Sonntag, 23. Februar 2020
Mein Studium hängt von der Entscheidung eines Dozenten ab, der gerade nicht da ist.
Am Tag der Sprechstunde suche ich die eine blaue Jeans und die eine grüne Strickjacke, die ich für Situationen, in denen es nicht nur auf meinen Verstand,sondern auch auf ein harmloses Aussehen ankommt, im Schrank habe.
Dann schmeiße ich die Jeans in die Ecke, weil ich nicht mehr reinpasse und arbeite mit dem, was ich sonst noch so finde.
Bin mir die bestmögliche Mutter-Vater-Kind-Personalunion, die ich hinkriege.
Sitze auf dem Boden einer Universitätstoilette und habe eine Panikattacke.
Atme sie weg, stehe auf, wasche meine Hände und laufe zum Büro.
Finde eine Notiz an der Tür, Sprechstunde erst nächste Woche wieder, Dienstreise.
Fahre nach Hause, falle auf mein Bett, schluchze ins Kissen, heule mir das Makeup runter, wie im schlechten Film, sogar die Katze schaut skeptisch.

Sammle mich wieder ein, male ein Bild, mache eine Stunde Yoga und mir danach ein Bier auf.
Trinke mein Bier, lese meinen Bukowski, treffe mich mit der Thekenzwergin und ihrem Kerl,die mich unter die Dusche stellen und dann mit tanzen nehmen.
Pöble einen Kerl weg, der mir erzählt, wie unattraktiv meine Kratzbürstigkeit sei, da ich doch eigentlich so eine intelligente, besondere und hübsche Frau wäre; sehe den Baumgeist wieder, der auf einem Festival mal kurz mit in meiner Gruppe gesessen hat.
Finde ihn interessant, unterhalte mich gut, gehe dampfen, Zackbumm sein besoffenes Macho-Alterego ist wieder da und unterhält sich lieber mit einem netten, absolut harmlosen Durchschnittsmädchen.
Weil auf der mentalen Kommandobrücke neben meinem zwanzigjährigen Selbst auch die Personalunion aller relevanten Familienmitglieder steht, die ich mir selbst bin, habe ich das Aufmerksamkeitsbedürfnis im Griff und trotzdem einen funktionierenden Abend.
Als das Durschnittsmädchen mit dem Kopf auf dem Tresen den Schlaf der Alkoholleichen schnarcht unterhalte ich mich ein bisschen mit dem Baumgeist, komme zum Ergebnis, dass er überkompensiert (Vermutung: Unsicherheit und Verletzlichkeit, Schlussfolgerung: Distanz halten, keinen Bock auf Menschen, die nichtmal versuchen, etwas daran zu ändern, dass sie Opfer ihres Hirns sind) und will ihn schon abschreiben, been there, done that.
Ein paar interessante Gesprächsansätze sind dabei, erst recht, nachdem ich mir angewöhne, sein Verhalten zu spiegeln und bei Bedarf zurück zu feuern.
Es ergibt sich diese ganz eigene Dynamik, die entsteht, wenn ich jemandem begegne, dessen Grad an Intelligenz meiner genauso ähnlich sein könnte wie der Grad der psychischen Abgefucktheit.
Früher sind aus sowas die sehr intensiven und sehr ungesunden Beziehungs- oder Nichtbeziehungskisten geworden, die man gerne mal mit Verliebtsein verwechselt. Keine Lust mehr auf sowas, ich habs lieber tragfähig und realitätstauglich.
Mein zwanzigjähriges Ich besteht aber nachhaltig darauf, sich die Sache doch mal anzusehen und nicht jetzt schon endgültig zu verurteilen, nur, weil ein Muster möglicherweise zu erkennen ist. Und doch mal Gnade zu haben, es fege schließlich nicht jeder mit Mähdrescher, Panzer und Hochdruckreiniger durch sein Hirn, wie ich das mit dem meinen in schöner Regelmäßigkeit tue.
Ich muss ihr Recht geben und wüsste außerdem gerne, was vom Baumgeist übrig bleibt, wenn man seine Selbstschutzanlagen demontiert.
Pragmatisch, wie ich sein kann, sage ich ihm also genau das.
"Ey, Baumgeist. Ich glaub', in deinem Kopf verstecken sich jede Menge schräge Sachen und vielleicht sogar ein paar echt coole. Ich würd' mich gern mal mit dir unterhalten, wenn du nicht besoffen bist und alles wegpöbelst, was dir gefährlich werden könnte."
Keine Machotour, ganz große Augen (dunkelgrün übrigens), dann gewinnt er die Balance zurück.
"Was solln in meinem Kopf groß los sein? Mir wird so schnell keiner gefährlich." Sein Gesicht sagt etwas anderes.
Die Kommandobrücke meines Gehirns verhandelt, ob wir genauso scheiße sind wie der "ich glaube, du wurdest mal sehr verletzt, aber ich kann dir helfen, du wunderbare Frau"-Typ von vorhin. Wir kommen zu dem Schluss, dass das nicht so ist, weil wir dem Baumgeist nicht helfen wollen (der soll seinen Scheiß mal schön selbst machen, so von wegen "nicht in das Potential vergucken, sondern in den Menschen, wie er eben ist), nicht wahllos ein Idealbild anschwärmen und weil unsere Intuition vielleicht doch relativ zuverlässig ist.
Außerdem bin ich ordentlich angetrunken und sehe manchmal gerne die Welt brennen.
"Ich glaub' ,'Gefahr' ist manchmal,was durchschauen kann, weil das angreifbar macht. Nichts davon ist mein Plan, ich hab weder vor, dich anzugreifen, noch, eine Baustellenbegehung zu machen und zu raten, wer da jetzt eigentlich was in welche dunkle Ecke geschmissen oder kaputt gemacht hat, ob das jetzt irgendwelche Exfreundinnen, Familienmitglieder oder sonstwer waren, und was es da genau zu sehen gibt. Das juckt mich alles eher wenig, ich find' unsere Unterhaltungen aber interessant und wüsste gerne, wie ein Gespräch aussähe, in dem wir beide einigermaßen nüchtern sind und nicht permanent im Selbstverteidigungsmodus."
Der Kerl, der meine Kratzbürstigkeit bemängelt hat, quetscht sich zwischen uns und lädt den Baumgeist auf einen Shot ein; ich beschließe, zunächst für genug Verwirrung gesorgt zu haben und gehe dampfen.

