Sonntag, 9. September 2012
Dieses Wochenende: Verunsicherung und Distanz.
Verwirrung, alleine mit dem Raucher im Kino gewesen.
Dann Besuch beim schwer angetrunkenen Fremden, der vom Fangirlie belagert wurde. Eifersucht, weil er sich nicht gewehrt hat.
Dann Samstag, Planungsverhedderungen, Ghettoschwesterdrama, schließlich doch alles ok.
Verunsicherung, ob angebracht oder nicht, weiß man nicht.
Distanz, weil nicht immer ich den ersten Schritt machen will.

Warten in seinem Zimmer, sein Stiefvater hasst mich und ich bin konfliktscheu, außerdem sitze ich nicht gerne mit fast heilen Familien, die ich nicht kenne, am Essenstisch.


Der Entschluss, es ihm zu sagen.
Heute morgen, als ich auf seinen Rücken gestarrt habe.
In meinem Kopf die Suche nach Worten.
Das Warten auf den richtigen Moment.
Die Angst.


Ich weiß nicht, ob es das wert ist.
Den kompletten Samstag mit dem Raucher verbracht, pärchenhaft, mit ankuscheln, und es war auch richtig. Aber ich bin nicht wegen dem Raucher hier.
Und wir haben geredet, wieder, und vielleicht ist es Freundschaft Plus, und vielleicht wäre es mit dem Raucher viel einfacher,
aber ich will nicht den Raucher, zumindest nicht auf diese Art und Weise, sondern den Fremden.

Und wenn der Moment heute kommt, dann sage ich ihm das.




Montag, 3. September 2012
"Das schaffe ich nie rechtzeitig!"
-"Oh doch, das schaffst du."
Während die Nachbarin sich schminkt und ihren neuesten Haarschnitt, Modell "klassische Igelfrisur in weißblond-pink", zurechtföhnt, packe ich nach ihren Anweisungen das Wichtigste in ihre Hand-, bzw. Umhängetasche, und wir schaffen es tatsächlich, den einzigen Bus Richtung Kleinstadt zu erwischen, obwohl sie bis vor 10 Minuten noch gesagt hat , dass sie nicht mitfahren wird, zu wenig Zeit zum aufhübschen.
Sitzen ganz cool in der letzten, bzw. in meinem Fall vorletzten Reihe des Busses, die Sonne wärmt uns das Gesicht und ich denke mir, alles wird gut.
Auch, wenn es nichts wird mit dem Fremden, so viele Freundschaften und Menschen verloren gegangen sind, ich so viele Macken und Kratzer mitgenommen habe und sich mal wieder ein epischer Weltuntergang am familiären Horizont abzeichnet.
Alles wird gut, zumindest für heute Abend.

Wir werden nicht vom Raucher allein abgeholt, auch die Ghettoschwester und der Fremde sitzen mit im Auto und scheinen sich beide zu freuen, mich zu sehen. Ja, beide.
Kleines Positivgefühl, das sich wieder verflüchtigt, als es, während wir im Supermarkt an der Kasse stehen, bei ihnen wieder so losgeht, wie es aufgehört hat.
Ich beschließe, mir nicht den Abend versauen zu lassen, den Fremden notfalls komplet zu ignorieren, die Band zu unterstützen, die anderen zu feiern und trotz Frust und dem Wissen,dass ich es könnte, nichts mit dem Raucher zu machen, was ich später bereuen werde.
Alles wird gut, auch, wenn es sich gerade wieder nach "aufgefressen werden vom eigenen Seelenmalstrom" anfühlt.

"Ach, du bist süß!" Die Ghettoschwester umarmt mich.
"Ich red auf jeden Fall nochmal mit ihm und pass auch mehr auf, und ich wünsch euch echt, dass das was wird. Er ist ja auch mein bester Freund, und es wär echt schön, wenn er mal ne glückliche, gute Beziehung hätte und ich glaub das hätte er mit dir."
Stehen vor dem Klowagen und müssen beide erstmal verdauen, was die jeweils andere gesagt hat.
Sie, dass ich sie über die Sache mit dem Fremden ins Bild gesetzt und meine Meinung zu ihrem Verhalten kundgetan habe,
ich, dass sie schon geahnt hat, dass der Fremde mein Herz hat, das total toll findet, der Meinung ist, dass ich gut zu ihm passe und mir helfen will.
Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich sie nüchtern erlebe.
Vielleicht sollte ich sie öfter abfangen, bevor sie sich betrinkt.
"Aber echt, ich glaub schon,dass das was wird. Er ist halt total schüchtern, aber man kann mit ihm auch über sowas reden, vielleicht musst du das mal machen."
-"Ja, hatte ich irgendwann vor. Aber nicht heute. Eigentlich bin ich auch nicht das Selbstbewusstsein in Person, du glaubst nicht, wie oft ich wegen ihm schon über meinen Schatten springen musste.."
"Ich kanns mir glaub ich denken. Also, ich hab ja gemerkt, dass du eigentlich auch schüchtern bist, sowas bekomm sogar ich mit." Sie lacht und zieht an ihrer Zigarette.
Es ist wirklich das erste Mal, dass ich sie nüchtern erlebe.
Könnte man sich dran gewöhnen.

