Donnerstag, 24. Oktober 2019
Thema: Outtakes
vom Anfang des Jahres, als sich auch die Bipolar-Diagnose verabschiedete und bevor sie durch die (bis jetzt) erstaunlich passenden ersetzt wurde:

"(...) und egal, welche Diagnose ich erhalte, sie ist bisher IMMER ein besonderer Subtyp, atypisch, oder, wenn keines von beidem zutrifft, falsch.
Ehrlich. Selbst mein Blinddarm haelt sich an dieses Prinzip - und immer noch an mir fest, der ist quasi die einzige Struktur und Ordnung in meinem Leben, auf die ich mich wirklich verlassen kann.
Danke, Blinddarm!"




Sonntag, 13. Oktober 2019
Thema: gefunden.
Ich lebe, ich weiß nicht wie lang
Ich sterbe, ich weiß nicht wann
Ich fahre, ich weiß nicht wohin
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.


(Aus Glaube Liebe Hoffnung; ursprüngliche Herkunft/Form quellenabhängig variierend)




Donnerstag, 10. Oktober 2019
Du kannst alles schaffen, du bist schließlich mayhem. :)
Eine meiner ältesten Bekanntschaften; kennen gelernt ca. 2010 oder '11.
Tiefgläubig, aktiv in der CSU, Sonnenschein und "Macher-Mentalität", Hauruck- und Dorfmensch.
Dennoch zutiefst überzeugt davon, dass ich großartig und zu weiteren Großartigkeiten bestimmt bin.
Der gleiche Mensch hat mir vor einigen Jahren, als ich mich minutenweise aus einer besonders schlimmen Phase rausgegraben habe, das bereits angesprochene "Phönix-aus-der-Asche-Ding" attestiert.
Ist wohl auch ne Art von Resilienz. Und die kann ich brauchen.

Noch ein Gespräch, und ich weiß, ob ich meinen Master machen und die letzten Prüfungen aus dem BA-Studium in das neue "mitnehmen" kann.

Noch ein Antrag, und ich weiß, ob ich ein kleines Stipendium habe, das die Kosten meiner Krankenversicherung und einen Teil der bald wegfallenden Waisenrente abdecken würde.

Noch ein Assessment Center und ich bin im Lektorat/Qualitätsmanagement einer Agentur. Als reguläre Arbeitskraft, nicht als Praktikantin.
Noch ein bisschen Genialität beim Probearbeiten, und sie nehmen mich auch als Texterin. Wäre mir lieber. Beides ist ausgeschrieben, ich habe mich dummerweise auf die erste Stelle beworben, weil dort mehr Stunden und Homeoffice drin sind.
Immerhin habe ich es so weit geschafft, ohne eine formale Bewerbung abgegeben zu haben - nach wie vor die am meisten gefürchtete Textgattung, die mir begegnen kann.

Einmal Termin ausmachen und zur arroganten, empathielosen Ansprechpartnerin für meinen Studienkredit gehen; zusehen und hören, wie ihre Abneigung gegenüber niederen Lebensformen wie mir aus jeder ihrer Poren strömt, irgendwie die Fassung behalten und zu einer Lösung kommen, mit der ich leben kann.
Ich würde so gerne einen Kumpel fragen, ob er mit geht. Er ist ein Fels, physisch und mental, wirkt außerdem sehr bedrohlich und ich fühle mich in Angstsituationen sicherer und beruhigter, wenn er dabei ist.
Aber ich traue mich nicht, ihm zu schreiben. Wir haben wenig Kontakt die letzte Zeit und er hat mir, wenn auch betrunken, erklärt, dass er emotionale Menschen als schwächer ansieht und mich als sehr instabil. Eigentlich ist es egal, ob ich schwach und instabil bin; dennoch Schamgefühl als Blockade. Muss ich durch; lieber schäme ich mich, unabhängig von der personellen Besetzung meines Sicherheitsnetzes, als mich gar nicht in die Höhle des Studienkredit-Satans zu trauen.


