Donnerstag, 5. April 2012

siouxsie and the banshees - passenger von aosonho

Vatersfreundin wieder da, alles wieder beim Alten.
War ja absehbar.
Vom Solariumfan eine Einladung bekommen, die alles ändern kann.
Überraschend.
Mit Kriemhild deswegen gestern Abend gesprochen, Zusage bekommen.
Aufbauend.
Heute ein Anruf von ihr, sie benötige mehere Stunden, um sich zurechtzumachen,folglich müsse sie bereits nachmittags anfangen, um rechtzeitig zur Abfahrt an dem Abend, der alles ändern kann, fertig zu sein. Nee, das ginge ja wohl gar nicht.
War absehbar.
Sie könne aber mal mit ihren Eltern reden, ob die ihrer volljährigen Tochter erlauben würden, sich zwei Stunden früher als im Normalfall zu schminken. Sie wird mich noch zurückrufen, angeblich.
Lächerliche Ausrede. Werde sie wohl selbst anrufen und mir dann ziemlich sicher eine Absage anhören müssen.
Aber war ja vorhersehbar.


Draußen Aprilwetter, im Hause Mayhem immernoch Sturm und Weltuntergang, as usual.
Das Schicksal lässt die Puppen tanzen, aber es ist kein guter Puppenspieler, sondern einer mit Koordinations-, eventuell auch Suchtproblemen und aufgestauten Aggressionen, die das Miststück ausnahmslos an seinen Spielfiguren auszulassen scheint.
Laufe also immernoch orientierungslos über die Bühnenbretter, stolpere manchmal, falle mit schöner Regelmäßigkeit relativ schlimm auf die Fresse und gehe gelegentlich verloren, entweder in der großen Welt da draußen oder in meinem Gedankenmahlstrom.
Vielleicht sollte ich deswegen verzweifeln; oder ich bin es schon längst, ohne es gemerkt zu haben.

Singing...
Aber selbst, wenn es so ist; wenn ich verzweifelt und verloren bin.. sollte es mir etwas machen? Sollte ich resignieren?
Meinem Beinahe-optimismus , meiner vermutlichen Naivität und meiner eventuell vorhandenen Trotzigkeit macht es jedenfalls nichts, und somit bleibe ich weiter davon überzeugt, dass schlussendlich alles gut wird; muss ja .
Und wenn die Welt schon untergeht, oder wenn ich untergehe, sehe ich dabei wenigstens gut aus läuft bei mir wenigstens gute Musik.

Herzlichst,
Frau mayhem.



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Ursprünglich wollte ich nur das Lied posten; statdessen ists ein (pseudo)dramatisch formulierter Weltuntergangs-Livebericht geworden.
Da sieht man mal, was Musik alles bewirken kann.




Dienstag, 3. April 2012
Als gestern abend die Welt unterging, saß ich gerade mit einer Tasse Tee im Fenster und beobachtete die verschwindende Sonne und die viel zu schnell vorbeirasenden Autos.
Eigentlich war es zu kalt, um in Top und Sporthose in einem Fenster zu sitzen, den Rücken am Mauerwerk, die Füße gegen die gegenüberliegende Seite gedrückt und die Beine angewinkelt, aber mir war nach Imfenstersitzen gewesen, und zumindest meine Tasse war warm.
Eine bunte Tasse war es, fröhlich-grün mit dicken, zufrieden-gelben Comickatzen drauf, meine Mutter hatte sie mal gratis bekommen und ich hatte die dicken gelben Comickatzen zusammen mit rosa-roten Schafen und orangen Hunden vor dem Tod durch lebendiges Begraben in der Restmülltonne gerettet, indem ich mich weigerte, sie rauszurücken.
Das rationale Argument "Wir brauchen auch Tassen, in die mehr als 200ml reinpassen" hatte schließlich gezogen und so konnte ich auf der Fensterbank sitzen und aus der Tasse, die eigentlich nicht einmal schön war, warmen Tee bei frostigen Spätabendtemperaturen trinken, als die Welt unterging.

