Sonntag, 6. Juli 2014
Und BAM, Wohnung weg, weil dem Vermieter die ganze Bürgschaftssache zu lange gedauert hat.

Die letzten Stunden mit Anzeigen suchen, Mails schreiben und für WGs bewerben verbracht.

Ist das noch Weltuntergangsstimmung, oder schon absolute Auswegslosigkeit.




Donnerstag, 3. Juli 2014


Nachts halb eins auf der einzigen wirklichen Straße, die durch die Kleinstadt führt.
Nach einem Ausraster des Knastbruders, weil die 230 Euro, die er kornbedingt seiner Schwester schuldet, noch nicht auf deren Konto sind (Heute auf mein Konto einbezahlt und sofort auf ihres überwiesen), laufe ich zur einen Hälfte zur Postbank, zur anderen irre ich durch die Stadt und fühle mich heimatlos.
Nachdem erst der Salzkrug, dann ein Topf, der Hinweis "Ich schlag auch Behinderte. und Wenn die scheiß Kohle nicht auftaucht, schlag ich dich behindert", und schließlich die Erinnerung daran, dass er schon Leuten für weniger einen Finger abgeschnitten hat, in meine Richtung geflogen sind, wurde ich zur Tür rausgeschubst mit dem Befehl, das Geld sofort abzuheben, dann mit der gesamten Truppe (Knastbruder+Nachbarin, der Kater+Anhang) die 200km zu seiner Schwester zu fahren und mich zu entschuldigen für meinen Frevel, meine Unfähigkeit, meine Todsünde.

Ein Anruf beim Fremden.
Keiner da.
Einer bei Ms Golightly. Was auch immer los sei, sie könne gerade nicht, ihre Abikollegin hat Geburtstag.
Ich hätte gerne eine Familie, zu der ich zurückkann.
Habe ich aber nicht.
Ein Anruf beim Kumpel mit der weiblichen Seite. Seine Freundin hat eine Katzenhaarallergie und mag mich nicht, und überhaupt, so schlimm sei es doch bestimmt nicht.
Dann bin ich bei der Bank, stopfe mir die 230Euro wieder in meinen Geldbeutel, winke wie immer in die Kamera stehe kurz darauf wieder an der Straße und warte, dass die Fußgängerampel grün wird.
Inmitten des ganzen Wortgefechts hat der Kater angefangen, mitzuschreien. Dass ich das Geld wiederbeschaffen soll; dass ich sterbe, wenn es morgen nicht bei der Knastbruderschwester ist, und es ihm egal ist, ob sie mich dafür auf den Strich schicken müssen oder sonstwas.

Inzwischen habe ich fast alle Kontakte aus meiner Telefonliste abtelefoniert, die in und um die Kleinstadt wohnen.
Mir bleibt die Telefonnummer des Rauchers, die ich seit dem letzten Konzert wieder habe.
Erster Anruf. Mailbox.
Zweiter Anruf. Mailbox.
Ich hätte gerne eine Wahlfamilie, zu der ich kann.
Habe ich aber nicht. Nicht hier.
Eine sms, mit der Bitte, dem Flehen, an sein Telefon zu gehen.
Schreibe ihm, dass ich Angst habe. Wieder.
Dass ich nicht weiß, wo ich hin soll, dass er mich bitte zurückrufen soll, und ich nicht weiß, wen ich sonst noch anrufen soll. Dass ich nicht mehr weiß, was ich machen soll.
Dritter Anruf. Mailbox.

Auf der Fahrt bringt uns die Nachbarin fahrstilbedingt diverse Male fast um und ich denke mir, dass dann eigentlich alles einfacher wäre.

Die Knastbruderschwester sagt, es wäre schon ok gewesen, ist aber ruhig, als der Knastbruder anfängt, rumzuschreien, sie solle mich nicht verteidigen.
Der Kater liegt mit seinem Anhang besoffen auf dem Sofa und schläft.
Zu mir hat er gesagt, er kann sich keine Beziehung mehr geben.
Nachdem er und sie sich jetzt zwei Mal gesehen haben und ihr Einzug in der WG fest geplant ist, hat sich das wohl geändert.
Wie auch seine angebliche Näheallergie.
Stelle fest, dass er sich, ausgelöst vom Hass des Knastbruders auf mich, anscheinend sehr schnell von mir losgemacht hat, und dass das doch eigentlich gar nicht zu dem passt, was er gesagt hat.
Wie auch bei Mr.Gaunt, mit dem es heute ein Jahr gewesen wäre.

