern Höhe vertrage ich im Zweifelsfall noch besser als er, erst recht in seinem aktuellen Zustand.
Also hangle ich mich hoch, öffne die Luke, greife nach links, wo ich allerdings nicht das erwartete Feuerholz, sondern nur ein morsches Stück Bodenbalken erwische, das prompt abbricht und runterfällt.
How wonderful.
Seufzend schwinge ich mich ganz nach oben, taste mich vorwärts und suche, sobald sich meine Augen an fast völlige Dunkelheit gewöhnt haben, das Feuerholz.
Finde es dann auch, allerdings am anderen Ende des Heubodens und sehr weit vorne, direkt an der Dachkante. Von wo auch das Licht kommt, da die Ziegel nicht komplett dicht sind und nicht bis aufs Mauerwerk herunterreichen.
Also, gaaaaaaaaaanz weit ausstrecken, Holzsscheite angeln, sie ihm bringen.
"Und was ist mit den Tannenzapfen? Und den Briketts?"
Ein einfaches "danke" wäre auch schön, ja.. "Ich hab die Tannenzapfen nicht gefunden, wo sollen die denn sein?"
-"Direkt neben dem Holz, gleich links."
Also kletterte ich wieder hoch, suchte schließlich den ganzen Heuboden ab, fand aber keine Tannenzapfen, in keiner Ecke, nirgends. Etwas verunsichert und mit Horrorszenarien im Kopf (er muss erfrieren,weil er sich kein Feuer machen kann/Ich muss meinen Vater anrufen und um Hilfe bitten) steige ich wieder nach unten, wo er auch prompt in der Tür steht. "Nicht da oben, in der Garage!" Danke für die Info.
Ich spare mir den Hinweis, dass er behauptet hatte, die Tannenzapfen wären auch oben auf dem Heuboden. Bin ja froh,wenn er zusammenkriegt, was er alles für sein Feuerchen braucht.
Die Tannenzapfen sind bald gefunden, auch die Briketts habe ich schnell ausfindig gemacht, und so verkrümle ich mich um dreiviertel zehn erneut ins Bett.
Um um viertel elf wieder geweckt zu werden, diesmal von der Türklingel.
Als ich öffne, sieht mich eine circa Mittvierzigerin, Modell "jungebliebene Mutter" mit zerfärbtem Kurzhaarschnitt und zu viel Make Up etwas überrascht an.
"Habe ich dich jetzt etwa geweckt?"
-"Ja, da waren Sie aber nicht die Erste".
"Oh, das tut mir aber Leid." Sie lacht gekünstelt.
"Die Freundin deines Vaters hat gesagt, du kannst mir auch die Sachen geben? " Ah, da war ja was.
Die Freundin meines Vaters hat eine neue Beschäftigung gefunden, sie dealt jetzt neben ihrem normalen Job mit Plastikschüsseln und ähnlichen Waren; gestern wurde ich sogar darauf hingewiesen, dass heute jemand seine Sachen holen würde. Warum auch immer die bei uns deponiert wurden, die Vatersfreundin scheint wirklich zu vergessen,wo sie wohnt, trotz ihrer immer wieder betonten Selbstständigkeit.
"Siebenundzwanzig siebzig sinds." Ich zeige der Zerfärbten die an der Tüte festgeheftete Rechnung.
Sie scheint zu überlegen, ob sie mir vertrauen kann, händigt mir dann aber das Geld aus und haut wieder ab. Um halb.
Ich starte einen letzten Versuch, zu schlafen, der aber unterbrochen wird, als ich um fünf nach halb elf das Auto meines Vaters ankommen höre. Fiese Welt.
Erhebe mich also endgültig, gehe raus in die kalte Welt,beziehungsweise den Flur, um ihm zu sagen, dass bei Opa Mayhem alles in Ordnung ist, und wäre fast auf einen Schmetterling getreten.
Ein Schmetterling.
Mitten im Winter.
Sitzt so desorientiert auf dem Boden, direkt vor mir,bewegt langsam seine Flügel und dreht sich noch langsamer, aber stetig im Kreis.
Ein Tagpfauenauge ist es. Mitten im Winter.