Ich habe nicht sofort realisiert, dass die Welt unterging, als das Telefon klingelte; sicher, das Bauchgefühl deutete sowas dezent an, aber ich verlasse mich nicht immer darauf; und richtige Vorzeichen gab es ja keine, selbst der Kater döste weiter auf dem Sitzplatz meines Vaters, so war ich dann auch relativ unvorbereitet, als mir nach Abheben des Telefons unkontrolliertes Schniefen und Schluchzen entgegenschallte.
Ein Blick aufs Display enthüllte, dass es sich bei dem schniefenden Etwas um die Vatersfreundin handelte, die, nachdem sie mich beinahe eine Minute angeschluchzt hatte, wieder etwas ruhiger wurde, soweit man bei ihr eben von "ruhig" sprechen kann.
"Wollte dir nur sagen,dass ich dich und die Katze jederzeit abhol, wenns dir zu viel wird, musst nur anrufen!"
.Sicher, und nur deswegen rufst du an und heulst mir derart schlimm durchs Telefon, dass ich Angst haben muss, dass du die ganze Wohnung unter Wasser setzt. ... Mir schwante Böses.
-"Danke. Darf man fragen,was los ist, weil du weinst?"
Tja,und dann ging auf einmal die Welt unter.
Mein Vater, dieser furchtbare Mensch, legte die Vatersfreundin los und zählte alles auf, all die Eigenschaften, die er nun einmal hat, deren Ursprung und Verwurzelung in all dem, was war, ich ihr so oft erklärt habe, die sie immer nur halb wahrhaben wollte, die sie in einer Sekunde "glasklar" sieht, angeblich, und von denen sie in der nächsten nichts mehr hören wil.
Schildert es, die Probleme. Er, der keine Gefühle zeigen kann. Er, der grimmig schaut, wenn sie mit anderen Männern tanzt. Er, der nie spricht, wenn sie mit der Vatersfreundinverwandschaft unterwegs sind.
Er, der so rücksichtslos ist. Er, der so gefühlskalt ist.
Er, der immer denkt, seine Meinung sei die einzig richtige.
Er, der nichts mehr von seiner Tochter wissen will.
Er, der davon ausgeht, dass nur er selbst Ahnung hat.
Er, der nicht auf die Idee kommt, dass andere Menschen auch einmal etwas sinnvolles sagen könnten.
Er, der so in diesen verkrusteten Denkmustern festklebt, die ihm als Kind eingeprügelt wurden.
Und vor lauter traditionsbedingter Blindheit nicht sieht, dass sie falsch sind.
Sie redete und redete, die Vatersfreundin, und erzählte mir dabei all das,was ich sowieso schon wusste.
Was sie hätte sehen können, hätte sie es wahrhaben wollen, eine Sekunde lang nachgedacht, oder zugehört, wenn in einer ihrer gerne einberufenen und mittendrin mit einem "und ab jetzt wird alles anders" vorzeitig abgebrochenen Krisensitzungen all das von mir thematisiert wurde,leise zwar, aber so, dass sie es hören konnte, und er auch.
Man hätte es hören und verstehen können, hätte man mich ausreden lassen. Hätte er mich ausreden lassen,ohne böse zu lachen,
hätte sie mich ausreden lassen, ohne in ihre pathetische und zu laute Wortkannonade zu fallen, hätte es uns vielleicht den Weltuntergang erspart.

