Samstag, 29. Dezember 2012
Thema: monolog
Absteige, wie habe ich dich vermisst.
Mit meinem Einlassbändchen kaufe ich mir ein Stück Selbstsicherheit für den Abend, so viel, dass ich alle Versuche des Fremden, Blickkontakt aufzunehmen, ignoriere, seinen Versuch, mich zu umarmen, abwehre, sein leicht angetrunkenes "Hey, lange nicht mehr gesehen, erstmal frohe Weihnachten!" eiskalt ignoriere und ihn frage, ob er den Raucher schon irgendwo gesichtet hat.
"Der ist gerade backstage, glaube ich..." Er irgendwas zwischen verdutzt und verletzt und gerade tut mir das nur ein bisschen weh,

so, wie es auch nur ein bisschen weh tut, als er vor der Bühne mosht, als gäbe es kein morgen mehr, während sie daneben steht und ihren Blick erst vom Smartphonedisplay hebt, als die nächste Band die Bühne betritt und die Sängerin ganz furchtbar schlecht Katy Perry covert.
Wenn ihm das lieber ist, denke ich mir, bin erstaunt darüber, dass es keine Herzexplosion auslöst und mache mich auf den Weg in die Bar, um mich zu feiern, wobei mir auf halber Strecke einfällt, dass ich Bier nicht mehr so gerne trinke, Wein irgendwie technisch unpraktisch ist, Cola mich wieder so furchtbar müde macht und Wasser gerade zu fade schmeckt.
Mein Problem löst sich sehr schnell, als mich der Mischpultmann erkennt und mir Malibu-Spirte ausgeben will.
"Hammwa nich", spuckt die Thekenfrau aus spitzen Lippen in unsere Richtung.
-"Malibu Kirsch?", fragt der Mischpultmann, der die relativ eingeschränkte Auswahl an Getränken, die ich als "getestet und für sicher befunden" einstufe, auswendig kann.
"Hammwa auch nich mehr."
-"Touchdown?" Zunehmende Frustration seinerseits, weil seine Chancen, mich abzufüllen, immer weiter sinken, und zunehmende Aggression meinerseits, weil mich immer noch niemand gefragt hat, ob ich überhaupt was spendiert haben will.
"Neee du."
-"Sag mal Jeanette, willst du mich verarschen?"
Die Thekenjeanette lacht.
"Cuba Libre, bitte?", erkundige ich mich.
"Kommt sofort", grinst sie.

Mit meinem Einlassbändchen habe ich mir ein Stück Melancholie gekauft, drei Bands spielen heute , teilweise in Urbesetzung, zum letzten Mal und geben dem Abend damit einen erinnerungsüberladenen Verlustanstrich, den auch das eigentliche Programm, das unter dem Motto "cover your favorite Band" steht, nicht so recht ausgleichen kann.
Bandtod bleibt Bandtod, auch, wenn ihr letztes Lied "Barbie Girl" heißt.
Und neben Bier, langen Haaren und zwischendurch auch Unterwäsche fliegen vor allem Erinnerungsfetzen durch die Luft, denn da wird nicht nur Barbie Girl gequietscht, sondern auch Auf gute Freunde gegröhlt, zwischendurch steht die alte Sache höchstpersönlich auf der Bühne und der Raucher hinter mir startet einen unsicheren Versuch, seine Arme um mich zu legen, den er aber wieder abbricht, als er merkt, dass Umarmungen gerade nicht gesund sind.
Kurzes Handdrücken ist aber nicht nur ok, sondern fühlt sich richtig an, und ich sage mir, dass ich rücksichtslos und übertrieben kompliziert, und ihm, dass ich bekloppt und viel zu seltsam bin, und er sagt, das passt schon so.

