Donnerstag, 27. Februar 2020

Der Horizont unendlich weit
Unendlich weit und tonnenschwer
Er bringt die Toten weg von hier

Das Meer
Die Fluten
Das Auge
des Sturms

Immer auf der Reise
Vom Irgendwo ins Nirgendwo
Auf der Reise
Im Auge des Sturms

Das Meer giert und schäumt
Fletscht die Zähne
Verbeißt sich im Rumpf
Tag für Tag
Knurrend
Bellend
Tag für Tag

( aus: Fäulnis, Im Auge des Sturms)


Da sitze ich, in meiner großen Stadt, und weine.
Kater Mayhem mit seinem zugeschwollenen Auge neben mir; müde, dösend, alt und friedlich.
Unendliche Angst, was ist, wen er mal nicht mehr ist.
Dieses Mal nur eine Entzündung, zweimal täglich Augentropfen und das wird wieder.
Todesangst bei jedem Tierarztbesuch, die mein Katerchen mit Ruhe und Würde trägt; im tiefsten, unerschütterlichsten Vertrauen zu mir.
Beide wissend, dass es irgendwann der letzte sein wird, und dass sich das Irgendwann nicht aufhalten lässt.

Er knurrt und faucht und beißt, sobald er aus seiner Box und auf dem Untersuchungstisch ist, weil da was ins Auge getropft werden muss und ich ihn nicht alleine halten kann.
Ich weine, sobald wir wieder zuhause sind und er sich neben mir zusammen rollt, abgekämpft und müde, verwirrt und verängstigt; trotzdem da und nicht von meiner Seite weichend, seit fast 14 Jahren nicht.
Länger da als meine Mutter weg.
Mich undeutbar beobachtend, irgendwann einfach ruhig neben mir, komme Krise, komme Panikattacke, komme Verzweiflung und Angst; komme, was wolle.

Auf einmal ist das "Alles Anders" möglich, das Blatt kann sich wenden, und in diesem Moment, die unaufhaltsame Vergänglichkeit dieses 3,5kg-Katzenlebens in jeder Faser meines Bewusstseins brennend, klicke ich aus dem Dissoziationsnebel der letzten Tage und weine aus tiefstem Herzen.

Ich weine um meine Katze, der es, bis auf eine Entzündung im Auge, anscheinend gut geht, dem Glück und allen Göttern und/oder sonstigen Schicksalsinstanzen sei Dank.
Ich weine um Verlorenes und alles, was einmal verloren sein wird.
Ich weine über Vergänglichkeit, Verpasstes, Verlorenes, Zerstörtes; das, was war.



Ich weine aus Angst vor dem, was sein wird, oder kann; tiefste, verzweifelte Angst vor dem Möglichen.
Das Mögliche ist ungeheuer.

Ich kann meinen Abschluss machen, ich habe einen Betreuer. Neuer Themenbereich und es muss noch eingegrenzt und sehr schnell erledigt werden und das findet er genauso unangenehm wie ich.
Aber es ist möglich.
Zwei Hausarbeiten aus dem letzten Semester, eine davon in spätestens vier Tagen fällig. Knapp,
aber es ist möglich.

Einen Abschluss machen.
Einen Alltag haben.
Freundschaften.
Ein Leben, ein eigenes.
Es ist möglich.

Ich hab das bodenlose Fass geprengt, mich zurück an die Erdoberfläche gegraben, jede Menge verbrannte Erde unter den Nägeln und eine Perspektive vor der Fresse und da will Boden unter meine Füße und Aufschwung in mein Leben.
Das Mögliche ist Ungeheuer.

Schiere Überlastung, der helle Wahnsinn.
Alles blockiert.
Voller Inbrunst, voller Verzweiflung, im Begriff, sich aufzulösen, aber präsent genug, um mich nochmal auf die große Achterbahnfahrt durchs Geisterhaus zu schicken.
Eine letzte Machtdemonstration, bevor ich es endgültig abstreife, eine weitere Karteileiche auf dem Stapel der Exuvien.
Ich könnte ein ganzes Haus bauen, so viele habe ich davon mittlerweile angesammelt.