Eigentlich war es kein unvorhersehbarer Weltuntergang, wir hatten das in letzter Zeit öfter.
Sicher, es steigerte sich, aber die Vatersfreundin hatte in letzter Zeit schon mehrmals an meiner Schulter gejammert und mir ihr Leid geklagt, und so oft hatte sie, wie beim Weltuntergang auch, hochdramatisch ausgerufen, sie halte das alles nicht mehr aus.
Im letzten Weltuntergang sagte sie es.
Sagte, sie würde das ja nicht länger aushalten, in unserem Haus müsse man ja anfangen, zu trinken.
Ich hätte ihr am liebsten durch die Telefonleitung hindurch einen Tritt ins Gesicht verpasst, und zwar mit Stiefeln.
Unterließ es aber, statdessen ließ ich sie weiter den Raum mit ihrer Verzweiflung fluten,einfach weiter, bis es ihr dann wirklich etwas besser ging.
Wenn ich das irgendwann nicht mehr aushalte in den Ferien,kann ich zu ihr, betonte sie wieder.
Ich musste lachen. Vatersfreundin, ich halte das seit fünf Jahren nicht mehr aus. Und davor habe ich es so lange nicht mehr ausgehalten, wie mein Gedächtnis zurückreicht.
Habe es laut gesagt. Einfach so.
Ja, da könnte ich wohl recht haben, sagte sie. Scheint es langsam einzusehen, nach diesen vielen Monaten.
Man kann kaputte Vasen zusammenkleben, sodass sie fast wieder wie neu aussehen, aber keine kaputten Menschen.
Umtauschen kann man sie auch nicht, also bleiben notdürftige Reparatur oder einfach liegenlassen als einzige Optionen.
Ich weiß nicht, welche ich gerade mit mir praktiziere.
"Vatersfreundin, mein Papa ist kaputt. Physisch kaputt und psychisch kaputt. Ich bin es auch", werfe ich ihr entgegen.
-"Ja, da hast du recht. Und der macht sich ja immer kaputter, immer kaputter macht er sich, immer nur Arbeit, und sein beschissenes Rotes Kreuz da. Sind ja alle immer wichtiger als die Familie.Kein Wunder, dass der kaputt ist."
"Du bist es auch." Kaputte Menschen finden sich immer gegenseitig.
Sie schluckte hörbar und setze anscheinend schon zu einer Erwiderung an, entschied sich dann aber für ein "Vielleicht hast du Recht" und ging dann dazu über, mir wieder zu erzählen, von ihrer Kindheit und von ihrem toten Mann.
Und wieder, dass mein Vater so einen festen Platz in ihrem Herzen habe, aber es so nicht weitergehen könne und er das nicht einsehen wolle.

Zwei Stunden lang saß ich im Fenster und hörte der Vatersfreundin und ihrem Weltuntergang zu, während die Sonne komplett verschwand und mein Tee, so wie übrigens auch mein Rücken, immer kälter wurde.
So lange hatte sie mit ihm nicht geredet, über das, was ihre Welt untergehen ließ, sagte sie. Aber so oft hätte sie es thematisiert, und nie habe er es richtig angehört.
Sie glaube, er könne sich nicht ändern.
"Doch, kann er." Da ist er wieder, mein Optimismus der Verzweifelten. "Es dauert nur".
Sie wolle aber nicht so lange warten.
"Ist er dir so wenig wert?"
Er bedeute ihr so viel..
"Dann gib ihm die Chance. Du hast von Anfang an gewusst, worauf du dich einlässt, er hat dir gesagt, worauf du dich einlässt, ich habe es dir gesagt. Du weißt, wie er erzogen worden ist und du weißt, was mit meiner Mutter war. Also musst du entweder damit klarkommen oder nicht.Wenn du es tust, dann geht es weiter, wenn nicht, musst du einen Schlussstrich ziehen."
Sie habe ihm schon mehrere Chancen gegeben.
"Manches braucht mehrere Anläufe. Er ist ja auch nicht innerhalb eines Tages zu dem geworden,was er jetzt ist".
Und da sind noch Reste von Menschlichkeit in ihm; daran glaube ich.
Da sind Reste meines Vaters, und die lasse ich nicht einfach so gehen.
Wenn sie ihn gehen lassen will, soll sie es machen, aber ich lasse ihn nicht gehen. Punkt.
Die Weltfremde, bei der sie immer putzt, habe gesagt, sie solle einen Schlussstrich ziehen, bevor es zu schwierig wird, erzählte die Vatersfreundin schließlich. Aber es sei so schwer.
-"Lieben tut weh".
Da habe ich etwas Wahres gesagt. Ihr Mann sei auch so jemand wie mein Vater gewesen, fing sie an, und wieder wurde die Vergangenheit ausgepackt und vor mir seziert.
Man hält sich eben an vertraute Muster.