Mit meinem Einlassbändchen habe ich mir auch ein Stück Gelassenheit gekauft, und so lasse ich die ungläubig-herablassenden Blicke, die folgen, als ich auf ein bewusst provozierenwollendes "Also MICH an deiner Stelle würde es stören, wenn der Raucher so intensiv mit anderen Frauen flirtet" ganz neutral und sachlich "Wir sind nicht im klassischen Sinn zusammen" erwidere, völlig gleichgültig an mir abprallen.
Mein Glas ist erst halb leer, das Leben nicht schön, aber stabil neutral, es reicht, um anderen nicht den Abend zu versauen.
Die Feindin ist keine richtige Freundin mehr, aber man mag sich eben aus Höflichkeit, also begrüße ich sie und ihren Freund, bin dann aber doch wieder bei ihr und der Nachbarin, manchmal reicht es auch, um sich alleine vor die Bühne zu stellen, wenn die Musik gut ist, und wenn er nicht gerade spielt, bin ich beim Raucher und werde einer derart riesigen Menge fremder Menschen vorgestellt, dass mir der Kopf schwirrt vor lauter neuen Namen.

Und dann ist Mr. Gaunt neben mir.
Mein Glas wurde inzwischen von der Feindin geleert und der Raucher hilft gerade der Thekenjeanette, den nicht enden wollenden Ansturm minderjähriger Falschausweisbesitzer irgendwie unter Kontrolle zu bekommen, während ich mich eigentlich nur hier vorne geparkt habe, um bei Bedarf schnell wiedergefunden zu werden (bei den von mir bevorzugten Musikrichtungen ist die Frauenquote unter den Fans erfahrungsgemäß zumindest in unserer Gegend ziemlich niedrig) und mich wesentlich lieber in einer Ecke verkrochen hätte, zu viele fremde Menschen, beginnende Unsicherheit trotz Absteigenkonzert.
Aber das ist jetzt egal, überhaupt ist gerade relativ viel egal, sogar der Bekloppte mit der Theo-Waigel-Gedächtnisaugenbraue, der seine fettigen Haare beständig in unrhythmischen Dauerpropellerschleudergängen gegen mich flatscht, ist jetzt egal, und die doof guckenden Fangirlies, die abgefüllt auf ihren Hockern hocken, sind es erst recht.
"Hey mayhem."
"Hey Mr. Gaunt."
"Wär ich nicht so betrunken, ich würde sofort wieder mit dir Walzer tanzen."
"Aber die covern gerade Cannibal Corpse."
"Eben deshalb ja."
Dann wird er vom Mischpultmann um die viel zu dünne Taille gepackt und Richtung Backstagebereich geschleift, anscheinend muss er als nächstes spielen.
Aber er grinst mich an, nicht komatös-alkoholisiert, sondern ehrlich, und hält Blickkontakt, bis er hinter dem eingesifften, ehemals dunkelblauen Vorhang verschwindet und mich nicht nur geflasht oder aus den Socken gepustet, sondern total umgeschmissen und konzeptlos zurücklässt.
Hach.

