Sonntag, 11. November 2012
Thema: monolog
Wie immer nach nur zwei Stunden Schlaf und noch halb vom Vortag geschminkt aus dem Bett des Rauchers gekrochen, Tee, beziehungsweise für ihn Kaffee gemacht und Frühstück gesucht (vergeblich), er nimmt mit den Tortillachips vom gestrigen Abend vorlieb, ich finde noch ein paar Kekse; anschließend im Bad stehen, Zähneputzen und den jeweils anderen mit der eigenen optischen Durchgeficktheit zum Schmunzeln bringen; danach legt er sich und seinen kaputten Rücken wieder auf dem Sofa ab, während es für mich heißt aufhübschen, zurechtmachen, seriös wirken. Seminarveranstaltung, mal wieder.
Auf dem Weg vom improvisierten Parkplatz zur Halle den Automechaniker auf seiner Privatnummer angerufen und nochmal betont, dass der Sensor alias das Einzige, was mich von einem korrekt funktionierenden Auto trennt und gleichzeitig das, was das Ruckeln und stottern und Ausfallen verursacht, sofort morgen bestellt werden soll. Ja, dringend.
Nein, ich kann nicht bis nächste Woche warten.
Danke, freut mich, schönen Sonntag noch.
Auf dem Weg zurück zum improvisierten Parkplatz die übrig gebliebene Angst (Reden vor fremden Menschen) ansatzweise zur Seite gewischt, die Nachbarin angerufen, ob heute Abend alles klappt, keine Reaktion, dafür aber einen kleinen Nervenzusammenbruch bekommen, dann tief durchgeatmet und beschlossen, dass keine Reaktion bedeutet, alles ist in Ordnung.
Also habe ich heute um 19 Uhr ein Gespräch mit meinen zukünftigen Vermietern.
Alleine.
Versuche, mich zu beruhigen und rede auf mich ein wie auf einen Boxchampion, dessen übermächtiger Gegner drei Köpfe größer und zwanzig Kilogramm Muskelmasse schwerer ist, und ich wäre beinahe im stabilen Bereich angekommen.

Und dann schreibt der Fremde.
Versucht es wieder über den Standardeinstieg, semi-lustige Memebildchen zu den immer gleichen Themen, und ich zeige mich neutral-freundlich, gebe ihm hoffnungsvoll eine Vorlage, um ein etwaiges Gespräch zu beginnen, eine richtig gute sogar, aber er ignoriert sie und haut lieber einen herzlosen Smalltalkfetzen raus und erstickt eine Unterhaltung damit sehr effektiv im Keim. Die obligatorischen Gesprächspausen, wieder Memebildchen, wieder Pausen, dann wieder ein Standardspruch.
Tut weh, ziemlich sogar, und früher hat er wenigstens ansatzweise versucht, sich Mühe zu geben, aber ich dränge das, was wehtut, etwas zur Seite, denke mir, dann eben nicht und belasse es, nach einer längeren Schweigepause meinerseits, schließlich bei einer kurzen Antwort.
Auf die natürlich sofort reagiert wird.
Ich lasse ihn wieder warten, so, wie ich darauf warte, dass es vorbeigeht.
Ich will keine Freundschaft-als-wäre-nichts-gewesen, ein geschreddertes Herz ist nicht "nichts", emotionaler Weltuntergang ist nicht "nichts", das, was da weh tut, ist eindeutig wesentlich mehr als "nichts".
Und ich will nicht in der Endlosschleife um Verzweifeln und Hoffen gefangen bleiben, aber ich finde den Weg nach draußen nicht, und ich habe Angst, dass "einfach weiteratmen, alles wird gut" diesmal keine Option ist, diesmal ist es schlimmer als sonst, diesmal tut es mehr weh, viel mehr, und ich weiß nicht, was ich noch machen soll, von wegen Abhärtung und dickes Fell, es wird ja doch jedes Mal schlimmer.
Als er nicht mehr antwortet, starte ich keinen weiteren Versuch, das Gespräch am Laufen zu halten oder es zu reanimieren, wie ich es sonst immer getan habe.
Es kommt auch keine Antwort zurück.
Dafür die Vatersfreundin an, und zur Feier des Tages werde ich sogar gefragt, ob ich mitessen will. Was es gäbe? Cordon Bleu. Danke, kein Bedarf.
Immer noch nichts von ihm; dann Symbolwechsel und er ist offline.
Ja, es tut weh.




(1/5)




Dienstag, 30. Oktober 2012
Thema: monolog

(startet bei 0:25)

So viel verpasst, aus Unsicherheit,
zu viel mitgemacht, gerade ihretwegen.

Und dann liege ich so mit dem Raucher auf dem Sofa, rein freundschaftlich, und starre durch die Balkontür nach draußen, während der Fremde betrunken mit Fangirlies und Ghettomädchen durch die Dorfdiscos stolpert, und ich sage, das geht so nicht mehr.
Und der Raucher schaut mich an und weiß nicht, was ich meine.
Und ich sage wieder, das geht so nicht mehr.

Das geht so nicht mehr, und ich will so nicht mehr.
Ich will nicht mehr an ruinierten Abenden seelisch am Zusammenbrechen sein, weil der Fremde wieder mal Mist gebaut hat, eifersüchtig sein, wenn er mit der Ghettofraktion weggeht und vor mich hin leiden, wenn er einerseits schlagartig aufmerksam und freundlich, aber andererseits jedes Fangirl wichtiger als ich ist,
ich will nicht mehr mit kleinen Angstzuständen kämpfen müssen, sobald da fremde Menschen sind, denn verdammt nochmal, nicht jeder findet mich sofort total scheiße oder nähert sich mir nur mit ausreichend Vorurteilen als Polsterung um sich herum und ich sollte das irgendwann mal begreifen,
ich will nicht mehr in Dauersorge ums Mayhemmobil sein, weil es jeden Tag was anderes hat und Papa Mayhem einen Werkstattbesuch kategorisch verbietet, sich aber, trotz entsprechender Aussage, auch nicht selbst drum kümmert,
ich will nicht mehr perspektivenlos in meinem Weltuntergang hängen, weil die Seminararbeit so ein Monster ist, die Vatersfreundin auch, die Nachbarin es nicht schafft, mit ihren Eltern endlich mal einen Termin auszumachen wegen der Wohnung, ich somit immer noch nicht sicher weiß, ob ich nächsten Monat zu dieser Zeit schon Mathe, Chemie, Wirtschaft, Geschichte und einen Umzug hinter mir habe oder eben nicht, die drei erstgenannten Fächer mich so dermaßen aus der Bahn werfen, das fünfte Abifach eine Katastrophe wird, es mit Psychologie nicht klappt und mir die ernsthaften Alternativen fehlen,
denn ich will nicht mehr Alternativbegabungen suchen, weil ich eigentlich genau weiß, dass meine nunmal nicht in den Bereichen liegen, mit denen man normalerweise Geld verdient, ich habe eben nur Sprache und Schreiben, und Fotographieren plus Musik als künstlerischen Kleinkram nebenher als das, was ich wirklich gut kann.