Noch immer der Praktikumsbericht ausstehend, noch immer Bücher, die bestellt werden wollen und ein Dozent mit engelsgleicher Geduld, der mir die Betreuung der BA angeboten hat und für den ich mal ein Konzept machen könnte. Oder so. Keine Ahnung, wie man eine BA schreibt, ich weiß ja nicht mal, wie ich es geschafft habe, die eine, einzige Hausarbeit hinzukriegen. 2,7 übrigens.
Ich konnte auch mal mehr.

Es schleichen sich wieder helle Momente ein.
Jeden Tag ein Zusammenbruch, zerlegter Schlafrhythmus, Emotionsfressen, ein paar mal feiern gewesen, dabei fast jedes Mal zu viel getrunken.
Aber: von vier Unitagen drei besucht. Mitgeschrieben, mir vorgenommen, das zeitnah in den Laptop zu tippen.
RAM am Laptop ausgetauscht, erfolgreich.
Ganz alleine bei der Studienberatung und der Finanzberatung für Studenten gewesen.
Ein paar Tage vorbildliches Essverhalten an den Tag gelegt, keine seltsamen Menschen abgeschleppt und mich auch nicht von seltsamen Menschen abschleppen lassen.
Den Weltuntergang nicht an den Haaren ausgelassen, sondern sie einfach friedlich immer mal wieder entsplisst und sonst aus dem Weg geräumt. Das weiß-werden hat das Tempo erhöht, hoffe, dass die Haarausfallrate nicht nachzieht. Feenfeine Elfenhaare passen nicht zu Walkürenformat.


Ich könnte jeden Tag weinen oder schreien ob der Unaushaltbarkeit. Mache es auch manchmal.
Und dann sitze ich es aus. Anstarrwettbewerb mit hungrigen Alligatoren, wer zuerst blinzelt hat verloren, wird von Skalpellzähnen aufgeschlitzt, durch den Kettensägenfleischwolf gedreht und danach fachgerecht verdaut.
Jedes Mal, wenn sie zurückkommen und die Tür eintreten fällt ein weiterer Bleiklotz auf den Stapel der Unaushaltbarkeit.
Dann ignoriere ich sie weg, wie auch die Frage, wie ich das immer wieder, solange ich lebe und vielleicht noch länger, ertragen soll; nach wie vor lege ich mir parallel ein dickeres Fell zu und werde immer dünnhäutiger. Oder instabiler? Oder schwächer? Oder nicht?
Es fordert jedes Mal so viel Kraft. Aber vielleicht ist das auch nur mentaler Muskelkater.
Mein Mitbewohner geht ins Fitnessstudio, ich stemme mein Leben.




Montag, 23. September 2019
Ich erinnere mich an meine Kernkompetenzen; manchmal zumindest. Gelegentlich kann ich sie sogar nutzen.
Eine davon ist es, Dinge auszusitzen. Einfach weiteratmen, gepredigt mir selbst, dem Blog und der Welt (in meinem Kopf), seit es vor einigen Jahren (ich bin immer wieder überrascht, wie lange ich hier schon schreibe) an die Stelle des vorherigen "alles wird gut" getreten ist.
Seit ich beschlossen habe, dass es nicht gut wird und das auch nicht muss; dass es reicht, wenn Dinge werden; was gutes mach ich schon selbst draus.

Ich habe wahnsinnige Angst.
Davor, zu versagen, zu verlieren (Dinge, Menschen, Chancen, Kater Mayhem; gegen Dinge, gegen Menschen, gegen das Leben, gegen mich), mir mein Leben versaut zu haben oder/und es noch (weiter) zu tun. Gegenwart gibt's eben nicht ohne Vergangenheit.
Der alte Begleiter; ich habe mir so viel verbaut, so viele Chancen vertan, es mir so viel schwerer gemacht, als es sein müsste, denn es ist auch so schon schwierig genug.