Egal, was der erbitterte Kampf gegen Windmühlen kostet - das wahre Grauen kommt mit dem Sieg.
Klopft an und wirft einen Brandsatz ins Feldlagerwohnzimmer, das große UND WAS JETZT.


Was ist, wenn es nicht nur besser werden kann - sondern tatsächlich besser wird?

Wenn ich in Mitten von Möglichkeiten sitze, zwischen den Stühlen und den Zeiten, auf alles vorbereitet, nur nicht auf das.
Aushalten gelernt, wieder aufstehen gelernt, sogar aussitzen gelernt.
Und plötzlich funktionieren Dinge.
Schmeißen sich Chancen in den Weg.
Haut mir das Glück mit einer Umarmung auf die Fresse, dass mir die Spucke wegbleibt.
Irgendwer hat die Orgel im Geisterhaus an einen Fünfzigtausendmegawattverstärker angeschlossen und der ganze Bewusstseinssumpf schreit im Crescendo.
Eine riesige Untergangssymphonie, in der alle gerne Star sein wollen: Selbstsabotage, Gedankenkreismahlstrom, namenlose Angst und gesichtslose Verzweiflung, irgendwo dazwischen lacht meine Mutter manisch und verzweifelt, weil ich selbst ihr entkomme.


Allgemeiner Ausnahmezustand, weil ich entweder von der alten Realität geschluckt werde oder mich tatsächlich in eine neue katapultiere.


Ich hab ja mittlerweile echt einiges gesehen, aber das ist neu.




Montag, 24. Februar 2020

like in a chair the color of the sun
as you listen to lazy piano music
and the aircraft overhead are not
at war.
where the last drink is as good as
the first
and you realized that the promises
you made yourself were
kept.
that's plenty.

that last: about the promises:
what's not so good is that the few
friends you had are
dead and they seem
irreplaceable.
as for women, you didn't know enough
early enough
and you knew enough
too late.
and if more self-analysis is allowed: it's
nice that you turned out well-
honed,
that you arrived late
and remained generally
capable.

outside of that, not much to say
except that you can leave without regret.
until then, a bit more amusement,
a bit more endurance,

leaning back
into it.
like the dog who got across
the busy street:
not all of it was good
luck.

(Charles Bukoswki: to lean back into it)

Countdown zur hyperbelfrei alles-entscheidenden Sprechstunde läuft.
Eine Bekannte malt Verständnis an die Wand und schwenkt die Liste der Anlaufstellen für (freiwillige und unfreiwillige) Abbrecher. Sie kennt das doch, braucht halt zwei bis drei Semster Vorlaufzeit mit diesen Betreuergeschichten, kann man halt nichts machen, wird dann halt so enden, war bei ihr doch genau gleich, ist doch alles nicht so schlimm, macht man halt Beamtin, oder Bürokauffrau, oder so, und verkauft selbstgestrickte Babymützchen, wenn der Partner genug verdient, geht das schon.

Ich kann nicht stricken.
Ich habe ein halbes Jahrzehnt Psychotherapie in der Krankenakte. Oder mehr.
Chronische Erkrankungen.
3 Punkte im vor Äonen erkämpften Matheabitur.
(Eine der großen Schlachten meines Lebens, einer meiner größten und stolzesten Siege.)
Das dazugehörige Zeugnis vor dreieinhalbtausend Umzügen verlegt.

Mich dafür entschieden, das gottverdammte Studium durchzuziehen und auszubügeln, was ich bisher verbockt(?) habe.
Eine Zulassung zum Master bekommen.
Eine Dozentin in der Rückhand, die mich noch kennt und mir, ohne zu wissen, was ich eigentlich vorhabe, die Betreuung meiner zukünftigen Masterarbeit angeboten hat, falls ich im Nebenfach (dann: Hauptfach) schreiben will - weil sie findet, dass mein Hirn ein düsterer und genialer Ort ist und es mehr davon braucht.
Ein halbes Jahrzehnt (oder mehr) an Therapie hinter mir, in dessen Verlauf ich zu einer halbwegs funktionierenden Erwachsenen geworden bin und es weiter werde.