Nach ein paar vergeblichen Versuchen, mich innerlich wieder zu sortieren, spricht sie mich nicht direkt auf mein bis jetzt noch dezentes grenzdebiles Grinsen, aber auf Mr. Gaunt an. Ob ich ihn denn mögen würde. Und so.
"Das kann ich jetzt noch nicht sagen, glaube ich.." ...vor allem, weil deine Schwester die Löwin alias seine Exfreundin ist und gerade aussieht, als würde sie den richtigen Moment abwarten, um mich anzufallen und zu zerfleischen.
-"Ihr würdet aber schon gut zusammenpassen", findet sie.
"Ja, weil ihr beide total übersensible Heulsusen seid", mischt sich die Löwin ein und ihr Lachen klingt etwas zu brutal, um das Ganze komplett wie einen Witz erscheinen zu lassen.
"Woher kennst du denn Mr.Gaunt?", frage ich ganz unschuldig.
"Ich war mal mit dem zusammen, hab dann aber was besseres gefunden", antwortet sie knapp und fügt noch ein "war ja auch nicht weiter schwierig" hinzu.
-" Jetzt sei doch nicht so, jeder Mensch trägt etwas Gutes in sich". Sie, die ewig-naive Optimistin.
"Das einzig Gute in dem Kerl ist der Alkohol, den er reinkippt", knurrt die Löwin und zieht ab, um sich eine neue Flasche Bier zu holen.
"Lass dich nicht verunsichern", flüstert mir ihre Schwester aufmunternd zu, " sie will dich nur anfangs von ihm abbringen, weil es ihr Exfreund ist und er Schluss gemacht hat. Verletzter Stolz. Das ist aber nicht weiter dramatisch und geht vorbei".
Den Versuch, ihr zu erklären, ich brächte Mr. Gaunt absolutes Desinteresse entgegen, ersticke ich selbst im Keim, als mein Puls bei ihrem Hinweis, er habe gerade die Bühne betreten, innerhalb einer Millisekunde die magischen 180 passiert und meine Herzfrequenz in den Bereich "Jenseits von Gut und Böse" schießt.
Nicht mal schlecht als Musikbegeisterung getarnte Emotionseskalation, und als er fertig gespielt hat, geht er nicht zurück zum Gratisbier, sondern erst zu mir, und mein inzwischen vermutlich absolut beklopptes Grinsen wäre mir sowas von peinlich, wenn seines nicht genauso doof wäre.
"Hey mayhem."
"Hey Mr. Gaunt. Lange nicht mehr gesehen."
"Kommt mir vor wie Jahre."
"Zum Glück haben wir uns überhaupt noch erkannt."
"Das müssen wir auf jeden Fall feiern. Ich geh jetzt eine rauchen und danach lade ich dich auf ein Glas Wein ein."
Und er lächelt. Mich an. Auf diese Art und Weise.
Von irgendwoher kommt ein ganz winzigkleiner Schmetterling und flattert so in mir rum, endorphinverteilend, leicht desorientiert, aber unter Garantie grenzdebil grinsend.

Aus der kurzen Kippenpause wird eine halbe Stunde, in der meine Euphorie von der Verunsicherung zunächst angenagt, dann aber schließlich ganz aufgefressen wird.
Irgendwann denke ich mir aber, reiß dich zusammen, rutsche von meinem Barhocker, schreite zur Tat und in Richtung Ausgang und sage mir, zur Not könne ich immer noch behaupten, ich wäre auf der Suche nach Faust.

Draußen finde ich nicht Faust, aber dafür Mr.Gaunt.
In der einen Hand hält er tatsächlich eine Zigarette, in der anderen eine Flasche mit klarem, vermutlich hochprozentigen Inhalt, und an ihm dran klebt die Löwin, wahlweise wimpernklimpernd, haarsträhnendrehend, schmollmundziehend oder ihn zum Weitertrinken motivierend.
Ich verzichte darauf, zu ihm zu gehen und irgendwas zu sagen, stattdessen suche ich die Feindin alias meine Fahrgemeinschaft.
Irgendjemand hat den Schmetterling erschlagen, und das nicht etwa mit einer Fliegenklatsche oder einem Schuh, sondern mit sämtlichen Brockhausbänden auf einmal.

An dieser Stelle nochmals ein gepflegtes "Ach scheiße!".




Dienstag, 25. Dezember 2012
Wings - Frittenbude.

Und da sitze ich alleine in meiner Wohnung.
Kater Mayhem hat sich hinter den Kühlschrank verkrochen und weigert sich beständig, rauszukommen; weil ich Angst hatte, dass er eventuell festhängt, habe ich die Fußleiste komplett entfernt, um dann festzustellen, dass von ihm sowieso nur eine Pfote zu sehen ist, weil er den Restkörper so weit nach oben gequetscht hat, dass niemand an ihn rankommt.
Zwei Stunden später traut er sich raus, nachdem ich ihn dauerhaft mit Unspoken von Four Tet beschallt und außerdem ein Räucherstäbchen abgebrannt habe, das so reinhaut, dass man es als Quasi-Methadon für leichtere Drogen verkaufen könnte, und wühlt sich, eine staubige, nervöse Fellkugel, ganz tief in mein frisch bezogenes Bett, um beim ersten Geräusch aus den angrenzenden Wohnungen sofort unter den Kleiderschrank zu schießen und dort auch zu bleiben.