Es folgt der Auftritt, und da stehen die Nachbarin, anfangs auch die Ghettoschwester, ihre Exfreundin, der Klischeeblackmetalfan und ich vor der Bühne, ganz alleine, der Rest hat sich in die Bar und an den Rand verzogen, und ich versuche irgendwie von hier unten aus, die Unsicherheit des Rauchers, der als ein einziges Nervenbündel auf die Bühne geschwankt ist, zu vertreiben, denn das, was sie machen, machen sie wirklich gut. Dabei ist es der Fremde, der mit dem Publikum spricht und versucht, es zu motivieren, weil der Raucher vor lauter Nervosität so sehr zittert, dass er einmal beinahe das Mikrophon fallen lässt; verkehrte Welt.

Es ist auch der Fremde, der nach dem Auftritt auf einmal verschwunden ist, zusammen mit der Ghettoschwester und ohne uns Bescheid zu sagen. Der KBM, der zwischendurch mit der Ghettoschwester verschwunden war, lacht. "Die liegen bestimmt im Gebüsch, die Ghettoschwester is voll zugekifft und übelst rattig!"
Vielen Dank auch.
Ein Anruf des Schlagzeugers, der noch mit einer anderen Band aufgetreten ist und bei kuschligen neun Grad gerne seine frischen Klamotten, die im Auto des Fremden lagern, angezogen hätte, ergibt,dass sie bei einem Fangirl auf Geburtstagsfeier sind.
Wiederkommen finden sie wohl überbewertet, irgendwann will der Schlagzeuger auflegen und da ist wieder dieses Gefühl, verloren zu sein..
Sometimes all you have to do is forget what you feel and remember what you deserve.
"Gib mir mal das Handy", bitte ich ihn, während der Raucher, inzwischen wieder Nervenbündel, seinen Kopf an meiner Schulter ablegt.
Am anderen Ende der Leitung das tosende Partyleben. Ich hasse sie alle.
"Fremder, bist du noch da? Ich bins, mayhem."
-"Ja, noch da. Was ist los?"
"Ich glaube, das weißt du selbst. " Schnauben am anderen Ende der Leitung. "Mir egal, wie scheiße du das jetzt findest. Weißt du, was ich scheiße finde? Seine Band einfach alleine zu lassen, ohne ein Wort abzuhauen, nach dem Unfall so gut wie besoffen noch Auto zu fahren, während sich dein Schlagzeuger in seinem nassgeschwitzten Zeug eine Lungenentzündung holt und dein Sänger fast zusammenbricht, nur, um auf so einer beknackten Geburtstagsfeier zu sein, bei der du schon vor vier Wochen absagen wolltest.
Ist ja nicht das erste Mal, das sowas kommt, und ja, ich bin enttäuscht, aber diesmal bin ich auch sauer und damit nicht allein. Glückwunsch, du hasts geschafft". Haue ihm das so ins Gesicht und lege dann auf. Der Schlagzeuger küsst mich auf die Wange, der KBM lacht zugedröhnt und der Raucher drückt mich an sich. Vermutlich müssen meine Nerven heute für uns beide reichen.