Ich bin Fachfrau auf dem Gebiet.
Dinge aushalten, die angeblich nicht aushaltbar sind; dabei zu Staubpartikeln aus Elend zerfallen und vier Monate später plötzlich wieder im Türrahmen stehen; im rosa Plüschbademantel, meinen Zebrapuschen, Dampfe (ehemals: Kippe) im Resting Bitchface und die "Töte, du kannst sie nicht alle anlächeln"-Tasse in der Hand, als wäre nie was gewesen.
Vor Jahren hat ein damaliger Kumpel zu mir gesagt, diese "Phönix aus der Asche"-Nummer sei irgendwie meine Special Skill und genau mein Ding. Akut bleibt mir nichts anderes übrig, als das erneut zu beweisen, denn Scheitern ist keine Option.
Nicht aus Egogründen, sondern ganz rational und greifbar.
Wenn ich das Studium verkacke,habe ich einen über sechs Jahre angehäuften Schuldenberg, der nicht mal zu einem popeligen Bachelor geführt hat.
Wenn ich es mit der Akuttherapie nicht durchziehe, ist die Degeneration zurück in's Traumakind besiegelt und nicht mehr aufzuhalten und mein Schaden bricht mir das Genick.
Wenn ich mich nicht verdammt anstrenge, stehe ich wieder ohne Freunde da, weil die, die sind, wegziehen und die, die welche werden könnten von mir vergrault werden.
Wenn ich nicht dran bleibe, addiere ich zu den vorhandenen Eigenheiten meines Körpers noch weitere Schäden; und somit auch zu meiner Psyche.

Es könnte anders sein.

Der Hufeiseneffekt, das Schaukeln vom Hoch, durch's Tal, zur Maximalamplitude des Möglichen und wieder zurück, könnte sich auflösen. Oder mich zumindest zu einem neuen Hufeisen werfen.

Ich könnte einen Bachelor schaffen, der gut genug ist, um mich für einen Master, der was taugt, zu qualifizieren. Oder für ein Volontariat mit Zusatzspezialausbildung, Fachjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit.
Riesiges, seelenloses Unternehmen, Fachbereiche, die auf der Biomüll-Katzenbaby-Skala der Begeisterung irgendwo kurz vor Valium liegen.
Dafür mit dem Zug gut zu erreichen (denn ich werde hier verdammtnocheins nicht weg ziehen, das hier ist jetzt meine Heimat und die halte ich fest), bereits nach dem ersten Jahr ein Gehalt, das mehr ist, als mein Vater je verdient hat, und ein aufgemöbelter Lebenslauf, wie ihn die Arbeit in Unternehmen, die im Alltag kein Schwein kennt, die in ihrem Spezialgebiet aber auch international einen gewissen Rang haben, so mit sich bringen kann.
Was sie dafür gerne von mir hätten: eine Workshop-Teilnahme im kommenden Semester, Flugreise zu einem vom Unternehmen veranstalteten Kongress, an dem ich doch mal so beiläufig zeigen darf, dass ich es drauf habe, und einen Bachelor mit schlechtestens 2,0.
Eventuell auch den Verkauf meiner Seele; in jedem Fall aber das Einschläfern (oder wenigstens Einfrieren) meiner Persönlichkeit. Und bitte, Frau Mayhem; sollten Sie für uns arbeiten wollen, entfernen Sie das Metall aus Ihrem Gesicht und den Ohren und befreien Sie letztgenannte von den Durchgucklöchern. Vielleicht können wir nach zwei, drei Jahren Betriebszugehörigkeit nochmal darüber reden; wenn klar ist, ob Sie Ihre Kompetenz in einem Maße einbringen können, das uns gemeinsam weiter bringt. Großflächige Tätowierungen haben Sie nicht geplant, oder? - Wie Sie sehen, sind meine Blusen sowieso langärmlig, das sollte doch dann nicht auffallen, oder? - Das ist eine Sache das Prinzips; wenn Sie auffällige Tätowierungen hätten und ein Geschäftspartner dessen gewahr wird, weil Ihr Ärmel verrutscht, wirft das ein schlechtes Licht auf uns.
- Achso.
Fickt euch, ich überzeuge nicht mit meinem Aussehen, sondern mit meiner Kompetenz.