Habe mich nicht getraut, ihr zu sagen, dass wir uns im Kreis drehen, und so drehten wir uns weiter im Kreis, bis schließlich auch ihr schwindlig wurde und sie beschloss, aufzulegen, um ihr gedankenschweres Hirn zu beruhigen, schließlich müsse sie morgen arbeiten.
"Und denk dran, mein Angebot gilt!", waren ihre Abschiedsworte, dann legte sie auf.

Und ich saß in meinem Fenster, mit meinem kalten Tee in der kalten Katzentasse, dem Rücken am kalten Mauerwerk hinter mir, mit angewinkelten Beinen und dem Wissen, dass ich gerade keinen Weltuntergang verhindert, aber die Wucht abgedämpft hatte.
Wie schon so oft.

Kaputte Menschen finden sich früher oder später.Immer. Und kollidieren. Und gehen weiter kaputt. Finden sich wieder. Kollidieren.
Das ewig gleiche Spiel, mit Folgeschäden, die sich Runde um Runde immer mehr steigern, und eine Möglichkeit zum Aussteigen gibt es nicht, auch nicht bei Totalschaden; manchmal glaube ich, irgendjemand mit einem sehr makaberen Humor hat mir die Mechanikermütze aufgesetzt.
Aber ich kann da nichts reparieren, weil nichts mehr übrig ist, das man reparieren könnte; also mache ich das, was sie uns auch beibringen für draußen, für den Ernstfall: Nicht sagen, das ist jetzt dein Ende, nicht sagen, du wist wieder völlig gesund, sondern da sein.
Dasein und sagen, dass alles gut wird, irgendwie.

Mehr kann ich doch auch nicht..