Als ich wiederkomme, quatscht mich Mr."Du bist so toll und so intelligent und so abweisend, warum, ich bin voll der gute Typ" wieder an. Ich teile ihm mit, dass ich mich lieber eine weitere halbe Stunde vom Baumgeist anpöbeln lasse, als mir dieses sinnfreie Idealisieren auch nur eine Minute weiter anzuhören.
Was mir einen weiteren, wichtigen Ratschlag (zusätzlich zu dem, ich solle nicht so kratzbürstig sein, das stünde mir nicht; und ich solle doch mal lächeln) einbringt: "Also, jetzt ganz ehrlich, weil ich dich echt mag und echt geduldig bin, und weil du eine wirklich tolle Frau bist: Du musst echt mal lernen, weniger zu reden."
Ich überlege kurz, ob ich mich verunsichert fühlen soll, zumal Thekenzwergin und Co. darauf bestehen, dass das ein total korrekter Mensch sei.
Dann befinde ich, dass heute ein guter Tag zum Kratzbürstigsein ist: "Ich find das echt nett, dass du mir deine gut durchdachte Kritik so freundlich nahelegst, zumal wir uns bereits so lange kennen und du deine außerordentliche Menschenkenntnis immer wieder so deutlich zur Schau stellst. Mein Redepensum ist recht hoch, aber einer derjenigen, die mir echt wichtig sind, findet das zum Glück voll ok. Weißt du, wer das ist?"
Kunstpause, Drama Baby. Muss auch mal sein.
"Ich selbst, verfickte Scheiße. Und jetzt lass mich in Ruhe, sonst werd' ich wirklich unfreundlich."
Der Kerl geht dem Baumgeist sein Leid klagen. Immerhin ist er weg.
Dann kommt der Baumgeist zu mir. "Du hast meinen Kumpel voll angepöbelt."
-"Jup."
"Du redest halt echt voll viel."
-"Jo, ich weiß. Aber ich hab' halt auch meistens was zu sagen, und meine große Liebe, also ich, findet das super."
"Haste auch wieder Recht."
Der Baumgeist schaut auf seine Füße, dann wieder in mein Gesicht. "Du hast voll die grünen Augen. So'n bisschen türkis." Danke, liegt in der Familie, mit der ich nicht genetisch verwandt bin.
"Ey, Mayhem? Also, du heißt Mayhem, oder?"
-" Ja?"
"Ich würd' mich echt gerne mal nüchtern mit dir unterhalten. "
-"Jo, können wir machen."
"Ja, also, wäre schon ganz nett, glaube ich. Vorschläge?"
- "Naja, aktuell seh ich dich jedes halbe Jahr mal irgendwo und manchmal bist du da sogar ne halbe Stunde nicht rotzevoll, da ist noch Luft nach oben, glaub ich."
"Hm, ja, das stimmt wohl."