Das kleine Knäuel Überforderung unter dem Schrank und ich, wir sind immer noch ereignisschocksgelähmt.
Dass es tatsächlich geklappt hat.
Dass wir hier sind...
dass wir alleine sind.

Als ich meine letzten Sachen hole, sitzt Papa Mayhem vor dem Fernseher und sieht semi-zerstört aus, zeigt sich aber neutral-freundlich und trägt sogar seine leere Wasserflasche selbst in den Keller; etwas, das in 18 Jahren noch nie vorgekommen ist, wenn ich da war.
Ich verabschiede mich mit dem Hinweis, die Katzenstreu morgen mit zu nehmen und der Bitte, mich anzurufen, wenn er Opa Mayhem abholen möchte.

Dann gehe ich, aus dem Haus, weg von der Straße, zur nächsten, die Treppen hoch, und noch weiter, und noch weiter, und noch weiter, in die Wohnung, meine Wohnung, schließe hinter mir ab und erschrecke die Katze damit so sehr, dass sie sich den Kopf am Schrankboden stößt, und während mein Vater drüben vor seinem Fernseher sitzt und sich an mechanisch-geordnetem Pflichtreihenfolgenleben festzuhalten versucht, rolle ich mich auf dem Bett zusammen, meinem Bett, in der Dachschräge, so, wie ich es immer wollte, und weil sonst niemand zum festhalten da ist, halte ich mich an der Decke des Rauchers fest, die er hier gelassen hat, wickle mich ein, begrabe mich unter ihr und versuche, weiterzuexistieren.

Und ich existiere auch weiter, in diesem Haus, auf dem Bett zusammengerollt, unter der Dachschräge, versteckt unter der Decke des Rauchers
Während mein Vater Akten sortiert und Chips isst und Bier trinkt und fernsieht
mein Großvater im Heim vor sich hin vegetiert, am Mittwoch hat er zwar mich erkannt, aber Papa Mayhem nicht mehr,
die Vatersfreundin wieder mal den Kontakt zu ihm abgebrochen hat, tippe bezüglich des Eintritts des Krisenendes auf "noch heute Abend",
der Raucher bei seiner Familie sitzt, wie der Hut, die Nixe, die Blondinenfraktion,
und mein Pate irgendwo in der Tundra unterwegs ist, windumrauscht, schneesturmgepeitscht und fast taub, eigentlich bräuchte er zwei Hörgeräte, hat er geschrieben.
Dass er deshalb nicht mehr so gerne telefoniert, ich aber vorbeikommen kann, wenn ich will.
Ich weiß nicht, ob ich will.
Aber ich bemühe mich, Kontakt zu halten, Mailkontakt, weil er sich sonst schämen würde, wenn ich wegen ihm so schreien muss, und eigentlich ist das ganz gut so, Distanzkontakt.
Halbwegs gut verträglich, nicht zu persönlich.
Geregelt, geordnet, genügend Abstand.


Kater Mayhem kommt unter dem Schrank rausgekrochen und wühlt sich zu mir durch.
Ich ziehe uns beiden die Decke des Rauchers über den Kopf und wir halten Winterschlaf ohne Schlafen, Eiszeitaussitzen im Wachzustand.
Warten auf bessere Zeiten.