Zwanzig Minuten später hätte ich fast mit dem Raucher rumgemacht, habe mich sehr knapp, aber erfolgreich beherrscht, das schlechte Gewissen vergeblich gesucht und der Fremde ist wieder da, mit der Ghettoschwester, die auf dem Beifahrersitz hängt, alles lustig findet, leicht bläulich angelaufen ist und an der Grenze zur Bewusstlosigkeit tanzt.
"Wenn du jetzt ohnmächtig wirst, bekommst du massive Probleme mit mir, Mädchen, das sag ich dir!", schimpfe ich sie, während ich den Sitz in eine bessere Position bringe, sie in eine Decke und meine Jacke packe, das Kissen des Rauchers unter ihren Kopf stopfe und ihr meines in die Hand drücke, damit sie was zum Kuscheln hat.
Findet sie erst lustig, dann plagt sie das schlechte Gewissen.
"Du musst das nicht machen, ehrlich...das ist auch voll lieb von dir, und wieso machst du das?"
-"Passt schon. Weißt du, was du mit dem KBM geraucht hast?"
"Kräuter, hat er gesagt, nur.." Der Rest des Satzes verschwindet in Gewürge und mein Schlafkissen werde ich aufgrund akuter Angekotztheit vermutlich heute nicht mehr verwenden.
"Sie hat auch einiges getrunken, sowohl hier, als auch auf dem Geburtstag", wirft der Fremde ein, "vielleicht verträgt sich das nicht so."
Fechte so mit meinem inneren Konflikt. Notruf oder nicht Notruf, das ist die Frage..
Ich setze ihr innerlich eine Frist und sammle mich geistig schonmal soweit, dass eine effektive Informationsübermittlung im Fall der Fälle möglich ist, aber Kotzen hilft anscheinend, jedenfalls wirkt sie nur noch zugekifft und hat wieder einen Puls, der den Namen verdient, außerdem wirkt sie nicht mehr so tiefgekühlt wie vorhin(in Hotpants und Top bei 9 Grad Außentemperatur unterwegs zu sein ist aber auch nicht gerade schlau..).
Ich bewache sie noch eine Weile, esse mit ihr Kekse, die wir im Auto des Fremden gefunden haben und erzähle ihr eine Gute-Nacht-Geschichte, bis ich mir sicher bin, dass ich sie alleine und schlafen lassen kann, dann gehen wir wieder zurück aufs eigentliche Gelände, und der Fremde lässt sie tatsächlich alleine.
"Willste nicht bei der Ghettoschwester bleiben?", fragt der Schlagzeuger halb humorvoll, halb ernst gemeint.
-"Ach, die kommt schon klar."

Bands und Menschen rasen vorbei, es hagelt Komplimente für die beste Band der Kleinstadt, die Nachbarin geht schlafen, der Raucher, der Fremde und ich bilden zu dritt eine Wall of Death und die Welt ist schön, bis der KBM dem Fremden anbietet, auch mal zu ziehen und den Raucher und mich anpöbelt, wir bräuchten gar nicht "so zu gucken".
"Wenn der sich jetzt auch noch zukifft ey...wir ham ja an der Ghettoschwester gesehen, dass das Zeug reinhaut. Und kiffen is scheiße, ich sprech aus Erfahrung", grummelt der Raucher und zündet sich noch eine Zigarette an. Die zehnte heute.
Halte mich fest daran,mir nicht den Abend vermiesen lassen zu wollen und begnüge mich damit, den Fremden kurz anzuschweigen, bis das Bedürfnis, ehrlich sein zu wollen, überhand nimmt, als er mich schon wieder so ansieht.
"Brauchst nicht so gucken, was ich davon halte, kannst du dir vermutlich denken.Aber im Endeffekt bleibts deine Entscheidung, ich bin nicht deine Mutter".

Es bleibt bei einmal ziehen, beim zweiten Angebot will er eigentlich nachgeben, wird aber durch den Raucher mehr oder weniger effektiv von der kleinen, total fertigen Gruppe, die sich inzwischen um den KBM gebildet hat, abgeschirmt, bis man ihn für die Technik braucht.
Ich tue so, als würde ich zur Bühne schauen, der Fremde sieht mich an.
Sein Blick wandert zum KBM, dann Richtung Mischpult/Raucher, dann zu mir.Schließlich steht er auf und stellt seine leere Bierflasche ab.
"Wollen wir schonmal vor, mayhem?"
Ich juble innerlich.