Ich frage ihn nicht nach seiner Nummer, er mich nicht nach meiner.
Zu wackelig die ganze Situation, zu viele Hemmschuhe. Machomodus, Durschnittsmädchengeschichten, zu hohes Risiko, um da mehr zu investieren. Leichen im Keller machen noch lange keine Persönlichkeit aus.
Abwarten.
Wann wir uns wieder über den Weg laufen, wie er sich verhält, ob er sich noch erinnert. An die Festivalunterhaltungen anscheinend nicht mehr, und wenn's jetzt wieder ein halbes Jahr dauert, oder länger, verschwindet "Lass uns mal nüchtern reden" vielleicht auch wieder im Nebel.

Aber:Es wäre kein Weltuntergang.
Keiner, den ich nicht überstehen kann.
Ich habe Routine, ich kann aussitzen und ich kann aushalten. Mich, andere, Krisen, Weltuntergänge sowieso.
Vielleicht sogar Ungewissheit - ob beim Warten bis zur nächsten Sprechstunde, auf den Paketboten, oder eine weitere Begegnung mit dem Baumgeist.

Meine Psyche und ich, wir machen Fortschritte.
Und das ist eins der gloriosesten Gefühle überhaupt.




Freitag, 14. Februar 2020
Der schicksalhafte Zufall schmeißt mit Skurrilitäten um sich und vielleicht sind die auf meiner Seite.

Der Betreuer ist wohl tatsächlich nicht mehr da (endgültige Bestätigung erhaltener Informationen zum aktuellen Zeitpunkt noch ausstehend), was es notwendig macht, einen neuen zu finden.


Drei stehen insgesamt zur Verfügung; Nummer 1 kann mich nicht leiden (und ich sie auch nicht), Nummer 2 kann den Autor nicht leiden, dessen Werk ich behandeln werde.
Nummer 3 lehrt das Institut das Fürchten mit einer sehr direkten "Hart aber Herzlich"-Art und weil er auf seinem Gebiet alles weiß, was man so wissen kann*.

Praktischerweise liegt mein Thema mittendrin in diesem Gebiet.
Und praktischerweise gehöre ich zu der Handvoll Studenten, die nicht tot umfällt, sobald er eine Frage stellt - ich pendle quasi permanent zwischen "AAAAAAH" und vollkommener Gleichgültigkeit, ich hab Routine.
Und ich kann meinen Scheiß. Wenn ich nicht gerade im "AAAAAAH" oder meinem Kopf verloren gehe, produziert mein Hirn Ergebnisse. Tendenziell gute.


Aktuell kleine Sinnkrise (Mail schreiben und fragen? WIE FORMULIERE ICH DIESE MAIL? Nicht schreiben und stattdessen kommende Woche direkt in die Sprechstunde, schließlich ist die ohne Anmeldung offen und persönlich lässt er sich vielleicht leichter überzeugen? ABER ICH WERDE WEINEN,WENN ER NEIN SAGT und vielleicht ist es besser, wenn ich nicht in einer Sprechstunde weine? Ach scheiß drauf, wenn ich heule, heule ich eben. ABER WIE SOLL ICH DIESE UNGEWISSHEIT BIS ZUR KOMMENDEN WOCHE AUSHALTEN? AAAAAAAH!), aber ich hab ja Routine.

Die Schönheit meiner Psyche liegt darin, dass sie an permanente Ausnahmezustände gewöhnt ist und sie im ihr eigenen Nebeneinander von Weltuntergang und routinierter Gleichgültigkeit in einem riesigen Geisterschiff erfolgreich durchsegelt, jedes verdammte Mal wieder.
Ehrlich, diesen Valentinstag gilt meine Liebeserklärung, neben den Katzen, meinem Hirn. Das hat es einfach mal verdient. Vielleicht sollte ich es mal auf ein Date einladen.

Mein Studium hängt am dünnsten aller bisherigen seidenen Fäden, so richtig, ohne Übertreibungen; eine große Portion Glück sowie meine Fähigkeit, in extrem kurzer Zeit extreme Leistung zu bringen entscheiden darüber, was das wird.

Aufs Glück vertraue ich, Extreme kann ich.


Tobe, Welt und springe
Ich steh' hier und singe.