Ich hole ein Blatt Papier, schiebe es vorsichtig unter den Schmetterling, schlittere über den Hof und trage das Tier vorbei an meinem verdutzten Vater in den Garten, wo ich es auf dem Boden, nahe dem Mauerwerk des Heubodens, absetzte. Schmetterlinge überwintern auch in Mauern, das haben sie uns irgendwann einmal beigebracht, und ich dachte so bei mir,wenn ich ihn dort absetze, kann der Schmetterling ein Winterquartier beziehen oder wo anders hin, je nachdem, was er denn vorhat.
Ich hätte ihm gerne einen Tee gekocht, er sah nämlich ziemlich verfroren aus,der Schmetterling. so lies ich ihn dann sitzen,weil ich es mir schwierig vorstellte, eine Tasse zu finden,die klein genug für ihn ist.
Teetrinken mit einem Schmetterling wäre aber bestimmt interessant gewesen, gewiss hätte er viel zu erzählen gehabt, hätte er denn mit mir sprechen können.


"Mayhem, hast du es auch geschafft mit dem Fahren, schön!" Der Veranstaltungsveranstalter umarmt mich und deutet auf vier meiner Mitsanitäter. "Die sind auch da, kannst dich ja zu ihnen setzen." Was bleibt mir denn anderes übrig?
Die Begrüßung fällt eher verhalten aus, allgemein reden wir nicht viel, eine ist mir unsypmathisch, die anderen drei sind zusammen mit der Vierten so eine feste Gruppe, wie die ganze Sanitätsgruppe es ist, ich habe es in über einem Jahr nicht geschafft, da Fuß zu fassen. So sitze ich zurückhaltend-schweigend auf meinem Stuhl und starre aus dem Fenster, bis mir die Sicht verstellt wird- vom Bedreadeten.
Nachdem er mir erst in der Bahn,dann auf mehreren Rotkreuzveranstaltungen begegnet war, hatte ich ihn ja irgendwie nicht mehr gesehen, auch jetzt stand er mit dem Rücken zu mir.
Ich hatte ihn damals seltsam gefunden, vielleicht auch, weil er anscheinend etwas trennungstraumatisiert gewesen war..wie er so einfach so von seiner essgestörten Ex erzählt hatte, mir, einer Fremden.
Aber ich scheine für manche Leute ja irgendwie eine sehr vertrauenserweckende Ausstrahlung zu haben.
Hm. Hallo sagen?
Nein, beschließe ich. Die Wahrscheinlichkeit,dass er sich nicht mehr an mich erinnerte, war doch ziemlich groß.. Was er wohl heute hier tat? Vielleicht wieder kochen.
"Also,wir fangen dann mal an". Der Veranstaltungsveranstalter startet seine Präsentation, die die nächsten Stunden in Anspruch nimmt.
Irgendwann drifte ich ab und widme mich der genaueren Betrachtung des Auslagentisches, wo es nicht nur Prospekte mit Fortbildungen (einige schon rum, von vielen den Anmeldeschluss verpasst, der Rest beißt sich mit der Klausurenphase und der ultimative Kurs geht leider an dem Tag los, an dem ich den Besuch abends in die Absteige schleifen werde, weshalb ich nicht teilnehmen kann- wird nur angerechnet, wenn man an jedem Tag da ist), usb-Sticks (alle weg, bevor ich mich traue, mir einen zu nehmen) und Gummibärchen gibt, sondern auch Plüschbären.
Weiße und braune Plüschbären, mit schiefen Gesichtern und Flicken.
"Das sind die Tröstebären", sagt der Bedreadete, der am Auslagentisch lehnt und anscheinend meinen Blick bemerkt hat, "die hatten wir auf dem Rettungswagen sonst immer für Kindernotfälle dabei, damit die Kleinen wenigstens ein bisschen abgelenkt sind. Die da waren ne Fehlproduktion, sieht man ja am Gesicht, deswegen sind die jetzt hier."
Ich empfinde spontan Sympathie für die aussortierten Plüschbären, die nicht mal eine Chance bekommen hatten, ihre Tröstebärqualitäten unter Beweis zu stellen.