Ich will, nicht zum ersten Mal, etwas mehr emotionale Stabilität und mein kleines Glück im großen Leben, vielleicht wird dann der Schreibzwang weniger, am produktivsten bin ich ja, wenn es wehtut, aber damit kann ich leben. Vielleicht würde ich mich dann aber auch genau darüber beschweren, wer weiß.
Ich will meine Ruhe und meinen Frieden haben, einen Plan und ihn auch befolgen (können), festen Boden unter den Füßen, der mir nicht immer wieder weggerissen wird,
eine Familie, die man auch so bezeichnen kann,
will ganz weit weg von hier,
aber ohne die zu verlieren, die wohl ansatzweise wichtig sind,
und möchte genau vor ihnen fliehen,
ich will heimkommen und nicht feststellen müssen, dass Wohnzimmer und Bad abgeschlossen und alle potenziell mittagessentauglichen Lebensmittel außer dem Fertigkram versteckt worden sind, weil die Vatersfreundin der Meinung ist, dass ich in den neu renovierten Räumen und an den Essensvorräten, die ich ihnen angeblich "wegfressen" würde, nichts zu suchen habe,
ich will nicht traurig werden, wenn ich heim muss,obwohl dort die Katze wartet, weil die Wochenenden so voller Akzeptanz und Verständnis sind und die restlichen Tage so grau und kalt und wie Glassplitter oder Betonmauer mit Stacheldraht,
und ich will, verdammt nochmal, endlich eine Reaktion von Hamburg und Magdeburg, damit ich weiß, ob ich da meine Bewerbung hinschicken muss oder mir den Aufwand und das Porto sparen kann. Ob Flucht eine gute Idee ist, kann ich mir dann immer noch überlegen.

Und der Raucher sagt, ich könne das alles so viel besser ausdrücken als er, und dass er es nicht versteht, wieso es immer mich so böse erwischt. Und ich erzähle ihm von dem Zitat aus Tonio Kröger, und er sagt, dass das ungerecht ist und ich Glücklichsein verdient habe. Nicht erst im nächsten Leben, sondern jetzt.
Dass das so doch nicht weitergehen kann.