Als wir uns um dreiviertel fünf ins Zelt wühlen, hat es fünf Grad Plus, was, zusammen mit dem kaputten Reißverschluss meines Schlafsacks, dafür sorgt, dass ich erwäge, doch wieder zum Tonnenfeuer zu gehen und dort zu bleiben, um nicht zu erfrieren, aber als ich den Fakt, dass ich meine Füße vor Kälte nicht mehr spüre, äußere, nimmt sie der Fremde kurzerhand zwischen seine, und tatsächlich versucht er, die ganze Nacht auf dem Rücken zu schlafen, sodass mein Kopf auf seiner Brust liegen bleiben kann, und den Arm, den ich um ihn gelegt habe, hält er zwischendurch fest, und legt zwischendurch seinen anderen um mich, als wir unsere Liegeposition geringfügig ändern.
Der DJ, der die Bands abgelöst hat, lässt bis zum nächsten Morgen Musik laufen, gefühlt rutscht meine Körpertemperatur unter 35 Grad, und die Flugsaurierschmetterlinge.. ach, scheiß auf die Viecher, ich bin glücklich.
So endorphingeflasht, dass ich vermutlich zugedröhnter bin als der KBM und die Ghettoschwester zusammen, und da ist Hoffnung in meinem Kopf, richtige Hoffnung, zusammen mit dem Vorsatz, am nächsten Wochenende mit ihm zu reden.

Und die Ghettoschwester wünscht mir am nächsten Tag nochmal alles Gute für die ganze Aktion, meint, dass das bestimmt Potenzial hätte und sie sich sehr für ihn freuen würde, wenn es was wird, bedankt sich dafür, dass ich die einzige Band neben der besten Band der Kleinstadt, die ich mir anhören wollte, zugunsten der Betreuung ihrer zugekifften und davon umgehauenen Person habe sausen lassen, findet, dass ich ein toller Mensch bin und sagt, dass das schon alles werden wird.

Eine Irrfahrt an Stelle des Heimwegs (Ich hätte wissen sollen, dass man sich auf den Fremden nicht verlassen kann...auf den Raucher aber genauso wenig) später stehe ich in der Küche des Rauchers und backe mit ihm zusammen Kekse,während die Nachbarin schläft und die Ghettoschwester noch beim Fremden ist, der versprochen hat, nochmal vorbeizukommen; und tatsächlich kommt er wieder, beinahe pünktlich und mit Laptop, und wir liegen alle im Garten und schauen Wolken an, bis der KBM, wahlweise immernoch oder schon wieder zugekifft, sich neben den Fremden stellt und Anstalten macht, seine Blase auf ihn zu entleeren; die rechtzeitige Flucht gelingt gerade so, und wir ziehen es vor, noch eine Weile beim Rauchernebenmieter rumzusitzen und Musik zu hören, bis wir uns wieder in die Wohnung des Rauchers trauen und Filme schauen, generell ab da wieder entspannte Positivstimmung, ich lehne am Fremden, bis ich mich aufraffe und daheim anrufe, um ein Lebenszeichen von mir zu geben und Bescheid zu sagen, dass ich später komme.
Papa Mayhems Stimme am anderen Ende der Leitung klingt nach Weinen.
"Papa,alles ok?"
-"Wir sind bei Großvater Mayhem. Tschüss."
Aufgelegt.

Als ich mich auf der Terasse zusammenkauere und versuche, ruhig weiter zu atmen, komme ich mir furchtbar verletzlich und doof vor, und der Konflikt zwischen "eigentlich gehöre ich nicht mehr dazu" und "aber es ist meine Familie, auch,wenn nicht mehr viel davon übrig ist" wird mir gerade ein bisschen viel, aber mit was geht es mir zur Zeit denn nicht so...
Und dann das schlechte Gewissen, weil ich den anderen die entspannte Positivstimmung versaut habe.
Aber wieder, das passiert zur Zeit doch regelmäßig.. und man gewöhnt sich doch an alles, bestimmt auch irgendwann an Seelenschmerz und Weltuntergang.
Also sammle ich meinen Mut und mein Selbstbewusstsein vom Boden auf, entschuldige mich dafür, den anderen die Stimmung versaut zu haben und schaue mir weiter den koreanischen Actionfilm an, dessen Titel ich bis jetzt noch nicht kenne und den der Fremde unbedingt sehen wollte.
Zwischendurch wieder etwas anlehnen an seiner Schulter , dann nicht mehr, dafür neutral-positives Schweigen und Blicke, wenn er denkt, ich würde es nicht mitbekommen.
Alles wird gut. Ganz sicher.
Vielleicht fange ich ja an, daran zu glaubem.
Irgendwann, es ist schon seit ein paar Stunden dunkel, will die Nachbarin gehen, man verabschiedet sich mit Worten oder Umarmung, und die des Fremden fühlt sich weniger distanziert an als sonst, ich verbuche das ganz bekloppt optimistisch als "er gibt sich Mühe".
Bevor er in sein Auto steigt und wir in das des Rauchers noch dessen Frage, nächstes Wochenende alle in die Stammkneipe? Stimme, abhängig von Datum und Uhrzeit, zu; die Nachbarin verneint, der KBM, der nicht gerfragt wurde, rülpst, gröhlt ein "saufen, saufen, saufen!" und wird demzufolge wohl auch mit von der Partie sein. Der Fremde ist laut eigener Aussage dabei, wenn er keinen anderen Termin hat, er habe da eine Geburtstagsfeier im Hinterkopf. Aber er wäre gerne dabei, sagt er. Und lächelt ansatzweise.
Hachja, das Lächeln..