Das Baby der Knastbruderschwester spielt seelig mit meinem Glöckchenarmband, während die WG-Truppe besoffen auf dem Sofa eingeschlafen ist und seine Mutter die leeren Flaschen, die als Reiseproviant dabei waren, rausträgt.
"Sieh zu, dass dein Vater die Bürgschaft für die Wohnung übernimmt. Wär der Knastbruder nicht mein Bruder, würd ich auch nichts mit ihm zu tun haben wollen. Ich bin da nicht umsonst 200km weggezogen", hat sie gesagt.

Morgens halb vier, 200km weiter weg als vor drei Stunden.
Zur einen Hälfte sitze ich auf dem winzigen Balkon einer viel zu jungen, viel zu glücklichen Familie, damit ich deren Wohnzimmer nicht verräuchere, zur anderen hänge ich irgendwo in der Schwebe und fühle mich heimatlos.
Ein Blick aufs Handy, keine neuen Nachrichten.

Da sind auch keine neuen Nachrichten, als wir um zehn wieder heimfahren und ich überlege, erst den Knastbruder zu foltern und dann ihn, mein sterbendes Mayhemmobil und mich abzufackeln, bis mir einfällt, dass er es nicht verdient hat, im wunderbarsten Auto der Welt, in meinem Auto, sterben zu dürfen.
Pläne schmiede, wie ich ihn am effektivsten leiden lassen könnte, aber doch immer wieder zum Ergebnis komme, dass das rauskommt und ich dann Probleme kriege, von denen 15 Jahre Knast die Geringsten wären. Und etwas, das ich billigend in Kauf nehmen würde.

Bei "unserer" Autobahnabfahrt habe ich mir lange genug vorgebetet, dass Rache nicht die Lösung ist und ich eigentlich nicht auf seine untermenschliche Ebene runtersteigen will, um es mir fast zu glauben.
Zuhause wartet eine schreiende, hungrige Katze auf mich, die mir zur Begrüßung in die Wade beißt, danach aber immerhin die Freundlichkeit besitzt, sich neben mir zusammenzurollen und zu schlafen.
Ich hätte gerne ein Zuhause, das sich auch danach anfühlt.
Habe ich aber noch nicht.




Mittwoch, 2. Juli 2014
Thema: gefunden.


Von Anfang an fest in meinem Gehirn eingebrannt und auf "automatische Wiedergabe", wann immer ich auf der tausendspurigen Schnellstraße langsam von der Unistadt verschluckt werde, oder im Zug an den ersten riesigen Bahnhofshallen vorbeirolle.


Hamburg spuckt in schöner Regelmäßigkeit absolut geniale, psychisch absolut zerbombte Künstler aus.
Oder vielleicht zieht es sie alle dorthin, man weiß es nicht.




Sonntag, 29. Juni 2014
Tante Emma und ich vergammeln die Zeit, bis der Postbote uns abholen kann, stilecht hinterm alten Supermarkt, sie mit einer Flasche Zweieuroweincocktail, ich mit Mediumwasser, und mit dem, was so an Musik auf meinem Handy rumfliegt, was uns gnädigerweise ghettoisierende Vorpubertisten besser vom Leib hält als jedes Insektenspray.
Alles ist gut, das Nieselwetter hält sich auch in Grenzen und im Prinzip könnte man sich auf den Abend freuen (Punkkonzert unter freiem Himmel. Ihr zuliebe. Und "früher" mochte ich das ja auch mal ganz gerne).
Dann ruft sie der Knastbruder an.
"Ey Schnegge, willste bumsen?"
Sie sagt nein, alles ist gut.

Zehn Minuten später hat er uns gefunden und sie will für fünf MInuten alleine mit ihm reden.

