Samstag, 9. August 2014
Zwischen Tag und Nacht wechsle ich zwischen neutraler Positivstimmung und namenlosem Heimweh.
Gelegentlich backe ich Pizza mit der neuen WG, oder wir sitzen im Garten, rauchen und schauen der Sonne beim Verschwinden zu.
"Wir", das waren bis jetzt die meiste Zeit Mitbewohner3 alias der Surfer und ich, da der Hippiehäuptling mit seiner Freundin im Urlaub war und sich der schüchterne Asiate nur selten aus seinem Versteck locken lässt.
Der Surfer ist kurzhaarig, beinahe untätowiert, gerade mal vier oder fünf Jahre älter als ich, seit zwei Jahren aus allen kriminellen Machenschaften ausgestiegen ohne Rückkehrwunsch und kein aktiver Metalmensch.
Dieses Wochenende ist er bei seinem Bruder zu Besuch, dann auf einer Fortbildung, ab Oktober wohnt er nicht mehr hier und nebenher macht er irgendwas komisches mit meinem kleinen, finsteren Herz.
Ein paar kurze, unverfängliche, vielleicht zufällige Berührungen an ein paar Bierabenden stehen im Kontrast zur absoluten Kumpelschiene, die er ansonsten fährt.
Vielleicht besser so. Normalen Menschen tue ich nur selten gut.
Trotzdem bleibt das "Es könnte ja sein", zusammen mit dem "was wäre wenn"; es schwebt neben mir die Treppenstufen hoch, wenn wir schlafen gehen, ich im Dach- und er im Kellerbunker.
Sitzt neben mir im Hauseingang, wenn ich, rein zufällig natürlich, gerade eine drehe, wenn er aus dem Garten kommt, oder wenn er schon da sitzt und auf mich wartet.
Rollt sich neben meinem Kopfkissen zusammen, wie Kater Mayhem auf meinem Bauch, wenn mein Herz ganz optimistisch rosa Glitzer kotzt, während es sich darauf freut, dass er am Sonntagabend hier ist, bevor er am Montag für eine Woche weg fährt.

Mir macht das Angst.
Das winzige bisschen Optimismus, das sich eingeschlichen hat und sich auch von ganz viel Kumpelschienenwahrscheinlichkeit nicht beeindrucken lässt, nicht mal ansatzweise.
Ich sollte eigentlich demnächst Besuch aus einer sehr, sehr großen Stadt bekommen, etwas Ablenkung, einfach, unkompliziert; zumindest, solange bei der Gegenseite keine Gefühle aufkommen, ich habe nämlich zur Abwechslung mal keine.
Es könnte so verdammt einfach sein.

"Ich habe keine".
Schreibe ich und versinke abwechselnd in Heimatlosigkeit, Isolation, und der pinken Glitzerwolke, die irgendwas in mir auskotzt, das für Gefühle, Schwärmereien und alles andere an mentalen Reifrock-Konstrukten* mitverantwortlich ist, sowie den Unsicherheiten, die sie produziert.
Dabei hatte ich mir gerade erfolgreich erklärt, dass ich vielleicht nicht ganz stabil, aber eindeutig absolut charismatisch. sowas von anziehend und allgemein ein toller Mensch bin; es ging sogar so weit, dass das andere Leute auch geglaubt haben.

Dann kam die Heimatlosigkeit, die Isolation und der Glitzerscheiß, und auf einmal geht alles wieder von vorne los.

Vielleicht ist es die Entfernung.
Der Bruch mit Menschen, auf die ich eigentlich gezählt hatte, und gleichzeitig die beinahe permanente Unterstützung, Betreuung und Bemutterung Tante Emmas, zusammen mit klassischem Coming of Age.
Verzögerte Erleichterung, weil ich noch zu sehr unter Schock stehe. Irgendwas.


"Auf dem Scheißhaus meiner Seele ist ein Rohr geplatzt".
Ich bin damit beschäftigt, den ganzen Dreck aufzuwischen.
Zwischen Bierabenden, Weinabenden, Pizza backen, Möbel rücken, Karten spielen und den endlosen Ausführungen des Surfers über sein getuntes, Pokale gewinnendes Auto.

Bis die ganze Scheiße wieder im Abfluss verschwunden ist, lassen endgültige Erleichterung und das Ankommen hier wohl noch etwas auf sich warten.
Muss man durch.







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*Je nach Ausführung etwas irritierend oder vielleicht sogar ganz nett, eventuell etwas kitschig, aber absolut unpraktisch, und Wegrennen ist auch nicht mehr drin, wenn man mal drin steckt.




Donnerstag, 31. Juli 2014
...oder: Moving to Auenland, Part 2



Während ich den mehr als feuchten Keller und mein Zimmer ausräume, verlässt der Knastbruder seinen Beobachtungsposten im Türrahmen nur dann, wenn er das, was seine kornzerfledderten Gedärme aus sich herausquälen wollen, von sich geben muss, oder wenn er eine neue Zigarette braucht.
Ruhig bleiben.