Sonntag, 1. April 2012
Der Abend eine Zeitrafferaufnahme, man sieht alles im Schnelldurchlauf.Sieht mich, wie ich vom Bahnhof zur Absteige laufe, alleine, weil Kriemhild Pärchen ist, vor der Absteige sie treffe, die mich zur Begrüßung umarmt, später die Feindin, die dasselbe tut, und bei genauem Hinsehen auch,dass ich immernoch Probleme mit Umarmungen habe.Später das Eintreffen des Solariumfans, den ich noch von früher kenne und pflichtbewusst zurückbegrüße, als er mich in der Menge sichtet und ein herzliches "Heeeey, mayhem!" quer durch die Absteige hallen lässt.
Wir reden ein bisschen, über Solarium und Sport und Slipknot, und dann steht da auf einmal der Schlagzeuger neben dem Solariumfan.Mein Herz bleibt fast stehen vor Schock, dann hole ich tief Luft und es fängt wieder an, deutlich zu schlagen, immer schneller schlägt es und immer lauter, lauter, als der Evilmetalbruder später auf sein Schlagzeug eindreschen wird, und ich lasse das Herz vor sich hin schlagen, nehme meinen ganzen Mut zusammen und lächle unsicher den Schlagzeuger an. Es dauert einen winzigen Moment, dann lächelt er ebenso verunsichert zurück.Die Zeitrafferaufnahme bleibt in dieser Sekunde kurz stehen, so, wie es meine kleine Welt in diesem Moment tat.Dann raste der Zeitraffer noch schneller weiter, so, wie das Blümchenkleid tragende Etwas, das aus dem Nichts auf den Schlagzeuger zuschoss,ihm um den Hals fiel und von ihm freudestrahlend umarmt wurde.Das Etwas blieb an seine Brust gelehnt bei uns stehen. Es trug ockerfarbene Omaschuhe, eine beige Strickjacke, ein weiß-blaues Blümchenkleid, Echtlederhandtäschchen, eine Nerdbrille und stellte sich spätestens, als er versuchte, sie zu Küssen und sie sich gekünstelt und von Gekichere begleitet zierte, als seine Freundin heraus.
Da ist man mal ein paar Wochenenden nicht in der Absteige, weil auf den letzten Drücker Absagen kommen, und dann sowas.
Ich verabschiede mich vom Solariumfan, stelle mich wieder zur Feindin und zu ihr und schaue gelegentlich wieder zum Schlagzeuger und dem Etwas. Während es allgemein sehr anhänglich zu sein scheint und prinzipiell jeden umarmt, scheint es zum Schlagzeuger wirklich eine besondere Bindung zu haben, dann und wann legt er seinen Arm um ihre Taille oder nähert sich ihr anderweitig und wirkt dabei genauso unbeholfen, wie es das Problem auch immer ist, wenn es um öffentliche Zuneigungsbekundungen geht.
Die, die besser ist als ich, trägt Nerdbrille und Omaschuhe.Was Blümchenkleider betrifft, lasse ich ja noch mit mir diskutieren. Aber die Schuhe. Die Brille. Ihre furchtbar laute, furchtbar quietschig-quirlig-kindische Art. Wäre Faust jetzt da, er würde sie ansprechen. "Ich werde Arzt, ich kann dir vielleicht helfen. Beruhigungsmittel darf ich dir offiziell noch nicht verschreiben, aber ein gut platzierter Hammerschlag hat schon vieles wieder in Ordnung gebracht", würde er sagen, wenn er betrunken ist, macht er sowas, und manchmal auch, wenn er nüchtern ist.Danach würden "wir" eine rauchen gehen, er würde vielleicht erkennen, was los ist, und mir erklären,dass Männer alle scheiße sind. Und Frauen auch. Und ich am besten einsame, verzweifelte Autorin werden solle.Das erklärt er mir meistens, wenn "wir" rauchen und sein Gefühl ihm sagt, dass es mir schon deutlich besser ging.
Aber Faust ist nicht da, und auch, wenn ich an diesem Abend ein richtiges Zugehörigkeitsgefühl habe, wird es von einem benerdbrillten Etwas überschattet. Mein Verstand, das miese Schwein, lacht mich höhnisch aus. Hätte den Schlagzeuger früher ansprechen sollen, viel früher. Auch,wenn da gar keine Chance zum Ansprechen war und die Situation nicht gepasst hat; hätte es einfach machen sollen, so, wie die Nachbarin das auch immer macht, bei ihr scheint es doch zu funktionieren...
Wie es denn eigentlich aussähe, frage ich mein Herz, was der Schlagzeuger denn jetzt bedeuten würde, und ob er denn etwas bedeutet.Es schweigt beharrlich.
Aber schlecht fühlt es sich an.Nicht so richtig schlimm,kein Liebeskummerweltuntergang, aber schlecht. Schlecht und etwas traurig.
Weitere Bands rasen vorbei, die selbe Veranstaltung wie damals vor einem Jahr, und auf einmal steht wieder die selbe Popband da, wie vor einem Jahr, und in der ersten Reihe bildet sich die Front der Indiekinder, unter ihnen auch das Omaschühchen-Nerdbrillenmädchen, das sich vorhin, als die Metalband vor sich hinschrie und ihr Freund in der ersten Reihe gestanden hatte, nach draußen verzogen hatte, und sie fangen an, zu tanzen, die Indiekinder; jedenfalls tun sie etwas, das sie wohl für tanzen halten. Da sehe ich Windmühlenbewegungen, aufderStellehüpfen, sehr viel spastische Zuckungen und Kombinationen aus diesen drei Komponenten; das Etwas tut so, als würde es auf einem Laufband rennen und schlägt sich dabei fast die Füße in den Arsch, so sehr zieht sie die Beine dabei an; als der Refrain