Ich habe Muster erkannt, auf den Sondermüll geschmissen und bin dabei, mir neue zuzulegen.
Teilweise hab ich schon welche, und sie funktionieren erstaunlich gut.
Ich habe eine Hausarbeit in der Stammkneipe geschrieben (Einskommanochwas, Noch-Nebenfach) und mindestens zehn andere gar nicht. Eine in drei 17h-Schichten (Zweikommanochwas, Hauptfach).
Referate gehalten, an die ich mich nicht mehr erinnere, weil ich im Autopilot war.
Und eines, bei dem ich angefangen habe, zu weinen.
Und es trotzdem zu Ende gebracht.

Ich habe meine Katzen, einer bald 14, die andere irgendwas zwischen 5 und 8, meine Bücher, einen Arm voller Festivalbändchen und den anderen voller Tiere, Bäume und toter Menschen.
Einen Plan, nein, viele. Und tausend Sorgen für unterwegs.

Ich habe nicht mehr nur Funktionsgruppen, sondern auch wieder Freunde, und es beruht sogar auf Gegenseitigkeit.
Eine Therapeutin, mit der es funktioniert.
Medikamente, die mein Risiko für Herzrhythmusstörungen, Blutgerinnsel, Diabetes und lustigen Leberkram erhöhen und fett machen, aber dafür funktionieren.
Trotzdem aufgehört, weiter fett zu werden und angefangen, abzunehmen.
Wahrscheinlichkeitenmord ist mein Hobby.
Aufgehört, dem Zweifel sofort zu glauben.
Aufgehört mit der Schwarzweißsicht.
Mit dem Idealisieren, Projezieren, Dämonisieren.
Mit dem Rauchen.
Mit der Aussichtslosigkeit.


Ich bin nicht auf dem Weg zur Besserung, sondern auf der Autobahn.
Mit Panzer.
Und Feuerwerk.
Und da bleibe ich jetzt auch.
Mir egal, was die eventuelle Quittung für vermutliche Kollateralschäden der miesen Ausgangslage, ein etwaiges Schicksal, der Zufall oder irgendwelche Wahrscheinlichkeiten meinen, da an Mitspracherecht haben zu wollen.

Ich habe mein Matheabitur geschafft, meine Mutter überlebt und bisher noch jeden Weltuntergang, jede Krise und jede Ausweglosigkeit.

Ich habe nicht vor, da, das, mich, es, etwas aufzugeben.
Nicht schon wieder.
Nicht das hier.
Nichts mehr.
Nicht mehr.

Ich habe nicht vor, Bürokauffrau zu werden.
Oder Babymützchen zu stricken.




Sonntag, 23. Februar 2020
Mein Studium hängt von der Entscheidung eines Dozenten ab, der gerade nicht da ist.
Am Tag der Sprechstunde suche ich die eine blaue Jeans und die eine grüne Strickjacke, die ich für Situationen, in denen es nicht nur auf meinen Verstand,sondern auch auf ein harmloses Aussehen ankommt, im Schrank habe.
Dann schmeiße ich die Jeans in die Ecke, weil ich nicht mehr reinpasse und arbeite mit dem, was ich sonst noch so finde.
Bin mir die bestmögliche Mutter-Vater-Kind-Personalunion, die ich hinkriege.
Sitze auf dem Boden einer Universitätstoilette und habe eine Panikattacke.
Atme sie weg, stehe auf, wasche meine Hände und laufe zum Büro.
Finde eine Notiz an der Tür, Sprechstunde erst nächste Woche wieder, Dienstreise.
Fahre nach Hause, falle auf mein Bett, schluchze ins Kissen, heule mir das Makeup runter, wie im schlechten Film, sogar die Katze schaut skeptisch.