Und deswegen ändere ich es jetzt, sage ich ihm und an dem Abend gehen wir viel zu spät noch in die böse Kneipe, weil an allen anderen Orten das Risiko, dem Fremden auf Sauftour zurück Richtung Wohnung zu begegnen, zu groß ist, und ich übe, den Fluchtreflex zu kontrollieren.
Tatsächlich falle ich nicht weiter auf, ich tarne mich hinter der Art von Normalität, die hier praktiziert wird, und passe sie, je nach Gesprächspartner, ein wenig an, was auch erstaunlich gut klappt, bis der Schmiertyp auftaucht und mir, selbstverständlich rein zufällig, den Weg verstellt, als ich gerade auf dem Weg vom Tresen zurück zum Raucher bin.
"Ach, das ist ja eine angenehme Überraschung, dich hier zu treffen!" Schmiertypgrinsen, sehr schmierig und mit Tendenz ins Boshafte. Durchatmen, alles wird gut.
Die Linke in die Handtasche krallen, die Rechte leicht auf der Hüfte abstützen, antworten: "Solltest du nicht bei deiner Frau, dem Kind oder schon längst im Bett sein? Mit dem Alter steckt man die Feierei nicht mehr so gut weg."
Egal, ob das gut war oder nicht, ich bin ja sowas von stolz auf mich.
Auch, wenn ich gerade total verängstigt bin.
"Frech sein kannst du ja. Ich sag dir was, ich steh auf die Masche, aber ich kann dir auch ganz schnell zeigen, wer hier der Boss ist.." Und aus dem Weg geht er auch nicht.
-"Danke, kein Bedarf. Such dir irgendeine, die drauf steht, meinetwegen bezahl sie dafür oder so, aber lass mich in Ruhe."
Schmiertyplachen, er setzt an, etwas zu sagen, wird aber unterbrochen: "Geht mal aus dem Weg, da kommt ja kein Mensch durch!"
Mr.Gaunt hat die Kneipe betreten, drängelt sich leicht genervt an mir vorbei und schiebt den Schmiertyp zur Seite. Geistesgegenwärtig folge ich der großen, schwarzen Gestalt so schnell wie möglich, bis ich mich in Sicherheit vor dem Pedobären wähne und mich hinsetzen will, nur, um meinen Platz beim Raucher vom Mischpultmann und den zweiten freien Stuhl vom Musiker belegt vorzufinden.
Mir ist eigentlich nach Weinen und Flucht und mich daheim im Bett vergraben, aber Selbstfahren ist nicht drin, Nullpromillegrenze für Fahranfänger und davon abgesehen zu viel Eis, um mit praktisch profillosen Sommerreifen am Auto und Malibu-Kirsch und Bacchus halbtrocken im Blut heil drüberzukommen, also frage ich am Nebentisch, ob ich einen Stuhl haben darf, drängle mich zwischen den Raucher und den Musiker, der mit seiner übertriebenen, emotional-kindlichen Hyperaktivität, die er betrunken an den Tag legt, gerade das Letzte ist, was ich brauche, und überstehe noch eine Dreiviertelstunde rumsitzen und mit halbem Ohr Gesprächen folgen , die mich eigentlich gar nicht interessieren.
Eventuell auch, weil Mr. Gaunt in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes sitzt und ich ihn sogar drei Stunden beobachten könnte, ohne dass mir langweilig wird, obwohl er nicht viel mehr macht als dasitzen, trinken, ins Nichts starren und gelegentlich mit einem weiblichen Relikt der Achtziger, komplett mit Dauerwelle und Schulterpolstern, reden.
"Brauchst den nicht so anstarren, brauchst gar nicht so starren, du hast eh keine Chance!", durchbricht der Musiker meine fast meditative Versunkenheit.
-"Das weiß ich auch." Und finde es etwas schade.
"Na also, dann ist ja gut. Alternativen haste nicht so?"
-"Ich dachte, ich hätte eine, aber die Dame ist stumpfer als der Klischeeblackmetalfan, und sie hat Kafka beleidigt."
"Oh, das hätte ja gar nichts werden können. Nee, das hätte nichts werden können, du brauchst wen mit Bildung undso, mit Bildung!"
Mr. Gaunt hat angefangen, irgendetwas aufzuschreiben, sein Tempo dabei reicht problemlos an meines in Deutschklausuren (14 Seiten plus Gliederung plus Schreibplan plus Stichpunkte zur Textzusammenfassung in etwas mehr als zweieinhalb Stunden) heran.
"Brauchst gar nicht so starren, ehrlich!"
-"Mach ich nicht. Wo sind eigentlich der Mischpultmann und der Raucher?"
Als ob ich starren würde. In den dichten Nebelschwaden der als "Raucherklub" ausgewiesenen bösen Kneipe lässt sich sein neues Tattoo sowieso nicht richtig erkennen.
"Pissen."
Mr.Gaunts Aschenbecher quillt über und man kann den Zigaretten förmlich beim Verschwinden zusehen.
-" Sag mal, woher weißt du eigentlich, dass er noch nicht über die Löwin hinweg ist?"
Der Musiker nippt kurz an seinem Campari Orange, seufzt dann auf diese allwissend-pseudoverständnisvolle "Ach Mädchen, was soll ich noch mit dir machen, das ist doch so glasklar"-Art und erklärt dann: "Na, das hat mir der Mischpultmann erzählt."
-"Der Mischpultmann."
"Ja, der hat mich abends mal angerufen, ob ich vorbeikommen will, so kurz mal vorbeikommen auf ein Bier oder so, und ich hab gesagt, nee, Bier mag ich nicht, kein Bier, hab ich gesagt, aber vorbei komm ich trotzdem und bring Berentzen mit. Und bin dann vorbeigekommen, nicht so wie der Fremde, der die Leute einfach sitzen lässt." Oh ja...
-"Ja, und weiter?"
"Ja, und dann hat er erzählt, was mir auch aufgefallen ist, nämlich dass dir Mr. Gaunt aufgefallen ist. Und hat gesagt, dass das gar nicht geht, weil der nicht zu dir passt, viel zu alt und viel zu hässlich."
-"Davon abgesehen, dass ich nichts von ihm will, sinds nur fünf bis acht Jahre, je nachdem, wie alt der jetzt eigentlich ist, und das geht. Bei mir zumindest."
"Genau das hab ich ihm auch gesagt, genau das, die mayhem, die is viel weiter als andere in ihrem Alter, aber wollt er nicht hören, der Mischpultmann. Hat gesagt, das geht nicht, dass so eine wie du sich mit so einem wie dem abgibt, und ich hab gesagt, Alter, sei mal nicht so paranoid, sie wird sich schon nicht total verknallen, das wird sie schon nicht, und wenn sie ihn süß findet, soll sie halt.
Und dann hat er wieder gesagt, dass das so nicht geht, und bestimmt nicht so harmlos ist, schließlich haste gefragt, ob Mr.Gaunt mit in den Gruftkeller geht und warst enttäuscht, als er nicht da war."
-"Jetzt mal abgesehen davon, dass das immer noch nicht bedeutet, dass ich was von ihm will, wäre ich sehr froh, wenn du mal auf den Punkt kommen würdest..."
"Kein Stress Mädel, kein Stress. Ganz ruhig, wir haben alle Zeit der Welt." Er trinkt betont langsam von seinem Campari Orange, bevor er fortfährt, " Jedenfalls hat der Mischpultmann dann noch ne Weile erzählt, warum Mr. Gaunt nicht zu dir passt, und dann gesagt, dass das sowieso nicht gehen würde, weil der ja noch an der Löwin hängt. Und ich hab gefragt, echt?, ist doch schon ewig her, und der hat gesagt, ja, echt jetzt, siehst doch, wie er sich wegsäuft. Und ich hab gesagt, Alter, hab ich gesagt, da könntest du Recht haben. Ich hab immer gedacht, Mr.Gaunt hätt schon immer so viel getrunken und sich halt jetzt mit der Zeit gesteigert, aber der Mischpultmann hat das total plausibel erklärt, dass das eigentlich an der Löwin liegt, weil er noch was von der will. War so voll die Erleuchtung für mich."
Hat das total plausibel erklärt...Verdachtsmoment.
-"Danke. Bin gleich wieder da, ich such mal den Raucher,kann doch nicht sein, dass die so lange brauchen."
"Vielleicht haben sie Probleme mit der Prostata!", ruft mir der Musiker nach, als ich, zielsicher meiner Intuition folgend, nach draußen gehe und den Raucher mit Kippe in der Hand auf der Treppe sitzend finde.
"Wieso rauchst du nicht einfach drinnen?"
-"Weil ich mich schäm."
"Musst du nicht." Ich setze mich neben ihn.
-"Aber ich wollt doch aufhören."
"Rückschläge hat man immer. Und aufhören willst du ja immer noch und schaffst das auch."
-"Wenn dus sagst..."
"Das weiß ich, du kennst mich doch, ich hab immer Recht."
"Stimmt auch wieder."
-"Siehst du. Und die Schachtel müsste doch auch bald leer sein, oder?"
"War die Letzte." Als Beweis überreicht er mir die leere Schachtel. "Und jetzt kauf ich mir keine mehr und nehm keine mehr an. War grad nur scheiße,weil da drin echt jeder gequalmt hat, außer dir und dem Mischpultmann..."
-"Ach Mensch, ist doch nicht schlimm". Ich umarme ihn kurz, weil ich mir denke, dass ihm das jetzt vielleicht ganz gut tun könnte, und baue ihn seelisch wieder ein bisschen auf. Dann erzähle ich ihm vom Gespräch mit dem Musiker.
"Du meinst, der Mischpultmann könnt den Musiker angelogen haben?", fasst der Raucher meine Gedanken folgerichtig zusammen.
-"Kann ja sein. Denkst du, der macht sowas?"
" Naja, der kann richtig gut lügen, wenns drauf ankommt... Und dasser was von dir will,merkt man auch. Hm. Weiß nicht,könnt schon sein."
-"Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit?"
"50/50, würd ich sagen. Obwohl, vielleicht sogar mehr."

Ja super.




Montag, 1. Oktober 2012
Thema: monolog
Freitag.
"Tagein, tagaus. Chaostheorie im Bauch?
Jetzt mal im Ernst:
dieses Mal wird alles gut, schreib dir das irgendwo auf!
Nimm meine Hand und lass mich nicht allein."


Der Raucher und ich, die einzigen Zwei, die das Kennzeichen unseres Landkreises haben.
Die einzigen Zwei, die mit Stiefeln den Konzertsaal betreten,
die einzigen Zwei, die sich nicht verbotenerweise auf einen Behindertenparkplatz gestellt haben ("Aber wir sind doch gefühlsbehindert!" - "Kaputtsein ist keine Ausrede für gemein sein. Und jetzt suchen wir uns einen richtigen Parkplatz"),
die einzigen Zwei, die wissen, wie man am Besten anpackt, wenn beim Stagediven jemand fast runterfällt,
und die einzigen Zwei, die eine Rollstuhlfahrerin vorlassen, sodass sie auch was sieht.
Während der Fahrt haben wir geredet, und manchmal geschwiegen, und zwischendurch haben wir Pause gemacht, uns auf einen Rastplatztisch gesetzt, weil die Bänke so schrecklich eingesifft waren, leicht aneinander angelehnt, und haben die Kekse gegessen, die ich als Reiseproviant gebacken habe. Ich glaube, es ist gut, dass er da ist. Egal, was sonst so ist, wir haben ja immer noch uns, so ein bisschen.
Immerhin.