"Sag mal, kann man die sich mitnehmen?", frage ich, Plüschtieren generell nicht abgeneigt.
"Willst du dir jetzt son hässliches Vieh mitnehmen?" Die unsympathische Mitsanitäterin sieht mich mit einer Mischung aus Verachtung und Spott an. "Wofür brauchst du überhaupt so einen Tröste-Teddy?", fragt eine andere Mitsanitäterin.
"Ach, seid doch ruhig", grunzt der Bedreadete unwillig und wirft mir einen weißen Plüschbären in die Arme.
"Behalt den, das ist jetzt deiner."
Und als ich anscheinend etwas verwirrt schaue, deutet er auf einen anderen Bären,der ein paar Plätze weiter neben einer Tasche mit "vegan and proud"-Aufnäher sitzt. "Da ist meiner. Und den behalte ich auch."
Sein Bär war nicht richtig weiß und nicht richtig braun und hatte ebenfalls ein krummes Gesicht.
"Die bräunlichen Bären sind eigentlich schöner als die anderen", stelle ich fest,während das unvermeidliche Getuschel der Mitsanitäterinnen losgeht, "Aber die hätte man doch alle noch verwenden können."
"Nee, der Chef hat gesagt, wenn wir schon sowas wollen,dann werden nur die guten verwendet und der Rest geschreddert", erklärt der Bedreadete und geht langsam zu seinem Platz, nimmt den bräunlichen Tröstebären und setzt sich mit ihm auf den freien Stuhl neben mir.
Wir stellen fest, dass unsere Bären sich sehr ähnlich sehen, und während bei allen anderen Bären das linke Auge ein wenig höher sitzt als das rechte, ist es bei unseren Bären ein gutes Stück tiefer platziert.
"Die sehen ähnlich mutiert aus, bestimmt sind das Plüschebärenkumpels", meint der Bedreadete, und so sitzen wir in unserem Vortrag, zwei theoretisch (so gut wie) Erwachsene, und reden über Plüschbären, bis der Bedreadete in der Küche verschwindet.
Er kommt da auch nicht so schnell wieder raus,auch nicht nach der Essensausgabe und nachdem alle fertig sind, und während ich so vor mich hin überlege, ob ich mich mit ihm anfreunden möchte oder nicht, taucht bereits Papa Mayhem auf, der mich abholen möchte.
Er bleibt im Türrahmen stehen, so muss ich den ganzen Raum durchqueren, um ihm zu sagen,dass ich a) gesehen habe,dass er da ist, b) mich vom Rest verabschieden muss, er c) deswegen bitte warten soll und es d) nicht lange dauern wird.
Bis ich wieder bei meinem Platz und somit meiner Tasche und Jacke angekommen bin, ist die "vegan and proud"-Tasche verschwunden, ebenso wie der seltsamfarbene Bär.
Meiner sitzt auf meinen Platz und ich betrachte ihn unschlüssig.
"Nimm ihn mit, du siehst aus wie jemand, der einen gebrauchen kann". Der Bedreadete, in weiter Jacke und fast komplett vermummt mit dickem Schal und großer Mütze, steht wieder neben mir.
"Weshalb bist du dir eigentlich schon wieder so sicher, abschätzen zu können, wie es in mir aussieht?", frage ich ihn.
-"Ach, nur son Gefühl. Und deine Reaktion sagt,dass ich Recht habe."
Idiot.
"Na gut, wenn du sagst,dass wir sie mitnehmen dürfen". Während wir den Ausgang ansteuern, versuche ich, den Tröstebären in meine Tasche zu stopfen, wo ich etwas weiteres, plüschiges ertaste, das sich bei genauerem Hinsehen als der braune Plüschbär entpuppt.
Der Bedreadete bemerkt meinen Blick.
"Das sind doch Plüschbärkumpels, die darf man nicht trennen", erklärt er mir in betont-übersteigertem ernsten Ton, und ich stelle fest, dass jemand eine ähnlich große Macke hat wie ich.
Auf die Frage, ob er nicht einen eigenen Stoffbären bräuchte, zieht er einen weißen aus seiner Jackentasche und lässt ihn zum Abschied winken.