Gibt es Uruguay eigentlich noch? - Frittenbude

Wir schleppen
an den anderen, an uns, meine Möbel die Treppen hoch.
Schwer atmend, Aufzüge sind Luxus, und Luxus kann man sich nicht leisten, Schranktür um Schranktür, Lattenrostplanke, Bettbrett, immer so weiter.
Parallel putzen, mein Zimmer, das Bad meines Großvaters, die Küche. Der väterliche Anspruch, den Sauberkeitsgrad zu erreichen, der nie da war.
Irgendwann ist es dunkel und wir tragen immer noch, Wäschekörbe, Spiegel, Schminktisch. Erbstück und trotzdem nicht als mein Besitz anerkannt, die Restverwandschaft lauert.
Dann Regen, wir hören auf, ich hole die Instrumente rüber, das Katzenklo und die Futternäpfe, und ganz am Schluss trage ich die große, blaue Transportbox, aus der Kater Mayhems gelbe Augen nervös durch die Gegend zucken,während ich versuche, sein Teilzeitgefängnis möglichst ruhig zu halten und der Raucher als Absicherung nebenher läuft und versucht, uns ein bisschen von den ganzen Autos abzuschirmen und vom Jugendzentrum, an dem wir vorbeimüssen.

Kurzes Aufatmen und dann Pizzabestellen, am Wochenende bekommt man sonst nichts und ich habe beim Aufräumen genug Geld gefunden und habe oft genug die Endlostreppen niedergekämpft, um mir eine genehmigen zu können.
Die Erschöpftheit und das Geleistete streut Positivgefühlspuderzucker über die Gesamtsituation, und der Hut bestellt unser Essen, weil ich mich doch nicht traue, mit fremden Menschen zu telefonieren.
Positivgefühl plus Weltuntergang.
Der Hut und der Raucher Positivgefühl, die Nixe und ich Weltuntergang.
Um mich rotiert es, das Leben, und auf einmal ist es halb drei Uhr morgens, die Nixe musste schon nach Hause und hat sich vorher ausgeweint, der Hut schläft in meiner Gruselkammer und hat sich, während der Raucher die Nixe heimgefahren hat, bei mir über sie ausgeweint, und gerade bin ich dabei, mich auszuweinen, ganz leise, an der Brust des Rauchers, der tief und fest schläft, aber mich immerhin im Arm hält, während ich hin und her gerissen bin, weil ich das eigentlich gut finde, so ein bisschen, aber gerade irgendwie nicht und gleichzeitig doch.
Ich weiß nicht mehr weiter, sage ich zu ihm.
Ich weiß nicht, wie ich das alles schaffen soll.
Er schnorchelt kurz, ist genau so schlimm erkältet wie ich, da hilft die Tatsache, dass mein Boiler nicht funktioniert und die Heizung nur langsam warm wird, auch nicht gerade viel, und dann dreht er sich zu mir, sehr zerknautscht, weil sehr müde, und murmelt:"Alles wird gut." Versinkt einen Sekundenbruchteil später wieder in seinem unerschütterlichen Bärenwinterschlaf, wiederholt es aber vorher nochmal,
"Alles wird gut".

Muss ja.




Dienstag, 18. Dezember 2012
Thema: von herzen
Fremder,

an niemanden habe ich so viele Briefe, die dann in normale Texte abgedriftet sind, geschrieben, wie an dich. Vermutlich werden auch noch einige folgen, denn für mich ist es nicht abgeschlossen, du tust noch weh.
Heute hast du dich wieder gemeldet, und ich dachte, es geht;
wir haben geredet und du hast so ernsthaft gewirkt in deinem Wunsch, es alles besser zu machen, jetzt, und ich habe dir gesagt, dass ich Abstand brauche, in der festen Überzeugung, du würdest es verstehen.
Wir sind doch ähnlich bekloppt, Festivalkumpanen. Konnten stundenlang reden und noch länger schreiben. Eigentlich über alles.
Du hast es nicht verstanden.
Und du bist abgerutscht in Klischees und Pseudoverständnis und dein Bestreben, dabei möglichst erwachsen, ruhig und einfühlsam zu werden,
und ich habe es dir gesagt und habe versucht, mich zu erklären,
und habe dabei begriffen, dass du es nicht verstehst.