Muss immernoch daran denken, als ich nach Hause komme, schwer verwirrt, hungrig, total übermüdet und optisch vermutlich pretty fucked up, koche mir noch einen Tee, setze mich mit der Katze ins Fenster, schaue zum Vollmond und sage zu Kater Mayhem, weißt du was, vielleicht wird alles gut.
Der Kater guckt, wie er eben immer guckt, irgendwas zwischen verwirrt, verächtlich und neutral, und ich sage, doch wirklich, ich glaube daran.
Alles wird gut, man muss nur atmen. Einfach weiteratmen. Auch,wenn das manchmal schwieriger ist als kämpfen.




Freitag, 31. August 2012
Mit dem Raucher telefoniert, von 20 Uhr abends bis 4.30 Uhr morgens.
Um sechs stehen wir wieder auf; er, weil er auf die Arbeit muss, ich, weil die Handwerker wieder kommen.

Wir haben geredet, anfangs noch zu dritt, weil der Fremde auch da war, Bandprobe zu zweit, aber dann hat er sich auf den Heimweg gemacht und mich mit dem Raucher alleine gelassen.
Kommen auch so gut klar, und als wir über Zwischenmenschliches reden, sagt er, er findet es auch so, wie es jetzt ist, gut, mit uns. Also, Freundschaft.
Und dass er, egal, was eventuell sonst ist, diese Freundschaft gerne behalten würde.
Der Musiker hatte Recht, als er sagte, wir sind welche von den Guten.
Und auch, wenn ich eigentlich übermüdet bin und noch aus ganz anderen Gründen in einer handfesten Krise stecke, freue ich mich und bin auch ein bisschen gerührt, und für einen Moment verdrängt das die Weltuntergangsstimmung.

Aber die Weltuntergangsstimmung ist stärker, und sie hat gerade neue Nahrung bekommen, denn es wird nicht nur die Band mit Unterstützung durch Ms Golightly, die Nachbarin und mich zum Konzert fahren, nein, da werden auch noch der Metalbruder und der Klischeeblackmetalfan sein,und mitten im Geschepper und Geschrei auch die Ghettoschwester.

Richtig, die Ghettoschwester. Die der Fremde zwischendurch abholt und später auf einen Geburtstag fährt, den Geburtstag seines Fangirlies.
Zum Raucher hat er gesagt, dass er wiederkommen wird. Man zweifelt; ob zu Recht, wird sich zeigen.

Für den Raucher nach einem Gespräch mit dem Fremden und unzähligen mal mehr, mal weniger gravierenden Enttäuschungen die letzte Chance für diesen, zu beweisen, dass ihre Freundschaft ihm am Herzen liegt.

Für mich der Test, wie oft ich auf die Fresse fallen und trotzdem so weitermachen kann,
und wie lange meine Hoffnung eigentlich hält.
Wann es mich wirklich in den Abgrund reißt, ohne wieder Aufstehen.
Nah dran, näher als sonst.
Aber das Gefühl habe ich jedes Mal. Und jedes Mal fühlt es sich schlimmer an als sonst, muss ich überhaupt noch erwähnen,dass es das ist?
Es tut weh, es zerreißt mich, es überlastet mich, ich weiß nicht, was ich und wie ich noch weitermachen soll.
Das Übliche.

Für mich davon abgesehen eine Chance.
Insgesamt drei Bands, die gerne Fotos hätten, eine davon nicht nur hier bei uns einigermaßen bekannt.
Eigentlich auch mal wieder eine nicht funktionstüchtige Kamera, aber wenn ich sie bis morgen zum Laufen bringe, kann ich Bilder machen, und was für welche ich dann machen werde, da werden sie alle gucken, jawohl.
Die kleine Samsung und ich, wir schaffen das.