Ich könnte mir einen zuverlässigen Freundeskreis aufbauen und vielleicht sogar an ihn glauben.
Das Schaukeln, die (platonische) Liebe und ihr Ausbrennen zur Holzasche der Belanglosigkeit, das Himmel-oder-Hölle-Kinderspiel zwischen den Funktionsgruppengefügen; ich könnte es ersetzen durch was, das Seele hat.

Ich könnte die heiligen Gebote der Mutter Mayhem durch meine eigenen ersetzen oder sie zumindest umschreiben.
Aus dem Algennetz dessen, was/wer ich sein kann, einen Teppich weben, oder eine Decke.
Rausfinden, was von mir übrig bleibt, wenn ich diesen erneuten Häutungsprozess nicht nur überstehe, sondern dabei die Abszesse öffne und das kranke Gewebe rausschneide.
Mir eine Identität zulegen, die irgendwie tragfähiger ist und von mir selbst gebaut, nicht von dem, was in meinem Gehirn ist; nicht von den Automatismen, die machen, dass ich handle, oder bin, ohne mich zu fragen, ob ich das gerade so haben will. Ich weiß, nach Goffmann spielen wir sowieso alle Theater, und ich kann das manchmal ziemlich gut; aber wenn ich schon in einer lebenslangen Inszenierung mitwirke, will ich mir wenigstens meine Rolle aussuchen, am Drehbuch mitschreiben und mitentscheiden, wie das Stück aufgeführt wird.


Ich weiß nicht, ob das noch geht.
Die meiste Zeit verbringe ich in Angst und Selbstekel, wie immer.
Rückkehr zu alten Mustern.
Ich weiß aber auch, dass dass das eben alte Muster sind, und dass ich noch andere habe.
Wenn das Verlorengehen, das Festhängen, die Selbstsabotage, die Angst, die Unsicherheit, die Verluste, der Ekel, der Hass von der Vergangenheit als Scherenschnitte auf die Bühnenwand und in mein Hirn projeziert werden, weil die verdammte Hure unfähig ist, mich mal für mehr als einen Abend in Ruhe zu lassen, soll sie eben da bleiben und mir ein paar Schablonen zum Mitmachen geben. Dann bastel ich mir eigene Scherenschnitte, setze mich dazu und wir machen eine Neuinszenierung.
Wenn ich schon so fremddefiniert war/ bin, wie es scheint, kann ich mir auch ein paar neue Zeilen ausborgen.

Pickelfresse?
Passt nicht mehr; gelobt seien chemische Peelings und guter Sonnenschutz.
Fett?
War ich damals nicht, würde heute besser passen; da ich mich offiziell vom 29er-BMI und in eine gesündere Richtung verabschiedet habe (und weiterhin werde) und es außerdem ein rein optisches, kein persönlichkeitsdefinierendes, Merkmal ist, kann das zwar weiter in meinem Hirn sitzen, hat sich da ja schließlich über Jahrzehnte häuslich eingerichtet , mehr aber auch nicht. Langfristig werde ich diesem Merkmal die Wohnung kündigen zwecks Eigenbedarf und eine andere Mietpartei einziehen lassen, die mir näher steht.
Helferkomplex?
Wegreflektiert.

Es bleiben die Definitionen meiner Kindheit.
Immer am Lesen, immer am Schreiben, immer mit dem einen Plüschtier unterwegs.
Extrem sensibel, richtiggehende Mimose.
Meistens ruhig, ansonsten hypermegaextremaufgekratztaktivschwungvolleskalierend.
Erwachsen, extrem pflegeleicht, intelligent.
Altklug.
Einzelgängerin, das Meiste mit sich selbst ausmachend, tagtraumaffin und Paralleldimensionen bauend.

Ich weiß nicht, ob ich das alles je war, und warum. Aber vielleicht kann ich es sein.

Fangen wir an.