Und jetzt sitze ich so hier, mit meinen zwei Tröstebären, und sie schauen mich aus ihren zu tief platzierten, schiefen Augen an, der braune sieht aus, als hätte er nur ein Auge, der weiße dafür, als hätte er nur ein Ohr, und ich habe zwar immernoch nicht für die Bioklausur gelernt, dafür heute aber einen Schmetterling vor dem Tod,meinen Opa vorm Erfrieren und zwei Plüschbärkumpels vorm Zerschreddern gerettet.
Gute Leistung, würd ich sagen.




Freitag, 27. Januar 2012
Thema: monolog
Nicht-Warhhaben-Wollen, das ist es.
Während ich ihn so anstarre...ungläubig(?), macht es klick und ich kann das Gefühl, oder eher den Mangel an Gefühl, definieren. Verdrängung, die sich bei mir mit der Zeit zu einem richtigen Reflex weiterentwickelt hat.
So starre ich ihn in gemeinsamen Freistunden an, gelegentlich schaut er zurück, wie immer, und er hört Musik, wie immer, und überhaupt ist alles wie immer, während ich versuche, mir das Gegenteil begreiflich zu machen.
Deshalb ist da auch kein Überschmerz. Weil ich es immernoch nicht wahrhabe(n kann/will).
Als er in der letzten Freistunde extra hierbleibt, um dann sie und ihre Freundinnen heimzufahren, ist das seltsam.
Surreal, ein bisschen.
Nur, als sie zusammen zum Auto laufen, er sein Zeug reinwirft und ihre Sachen sorgsam im Kofferraum deponiert, da tut es ein bisschen weh.
Dabei sind sie zum Glück kein Überpärchen, nichtmal ihre Hand hält er, aber ich weiß ja, dass er Überpärchensein in der Öffentlichkeit nicht mag.
Mein Kaffee und ich, wir lehnen so am Bushaltestellenschild und sehen zum Auto rüber, mit ein wenig Melancholie, ein wenig Traurigkeit und ein wenig Schmerz.
But now it's over...
Ich reiße mich los von ihrem Anblick und mache mich auf den Weg zurück zur Schule, bin eine derjenigen, die sich bereit erklärt haben, noch schnell beim Ausräumen des ehemaligen Hausaufgabenraumes, der jetzt ein weiteres Zimmer für Lehrer-Eltern-Gespräche werden soll, zu helfen.
Nächstes Jahr ist er weg und seine Freundin eine derjenigen, die sich das Oberstufenzimmer mit meiner Stufe teilen.
Schlittere so den Weg entlang, denke, wenigstens ist kein Mitglied der Blondinenfraktion mehr da und habe fast sofort einen Ansatz von schlechtem Gewissen, weil ich Blondine 1 nicht zugehört habe, als sie immer wieder meine Versuche, es zu begreifen, mit neuesten Fakten aus ihrem Liebesleben, Geschichten von ihrem Kampfdackel,Hinweisen in Richtung "gib dem halbschwulen Fotographen doch endlich eine Chance" und anderen wichtigen Aussagen unterbrach.
Ich berufe mich darauf,dass ich auch nur ein Mensch bin, ein ziemlich labiler eigentlich noch dazu.
Ja, wirklich. Eigentlich bin ich sehr leicht aus der Bahn zu werfen und über-verletzlich, ich komme im realen Leben nur nie dazu.
"Frau Mayhem, könnte ich dich dann ganz kurz sprechen?" Die Lehrkraft, die die Ehre hatte,mein wunderbares Portfolio vor den Latz geknallt zu bekommen, steuert mit schwerfälligem Gang auf mich zu.
-"Ich muss eigentlich mithelfen beim Aufräumen..."
"Das haben die schon fertig. Es geht um dein Portfolio, kurze Nachbesprechung". Hui, da liest aber jemand schnell.

Der Betreuungslehrkraftmensch stirnrunzelt mich über den Rand seiner rundglasigen Brille hinweg an.
"Psychatrie also? "
-"Ja".
