Nachts halb eins auf der einzigen wirklichen Straße, die durch die Kleinstadt führt.
Nach einem Ausraster des Knastbruders, weil die 230 Euro, die er kornbedingt seiner Schwester schuldet, noch nicht auf deren Konto sind (Heute auf mein Konto einbezahlt und sofort auf ihres überwiesen), laufe ich zur einen Hälfte zur Postbank, zur anderen irre ich durch die Stadt und fühle mich heimatlos.
Nachdem erst der Salzkrug, dann ein Topf, der Hinweis "Ich schlag auch Behinderte. und Wenn die scheiß Kohle nicht auftaucht, schlag ich dich behindert", und schließlich die Erinnerung daran, dass er schon Leuten für weniger einen Finger abgeschnitten hat, in meine Richtung geflogen sind, wurde ich zur Tür rausgeschubst mit dem Befehl, das Geld sofort abzuheben, dann mit der gesamten Truppe (Knastbruder+Nachbarin, der Kater+Anhang) die 200km zu seiner Schwester zu fahren und mich zu entschuldigen für meinen Frevel, meine Unfähigkeit, meine Todsünde.

Ein Anruf beim Fremden.
Keiner da.
Einer bei Ms Golightly. Was auch immer los sei, sie könne gerade nicht, ihre Abikollegin hat Geburtstag.
Ich hätte gerne eine Familie, zu der ich zurückkann.
Habe ich aber nicht.
Ein Anruf beim Kumpel mit der weiblichen Seite. Seine Freundin hat eine Katzenhaarallergie und mag mich nicht, und überhaupt, so schlimm sei es doch bestimmt nicht.
Dann bin ich bei der Bank, stopfe mir die 230Euro wieder in meinen Geldbeutel, winke wie immer in die Kamera stehe kurz darauf wieder an der Straße und warte, dass die Fußgängerampel grün wird.
Inmitten des ganzen Wortgefechts hat der Kater angefangen, mitzuschreien. Dass ich das Geld wiederbeschaffen soll; dass ich sterbe, wenn es morgen nicht bei der Knastbruderschwester ist, und es ihm egal ist, ob sie mich dafür auf den Strich schicken müssen oder sonstwas.

Inzwischen habe ich fast alle Kontakte aus meiner Telefonliste abtelefoniert, die in und um die Kleinstadt wohnen.
Mir bleibt die Telefonnummer des Rauchers, die ich seit dem letzten Konzert wieder habe.
Erster Anruf. Mailbox.
Zweiter Anruf. Mailbox.
Ich hätte gerne eine Wahlfamilie, zu der ich kann.
Habe ich aber nicht. Nicht hier.
Eine sms, mit der Bitte, dem Flehen, an sein Telefon zu gehen.
Schreibe ihm, dass ich Angst habe. Wieder.
Dass ich nicht weiß, wo ich hin soll, dass er mich bitte zurückrufen soll, und ich nicht weiß, wen ich sonst noch anrufen soll. Dass ich nicht mehr weiß, was ich machen soll.
Dritter Anruf. Mailbox.

Auf der Fahrt bringt uns die Nachbarin fahrstilbedingt diverse Male fast um und ich denke mir, dass dann eigentlich alles einfacher wäre.

Die Knastbruderschwester sagt, es wäre schon ok gewesen, ist aber ruhig, als der Knastbruder anfängt, rumzuschreien, sie solle mich nicht verteidigen.
Der Kater liegt mit seinem Anhang besoffen auf dem Sofa und schläft.
Zu mir hat er gesagt, er kann sich keine Beziehung mehr geben.
Nachdem er und sie sich jetzt zwei Mal gesehen haben und ihr Einzug in der WG fest geplant ist, hat sich das wohl geändert.
Wie auch seine angebliche Näheallergie.
Stelle fest, dass er sich, ausgelöst vom Hass des Knastbruders auf mich, anscheinend sehr schnell von mir losgemacht hat, und dass das doch eigentlich gar nicht zu dem passt, was er gesagt hat.
Wie auch bei Mr.Gaunt, mit dem es heute ein Jahr gewesen wäre.