Und dann ist da die Band. Und sie spielen.
Drei Stunden lang, fast alles, und ich kann die Texte und könnte mitsingen, auch, wenn ich es mich anfangs nicht traue, und nach zwei Liedern ist der Sänger durchgeschwitzt und nach fünf sind wir es, und irgendwann spielen sie Lieder vom neuen Album, und er schreit sich so sehr die Gefühle raus, dass ich Angst habe, sein Herz platzt gleich, und immer wieder schreit er, es wird alles gut.
Es wird alles gut! Und das Publikum: Es wird alles gut!
Er wird leiser mit seinem Es wird alles gut!, irgendwann verabschiedet sich das Ausrufezeichen und wird zu einem "...".
Und auf einmal springt er in die Menge und schreit, Es wird alles gut!, immer wieder, Es wird alles gut!, und er steht vor uns, Es wird alles gut!, und der Raucher und ich: Es wird alles gut!
Und wir stehen hier zu dritt, Es wird alles gut!, und irgendwie fühlen sich die anderen zwei genauso hoffnungslos an, Es wird alles gut!, und dann fegt der Sänger weiter, erwürgt dabei fast den Raucher mit seinem Mikrofonkabel, und dann ist er wieder auf der Bühne und das Lied vorbei.

Samstag.
Als wir vom Konzert zurückkommen, ist es halb neun; sind gerade noch wach genug, um Zähne zu putzen (was muss, das muss) und uns ansatzweise auszuziehen, dann vergrabe ich mich unter der Decke, die inzwischen seit ein paar Wochenenden wegen mir nicht mehr auf dem Sofa, sondern im Bett des Rauchers liegt und noch halb unter seiner, finde, dass das eindeutig immer noch zu kalt ist, rolle mich so klein wie möglich zusammen (weniger Oberfläche bedeutet weniger Wärmeverlust) und das Nächste, was ich mitbekomme, ist das herumschreiende Handy des Rauchers, das uns mit dem üblichen bösen Black Metal darauf hinweist, dass sein Vater irgendwas wissen will.
"HmmHmnpf.." Eine Lautäußerung des Rauchers, der mit dem Gesicht im Kopfkissen geschlafen hat, sich unter seinem Deckenstapel hervorwühlt und ziemlich zerknautscht aufs Handy schlägt.
-"Wie wärs, wenn ihr mal aufsteht, Herr Raucher?"
Aha, er hat auf Lauthören geschalten.
Grummeln. "Wievieluhrisn?"
-"Halb fünf. Wolltest du deine Freundin nicht um halb drei heimfahren? Ich brauche dringend dein Auto!"
"Halb fünf??" Wie wach wir auf einmal sind.
Noch der Hinweis an den Rauchervater, dass ich nicht die feste, aber fast die beste Freundin bin, dann das klassische Szenario, zum Transportmittel eilende Frau Mayhem, die nebenher alle möglichen Dinge in ihre Tasche stopft, sich in diverse Jacken und einen Schal und die Schnürsenkel der noch offenen Stiefel ums Handgelenk wickelt, und, ganz wichtig, ihr Gesicht mit einer verspiegelten Pilotensonnenbrille vor der Außenwelt abschirmt.

Sonntag.
"Mein Herz schlägt nur für dich
....
Mein Herz schlägt dir ins Gesicht."



Irgendwo zwischen den Umwegen, die ich gehe, um der Mutter des Fremden nicht auf dem Markt zu begegnen, seiner Umarmung, als er mich sieht und begrüßt, der Feststellung, dass sich der Grinch wieder so an ihn ranschmiert, einer Runde Aufderstadtmauersitzen und in den Wald starren mit dem Raucher, einer Begegnung mit der alten Sache, der mich wieder nicht grüßt und einer mit dem Quasi-Stiefbruder, der das Schreikind und die dazugehörige Mutter spazieren führt begreife ich emotional, dass es wohl so sein soll.
Vielleicht ist der Lerneffekt größer, wenn es wehtut.
Schwacher Trost, und eigentlich will ich das alles weder wissen, noch lernen.
Aber muss wohl so. Und vielleicht hat es mich jetzt kaputt gemacht, aber ich wachse, das heißt, ich lebe noch und es wird besser, irgendwann.
Irgendwann wird alles besser. Vielleicht nicht gut, aber besser als jetzt. Irgendwann, dann.

Der Mischpultmann baut auch darauf, dass alles besser wird.
Seine Freundin hat ihn verlassen und das gemeinsame Kind mitgenommen, und jetzt ist er alleine in der leergeräumten Wohnung, deshalb ist der Raucher da reingestiefelt, hat die Vorhänge geöffnet, die Rollos aufgemacht und ihn rausgeschleift. Unter Menschen gehen. Auch, wenn es weh tut. Wir sind da.
Oder versuchen zumindest, es zu sein.
Der Mischpultmann ist ein großer, freundlicher Teddybär und jener Absteigenangestellte, der seinerzeit versucht hat, den Fremden beim Nebelmaschine-Konzert etwas aus der Schusslinie zu ziehen.
Vergeblich, der Fremde ist nicht mehr der, der er mal war, sagt der Mischpultmann und sieht noch trauriger aus als vorher, während wir vor einem Bratwurststand darauf warten, dass sich der Raucher eine Portion Pommes geholt und die Bekannten, auf die wir noch warten, telefonisch erreicht hat.
"Dich hat er ja auch enttäuscht, mayhem...wie er jeden hängen lässt."
-"Was hat er sich denn bei dir geleistet?"
"Wir waren 12 Jahre lang beste Freunde."
Autsch. "Und warum seid ihrs nicht mehr?"
"Ich mache echt sehr viel mit, aber das ging einfach nicht mehr. Er hat sich so total verändert, seit er die Vorgängerin der Ghettoschwester und dann auch die Ghettoschwester kennen gelernt hat, total kindisch und pubertär, weil er da irgendwie dazugehören und was nachholen will. Und das ist einfach so krass, wie deswegen auf einmal alle andern egal sind. Und wie er allgemein total verkackt. Der hat gestern mit meinem Bruder auf der Hochzeit von seinem Chef gespielt, Mittagszeit, und war voll. Hackedicht. Ich hab gemerkt, dass er mehr trinkt, als sein Vater dann ganz offiziell ne andere Frau hatte, und noch mehr, als der sich mit ihr verlobt hat, aber jetzt ist das einfach so... viel."
-"Und ich hab keine Ahnung, was man da machen kann",fügt der Raucher besorgt hinzu und hält uns die Pommes hin. Wir lehnen ab, er versucht es wieder. "Eigentlich is mir der Appetit auch grad vergangen."
"Du isst die jetzt", fordert ihn der Mischpultmann auf, "dir schadet es nicht, und davon abgesehen ändert Nichtessen auch nichts an der Situation."
Betretenes Schweigen, dann wendet er sich wieder an mich: " Jedenfalls habe ich dann, nachdem er immer wieder Mist gebaut und unsere Freundschaft einfach total kaputt gemacht hat, gesagt, wie es ist, nämlich, dass ich das nicht mehr kann. Und dann den Kontakt abgebrochen.
12 Jahre Freundschaft am Arsch, weil der Kerl wegen dem Ghettoverein so rumspackt. Aber es ging einfach nicht mehr."
Versprich mir, dass du vergisst,
wie allein du eigentlich bist
Blut und Wasser in den Augen..