Sammle mich wieder ein, male ein Bild, mache eine Stunde Yoga und mir danach ein Bier auf.
Trinke mein Bier, lese meinen Bukowski, treffe mich mit der Thekenzwergin und ihrem Kerl,die mich unter die Dusche stellen und dann mit tanzen nehmen.
Pöble einen Kerl weg, der mir erzählt, wie unattraktiv meine Kratzbürstigkeit sei, da ich doch eigentlich so eine intelligente, besondere und hübsche Frau wäre; sehe den Baumgeist wieder, der auf einem Festival mal kurz mit in meiner Gruppe gesessen hat.
Finde ihn interessant, unterhalte mich gut, gehe dampfen, Zackbumm sein besoffenes Macho-Alterego ist wieder da und unterhält sich lieber mit einem netten, absolut harmlosen Durchschnittsmädchen.
Weil auf der mentalen Kommandobrücke neben meinem zwanzigjährigen Selbst auch die Personalunion aller relevanten Familienmitglieder steht, die ich mir selbst bin, habe ich das Aufmerksamkeitsbedürfnis im Griff und trotzdem einen funktionierenden Abend.
Als das Durschnittsmädchen mit dem Kopf auf dem Tresen den Schlaf der Alkoholleichen schnarcht unterhalte ich mich ein bisschen mit dem Baumgeist, komme zum Ergebnis, dass er überkompensiert (Vermutung: Unsicherheit und Verletzlichkeit, Schlussfolgerung: Distanz halten, keinen Bock auf Menschen, die nichtmal versuchen, etwas daran zu ändern, dass sie Opfer ihres Hirns sind) und will ihn schon abschreiben, been there, done that.
Ein paar interessante Gesprächsansätze sind dabei, erst recht, nachdem ich mir angewöhne, sein Verhalten zu spiegeln und bei Bedarf zurück zu feuern.
Es ergibt sich diese ganz eigene Dynamik, die entsteht, wenn ich jemandem begegne, dessen Grad an Intelligenz meiner genauso ähnlich sein könnte wie der Grad der psychischen Abgefucktheit.
Früher sind aus sowas die sehr intensiven und sehr ungesunden Beziehungs- oder Nichtbeziehungskisten geworden, die man gerne mal mit Verliebtsein verwechselt. Keine Lust mehr auf sowas, ich habs lieber tragfähig und realitätstauglich.
Mein zwanzigjähriges Ich besteht aber nachhaltig darauf, sich die Sache doch mal anzusehen und nicht jetzt schon endgültig zu verurteilen, nur, weil ein Muster möglicherweise zu erkennen ist. Und doch mal Gnade zu haben, es fege schließlich nicht jeder mit Mähdrescher, Panzer und Hochdruckreiniger durch sein Hirn, wie ich das mit dem meinen in schöner Regelmäßigkeit tue.
Ich muss ihr Recht geben und wüsste außerdem gerne, was vom Baumgeist übrig bleibt, wenn man seine Selbstschutzanlagen demontiert.
Pragmatisch, wie ich sein kann, sage ich ihm also genau das.
"Ey, Baumgeist. Ich glaub', in deinem Kopf verstecken sich jede Menge schräge Sachen und vielleicht sogar ein paar echt coole. Ich würd' mich gern mal mit dir unterhalten, wenn du nicht besoffen bist und alles wegpöbelst, was dir gefährlich werden könnte."
Keine Machotour, ganz große Augen (dunkelgrün übrigens), dann gewinnt er die Balance zurück.
"Was solln in meinem Kopf groß los sein? Mir wird so schnell keiner gefährlich." Sein Gesicht sagt etwas anderes.
Die Kommandobrücke meines Gehirns verhandelt, ob wir genauso scheiße sind wie der "ich glaube, du wurdest mal sehr verletzt, aber ich kann dir helfen, du wunderbare Frau"-Typ von vorhin. Wir kommen zu dem Schluss, dass das nicht so ist, weil wir dem Baumgeist nicht helfen wollen (der soll seinen Scheiß mal schön selbst machen, so von wegen "nicht in das Potential vergucken, sondern in den Menschen, wie er eben ist), nicht wahllos ein Idealbild anschwärmen und weil unsere Intuition vielleicht doch relativ zuverlässig ist.
Außerdem bin ich ordentlich angetrunken und sehe manchmal gerne die Welt brennen.
"Ich glaub' ,'Gefahr' ist manchmal,was durchschauen kann, weil das angreifbar macht. Nichts davon ist mein Plan, ich hab weder vor, dich anzugreifen, noch, eine Baustellenbegehung zu machen und zu raten, wer da jetzt eigentlich was in welche dunkle Ecke geschmissen oder kaputt gemacht hat, ob das jetzt irgendwelche Exfreundinnen, Familienmitglieder oder sonstwer waren, und was es da genau zu sehen gibt. Das juckt mich alles eher wenig, ich find' unsere Unterhaltungen aber interessant und wüsste gerne, wie ein Gespräch aussähe, in dem wir beide einigermaßen nüchtern sind und nicht permanent im Selbstverteidigungsmodus."
Der Kerl, der meine Kratzbürstigkeit bemängelt hat, quetscht sich zwischen uns und lädt den Baumgeist auf einen Shot ein; ich beschließe, zunächst für genug Verwirrung gesorgt zu haben und gehe dampfen.