Das Baby der Knastbruderschwester spielt seelig mit meinem Glöckchenarmband, während die WG-Truppe besoffen auf dem Sofa eingeschlafen ist und seine Mutter die leeren Flaschen, die als Reiseproviant dabei waren, rausträgt.
"Sieh zu, dass dein Vater die Bürgschaft für die Wohnung übernimmt. Wär der Knastbruder nicht mein Bruder, würd ich auch nichts mit ihm zu tun haben wollen. Ich bin da nicht umsonst 200km weggezogen", hat sie gesagt.

Morgens halb vier, 200km weiter weg als vor drei Stunden.
Zur einen Hälfte sitze ich auf dem winzigen Balkon einer viel zu jungen, viel zu glücklichen Familie, damit ich deren Wohnzimmer nicht verräuchere, zur anderen hänge ich irgendwo in der Schwebe und fühle mich heimatlos.
Ein Blick aufs Handy, keine neuen Nachrichten.

Da sind auch keine neuen Nachrichten, als wir um zehn wieder heimfahren und ich überlege, erst den Knastbruder zu foltern und dann ihn, mein sterbendes Mayhemmobil und mich abzufackeln, bis mir einfällt, dass er es nicht verdient hat, im wunderbarsten Auto der Welt, in meinem Auto, sterben zu dürfen.
Pläne schmiede, wie ich ihn am effektivsten leiden lassen könnte, aber doch immer wieder zum Ergebnis komme, dass das rauskommt und ich dann Probleme kriege, von denen 15 Jahre Knast die Geringsten wären. Und etwas, das ich billigend in Kauf nehmen würde.

Bei "unserer" Autobahnabfahrt habe ich mir lange genug vorgebetet, dass Rache nicht die Lösung ist und ich eigentlich nicht auf seine untermenschliche Ebene runtersteigen will, um es mir fast zu glauben.
Zuhause wartet eine schreiende, hungrige Katze auf mich, die mir zur Begrüßung in die Wade beißt, danach aber immerhin die Freundlichkeit besitzt, sich neben mir zusammenzurollen und zu schlafen.
Ich hätte gerne ein Zuhause, das sich auch danach anfühlt.
Habe ich aber noch nicht.





arboretum, Donnerstag, 3. Juli 2014, 19:17
Hoffentlich bist Du bald raus da. Diese Typen sind echt kein Umgang für Dich.


mayhem, Freitag, 4. Juli 2014, 00:48
Mein Vater möchte nicht für mich bürgen, somit kann ich mir "meine" Wohnung abschminken.

Sinnvoller Kommentar folgt ggf noch, aber gerade geht die Welt unter.


arboretum, Freitag, 4. Juli 2014, 11:44
Ehrlich gesagt glaube ich, Du wärst mit einem Zimmer in einer WG (ohne gestörte Mitbewohner) besser bedient. Eine eigene Wohnung halte ich angesichts Deiner finanziellen Möglichkeiten für eine Nummer zu groß. So dürften beispielsweise die Grundsteuer und Gebäudeversicherung an Deinem Studienort doch etwas höher sein als im Ort Deiner Herkunft - als Mieter zahlst Du die aber mit.

Hast Du mal überlegt, einen Studienkredit der KfW aufzunehmen? Das Studentenwerk Deiner Uni berät dazu, dazu gibt es außerdem eine Broschüre des CHE. Und was wurde aus dem Antrag für dieses Stipendium, da wollte Dir doch jemand dabei helfen?

Wenn Dein offizieller Vater nicht zahlen will, bleibt Dir immer noch die Möglichkeit, Deinen mutmaßlichen Erzeuger zum Vaterschaftstest zu zwingen. Der muss dann Unterhalt zahlen. Allzu lange kannst Du Dir das aber nicht mehr überlegen, die Frist währt nur drei Jahre. Eins davon ist schon vorbei.


mayhem, Freitag, 4. Juli 2014, 13:34
Die Wohnung (ist nur eine Einzimmerwohnung) kommt mir ironischerweise sogar günstiger als einige WG-Zimmer.
Ist halt in einem Vorort, aber mit vorhandenen Busverbindungen und im bequemen Radius des Semestertickets.