Und die einsachzig geballtes Kuschelbärformat vor mir sehen gerade so elend aus, dass ich das Näheproblem wegdränge, dem Mischpultmann meine Hände auf die breiten Schultern lege, zu ihm hochschaue und ihm sage, dass alles gut wird.
Alles wird gut, Mischpultmann. Das Leben geht weiter, ob man will oder nicht. Alles geht vorbei, auch Freundschaften. Kann man nichts gegen machen..
Und als ich die Traurigkeit inden Augen des Mischpultmannes sehe, finde ich in meinem eigenen Herzschmerztümpel ein bisschen Wut, gerade genug, um sie auch im Dunkeln zu sehen.
Und ich bin wütend auf den Fremden, weil er sich so gemein verhält und das nicht einmal absichtlich tut, sondern weil er so unsensibel geworden ist und es nicht besser wissen will, und weil er 12 Jahre Freundschaft mit einem der gutgläubigsten, gutmütigsten und treusten Menschen, die in der Absteige Musik machen, einfach weggeworfen hat.
Nicht so sehr, weil er mich weggeworfen hat, daran bin ich ja gewöhnt. Aber wenn es um andere Menschen geht, hört der Spaß auf.
Versprich mir, dass du weißt,
wer du in Wirklichkeit bist.
Spiegelbilder entzerren,
mein Herz schlägt nur für dich.

Mein Herz schlägt dir ins Gesicht.
Mein Verstand umarmt dich innerlich.


Meine Wut hält nicht lange aus, aber was habe ich denn erwartet?
Als wir den Fremden und den Grinch erneut treffen und er ihr gerade einen Luftballon kauft, lasse ich es einfach auf mich einprasseln, wie sauren Regen, alleine auf weiter Flur. Nicht gesund, aber irgendwo unterstellen geht auch nicht mehr.
Mein Herz schlägt nur für dich...
Das ganze Verletzsein, die Traurigkeit, die Enttäuschung.
Mein Herz schlägt dir ins Gesicht...

Nicht einmal der Raucher merkt, dass ich im Regen stehe, aber vielleicht liegt das auch daran, dass seine Bekannten endlich erschienen sind; da ist die Frau mit der Opernstimme, die regelmäßig in der Absteige Krach macht, und ihre Bandkollegin Esmeralda, mit der sie seit der Mittelstufe, also fast sieben Jahren, zusammen ist, und als düsteren Schatten hinter ihnen erahnt man Mr.Gaunt, der mich und somit auch den Mischpultmann um mindestens eineinhalb Köpfe überragt und sich, wie der Raucher und ich, hinter Pilotensonnenbrille und bösem Bandshirt tarnt.

Man absolviert keine Begrüßungsumarmungssequenz, sondern nickt sich zu, nur Mr. Gaunt verteilt Handschläge an den Mischpultmann und den Raucher; ich werde ignoriert, aber auch daran habe ich mich inzwischen gewöhnt.
Noch eine Notiz für mich: Nicht alle Leute, die dich nicht begrüßen, finden dich doof.Manche sind auch einfach nur schüchtern.
"Ist Mr. Gaunt eigentlich immer so, oder habe ich es geschafft, gleich vom ersten Eindruck her unsympathisch zu sein?", will ich später trotzdem die Meinung des Rauchers wissen, als wir, ganz untrve, unter einem Sonnenschirm vor der Stammkneipe sitzen und der Rest, zu dem sich noch der Klischeeblackmetalfan und der Masochist gesellt haben, diskutiert, ob man gleich zur bösen Kneipe wechseln, oder doch lieber noch ein bisschen hier draußen sitzen bleiben sollte, schließlich sind die Getränke hier günstiger.
-"Kein Plan, ich weiß nichtmal, ob ich den Kerl schonmal nüchtern erlebt hab, von daher.. allgemein isser aber gern mal bisschen cool, wenn Leute dabei sind, die er nicht kennt. Scheint aber nix zu machen, wenn der will, schleppt der alles ab, was nach Frau aussieht."
-"Mr. Gaunt? Alter, der ist so krass!", mischt sich der KBM ins Gespräch ein, während er sich, wie alle anderen am Tisch außer dem Raucher und mir, eine Zigarette dreht, " der Kerl ist komplett zutätowiert, atmet nur noch mit halbem Lungenvolumen, schaffts, jede Frau aufzureißen, und kippt vor jedem Auftritt erstmal zehn Havanna-Club. Der säuft sogar auf Morphium weiter, ey!" Mr. Gaunt, anscheinend der große Held des KBM, der mit leuchtenden Augen von dessen glorreichen Taten erzählt und dabei immer mehr in Fahrt kommt. "Echt mal, der ist so krass ey.. der hat keinen Magen mehr!"
"Was dir der KBM damit sagen wollte: er ist Mr. Gaunts größter Fan", fasst der Mischpultmann das Gehörte kurz zusammen, "auch, wenn der wahrscheinlich noch mit annähernd normalem Lungenvolumen atmet, vermutlich noch im Besitz seines Magens ist und nur sein Oberkörper komplett verziert ist. Wie du eventuell auf seinen Armen bereits bemerkt hast."
"Der Rest stimmt aber", wirft der Raucher ein.
"Jo, da hab ich ja nix gegen gesagt. Wobei, ich glaube, wenn der so weitermacht, ist seine Lunge echt irgendwann zugeteert und sein Magen weggeätzt... aber dafür hat der Kerl schon Profi-Musiker mit dem Bass an die Wand gespielt."
Wieder ein (mutmaßlich) überragend guter Musiker mit besorgniserregendem Alkoholkonsum.
Da hören die Parallelen zum Fremden allerdings auch schon auf (netterweise), und es sieht so aus, als handle es sich bei Mr. Gaunt um die deutlich extremere Version.
Die Genialsten sind immer die kaputtesten.