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*Und noch mehr, von der Antike bis zur PostPostPostPostmoderne (es ist durchaus wahrscheinlich, dass er in die Zukunft sehen kann oder eine Zeitmaschine erfunden hat)




Dienstag, 11. Februar 2020
Der schicksalhafte Zufall schmeißt erneut mit Skurrilitäten um sich:

Ich wurde zum Master zugelassen.
Die Abgabefrist fürs Zeugnis liegt mitten im Vorlesungszeitraum, lange vor der Prüfungsverbuchung.
Ich kümmere mich darum, dass sie angepasst wird.
Sie bekommt ein Upgrade: wahnsinnig knapp, aber technisch möglich.

Dafür ist mein Dozent nicht (mehr?) als möglicher Betreuer gelistet.
Auf der Institutshompage ist er generell (noch?) gelistet, der Link führt allerdings ins Webnirwana, er bietet dieses Semester auch keine Kurse an.

Aus dem Fachbereich kenne ich sonst nur noch zwei Personen.
Einer ist für die nächsten Jahrtausende verplant, die andere würde sich lieber einer Wurzelbehandlung ohne Betäubung unterziehen, als mit mir in einem Raum zu sein.
Was auf Gegenseitigkeit beruht.
In anderen Fachbereichen bin ich entweder nur durchschnittlich gut oder die betreuungsbefugten Dozenten sind gerade in Mutterschutz, an Partnerunis oder haben mich seit fünf Jahren nicht mehr gesehen (und ich ihre Forschungsschwerpunkte somit auch nicht).

Anstehende Kleinkriege: zwei Hausarbeiten, ein Blockseminar, ein Protokoll, BA-Vorbereitungen.
Bonus-Challenge: Eventuell neuen Betreuer für das Ding finden. Und zwar schnell.
Und gegebenenfalls ein neues Thema.
Man gönnt sich ja sonst nichts.




Dienstag, 4. Februar 2020
In Sachen unübliche Lebensgeschichten bin ich ja quasi Fachfrau.
Da wäre meine, und was sie so mit mir anstellt, und da sind die all derer, denen ich unterwegs begegne und die ich entweder einsammle oder liegen lasse (Fortschritt!).
Die Kunst ist, sich weder von der augenscheinlichen Ungerechtigkeit auffressen zu lassen, noch, vor ihr zu resignieren.
Die treibende Schicksalskraft ist der Zufall, und dem ist per se erst mal alles egal. Der macht einfach sein Ding, und gut ist. Oder ungut - egal, juckt den Zufall nicht.
Desweiteren bin ich ziemlich wahrscheinlich nicht Jesus - ich bin nicht hier, um das Leid der Welt auf meinen Schultern zu tragen oder/und irgendwem dadurch Erlösung zu verschaffen. Erlöst euch doch selbst. Echt jetzt.

Die Kunst ist, die Selbstdefinition zu meistern, wenn man denn herausfinden will, wer oder was dieses ominöse "Selbst" sein soll.
Dazu gehört die von mir beständig gepredigte heilige Dreifaltigkeit: konstruktiv, differenziert, reflektiert. Im Hirn und außerhalb. Für das Ich und für das Andere und für alles, was daraus entsteht oder nicht-entsteht.

Die Kunst ist Mut.
Mut ist nicht: angstfrei sein. Angst ist evolutionär gesehen sinnig, Angst kann tolle Sachen, zum Beispiel unser Leben retten.
Mut ist das "Trotzdem". Ein Protokoll schreiben, zwanzig Minuten am Tag, bis es fertig ist, und es dann, zwei Stunden zu spät, abgeben. Sich dabei fast ein- und ganz und gar nicht darauf scheißen, dass das eine lächerlich einfache, übersichtliche Aufgabe ist, die man eigentlich mit links bewältigen könnte.
Vor Angst und Anspannung das Gefühl haben, gleichzeitig weinen, Sachen kaputt schlagen und kotzen zu müssen, weil das Scheißleben gerade mal wieder alles andere als einfach ist.
Sich einzugestehen, dass das Leben das nicht aus böser Absicht tut und "einfach" subjektive Definitionssache ist. "Einfach" im Vergleich zu was? Und warum der Vergleich?
Mut ist Ehrlichkeit.
Nicht verloren gehen in dem, was man gern wäre, was die anderen sein könnten, was die Schwarzmalerei sagt oder was die Hoffnung gerne hätte.
Realistisch bleiben, so richtig. Die Realität will dich weder verzaubern, noch will sie dir auf die Fresse hauen. Die Realität ist erst mal einfach da, macht eben ihr Ding, und gut ist. Oder ungut - juckt die Realität nicht.
Mut ist Menschlichkeit.
Der allgemeine kategorische Imperativ, "Sei kein verdammtes Arschloch". Gilt für das Selbst und das Andere.
Dem Scheißefinden einen Raum geben, und dann irgendwie den mentalen Backflip schaffen und verzeihen, dem Selbst und dem Anderen - wenn es angebracht ist.
Mut ist nämlich auch, Grenzen zu ziehen.
Aussortieren, Unverzeihliches als genau das benennen.
Überhaupt. Dingen einen Namen geben. Und erkennen, dass die manchmal auch nur Schall und Rauch sind.