"Hast du nicht gesagt, genau das willst du nicht machen? "
-"Ja." Danke, ich weiß auch selbst,dass ich seltsam bin.
"Naja, ich meine ja nur. Du könntest auch Medienpsychologie machen..."
-"Ich will mein Geld aber nicht damit verdienen, andere Leute zu einer anderen Meinung hinzumanipulieren oder ihnen zu erzählen,dass sie genau das eine Produkt unbedingt brauchen. Und das andere da, und das nächste.."
"Du denkst zu rücksichtsvoll. Sicherere Einnahmequelle wäre es, klinische Psychologie geht zurück."
-"Ich weiß, das habe ich in meinem Vortrag ja auch erwähnt. "
"Psychotherapeutin müsstest du ja dann machen, das kostet auch ganz schön Geld, du mussts aber machen,wenn du überhaupt was finden willst.."
-"Vorausgesetzt, ich überstehe das Grundstudium."
"Mathe immernoch nicht deine Stärke?"
-"Nein."
Es wird weitergeblättert.
"Deine Begründung für den Beruf...nichts anderes hätte ich erwartet."
-"Wieso das?" Bin ich wirklich so berechenbar?
"Was das angeht, bist du ziemlich berechenbar." Na danke. "Das muss nichts schlechtes sein, es war nur sehr offensichtlich, das du so etwas schreiben würdest."
Was haben Sie erwartet, kreative Geistesergüsse? Ich habe das innerhalb von eineinhalb Stunden in tiefster, dunkelster Nacht (mehr oder weniger) verfasst.
-" Wieso war es denn offensichtlich?"
"Das kannst du dir bestimmt denken. Hier hast du es jedenfalls wieder, die äußere Form ist in Ordnung, die Mappe nicht mehr ganz neu, aber ich hoffe, dass eine echte Bewerbung dann besser aussieht, auch,wenn die, wie du im Lebenslauf geschrieben hast, wohl frühestens 2019 rausgeht."
Mit einer Husch, Husch!-Bewegung werde ich aus dem Büro bugsiert und im wahrsten Sinne des Wortes vor die Tür gesetzt.
Draußen wirbeln Schneewolken durch die Asphaltprärie und ich bringe es sogar fertig,meinen Bus noch zu erwischen, zum Glück gibt es Busfahrer, die warten, wenn man, mit einem schwarzen Schnellhefter wedelnd und dabei fast den Rest (Tasche, Ordner, Jacke, Tragetasche) verlierend hinter seinem Gefährt her rennt.
Natürlich legte ich dabei die übliche Eleganz an den Tag.

"Deine Begründung für den Beruf..nichts anderes hätte ich erwartet."
Vielleicht bin ich ja berechenbar. Oder das ist wieder so eine Logiksache,dann bin ich aus der Nummer draußen, logisches Denken beherrsche ich in etwa so gut wie Norwegisch. Oder Mathematik.
Vielleicht erschließt es sich ja irgendwie aus dem logischen Zusammenhang, dass meine Bewerbung sagt, ich interessiere mich für die menschliche Psyche und was sie beeinflusst, habe beim roten Kreuz Erfahrungen mit Menschen in Krisensituationen und Problemfällen gesammelt, beherrsche die Gratwanderung zwischen routiniertem Zupacken und sensiblem Verständnis,wenn es um Kontakt mit den Problemfällen geht, und die einzige sinnvolle Schlussfolgerung aus diesen Fakten ist, dass ich diejenige werde, die sich um die verstörten Jugendlichen, Drogenabhängigen, und die gescheiterten Existenzen kümmert.

"Sag mal,war das klar, dass ich sowas schreibe?"
Am anderen Ende der Leitung ist die alte Sache, der, als er hörte, dass ich am Telefon bin, seiner Schwester das Gerät entwendet und sich selbst drangehängt hatte, und der, nachdem ich kurz gezögert hatte, das Anschreiben vorgelesen bekam.
-"Ja." Gesprächig wie immer.
"Und warum?"