Überhaupt sind wir so eine Kuriositätensammlung, und ich glaube, dass das gut so ist. Für alle Beteiligten.
Für den Masochisten, weil er sich jetzt traut, offen über seine Beziehung zu reden und von uns Rückenhalt bekommt, nachdem er zuhause beinahe verstoßen wurde, weil er seine Freundin, die Sadistin, vorgestellt hatte und die Dame genau so aussieht, wie man sie sich im Klischee vorstellt,
für den Raucher, weil das alles wieder anfängt, lebenswert zu sein, und er sich ganz ohne Vorurteilsbombardement von Außen wieder raus in die Welt trauen kann,
für den Mischpultmann, weil wir ihn so kompromisslos einfühlsam wieder aufbauen, dass er gar nicht anders kann, als sich besser zu fühlen,
und vielleicht ja auch für den KBM, in irgendeiner Art und Weise.
Eventuell auch nur, weil er über uns den Fremden kennt, der immer begeistert ist, wenn er an einem Joint ziehen darf (ist ja schließlich cool,macht die Ghettoschwester doch auch... seltsamerweise wurde im Gespräch mit mir immer übers Rauchen egal welcher Substanzen gelästert) und vielleicht potenzielle Kundschaft darstellt.
Und dann sind da noch Ms Golightly und eigentlich auch der Fremde, der sich immer mehr abkapselt. Und manchmal kommt der Musiker vorbei, oder der Schlagzeuger, oder der Pinguin.
Oder die Schwester des Fremden bittet um Unterstützung beim Haaretönen. Auch, wenn sie die so bald nicht mehr von mir bekommen wird, ich war nicht mehr bei ihm und werde es wohl auch so bald nicht mehr sein.
Er hat es mir immer noch nicht gesagt.
Nur freundlich ist er, und zuvorkommend, soweit er das eben kann.

Ich weiß nicht, was es ist, das ich mir da gerade in der Kleinstadt aufbaue, aber ich glaube, es ist gut, auch, wenn niemand weiß, ob es von Dauer ist, man hat ja bereits bei der üblichen Truppe gesehen, wie sowas laufen kann.
Aber vielleicht ist das ja echte, dauerhafte Freundschaft, die ich gefunden habe, hier am Tisch, etwas vernebelt durch die Rauchschwaden der Beteiligten (erwähnte ich schon,dass ich es eigentlich nicht mag, wenn man mich verräuchert, weil ich dann, warum auch immer, öfter mal Nasenbluten bekomme?) und, wenn man die Opernstimme, Mr. Gaunt und Esmeralda einrechnet, zum Großteil hinter verspiegelten Sonnenbrillen und Tätowierungen verborgen, aber definitiv existent, auch, wenn ich mir nicht sicher bin, was die letzten drei, die, bis auf ein wenig Höflichkeitssmalltalk in Form von Fachwissensaustausch von selbsterklärter professioneller Piercerin (die Opernstimme) zu selbstdiagnostizierter Amateuerin (ich) mit "mehr Ahnung als einige Profis und vor allem die Opernstimme"(O-Ton Mischpultmann, Raucher, Masochist) kein Wort mit mit mir reden, eigentlich von mir denken, und ob sie wirklich so ultracool sind, oder nur so tun. Tatsächlich vemute ich Ersteres, aber das muss nicht so schlimm sein, das Rotkreuzmädchen war auch lange Zeit so, und ich habe mich mit der Zeit daran gewöhnt und entsprechende Anpassungen vorgenommen.
Vielleicht ändern sie sich ja auch noch und nähern sich wieder dem Boden, falls wir uns öfter begegnen; glaubt man dem Raucher, sind sie sowieso schon viel menschlicher geworden als noch vor einem halben Jahr.

Davon abgesehen, Menschen ändern sich, der Grinch, eigentlich glücklich vergeben, aber eine Angehörige der Kleinstadtghettofraktion, schmiert sich an den Fremden, der die Ghettoschwester vernachlässigt, ich schaffe es manchmal, mit fremden Menschen zu reden, der Raucher raucht beinahe gar nicht mehr und Mr.Gaunt hat angefangen, Gedichte zu schreiben, ein Schock für Freunde und Familie, und er hört nicht mehr auf damit, schreibt innerhalb kürzester Zeit ganze Schulhefte voll, laut dem KBM mit Blut, aber der Mischpultmann meint, eventuell war das früher so, jetzt, mit 25 bis 27 (so sicher ist man sich da am Tisch nicht), sei er bestimmt ruhiger geworden und auf Kugelschreiber oder Füller umgestiegen.


Und all die Songs, die ich nie schrieb,
all die Zeilen, die ich schrie, die mich am Leben hielten
Eingebrannt
in Mark und Bein. All die Fetzen, die sich Gedanken nannten,
vertont mit Augen zu und durch.


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Zitate aus Chaostheorie, Ode to Self und Lebewohl von Thoughts Paint The Sky




Mittwoch, 22. August 2012
Thema: monolog
Donnerstag - Hail to the freaks
Entgegen der Prophezeiungen des Rauchers, Papa Mayhems und des deutschen Wetterdienstes sind wir weder im Stau stecken geblieben, noch wurden wir durch ein Gewitter von der Autobahn gefegt oder durch die Fahrkünste des Fremden ("Was, der Fremde fährt? War schön, euch gekannt zu haben...") bei einem Autounfall getötet, und jetzt sind wir hier, poltern staubaufwirbelnd über Semi-Feldweg und fahren dann auf den Parkplatz, dieses riesige Feld im Nirgendwo.
Und da sind wir, stoßen an mit warm gewordenem Dosenbier, klopfen uns auf die Schultern und dösen dann in der Sonne, weil wir erst später Tickets gegen Bändchen tauschen können.
Und es ist so surreal, dass das meine neuen Freunde sind, mit denen ich hier gerade bin, querliegend im Fahrerraum, mein Kopf am Bauch des Fremden angelehnt, Füße aus dem Fenster hängend, und dass wir es geschafft haben, Ms Golightly gegen den Willen ihrer Eltern mitzunehmen...überhaupt, dass wir es geschafft haben.
Stellen später fest, dass der Fremde das Innenzelt daheim vergessen hat, liegen eine Weile auf dem Außenzelt in der Sonne, ich mit dem Kopf auf seiner Brust und seinem Arm um mich gelegt, Ms Golightly mit dem Fastfreund telefonierend, und die Welt ist ein guter Ort.
Später Reden mit den Zeltnachbarinnen, noch später ein geborgtes Zelt, und nachts traue ich mich, an der Schulter des Fremden zu schlafen.
Alles wird gut. Früher oder später wird alles gut, auch, wenn man dafür kämpfen muss.
Das ist es wert.