Außerdem eine Herausforderung.
So viele fremde Menschen,so viel personifizierte Feierlaune in Form der Ghettoschwester, der Nachbarin und auch Ms Golightlys um mich herum; so viel Unsicherheit in mir drin.
Normalerweise alles Gründe, daheim zu bleiben, oder Kriemhild in die Absteige zu begleiten,wie früher; aber es ist nicht wie früher, da sind andere Leute, die auch irgendwie Freunde sind, und außerdem habe ich gerade keine Zeit, mich von meinen eigentlichen Ängsten überrennen zu lassen, also sehe ich es als Herausforderung, die es zu schaffen/meistern gilt, und werde dabei ironischerweise von den anderen Ängsten, der Unsicherheit, fest im Schraubstockgriff gehalten.

So viele ernsthafte Gespräche geplant.
Ich mit der Ghettoschwester. Weil ich es ihr sage, todesmutig, in der Hoffnung, dass sie Rücksicht nimmt, irgendwie.
Der Raucher mit dem Fremden. Weil er sich Sorgen macht, er weiß doch, was zuviel trinken mit einem machen kann, sagt er; und weil der Unfallfahrer des Autos, von dem wir dachten, es sei das des Fremden, gestorben ist. 21 oder 22 müsste er gewesen sein. Vor drei Jahren auf dem Rummel gesehen, zwischendurch nochmal über den Weg gelaufen, abgeheftet, kennt man nicht mehr.
Jetzt die Meldung, dass er gestorben ist.

Ms Golightly mit dem Fremden.
Weil ich erst Klartext geredet habe und sie es jetzt versucht, unabbringbar in ihrem Trotz und ihrer Gereiztheit durch de Situation und mein Leid; die letzte Hoffnung kommt von außen, in dem Fall der Hinweis , dass er sich, bei allem Interesse, das ich vermutlich habe (hören Sie mein verzweifelt-irrsinniges Lachen bei "vermutlich"?), mal zusammenreißen und auch mal was sagen/machen sollte.

Vielleicht aber auch nur ich mit dem Fremden.
Obwohl ich es erst auf dem Festival versucht habe, obwohl ich verunsichert bin bis ins Knochenmark, Angst habe vor jeder potenziellen Reaktion oder davor, komisch zu wirken, auch, wenn meine Intuition schon die richtigen Worte finden und spontan gut entscheiden wird, was ich sage und was nicht.

Nicht, weil ich mutig geworden bin, das bin ich noch lange nicht, zumindest nicht in der Hinsicht, und auch nicht, weil man eine klare Tendenz ausmachen könnte, oder weil ich schlagartig die Fähigkeit,in emotionalen Situationen die perfekten Worte zu finden, entwickelt habe, oder weil ich noch jemanden suche, der mit mir zum Abschiedskonzert von Thoughts Paint The Sky (wie auch immer sich das mit meinen Schulzeiten vereinbaren lässt) geht,

sondern einfach, weil er mein Herz hat.




Mittwoch, 29. August 2012
"Das Unglück ist eine eitle Frau und will hofiert werden. Beachtet man es nicht, dann stirbt es. "
(Kurt Tucholsky)

An diesem Zitat festgehalten, die ganze Zeit, aber schließlich doch in einer Kurzschlussreaktion das einzig Vernünftige getan, das Naheliegendste und Schlaueste: Haare gefärbt.



Seit Monaten überlegt, dann vorgestern Nacht durch die ganze Sache mit dem Fremden so wahnsinnig gemacht worden, dass ich mir dachte, scheiß drauf, und ins provisorische Bad gestapft bin.
Eigentlich dachte ich, aus dieser Phase wäre ich draußen.
Tja, bin ich nicht.
Wohl nicht mehr ganz so radikal drin, keine Komplettfärbung, kein Spontanhaarschnitt und kein neues Piercing, aber schließlich ist da auch einiges an Haarlänge und potenzieller Weisheit hinzugekommen.
Trotzdem ist das Ergebnis optisch verstörend genug, um die erste Zweckgemeinschaft in Verzweiflung zu stürzen, die Nachbarin vor Begeisterung quietschen zu lassen und mir ein wenig mehr das Gefühl zu geben, wieder ich selbst zu sein.
Und es wäre natürlich viel zu einfach, alles einheitlich zu färben, weshalb ich ab jetzt mit Henna, Blondierung und bunter Tönung hantieren werde, wenn es ans Nachfärben geht.
Freue mich jetzt schon aufs Waschen, den hysterischen Anfall der Vatersfreundin, den ungläubigen Blick des Fremden und das Guinness, das mir der Raucher ausgeben muss, weil er gewettet hat, dass ich niemals wieder bunt werden würde.