Du kannst mich nicht verstehen, denn du bist nicht wie ich, trotz allem.
Das Kind in mir sehe ich nicht, denn da ist im Moment nur dunkelgrau,
der Pubertist in dir hat die Führung übernommen und muss so viel erst noch lernen.
Mich hat man doch von Anfang an durch sämtliche Gefühlslagen und Verzweiflungsmomente geschleudert, ohne Rücksicht auf Verluste, und das ist auch der Grund.

Es ist irreversibel, das Ganze, und es sorgt dafür, dass zwischen uns nicht Jahre, sondern Welten liegen, die wir ja doch nie überbrücken könnten, selbst, wenn wir beide es wollen würden.
Ich habe es versucht, immer wieder, ich hatte Flugsaurierschmetterlinge im Bauch und einen riesigen Schatten zum Überspringen vor mir, und ich habe beides zugelassen und mich um beides gekümmert.
Dabei habe ich gelernt, wie weh das tut. Und dachte doch immer, es würde nicht mehr schlimmer, sondern besser werden; ich hoffe auch jetzt noch.

Und deshalb breche ich den Kontakt ab.

Das ist das dritte Mal, und wieder zeigst du Verständnis, wirst es aber wieder nicht verstehen und dich nach einer Woche oder zwei wieder melden, weil du denkst, es ist überstanden;
es wird nicht überstanden sein und darum werde ich dich ignorieren.
Es wird weh tun, sicher, aber ich will mich nicht mit Fangirlies rumschlagen müssen und nicht wieder in die Hoffnungsabwärtsspirale schlittern, die irgendwo auf den Boden gepresst und mit ausgeschlagenen Zähnen endet; ich will mich und mein Leben auf die Reihe kriegen, da ist so viel, wofür es sich wohl lohnt und irgendwann bin ich soweit, dass ich das auch begreife und vor allem fühle.

Da ist so viel, was sein könnte, Neuanfang.
Und ich will sehen, wie er wird, und hoffen,dass er gut wird, auch, wenn einige Zeichen auf Weltuntergang stehen.
Und ich will positivfühlen, und frei sein, und ich will wissen, wer Mr.Gaunt ist, hinter den ganzen Tattoos und der verwitterten Fassade,
ich will emotionale Klarheit haben, und die bekomme ich nur, wenn mein Herz wieder richtig funktioniert und aufhört, zu bluten,
und ich will mein Abitur schaffen und finanziell über die Runden kommen,
und irgendwann will ich nach Prag.

Das geht nicht, wenn mein Herz an dir festhängt.
Darum hätte ich es gerne wieder.
Irgendwann, wenn es sich von dir losgelöst hat, hole ich es ab und nehme es wieder mit, zum gesundpflegen, und auch, wenn es Schäden hat, die nicht mehr wegzukriegen sind, ist es immer noch mein Herz, und es lebt und atmet und fühlt, es funktioniert, glaub mir;

und ich werde nicht damit aufhören, es an andere Menschen zu hängen, oder ans Schreiben, oder die Musik,oder das Theater;
auch wegen dir werde ich nicht aufhören damit, und ich sage das in der absoluten Gewissheit, dass das Schmerzen bedeutet, vielleicht auch welche, die ich mir selbst jetzt nicht vorstellen kann.

Ich lebe eben mit voller Gefühlswucht, und das wird sich auch nicht so schnell ändern.

Und weißt du, irgendwann komme ich damit zurecht.
Mit allem, irgendwie.

Ich vermisse dich jetzt schon.
Aber was muss, das muss.

mayhem.






Montag, 17. Dezember 2012


Nach dem Parkplatzdrama kommt das Telefonat, nach dem Telefonat die Funkstille und dann keine sms, sondern gleich er persönlich. Durch die Kneipentür, auf den Stuhl neben mir, redet los, als wäre nichts gewesen.
Und ich will weinen.
Dann sagt er mir, wie toll ich bin, weil ich so übertrieben hilfsbereit und sensibel sei, und wie schön ich bin, weil ich so anders bin.
Außerdem, sagt er, wollten wir doch mal zusammen was machen, musikmäßig. Ob ich nicht mal vorbeikommen will, zwei Gitarren, eine Flasche Wein und viel zu lange wach bleiben und reden, wie früher.
Wieder, mit nur leicht glasigem Blick, die Feststellung, wie toll ich doch bin.
Und ich will ihm ins Gesicht schlagen.