Zwischen dem Sichten dessen, was mal Einrichtung und Erinnerung war, bevor es zu vergammelten Moderklumpen geworden ist, deren Entsorgungsfahrt der Fremde glücklicherweise nach seiner Arbeit übernehmen konnte, bevor er zu einer Schulung weiterfahren musste,und der ersten Fahrt zum Zwischenlager und der neuen WG werde ich, in dem allzeit freundlichen Umgangston, der hier selbstverständlich herrscht, darum gebeten, doch bitte meinen gottverdammten Arsch zum verfickten Aldi zu bewegen und eine scheiß Flasche Korn zu holen. Aber plötzlich.
Nein, ich möchte nicht, dass man am vorletzten Tag meiner Katze oder mir den Schädel einschlägt, danke der Nachfrage.

Um halb elf bin ich wieder in der Noch-WG. Eingestaubt bis in die Winkel meiner Tunnel, mit diversen Schrammen verziert, und morgen wohl mit Muskelkater gratis.
In Umzugssituationen ist es dann doch etwas unpraktisch, dass grobe 80% meines Besitzes Bücher sind.
"Ist das echt dein Ernst? Die willst du alle mitnehmen?"
-"Das sind nur die Wichtigsten! Die meisten stehen ja bei meinem Vater."
"Du meinst die 3 Umzugskartons, die bei ihm aufm Dachboden stehen? Ich hab damals gedacht, die willst du verkaufen oder spenden."
-"Ich geb doch meine Kinder nicht weg!"
"Nicht nur verrückte Katzenlady, sondern auch noch eine, die sich hinter ner Wand aus Büchern versteckt, wenn sie die Nachbarskinder abwirft. Das hat sich nicht geändert. Und ändert sich wahrscheinlich auch nicht mehr." Das Lachen. Sein Lachen. Sie sehen mich verwirrt.

Der Hippiehäuptling wirkt ebenfalls etwas irritiert, als wir mit einer riesigen Reisetasche voller Bücher, die wir zu zweit tragen müssen, an ihm vorbeiächzen und uns die Treppen zu meinem Bunker hochquälen, um bei der nächsten Runde zu verkünden, dass die zwei Paar Schuhe und ein blauer Plastiksack alles sind, was ich an Kleidung mitbringe/besitze. Und dass da schon Bettwäsche mit reingestopft ist.

In der Noch-WG wartet (noch) unausgesprochene Aggression und Krisenstimmung auf mich.
Noch eine Fahrt, einmal kehren und rauswischen, Katze einpacken und ich bin hier fertig.
Mit Allem.
Und jedem.




Mittwoch, 30. Juli 2014
Oder: Chroniken eines Umzugs, Part 1

Immer noch geschlaucht von der Begegnung mit Mr.Gaunt und neuem Anhang vor zwei Wochen schwanke ich so zwischen nichtrealisieren (oder so) und ein bisschen Herzschmerz. Der mich überraschenderweise nicht (mehr?) zersprengt. Bis jetzt.
Läuft eben beständig im Hintergrund mit, man kennt es. Der Grauschleier, der sich über alles legt.


Genau so die Noch-WG. Ich bin unfassbar froh, wenn ich weg bin, und habe Angst, auch dann nicht in Ruhe gelassen zu werden.
Dunkelgrauschleier, seit Monaten.
Weltuntergang, akut seit Beginn der Woche.
Meiner letzten Woche.

Es hagelt Umzugshelferabsagen, und dann ruft der letzte Mensch mit einem Kombi, beziehungsweise überhaupt einem Auto, alias der Postbote, an und verkündet die unheilvolle Botschaft Magenschleimhautentzündung. Bettruhe.

Stundenlanges Telefonieren bringt nichts, immerhin Papa Mayhem hilft eventuell, meine Küche ins Zwischenlager zu bringen.
Das wird mit lediglich (s)einem Auto und kleinem Anhänger aber nichts, und er kann die finale Fahrt mit den Büchern, dem Kaktus, der Aloe, der Katze, ggf ein paar Sachen aus dem Zwischenlager und meiner Wenigkeit nicht übernehmen.
"Frag doch mal deinen Exfreund. Den mit dem großen Auto."
-"Papa, ich kann Mr.Gaunt nicht fragen. Ich hab seine Nummer gelöscht, er will mich nicht in seinem Leben haben und ich kann im Moment noch nicht wieder mit ihm zu tun haben."
"Hmpf. Und der andere? Der kann auf jeden Fall schwer heben und hat keine zwei linken Hände." Im zweiten Satz schwingt gefühlt mehr Anerkennung mit, als ich in meinem ganzen Leben von ihm erhalten habe.
-"Ich weiß nicht, ob das so ne gute Idee ist.."
"Ach, da haben wir doch noch die Nummer, seine Mutter ist doch unsere Tupperwaredealerin. Oder hat der endlich mal ein eigenes Festnetz in seiner Wohnung?"
Mein Vater ist da eher unsensibel bis grenzenlos pragmatisch.
-"Papa, ich glaub echt, der will nichts mit mir zu tun haben."
"Das musst du wissen. Aber du hast doch keine andere Wahl, oder?"