Nochmal zehn Minuten später werde ich zur Wohnung beordert, er führt sein übliches "ich bin doch gar nicht so böse, und du bist doch voll korrekt und ne gute Freundin"-Theater für sie auf und sie fragt mich, was sie machen soll. Er hätte gerne, dass sie den Abend bei ihm verbringt, schließlich ist sie ab Dienstag im betreuten Wohnen in der Unistadt, er säße sonst alleine rum, und sie hätten ja schon so viel durchgemacht, und bla, Freundschaft, das Übliche.
Ich sage ihr, dass sie das selbst entscheiden muss, ich zwar etwas enttäuscht wäre, aber sie zu nichts zwinge(n kann/will).
Sie bleibt, das Letzte, was ich mitkriege, sind ein paar Takte Bollywood-Filmmusik, die mich in meiner Überzeugung, dass man beim Knastbruder getrost auf sein ständiges Gerede von wegen "Ehrlichkeit", "zu seinem Wort stehen" und "Loyalität" scheißen kann und er im Endeffekt auch nur ein falscher Pseudomensch ist, dezent bestärken (welcher Mann tut sich schon freiwillig und ohne Hintergedanken Bollywood an? Das würde ja nicht mal ich machen).

Eine halbe Stunde später steuere ich die abgeranzte Riesenkarre des Postboten mit 120 durch die 70er-Pseudoserpentinen vom Dorfsportplatz zurück Richtung Kleinstadt, lege eine 1a Vollbremsung beim Marktplatz hin, lade die sehr verstörte, dauerjammernde und -heulende und nur halb angezogene Tante Emma ein und steure den Kahn im gleichen Fahrstil wieder zurück Richtung Konzert.
"Lass mich raten: Er hat dich halb abgefüllt, du konntest nicht nein sagen, ihr habt gevögelt und er ist ausgetickt?"
-"Ja, und das tut immer so weh und er hört trotzdem nicht auf und ich musste mit Anrufen warten bis er schläft und dann hab ich mich rausgeschlichen aber er hats mitgekriegt und mir nachgebrüllt und dann bin ich gerannt und hab mir unterwegs das Nötigste angezogen und das ist alles so furchtbar ich komm einfach nicht von ihm los und wieso tut er mir das an und ich hatte Angst dass du nicht auftauchst..."
"Atmen. Einfach weiteratmen." Ich schaffe es tatsächlich, gleichzeitig den Kampfkoloss von Auto zu steuern (Servolenkung...wie lange ich sowas schon nicht mehr in den Händen hatte), meine Jacke aus- und sie Tante Emma anzuziehen, ihr eine Zigarette in den Mundwinkel zu klemmen ("Hast du ne Kippe, ich dreh sonst echt noch durch. Der hat mir meine alle weggeraucht!") und sie sogar anzuzünden.
Nachdem sie sie in gefühlt einem Zug bis zum Filter runtergeraucht und das noch dreimal wiederholt hat, während ich versuche, ihr den Selbsthass auszureden, beruhigt sich Tante Emma tatsächlich wieder ein bisschen. "Danke, dass du her gefahren bist, ehrlich."
-"Kein Problem. Ich hab dir gesagt, so leicht kriegst du mich nicht los, und dass ich das so meine, wenn ich sage, ich bin da."
Als Antwort wirft sie sich mir um den Hals und uns damit fast die Serpentine runter (verdammte Servolenkung aber auch).

Auf dem Konzert habe ich zu tun, gleichzeitig Tante Emma vom Dauersaufen ab- und mir/später ihr einen seltsamen Deathrocker-Grufti-Rockabilly-Styler-Verschnitt vom Hals zu halten, während ich eigentlich nur mit einer Band, deren Sänger und Gitarrist ich aus der Absteige kenne und schon ewig nicht mehr gesehen habe, reden, gemütlich mein Radler trinken und irgendwie die anderen hören will.
Klappt natürlich alles nicht, und zwischen Tate Emmas Feststellung, dass sie die Musikrichtung ganz furchtbar vermisst hat, während ich ihr irgendwie tatsächlich so ein bisschen entwachsen bin, etwas Zusatzemotionsstress ihrerseits, weil der Mischpultmann sie total ignoriert, und ein paar ganz netten Begegnungen, die ich aber jedes Mal vorzeitig stehen lassen muss, helfe ich ihr in schöner Regelmäßigkeit, aufs Klo zu gehen ("Da sin üüüüüüberaaaaalll Menschen!" - "Nein man, da sind keine Leute. Wir sind im Wald! "Üüüüüberaalll Menschen, da kannsch nich pissn!"), bringe sie in Sicherheit, wenn sie sich zielsicher mit Zweimeterfünzigpunkern vom Typus "hochaggressiver, muskelbepackter Schrank" anlegt, baue sie wieder auf, wenn sie in Selbstekel und Seelenschmerz versinkt, und passe auf, dass sie nicht von der Bank fällt, wenn sie wieder apathisch vor- und zurückwippt.