gespielt wird, vollzieht sie dazu sogar noch die Windmühlenarmbewegung.Das ist also die, die besser ist als ich.Mein Blick wandert zum Evilmetalbruder, der zusammen mit den anderen bösen Metalmenschen ein Stück entfernt von mir steht und das Geschehen sehr grimmig beobachtet.Dann sieht er mich, unsere Blicke treffen sich und ein Teil der bösen Metalmenschen und ich, wir tun das einzig Vernünftige, das, was wir schon letztes Jahr getan hatten: Wir schubsen uns unseren Weg in die erste Reihe frei, zwischen die abspackenden Indiekinder, und fangen an, zu bangen.Synchron und gut koordiniert, als hätten wir das schon Monate im Voraus trainiert. Die passiv am Rand stehenden Mitglieder der Metalfront sind begeistert, andere dem Indiepop eher skeptisch gegenüberstehende Absteigenbesucher ebenfalls.
Und wieder einmal haben mayhem and the metalheads den Tag gerettet. (Sie müssen sich jetzt amerikanische Happy-End-Filmmusik zu diesem Satz denken).
Als wir kurz Pause machen (auch gut trainierte Nackenmuskeln wie die der Metalmenschen brauchen immer mal Ruhe), wirkt die Band auf der Bühne nicht ganz so irritiert wie die Indiekinder um uns herum, aber schließlich machten letztere das ja auch zum ersten Mal mit.Der Evilmetalbruder grinst mich an, legt einen Arm um meine Schultern und wir setzen zur letzten Runde an, bei der er es schafft, dem Etwas sein Haar ins Gesicht zu klatschen, wie wir später feststellen, als sie uns angeekelt anstarrt und mit einer Indiefreundin tuschelt.Vielleicht liegt es daran, dass mein Hirn gerade massiv durchgeschüttelt wurde, während eine Mischung aus Franz Ferdinand und Britney Spears aufgetreten war, aber in diesem Moment ist die Welt fast in Ordnung.
"Du siehst total kaputt aus", stellt der Evilmetalbruder sensibel wie immer fest, "Als würdste gleich von ner Brücke springen". Grinst mich an und geht, um sich ein weiteres Bier zu holen. Na danke.
Und da stehe ich alleine zwischen Indiekindern und Metalmenschen, und in diesem Moment geht gerade ein wenig die Welt unter, auch,wenn ich nicht einmal genau sagen kann, wieso.
Sie geht immernoch unter, als ich mich, nach einer weiteren Band, die ich mir wieder eher stillstehend und mit ihr plus der Feindin angehört habe, von eben diesen verabschiede und die Absteige verlasse, meinen Ausweis zurückhole und das Auto suche, das mich abholt.
Der Weltuntergang nimmt etwas an Stärke und Geschwindigkeit ab, als ich meinen treuen,eigentlich total kaputten mp3-Player einschalte und mich abwechselnd die Onkelz angröhlen, beziehungsweise Louise Attaque singen.
Und auf einmal taucht da Papa Mayhems Auto auf der Straße auf, überfährt mich fast, hält dann aber neben mir an. Das erste Mal seit langem, dass mein Vater mich abholt.Natürlich sitzt nicht er am Steuer, sondern die Vatersfreundin, und sie sagt, sie habe ihn mitgeschleift, alleine würde sie mit dem Auto nicht fahren, und fährt fort, sich in einer Tour über das unsichere Auto, meinen überarbeiteten Vater, die abgeranzte Absteige, meine langen Haare und alles mögliche aufzuregen, während mein Vater stumm auf die Straße starrt.Irgendwann fragt sie mich, wie es denn war."Ganz gut", murmle ich und will es eigentlich dabei belassen, entscheide mich dann aber dafür, zur Abwechslung mehr als das zu sagen, " Wollte jemanden ansprechen, der mir schon vor ein paar Konzerten aufgefallen ist, hab mich sogar getraut, den anzulächeln, blöderweise hat ihn dann seine Freundin halb übern Haufen gerannt und ich dachte mir, ok, das mit dem Ansprechen lasse ich lieber".
Und das Rotkreuzmädchen war auch nicht da.
-"Das is ja scheiße. Ach, dann versuchs doch mal mitm Egon, du warst ja bei der Hochzeit nicht da, aber das ist so ein netter...", setzt die Vatersfreundin an und schafft es tatsächlich, die ganze Fahrt durchzuquatschen,während Papa Mayhem schweigend auf die Straße starrt und ich schweigend die vorbeiziehenden Häuser beobachte.
Das ist also das Ende der Schlagzeugergeschichte.
Kein gemeinsames Happy End(wie kitschig das klingt), aber zumindest einer von uns beiden ist glücklich.Meine ach-so-tolle Bekanntschaft durfte er nicht so wirlich machen, dafür weiß ich jetzt, dass er genauso toll lächeln kann wie das Problem (sie sind ja auch verwandt) und sich, trotz Interesse an langhaarigen, tätowierten und musikbegeisterten Menschen, genauso wie das Problem im Ernstfall für ein wandelndes H&M-Prospekt mit Nerdbrille,seltsamemTanzstil und Indielifestyle entscheidet.
Da kann ich, bekampfstiefelt, wie ich nunmal normalerweise bin, mit einem musikalischen Schwerpunkt im lauten und einem anderen im seltsamen Bereich und einer Tanzmotivation, die im Normalfall der eines Elefanten auf Valium gleicht, eben einfach nicht mithalten.
Ich trage ja nicht einmal eine Nerdbrille.
Weshalb ich mich selbstverständlich bei jedem Blick in den Spiegel aufs Neue ganz furchtbar schäme.