Die Kunst ist konstruktive Akzeptanz.
Gegen Windmühlen ankämpfen lohnt sich nicht immer - die Scheißdinger einfach wegzusprengen manchmal schon. In die Luft jagen, mit dem Panzer drüber fahren, und weg mit dem Scheiß.
Manchmal vielleicht doch lieber stehen lassen und einfach woanders hin. Mit oder ohne Panzer.
Erkennen, dass auch Unaushaltbares nicht immer abhaut, egal, wie sehr man es sich wünscht. Und den Plan anpassen. Oder über Bord werfen und nen neuen machen. Oder auch nicht.
Festhalten, dass es manchmal Gründe gibt und manchmal nicht.
Unabhängig davon irgendwas draus machen. Aus der Situation, der Erkenntnis, dem Leben, dem Selbst oder dem Anderen.

Die Kunst ist, weiter zu machen - nicht mit jedem Bullshit, den man sich so zusammen gesponnen hat, sondern, ganz schlicht und ergreifend, mit dem Existieren.
Irgendwann wird schon wieder ein Leben draus.
Ob mit oder ohne Hoffnung, mit oder ohne Glauben an das Selbst, das Andere, Schicksal, Zufall, Universum, höhere Mächte, Gründe, Perspektiven.


Die Kunst ist Selbst-Transformation.
"Stabiles Mittelmaß ist mir nicht vergönnt" streichen und stattdessen damit arrangieren, dass alles permanent fragil, wacklig und im Wandel begriffen ist, wenn auch mit variierender Intensität. Davon verabschieden, dass man das gut oder schlecht finden muss.
Überlegen, ob da was dran ist am "sich selbst ein Zuhause sein", aber auch nicht verzweifeln, wenn sich herausstellt, dass das eine Illusion ist, solange man davon ausgeht, dass Selbst oder Zuhause oder überhaupt irgendwas statisch ist.
Den ganzen Kram nehmen: Trauma, Welt-, Herz-und Existenzschmerz, die Angst, dass Chancen und Potentiale für immer verloren und die besten Zeiten vorbei sind, spontane Momente der Genialität und des Insichselbstverlusts, Erkenntnisse und solche, die nur so getan haben, spontane Gloriositätsanfälle des Lebens, untergehende Welten und Universen, Galaxiesplitter und implodierte Sonnen, verlorene Menschen, Jobs, Chancen, Pläne,...
den ganzen Scheiß nehmen und in einen großen Topf werfen.
Zusehen, wie das brennt und speit und zwischt und schaudert.

Die Kunst ist, daraus was zu machen. Ein Nichts, ein Etwas, irgendwas dazwischen.
Dem Topf beim Überlaufen zusehen, nasse Füße bekommen, unter denen es den Boden wegätzt.
Hoffen, dass man diesmal eine Rettungsweste eingepackt hat, weil man immer noch Nichtschwimmer ist.
Feststellen, dass auch Nussschalen zum schwimmenden Panzer transformiert werden können.
Beschissenes Wetter aussitzen, besseres nicht erwarten, aber (sofern möglich: freudig) annehmen, ohne dabei die Regenjacke zu verkaufen.
Im Idealfall: noch ein, zwei weitere auf Vorrat haben.
Für richtig mieses Wetter oder andere Schiffbrüchige.
Und eine Machete, falls sie sich als Arschlöcher entpuppen, ich bin vielleicht mitfühlend, aber nicht vollkommen bescheuert.


Meine großen Kunststücke sind Resilienz, Aussitzen, Weiteratmen, Verzicht darauf, endgültig den Verstand zu verlieren, stattdessen Fokus auf das, was man mit dem Ding sonst noch so tolles anstellen kann.

Und es lohnt sich.
Jede Implosion, jede Unaushaltbarkeit, jedes Pulverisiertwerden und jedes Loch im Herz.
Nicht, weil man das zum Leben braucht.
Sondern weil ich was draus mache.