Erkläre ihr, dass so ein Herz ganz schön lange brauchen kann, bis es wieder bei einem angekommen ist, während ein Bekannter unbedingt Fotos vom letzten Konzert der Band Mr.Gaunts rumzeigen will, auf denen natürlich auch er samt neuem Anhang zu sehen ist.
Und dass das wehtut ohne Ende, aber man da durch muss, irgendwie.
Tante Emma weint und rotzt meine Jacke,mich und auch gleich den Postboten voll und sagt, sie hält das alles nicht mehr aus. Ich doch auch nicht.
Ich sitze daneben, beschränke mich aufs da sein, Taschentücher reichen und Kippen drehen und bin dadurch der wunderbarste Mensch der Welt. Sagt sie, und will mir schon wieder einen sabbrigen Schmatzer aufdrücken.

Der komische Wasauchimmer-Verschnitt ist die ganze Zeit um uns herumgeschlichen, und als ich dann doch mal aufs Klo muss, hat er anscheinend seine Chance gewittert, denn als ich wiederkomme, will Tante Emma gerade eine halb leere Flasche Wodka ansetzen und der Mutant sitzt vor ihr, streicht sich unheimlich tiefsinnig eine schlecht pomadisierte Strähne aus der Stirn und macht einen auf rebellisch, aber doch sooo tiefgründig und emotionsverkrüppelt.
"Kind: Nein." Zwei einfache Worte, mit denen ich Tante Emma die Flasche entreiße, mich neben ihr auf die Bank plumpsen lasse und dem Möchtegernmutanten den bösesten Blick schenke, zu dem ich aus dem Stand fähig bin.
"Wassollndas?", jammert Tante Emma, faltet sich aber sofort danach auf unserer Bank zusammen, lässt ihren Kopf auf meinen Schoß fallen und fängt an, leicht sabbernd wegzudösen.
"Eben, was soll denn das?", fragt der Mutant, "lass sie doch ihren Spaß haben."
-"Mein kleiner Freund, der Einzige, der hier Spaß haben wollte, bist du, und das kannst du schön knicken, solange sie das nicht selbst entscheiden kann."
"Sie ist doch alt genug, also bitte. Bist du ihre Mutter oder was?". Verunsichertes Lachen. Meinem Blick kann er auch nicht Stand halten.
-"Ich bin ihre Mutter im Geiste, und inzwischen eine verdammt gereizte noch dazu. Und wenn ich noch einmal mitkriege, dass du um uns rumschleichst, oder versuchst, sie abzufüllen, oder du uns wieder nachdackelst, wenn wir in den Wald gehen, oder ich auch nur sehe, dass du uns anschaust und mir dein Blick nicht passt, wirst du dir wünschen, mir nie begegnet zu sein, das garantiere ich dir."
Sie hat mich gebeten, auf sie aufzupassen und ihr keinen Alkohol mehr zu geben, also mache ich das. Und lasse es auch unter Garantie nicht zu, dass sie heute nochmal zum Triebbefriedigungsobjekt wird.
Zweieinhalb Sekunden hält der Mutant dem finstersten Blick, der je meine Augen verlassen hat, noch aus, dann macht er sich vom Acker und in meinem Kopf klatscht ein imaginäres Publikum und wirft mir Blumen zu.

Vielleicht habe ich nicht alles vom Konzert mitbekommen (gegen Null Uhr mussten der Postote und ich Tante Emma zum Auto tragen, weil sie nur noch vor sich hingewippt hat und dauernd am wegpennen war), bin zwischendurch fast vor Platzangst durchgedreht (auch in einem großen Kombi wird es zu dritt eng, besonders, wenn eine halbe Alkoholleiche dabei ist und niemand die Fenster aufmachen will), wurde, als endlich alle geschlafen haben, von meinem eigenen Restherzschmerz halb bewusstlos geschlagen, aber irgendwas ist ja immer.

Und wenn ich schon muttihaft bin, dann bin ich wenigstens eine von der coolen Sorte.
Eine unfassbar düstere, finstere, trve kvlt Mutti of Doom, und so. Sie wissen schon.