Freitag, 30. März 2012
Thema: monolog

Spätestens jetzt kann man bei meiner Verbindung zu dieser Musik von "Liebe" sprechen.


Heute ein Anruf der kleinen Schwester der ehemaligen Busnebensitzerin,
deren Freund hat Schluss gemacht und die Schwester hat Angst um sie.
Wo sie jetzt ist? Erstmal wieder daheim.
Ich sofort los, durchs ganze Dorf, vorbei an Leuten, die sehr seltsam dreinblickten, wie ich da so in Jogginghose und bösem Metalbandpullover halb rannte.
Stand dann vor ihr, ich zerzaust vom Weg, sie zerzaust und verweint, und schwarze Schlieren zogen sich über ihr ganzes Gesicht, vom Kajal und vom Weinen.
Stand da vor mir, in ihrer Tür, und ich habe sie in den Arm genommen.
Da standen wir, ohne ein Wort, und sie hat geweint und ich sie festgehalten und trotz der Entfremdung und ihrer schwierigen Art, die mich in der Vergangenheit so sehr belastet hatte, blieb ich bei ihr und ließ sie traurig sein und jammern und weinen, bis es ihr besser ging. Ohne zu äußern,was ich mir dachte; dass es vorhersehbar war; dass ich mir denken konnte, warum Schluss war,
das alles.
Weil wir einmal Freunde waren, und ich ihr das nicht vergessen werde, egal,was passiert.

Wieder zuhause ein Anruf der Vatersfreundin, die sich vor kurzem zum wiederholten Mal so sehr mit ihm gestritten hatte, dass sie nicht wieder herkommen mag.Sagte sie.
In einer Sekunde war ich Schuld, in einer anderen er, und aktuell hatte sie mal wieder eine ihrer Kontaktabbruchsphasen abgebrochen, er fuhr wieder zu ihr und nicht mehr nur sie zu uns.
Eine Einladung sprach sie aus, ich könne einen Teil meiner Ferien mit Katze bei ihr verbringen.
Mein Vater würde sie zur Zeit so furchtbar ankotzen, sie könne verstehen,wenn der mich nerve, aber ich sei ja eigentlich auch nicht besser.
Könne trotzdem mit Katze vorbeikommen, es würde allerdings schwierig für sie werden, immer die Türen hinter sich zu schließen,damit das Tier nicht auf die Straße läuft.
Wenn doch, sei es ja nur eine Katze. Ich solle es mir überlegen und Bescheid sagen, das Gästezimmer sei frei.
Ich habe abgelehnt.