Ich bin nicht über dich hinweg, Idiot, und ich habe dir gesagt, dass es so ist, und dass ich dich gleichzeitig hasse, und wie sehr du mir weh getan hast, und dass du dir alles kaputt machst, mit deinen eigentlichen Freunden und deiner Band und sogar mit dem Raucher, am Telefon habe ich es dir gesagt, und du hast es eingesehen, dachte ich, und habe mich ein bisschen besser gefühlt, weil du so immerhin was aus der Sache mitgenommen hast; und dann pflanzt du dich einfach auf den Barhocker neben mir, in dieser blöden Kneipe, die ich sowieso nicht mag, weil ich hier immer Angst bekomme vor lauter fremden Menschen und mieser Atmopshäre, und tust so, als wäre nichts gewesen, und nachdem der Raucher zum Rauchen an einen anderen Tisch geflüchtet ist, machst du bei eben bei mir allein weiter, und du kotzt mich gerade sowas von an, und deine Masche zieht nicht mehr, denn nein, es ist nicht alles in Ordnung,und es wird nicht in Ordnung, wenn du dein Standardprogramm abziehst und im Suff zu blöd und nüchtern zu unsensibel bist, um überhaupt irgendwas zu verstehen.

Und dann taucht dein Fangirlie auf, die, die Herzchen postet und doof kommentiert und sich die Haare braun gefärbt hat, nachdem du gesagt hast, blond sieht irgendwie tussig aus, und schmiert sich an dich und giftet gegen mich, im crescendo, erst nonverbal, böse Blicke und Augenbrauenakrobatik, dann später auch richtig, ich würde hier ja optisch reinpassen und sie sei sich nicht sicher, ob die Kneipe abgefuckter ist oder ich es bin, und überhaupt ists doch in der Dorfdisco viel cooler, warum man denn jetzt hier rumsitzen und sich von den ganzen gruseligen Leuten verräuchern lassen müsse.
Dein üblicher Konflikt, auf der einen Seite die Leute, die eigentlich deine Freunde sind/waren, und das Sumpflandschaftsmilieu die Menschen, bei denen du dich halbwegs heimisch fühlst, auf der anderen die Ghettofraktion.
Du weißt, dass ich genau das denke. Du kannst es aus meinem Gesicht lesen.
Und es verunsichert dich, bis auf die Knochen.
Also starre ich, mit leicht zusammengekniffenen Augen, so lange ich es aushalte, und lege alles an Aggression, Geringschätzung und dem ganzen anderen Zeugs,das ich vom Raucher tausendfach gehört und absorbiert habe, in diesen einen Blick und addiere meine eigenen Negativgefühle; ich hole sogar ein wenig Vatersfreundinhass aus einer Ecke meines Herzens, um der Sache etwas mehr Wucht zu geben, und erst, als du auf mich verstört genug wirkst, um mir die Gewissheit zu geben, dass du heute nicht mehr ruhig schlafen wirst, erhebe ich mich von meinem Hocker, winke deinem Fangirlie mit so viel abgebitchtem Zucker im bösartigen Grinsen, das man davon Diabetes bekommen könnte, zu, merke zur Verabschiedung noch an, dass sie ja sowieso in zehn Minuten ins Bett muss, und lasse mich zwar nur ganz leicht und sehr temporär herzschmerzgeheilt, aber durchaus nicht komplett weltuntergangsversunken auf dem Schoß der Satanistin nieder, weil der Raucher so unpraktisch mittig sitzt und ich mich nicht traue, am Nachbartisch einen Stuhl auszuleihen.