-"Naja. Du bist so ein..menschlicher Mensch. Ich glaube,wenn es eine Person gibt, die sagen darf, dass sie immer da ist, bist du das. Du verstehst solche Sachen auch immer,wenn es einem schlecht geht. Und solche Leute. Vielleicht hilft das denen,wenn sie wissen,dass jemand da ist, der sie versteht. Vielleicht gehts denen dann besser."
"Meinst du?"
-"Ja, außerdem siehst du immer,was los ist..das ist schon geistiges sezieren", lacht er. "Ich glaube, das muss man da können. Geistig sezieren, verstehen und helfen."
"Ich werds versuchen, dann. 2019 oder so."
-"So spät erst?"
"Alte Sache, ich bin noch nichtmal 18."
-"Achso, stimmt ja, du bist ja n Stück jünger als ich..ich vergesse das immer wieder."
"Passiert."
-"Was passiert?" Am anderen Ende wieder die Stimme der Schwester.
"Wo hast du die alte Sache hin?"
-"Der muss lernen. Wollte nur Tschüss sagen, ich muss auch gleich weg. Was ist eigentlich mit dem Kerl da, ich glaube, er heißt Problem? Du meintest ja, der wäre irgendwie was besonderes, hat sich da was für dich ergeben?"
Ich lege auf.






Thema: monolog
Menschen.
Menschenmenschenmenschen.
Sind eine Einheitsmasse, die so an mir vorbeiplätschert, als ich zum Fotomenschen laufe, eigentlich mit dem Vorsatz, meine Kamera abzuholen, praktisch ist es irgendwie eine Art Verdrängung.
Und während ich so laufe, erst auf dem Gehsteig vorbei am Drogeriemarkt, der Tankstelle und dem Supermarkt, dann über das Kopfsteinpflaster der Altstadt, wo es so wirkt, als würden sich die Dächer der Fachwerkhäuser über meinem Kopf berühren, wiederhole ich es ein paar Mal in Gedanken.
"Das Problem, was ist eigentlich mit dem? " -"Ach,der ist bestimmt bei seinem Mädchen. Der ist ja nur noch bei der".
Der simple Abiturientendialog, heute gehört beim Anstehen für einen weiteren Mensabon.
Der Dialog, der es bestätigt hat und den ultimativen Zusammenbruch hätte auslösen sollen, aber stattdessen bin ich von der Mensa sofort Richtung Altstadt gelaufen, habe mich im Laden abweisen lassen,Komplikationen, S.amsung hat die Kamera ohne Begründung zurückgeschickt,nicht repariert, habe es dabei die ganze Zeit in mein Hirn hämmern wollen.
In Gedanken ständig wiederholt, den Satz. Das Bild heraufbeschworen, wie sie so dasaßen, vor den Ferien.
Geistig auf mich eingeprügelt, um ein Gefühl aus mir herauszukriegen, aber das Problem ist, ich will es nicht wahrhaben.
Mein Verstand macht dicht und will es nicht begreifen, und als mir das so auffällt, während ich am Reformhaus vorbeilaufe, hat das was resignationsauslösendes.
Dass mein Herz nicht verstehen will, kenne ich ja.
Et tu, Gehirn?
Sogar du?
Ich weiß nicht,was ich sagen soll.
Es wäre gut,wenn ich es begreifen würde, dann könnte ich heulen und schreien, depressive Lieder schreiben, die nie jemand zu Gesicht bekommen wird und irgendwann wäre es verarbeitet, aber dieser Verdrängungsreflex...
"Morgen" Eine ehemalige Mathelehrkraft steht gerade vorm Schuhgeschäft und hat mich gegrüßt.
-"Morgen." Laufe weiter.
Freundin.Freundinfreundinfreundin.Er. Hat eine Freundin. Eine feste. Sie. Das Mädchen. Sie hört David Guetta. Und verwendet zu viel Make Up, obwohl sie mit weniger davon sehr hübsch ist.

Die, die besser ist als ich, hört David Guetta.
Können Sie sich das vorstellen? Verstörend.
So produziert mein Hirn munter weiter dumme Aussagen, während der emotionale Rest sich völlig enthält und wohl in den Winterschlaf gefallen ist; lediglich ein kleines bisschen Schmerz ist da,und so betrete ich das Schulgelände wieder, ohne einen Nervenzusammenbruch erlitten zu haben, und eine einzelne Schneeflocke fällt mir auf die Nase, als ich nach oben blicke, um abzuschätzen, ob ich mich darüber aufregen sollte, meinen Schirm daheim vergessen zu haben.