Keine Flucht.
Und kein Ausweg.

Wir haben heute die Trümmer unserer aufgelösten Vater-Tochter-Bindung in Stein gemauert.
Saßen so nebeneinander auf dem Sofa und konnten einfach nichts sagen.
Schwiegen uns an, irgendwann setzte er seine Arbeit an der Flurbeleuchtung fort, und selbst die damit verbundene Konversation fiel uns schwer, so schwer, dass er sich seinen Schraubenzieher und die Leiter selbst holte, ohne ein Wort zu sagen, und obwohl ich direkt daneben stand.
So schwer fiel uns die Konversation, so unmöglich war es uns zwei Fremden, zu reden, dass ich ihm nicht erzählt habe, dass die Biologienote sich stabilisiert, so, wie die anderen Fächer auch, dass die 1,8 in Reichweite rücken,wenn es so weitergeht, und es vielleicht sogar 1,6 werden könnten, wenn ein Wunder geschieht und ich es durchhalte bis zum Schluss, dass ich nicht erzählt habe, dass seine Freundin mir angeboten hat, in den Ferien eine Weile bei ihr zu bleiben; dass ich nicht erzählt habe, dass ich wieder auf der Grenze balanciere wie ein Seiltänzer.
Ohne Sicherheitsnetz.


Das alles hier findet ohne Sicherheitsnetz statt, ohne Bungeeseil, das einen wieder hochzieht, ohne Geländer neben oder Trampolin unter einem, ohne Sportmatten, die den Aufprall dämpfen, ohne Halt.

Nichts und niemand, das oder der einen hält.
Mich nicht, ich balanciere alleine, und mein Gleichgewichtssinn ist in etwa so gut ausgeprägt wie mein räumliches Vorstellungsvermögen, also quasi nicht vorhanden.
Den Fremden nicht, er balanciert alleine, und er schwankt schlimmer als eine Weide im Wind.
Papa Mayhem nicht, der nur deshalb noch nicht gefallen und am Boden zerschellt ist, weil er sich trotzig und grimmig einfach weigert, so, wie ich.

Man kann sich wohl nur selbst Halt geben.
Vielleicht ist es ja das, was Erwachsensein bedeutet; dass man sich selbst festhalten muss, weil es sonst nichts und niemand kann.
Etwas kann dir Halt geben, aber festhalten musst du dich selbst.
Und der Halt, der so stabil scheint, dass man sich auf ihn stützt, bröselt schneller weg, als man sich umsehen kann, und dann stolpert man.
Ich stolpere wohl öfter als andere Menschen
und jedes Mal ein bisschen schlimmer.


Trotzdem war ich da, als die ehemalige Busnebensitzerin um ihre vergangene Beziehung trauerte, als die Vatersfreundin um ihren gestorbenen Mann trauerte und sich über Papa Mayhem beschwerte;
als mein mir fremder Vater und ich uns wieder anschwiegen.
Vielleicht findet er es ja doch wieder; irgendeinen Grund, mich wieder als seine Tochter anzusehen.
Vielleicht finde ich einen Grund, mich wieder wie seine Tochter zu fühlen.
Ich will nicht vaterlos durch mein Leben laufen,solange er noch da ist.
Aber vermutlich tue ich es bereits.

Laufe da vaterlos durch, ohne Plan, aber mit dem Optimismus der Verzweifelten, wie Faust sagte, und halte mich an meinem Glauben, dass alles gut werden wird, fest, während das alles an mir vorbeizieht, eigene Trennungen, andere Trennungen, immer wieder der Tod, der schon jetzt laufende Kampf für die Zahl, die Unis davon überzeugt, dass ich fürs Studium geeignet bin, die Entfremdung, verschwindene Freundschaften, Absteigenkonzerte, Einsätze und Absicherungen, Führerschein, die Seminararbeit, das Wiederauftauchen der ehemaligen Busnebensitzerin, Berlin, Prag.

Der Kopf ist voll, doch das Herz ist so leer..