Studienticket schau ich mir an, bin eh gerade in der Uni am PC. Danke für die Links jedes Mal :)


vert, Freitag, 4. Juli 2014, 14:29
das studwerk in nrw hat auch eine darlehenskasse (daka-nrw.de).
und was ist mit studwerkswohnung? das geht doch auch ohne bürgschaft, einzelappartments werden m.w. auch nach sozialen kriterien vergeben, und ein wg-platz müsste da allemal zu bekommen sein. vielleicht mit langweiligen leuten mit langweiligen hobbies.

(das che hass ich ja inbrünstig und studienkredite wollen auch irgendwann zurückgezahlt werden. da darf nur eine zeiitlang was schiefgehen. ich weiß, wovon ich rede.)


arboretum, Freitag, 4. Juli 2014, 15:29
@ vert: Ich kann das CHE mitsamt Bertelsmann-Stiftung auch nicht leiden, aber um einen ersten Überblick zu bekommen, kann sich Mademoiselle Mottentanz die Broschüre ja mal ansehen. Klar müssen Studienkredite irgendwann zurückbezahlt werden, aber wenn es am Geld hakt, um eine neue Bleibe zu finden, ist das wahrscheinlich immer noch besser als weiterhin mit hochgradig gestörten Typen zusammenwohnen zu müssen.

Studiwohnheim scheidet wegen Katze leider aus (hatten wir hier im Blog auch schon einmal überlegt).

@ mayhem: Und die Vermieter dieses Ein-Zimmer-Appartments lassen nicht mit sich reden? Könntest Du vielleicht eine Bankbürgschaft bekommen? Geht denn regelmäßig Geld aus einem Nebenjob auf Deinem Konto ein?


mayhem, Freitag, 4. Juli 2014, 23:07
@vert: ich google mal, wie das hier bei uns aussieht, bin ja im Königreich Bayern.
Wohnheim etc fällt, wie schon von arboretum geschrieben, katzenbedingt weg, und ich kann meinen Großen nicht weggeben. Nicht nach 9 Jahren und allem, was der mitgemacht hat.

@arboretum: Nebenjob ist noch in Arbeit. Bei L*sh wurde mir angeboten, Werksstudentin zu machen, als ich nach Arbeit gefragt habe. Die suchen händeringend wen und Bewerbung wäre laut Chefin "nur Formsache". Ansonsten hab ich noch drei weitere Ansprechpartner (für 17 abgeklapperte Geschäfte eine ganz gute Quote eigentlich).
Ist aber alles erst zum 01.08.


arboretum, Freitag, 4. Juli 2014, 23:29
Werkstudentin? Das hat doch gar nix mit Deinem Studium zu tun, oder? Normalerweise bekommen Werkstudenten in dem Unternehmen Aufgaben oder Projekte, die im Zusammenhang mit dem Studium stehen, zum Beispiel bei Examensarbeiten.


vert, Samstag, 5. Juli 2014, 03:27
ach, der katzer. also ich hab da schon die ein oder andere wohnheimskatze kennengelernt. klar war das nicht erlaubt, aber.

königreich bayern, das macht den handlungsspielraum für die studivertretung natürlich kleiner bei so sachen wie rechtsberatung und dergleichen (s. anderer beitrag neulich), da es in bayern als einzigem bundesland keine verfasste studierendenschaft mit beitrags- und finanzhoheit gibt. und ohne moos ist dann schon mal schnell deutlich weniger los in dem bereich. oftmals gibt es halt fähige leute mit erfahrung, die es dann halt selber machen (aber eben nicht überall). ich kann verstehen, wenn man hier so anonym bleiben möchte wie möglich. allerdings kenne ich diese strukturen in by halbwegs und auch einige leute. wenn gewünscht, kann man mir auch mailen.

"werkstudent*in" - naja, das ist in den den unternehmen wohl nicht immer so trennscharf definiert...


mayhem, Montag, 7. Juli 2014, 15:40
@arboretum: die werkstudentin-sache hat mich etwas irritiert, ja. In der Bewerbung hab ich jetzt mal "studentische Aushilfe" geschrieben...


@vert: die Tendenz geht im Moment wirklich Richtung Studienkredit, zumindest für die Anlaufzeit. Mail folgt aber vermutlich trotzdem demnächst.


arboretum, Donnerstag, 10. Juli 2014, 11:35
Herrn verts Angebot von neulich anzunehmen, wäre aber trotzdem eine gute Idee, um die Sache mit einem Stipendium jetzt 'mal gezielt anzugehen.