Freitag - Run away, try to find that safe place you can hide
Die Zeltnachbarinnen hellauf begeistert vom Fremden, ein paar andere Zeltnachbarinnen auch, Feststellung des Tages: Ja, ich bin eifersüchtig. Hauptsächlich verunsichert, aber auch eifersüchtig, wie die Hauptdarstellerinnen der Fotoromane in diversen Teeniezeitschriften.
Versuche, mich zusammen zu reißen, ende dann aber doch mit dem Kopf auf den Knien und flennend vorm Mittagessen, denn es sind heute fünf Jahre, und das ist in dem Moment wichtiger als Dosenspaghetti und potenzielle Konkurrenz.
Überlastete Ms Golightly, die mich umarmt, obwohl ich das gerade eigentlich gar nicht will, und vor lauter Mitgefühl weint sie schlimmer als ich, während der Fremde stoisch unser Mittagessen weiterrührt.
Fünfjähriges.
Fünf Jahre ist es her, seit zwei Jahren fängt es an, weh zu tun und gerade ist "verloren" gar kein Ausdruck mehr dafür, wie ich mich fühle.
Und es tut mir so Leid, Ms Golightly und den Fremden damit zu belasten, aber sie sagen, wenn ich mich noch einmal entschuldige, sperren sie mich in ein Dixieklo und schubsen es um, also lasse ich es und warte darauf, dass der größte Schmerz vorbei geht.
Es folgen diverse Indiebands, die eigentlich niemand hören will, zusammensitzen mit den Zeltnachbarinnen, die eigentlich niemand sehen will, und dann ist es schon abend und ich laufe bekampfstiefelt neben dem Fremden zu der Band, wegen der er eigentlich da ist, werde, während wir eigentlich noch warten und mit Freunden reden, von ihm weiter- und vor die Bühne gezogen, und dann spielen sie auch schon und befinde mich mitten im Moshpit, schlage mich an der Hand des Fremden durch und werde als die mutmaßlich einzige Frau in unserer lustigen Massenschlägerei wahlweise irritiert oder bewundernd angestarrt.
Ein paar Mal werden wir umgeworfen, aber immer wieder aufgehoben, und immer, wenn es wieder losgeht, nimmt der Fremde meine Hand, damit wir uns nicht verlieren, bis ich beschließe, mich bei einer drohenden Wall of Death aus dem direkten Radius zu verziehen und unterwegs noch einen Asiaten aufhebe, der umgeworfen wurde und sich die Nase hält.
"Alles ok?", schreie ich ihm ins Ohr.
-"Ja, alles klar. Der Kerl da und du, ihr seid übrigens so ziemlich das Süßeste, was ich bis jetzt auf einem Metalkonzert gesehen habe. Ist das dein Freund?"
"Nee, aber ich arbeite dran." Wieso habe ich das jetzt eigentlich gesagt?
Der Asiate grinst mich freundlich an. "Finde ich gut, ehrlich. Ich wünsch dir viel Glück, das wird schon!"
Und weg ist er, so, wie auch der Fremde, nur dass der immer wieder zurückkommt, um sicher zu gehen, dass ich noch da bin.
Als wir zum Zeltplatz zurückwanken, hat er aufgeschürfte Knie und Ellbogen, meine Hand blutet, jeder einzelne Knochen tut weh, thanks to linkskonvexe Wirbelsäule habe ich das Gefühl, nie wieder aufrecht gehen zu können und wir könnten nicht zufriedener sein.
Unterwegs nehmen wir noch Asianudeln mit, schmettern ein paar schlechte Anmachsprüche ab, die mir betrunkene und vermutlich verzweifelte Studenten entgegenwerfen, und als wir an diesem Abend schlafen gehen, hält mich der Fremde fest und streichelt mir etwas und unkoordiniert über den Arm, bis wir eingeschlafen sind.

Samstag- Wir machens uns auch einfach nicht leicht
Es ist nicht besser geworden, sondern schlimmer, aber ich will die anderen beiden nicht schon wieder runterziehen, also behalte ich es für mich und hebe mir meinen Gefühlszusammenbruch für Frittenbude auf. Die ganze Zeit kann ich ihn zurückhalten; als der Fremde mit der Ghettoschwester telefoniert, als wir auf einmal bei zu vielen unbekannten Zeltnachbarn sitzen, und auch, als er anmerkt, dass eine der unbekannten Zeltnachbarinnen "echt süß" ist, behalte ich die Fassung, danke dem Schicksal dafür, dass ich die stabilen Nerven bekommen habe, die mein Vater nicht mehr hat, und konzentriere mich darauf, einfach weiter zu atmen.
Einfach weiteratmen, auch, wenn die Welt untergeht.
Alles wird gut, irgendwann..
Als wir zu Frittenbude hetzen, schreibt der Fremde nonstop sms an die Zeltnachbarin, die auch hinwollte, schafft es aber anscheinend nicht, ihr klarzumachen, wo wir auf sie warten, und somit gehen wir ohne sie, denn er hat versprochen, mich zu begleiten.
Er gibt auch nicht auf, als er fast keines der gespielten Lieder kennt, feststellen muss, dass das eigentlich alles viel zu elektronisch für seinen Geschmack ist und headbangen irgendwie nicht so gut klappt, und bei der Wall of Love, die viel zu weit weg von uns ist, nehmen wir uns in die Arme, drehen uns einmal um 360Grad und er schüttet mir dabei den halben Tetrapackwein über den Rücken, sodass das Erreichen des nächsthöheren Promillelevels (Es wäre dann "so betrunken wie nie zuvor gesehen" gewesen) unmöglich scheint, zumindest solange wir noch hier sind und ich meine emotionale Kaputtheit nonverbal rausschreie.
Wir reden nicht auf dem Rückweg, und auch nicht, als wir noch bei den Zeltnachbarinnen sitzen, die ihn systematisch abfüllen, sodass er irgendwann anfängt, noch schlechtere Witze zu machen und die zwei Brüder, die ebenfalls zur Gruppe der Zeltnachbarinnen gehören, zu beleidigen.
Es könnte leicht sein, doch es wird immer mehr..
Einfach weiteratmen.
Ich lehne sowohl den mir angebotenen Joint als auch eine bunte Pille zweifelhafter Herkunft ab und versuche, gleichzeitig mit den fremden Menschen, den fünf Jahren und dem schlimmsten Herzschmerz seit Langem fertig zu werden.
Klappt nur ansatzweise, und an diesem Abend schlafen der Fremde und ich mit den Rücken zueinander und ohne uns Gute Nacht zu sagen.