Als ich wiederkomme, quatscht mich Mr."Du bist so toll und so intelligent und so abweisend, warum, ich bin voll der gute Typ" wieder an. Ich teile ihm mit, dass ich mich lieber eine weitere halbe Stunde vom Baumgeist anpöbeln lasse, als mir dieses sinnfreie Idealisieren auch nur eine Minute weiter anzuhören.
Was mir einen weiteren, wichtigen Ratschlag (zusätzlich zu dem, ich solle nicht so kratzbürstig sein, das stünde mir nicht; und ich solle doch mal lächeln) einbringt: "Also, jetzt ganz ehrlich, weil ich dich echt mag und echt geduldig bin, und weil du eine wirklich tolle Frau bist: Du musst echt mal lernen, weniger zu reden."
Ich überlege kurz, ob ich mich verunsichert fühlen soll, zumal Thekenzwergin und Co. darauf bestehen, dass das ein total korrekter Mensch sei.
Dann befinde ich, dass heute ein guter Tag zum Kratzbürstigsein ist: "Ich find das echt nett, dass du mir deine gut durchdachte Kritik so freundlich nahelegst, zumal wir uns bereits so lange kennen und du deine außerordentliche Menschenkenntnis immer wieder so deutlich zur Schau stellst. Mein Redepensum ist recht hoch, aber einer derjenigen, die mir echt wichtig sind, findet das zum Glück voll ok. Weißt du, wer das ist?"
Kunstpause, Drama Baby. Muss auch mal sein.
"Ich selbst, verfickte Scheiße. Und jetzt lass mich in Ruhe, sonst werd' ich wirklich unfreundlich."
Der Kerl geht dem Baumgeist sein Leid klagen. Immerhin ist er weg.
Dann kommt der Baumgeist zu mir. "Du hast meinen Kumpel voll angepöbelt."
-"Jup."
"Du redest halt echt voll viel."
-"Jo, ich weiß. Aber ich hab' halt auch meistens was zu sagen, und meine große Liebe, also ich, findet das super."
"Haste auch wieder Recht."
Der Baumgeist schaut auf seine Füße, dann wieder in mein Gesicht. "Du hast voll die grünen Augen. So'n bisschen türkis." Danke, liegt in der Familie, mit der ich nicht genetisch verwandt bin.
"Ey, Mayhem? Also, du heißt Mayhem, oder?"
-" Ja?"
"Ich würd' mich echt gerne mal nüchtern mit dir unterhalten. "
-"Jo, können wir machen."
"Ja, also, wäre schon ganz nett, glaube ich. Vorschläge?"
- "Naja, aktuell seh ich dich jedes halbe Jahr mal irgendwo und manchmal bist du da sogar ne halbe Stunde nicht rotzevoll, da ist noch Luft nach oben, glaub ich."
"Hm, ja, das stimmt wohl."