Zwei Stunden später hat der Raucher eine SMS von mir.
Eine halbe Stunde später habe ich eine Antwort.
Und am Donnerstag einen Umzugshelfer, wenn er nicht wieder bis 20Uhr Ortskerne pflastern und Straßen teeren muss und danach klinisch tot ist.

Umzug mit dem Raucher und teilweise Papa Mayhem.
Wieder in einen Dachbunker.
Mit zusammengeschnorrten Möbeln und der ewigen Frage, wo zur Hölle ich die halbe Bücherei, die ich angesammelt habe, unterbringen soll.
Mit dem Unterschied, dass ich Kater Mayhem vor eineinhalb Jahren einfach in meinen großen Wäschekorb packen und die paar hundert Meter bis zum Luftschloss tragen konnte.
Für über eine Stunde Autofahrt sollte ich ihm vielleicht eine standesgemäßere Transportmöglichkeit besorgen*.

Irgendwo in dem ganzen Weltuntergang klettert das Stimmungsbarometer auf "leicht sentimental". Aber auf die gute Art, glaube ich.
Ich beschließe hiermit, das als gutes Zeichen zu sehen und verzichte darauf, es weiter zu hinterfragen, während ich darauf warte, dass die Noch-WG endlich betrunken genug ist, um einzuschlafen, sodass ich in Ruhe mein Zimmer entmüllen (klingt dieses Mal ausnahmsweise dramatischer, als es ist), Wäsche waschen, und irgendwann schlafen gehen kann.
Schließlich hat Rewe auch nicht immer Bananenkisten und ich muss morgen früh genug auf der Matte stehen, um mir genug davon zu krallen, um ein paar Kleidungsstücke, ein bisschen Haar- und Schminkkram und 1000000000000000000 Bücher einzupacken.

Alles wird gut.



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*Die, die ich beim Umzug in die Noch-WG hatte, war nur geliehen und steht nicht mehr zur Verfügung




Mittwoch, 23. Juli 2014


Mayhem betritt WG,
Mayhem textet den WG-Häuptling planlos zu und hilft bei akutem Nikotinentzug dank großartiger Drehfähigkeiten aus.
Eins zu Null.

Zweiten WG-Kollegen, den schüchternen Asiaten, gesichtet,
Hallo gesagt,
verlegenes Handschütteln, der schüchterne Asiate flüchtet, weil er, wie ich erfahre, Angst vor Frauen hat.
Zwei zu Null.

Dritte WG-Kollegin am Telefon des Häuptlings.
"Waaaas, sie hat ne Katze? Sie MUSS bei uns einziehen!"
Drei zu Null.

Vierter WG-Kollege am Telefon des Häuptlings.
"Joa, macht ihr das mal. Klingt sympathisch, und wenn se ne Katze mitbringt und Metal hört, is das echt ziemlich cool."
Vier zu Null.

Dreißig Minuten Gespräch, zehn Minuten später, während ich auf meinen Bus warte, kommt der Anruf, wenn ich will, wollen sie auch. Und ich könnte notfalls auch jetzt schon rein.


Somit wohne ich ab spätestens 01.08. mit einem Asiaten, der Angst vor Frauen hat, zwei mir bis jetzt unbekannten, da ebenfalls erst neu eingezogenen Menschen und dem Hippiehäuptling in einem netten, kleinen, sanierten Bauernhaus in einem Vorort, gegen den das Auenland gnadenlos abstinkt.
So, wie die Treppen, Balken, Deckenvorsprünge und Türen (zumindest auf meinem Stockwerk) aussehen, wurde es auch für Hobbits gebaut.
Und es hat Blümchenlinoleumboden in der Küche!
Und alte Holztreppen!
Und einen Garten!
Und die Busverbindungen treiben mich in den Wahnsinn!

5km bis zum Bahnhof. Ich fühle mich wieder wie zuhause.
Aber ne Tanke gibts.
Und es fährt immerhin öfter als einmal am Tag ein Bus vorbei. Gelegentlich sogar Richtung Uni.

Morgen heißt es endgültig Abschied nehmen vom Mayhemmobil, und in einer Woche habe ich wieder das Vergnügen, live aus einem, nein, meinem, Dachbunker zu schreiben.



Well these times ain't always easy
And our money's running dry
These are probably going to be the best days of our lives

So here we go, back on the road again
And wish me well, I've got no soul left to sell
Although we may not have very much to show for it now
At least we have these stories to tell
Yeah we're definitely going to hell