Die einzelne Schneeflocke hat ihre Freunde mitgebracht, und so bleibe ich noch ein wenig draußen sitzen, während sie langsam den Boden bedecken und ein paar Fünftklässler fangen spielen.
Zum Glück, endlich wieder mal normale Fünftklässler, nicht so verkorkste, wie wir das damals waren. Oder so seltsame,wie ich das war.
Auf einer Bank sitzt das Mädchen mit einer Freundin und blättert durch eine Zeitschrift, irgendwann gehen Freundin und Zeitschrift und sie bleibt alleine sitzen.
Den Schnee, der sich auf meine Schultern als ganz dünne Schicht gesammelt hat, schiebe ich langsam weg und gehe auch, nicht durch den Haupteingang, dafür hätte ich an ihr vorbei gemusst, sondern den anderen Weg. Will nicht mitbekommen, wenn sie da eventuell verpärchend mit dem Problem herumsitzt.
Überhaupt, wieso muss das jetzt passieren?
Es wäre ja zu einfach gewesen, zu leicht für mich,wenn wir uns einfach aus den Augen verloren hätten und er sich dann irgendeine gesucht hätte.
Die einfachen Lösungen, die sind ja immer für die anderen reserviert, ich bekomme immer den Mist zugeteilt.

I've been waiting for a guide to come and take me by the hand...
Meine eingeschneite Jacke und ich, wir liegen auf dem Gammelsofa im Gammeloberstufenzimmer und starren die Decke an, während die Heizung dafür sorgt, dass die weißen Eiskristalle flüssig und meine Haare somit nass werden, und währenddessen warten wir auf den ultimativen Zusammenbruch und veranstalten eine Art Rückschau.
In der Rückschau taucht es alles auf, die ganzen Sachen, die in mein Leben gestopft wurden, weil die einfachen ja für den Rest der Welt reserviert waren, und damit nicht doch irgendeine Gefühlsregung für die Außenwelt sichtbar wird, schließe ich die Augen und konzentriere mich auf meine Atmung. Musik ganz laut machen, Rest ausblenden, Atmen.
Einfach weiteratmen.
Nichts anderes. Runterschlucken, das Gefühlszeug.
Ganz tief vergraben, irgendwo in mir drin, wo es nie wieder ohne Hilfe rauskommt.
Das umsetzen, was ich dem Student immer sage: Ich habe nicht vor, mich in irgendwen zu verlieben.
Das, was ich mir schon bei der alten Sache vorgenommen habe:Es einfach nicht zulassen.
Das ganze Ding,einfach ignorieren, wegwerfen.

Das werde ich tun, denke ich so bei mir. Und ich nehme das Gefühlszeug, den ganzen Klumpen mit diesen Sachen,die ich ja doch nie aussprechen oder gar zeigen kann, trage ihn ganz weit weg und vergrabe ihn mehrere Meter tief im Boden, um sicher zu gehen,dass er nicht wieder rauskommt, auch,wenn er schreit.
Bis die Blondinenfraktion auftaucht, habe ich ihn fertig vergraben und bin schon wieder da, und sie merken nicht,dass da was fehlt; so höre ich mir die üblichen Beziehungsgeschichten und Lebensdramen an,lächle an den passenden Stellen, bin aber geistig irgendwie gelähmt.
Und das Herz, das ist auch ruhig; da ist nicht einmal Genervtsein, da ist einfach garnichts.

Solange der Schmerz bei der Leere fehlt, werde ich sie wohl kultivieren.
Ich kultiviere die Leere, während ich darauf warte, dass ich endgültig zusammenbreche und/oder/weil der Gefühlsklumpen doch irgendwie wieder freikommt..


Die alte Sache sagte mal,faszinierend an mir sei unter anderem, dass ich es schaffen würde, andere Leute zu stützen, obwohl mir selbst jegliche Stabilität fehlt.