Ich frage ihn nicht nach seiner Nummer, er mich nicht nach meiner.
Zu wackelig die ganze Situation, zu viele Hemmschuhe. Machomodus, Durschnittsmädchengeschichten, zu hohes Risiko, um da mehr zu investieren. Leichen im Keller machen noch lange keine Persönlichkeit aus.
Abwarten.
Wann wir uns wieder über den Weg laufen, wie er sich verhält, ob er sich noch erinnert. An die Festivalunterhaltungen anscheinend nicht mehr, und wenn's jetzt wieder ein halbes Jahr dauert, oder länger, verschwindet "Lass uns mal nüchtern reden" vielleicht auch wieder im Nebel.

Aber:Es wäre kein Weltuntergang.
Keiner, den ich nicht überstehen kann.
Ich habe Routine, ich kann aussitzen und ich kann aushalten. Mich, andere, Krisen, Weltuntergänge sowieso.
Vielleicht sogar Ungewissheit - ob beim Warten bis zur nächsten Sprechstunde, auf den Paketboten, oder eine weitere Begegnung mit dem Baumgeist.

Meine Psyche und ich, wir machen Fortschritte.
Und das ist eins der gloriosesten Gefühle überhaupt.




Freitag, 14. Februar 2020
Der schicksalhafte Zufall schmeißt mit Skurrilitäten um sich und vielleicht sind die auf meiner Seite.

Der Betreuer ist wohl tatsächlich nicht mehr da (endgültige Bestätigung erhaltener Informationen zum aktuellen Zeitpunkt noch ausstehend), was es notwendig macht, einen neuen zu finden.


Drei stehen insgesamt zur Verfügung; Nummer 1 kann mich nicht leiden (und ich sie auch nicht), Nummer 2 kann den Autor nicht leiden, dessen Werk ich behandeln werde.
Nummer 3 lehrt das Institut das Fürchten mit einer sehr direkten "Hart aber Herzlich"-Art und weil er auf seinem Gebiet alles weiß, was man so wissen kann*.

Praktischerweise liegt mein Thema mittendrin in diesem Gebiet.
Und praktischerweise gehöre ich zu der Handvoll Studenten, die nicht tot umfällt, sobald er eine Frage stellt - ich pendle quasi permanent zwischen "AAAAAAH" und vollkommener Gleichgültigkeit, ich hab Routine.
Und ich kann meinen Scheiß. Wenn ich nicht gerade im "AAAAAAH" oder meinem Kopf verloren gehe, produziert mein Hirn Ergebnisse. Tendenziell gute.


Aktuell kleine Sinnkrise (Mail schreiben und fragen? WIE FORMULIERE ICH DIESE MAIL? Nicht schreiben und stattdessen kommende Woche direkt in die Sprechstunde, schließlich ist die ohne Anmeldung offen und persönlich lässt er sich vielleicht leichter überzeugen? ABER ICH WERDE WEINEN,WENN ER NEIN SAGT und vielleicht ist es besser, wenn ich nicht in einer Sprechstunde weine? Ach scheiß drauf, wenn ich heule, heule ich eben. ABER WIE SOLL ICH DIESE UNGEWISSHEIT BIS ZUR KOMMENDEN WOCHE AUSHALTEN? AAAAAAAH!), aber ich hab ja Routine.

Die Schönheit meiner Psyche liegt darin, dass sie an permanente Ausnahmezustände gewöhnt ist und sie im ihr eigenen Nebeneinander von Weltuntergang und routinierter Gleichgültigkeit in einem riesigen Geisterschiff erfolgreich durchsegelt, jedes verdammte Mal wieder.
Ehrlich, diesen Valentinstag gilt meine Liebeserklärung, neben den Katzen, meinem Hirn. Das hat es einfach mal verdient. Vielleicht sollte ich es mal auf ein Date einladen.

Mein Studium hängt am dünnsten aller bisherigen seidenen Fäden, so richtig, ohne Übertreibungen; eine große Portion Glück sowie meine Fähigkeit, in extrem kurzer Zeit extreme Leistung zu bringen entscheiden darüber, was das wird.

Aufs Glück vertraue ich, Extreme kann ich.


Tobe, Welt und springe
Ich steh' hier und singe.







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*Und noch mehr, von der Antike bis zur PostPostPostPostmoderne (es ist durchaus wahrscheinlich, dass er in die Zukunft sehen kann oder eine Zeitmaschine erfunden hat)