Sonntag-You don't want to hurt me, but see how deep the bullet lies
Vermutlich ist mein Herz angeknackster, als ich vermutet habe, denke ich mir so, während Placebo übertrieben perfekt-geplant ihre Show spielen und die Zeltnachbarinnen pseudomotiviert tanzen. Sehe zum Fremden, der neben mir steht und wortlos auf die Bühne starrt.
Vielleicht ist auch er angeknackster, als man im ersten Moment vermutet.
Vom anschließenden Zusammensitzen mit den Anderen fliehe ich relativ schnell, werde vom Zeltnachbarn aufgehalten und er macht den Fehler, zu fragen, was los ist.
Also sage ich ihm, was los ist. Nicht alles, nur die Fakten. Wie es ist.
Als ich fertig bin, wünscht er mir Beleid wegen meiner Mutter, alles Gute für/wegen dem Fremden, sagt, dass der ein Idiot ist, wenn er sich so verhält, und ich eigentlich "was besseres" verdient hätte, empfiehlt mir, mich an den Raucher zu halten und jammert mich anschließend eineinhalb Stunden wegen seiner hochdramatischen Beziehung zu seiner Noch-Freundin voll, sodass der Fremde bereits im Zelt liegt, als ich es endlich bis dorthin geschafft habe.
Ich gehe davon aus, dass er schläft, als ich mich nach dem Zähneputzen möglichst leise auf meinen Schlafsack legen will, aber auf einmal ist sein Gesicht neben mir, und er fragt, was los ist.
"Du musst es mir nicht sagen, aber manchmal hilft es, wenn man über etwas redet. Falls du reden willst, bin ich da."
Also rede ich mit ihm. Und manchmal redet er auch, und wir reden zwar nicht darüber, dass er es ist, der mir wehtut, aber dafür über meine Mutter, nicht über alles, nur das grobe Gerüst, und ich sage ihm, woran sie gestorben ist, wie lange es vorher schon so war, wie es eben war, und dass das vermutlich eine Ursache für diverse Macken, die ich habe, ist. Und wir reden über Macken und Depressionen und deprimiert sein, zerfallende Familien und dass einen das mehr mitnimmt, als man im ersten Moment denkt, und bevor wir ruhig sind und der Fremde sich in seine normale Schlafposition mit dem Gesicht zur Zeltwand dreht, weil Ms Golightly, die gerade ins Zelt gekrochen ist und schlafen will, ihr Kissen nach uns geworfen hat, drückt er mich nochmal und flüstert dann ganz leise: "Du bist viel größer, als du denkst."

Montag/Dienstag- mindestens in 1000 Jahren..
Auf dem Heimweg verfahren, irgendwann doch in der Kleinstadt angekommen.
Beim Fremden Musik gehört, bis der Raucher vorbeikommt und uns mit zu sich nimmt, dort auf der Terasse gesessen, das restliche Festivalbier getrunken und den Hund geflauscht, später einen Film geschaut und irgendwann vom Fremden verabschiedet, weil der morgen arbeiten muss und deshalb vorgeschlagen hat, dass ich beim Raucher übernachte.
Der hat damit kein Problem, aber dafür anscheinend nach unserem Gespräch begriffen, dass ich ihn nicht ganz so toll finde wie er mich, und weil das augenscheinlich nichts macht, können wir normal miteinander reden und blöde Witze reißen, bis die Unterhaltung sich in Richtung des Fremden dreht und somit ernster wird.
Der Raucher macht sich Sorgen, weil das nicht gesund ist, sagt er; weder der Alkohol, noch die Ghettoschwester. Ich erfahre,dass es schonmal eine Ghettoschwester gab, seit der Fremde sein Pubertätsnachholbedürfnis auslebt, die, ein wenig wie die jetzige auch, den größten Wert der Sache darin sah, dass er Alkohol und Zigaretten besorgen konnte, und dass der Raucher schon mehrmals versucht hat, mit dem Fremden über die Ghettoschwester und sein Trinkverhalten zu reden.
"Aber ich brauch dem nix sagen, ich bin ja selbst genauso schlimm", meint er, "auch, wenn ichs nicht gut finde."
-"Dann änder es".
Und auf einmal erzählt er vom Zuvieltrinken und Traurigsein, von damals, als er seinen toten Großvater gefunden und ihn das völlig aus der Bahn geworfen hat, und noch ein wenig später halte ich ihn im Arm und er versucht, nicht zu weinen.
Was er auch schafft, obwohl ich ihm sage, dass er weinen soll, wenn ihm das hilft, und irgendwann geht es wieder ein bisschen und er schämt sich und entschuldigt sich so lange, bis es mir zu blöd wird und ich ihn kitzle, bis er keine Luft mehr bekommt und vor Lachen weint.
Gehen nach zwei Stunden freundschaftlicher Schlägerei/Kissenschlacht schlafen, er auf dem Sofa, ich in seinem Bett, und als wir am nächsten Tag den Fremden, der in seiner langen Mittagspause nach Hause gefahren ist, besuchen, schaut der undeutbar, als der Raucher und ich Witze über unseren "Kampf" machen, ist allgemein nicht gerade gesprächig, schreibt zwischendurch mit der Ghettoschwester und ein paar anderen Leuten und grummelt "Ihr habt mir ja auch nicht gesagt, was los ist", als Ms Golightly und ich, nachdem ich mit ihr in die Küche gegangen bin und einen Lagebericht abgeliefert habe, fragen, mit wem er die Nonstopsmsdiskussion führt.
Bevor er wieder zur Arbeit muss, räumen der Fremde und ich noch den Festivalkram in die Spülmaschine, dann schleifen der Raucher und ich den Müllsack mit den leeren Pfandosen zu seinem Auto, während der Fremde sich wieder in Hemd und lange Hose wirft, seine Aktentasche zu seinem Auto bringt und schon losfahren will, bevor wir uns richtig verabschiedet haben.
"So nicht, Mäuschen", ruft der Raucher, der mit dem Fremden gelegentlich eine scrubs-inspirierte JD-Turk-Beziehung führt, umarmt ihn übertrieben innig und hebt ihn dabei ein Stück hoch.
Ich befinde somit, dass eine Abschiedsumarmung legitim ist, hänge ein "bis nächstes Wochenende" an und hole noch schnell meine Chucks (in Kampfstiefeln ist Fahrschulautofahren etwas gewöhungsbedürftig) aus dem Kofferraum, bevor der Fremde endgültig fährt.

Als ich nach Hause komme, habe ich knapp 20 Euro Dosenpfand im Geldbeutel, den Staub von vier Festivaltagen an den Stiefeln, mein Shampoo und Duschgel im Auto des Fremden vergessen, den schlimmsten Schlafentzug seit Langem, werde von der Katze ausgeschimpft dafür, dass ich so lange weg war und denke mir rückblickend, vielleicht hat der Fremde Recht, wenn er sagt, dass ich größer bin, als ich denke.
Und vielleicht bin ich groß genug, um das alles zu überstehen.




Dienstag, 29. Mai 2012
Thema: monolog
Es ist wieder Ende Mai, bald haben wir Juni. Juni, damals.
Das Festival, jedes Jahr.
Dass es schon wieder soweit ist..
dass es so lange her ist.
Kannst du das glauben?
Bald hat mein Katerchen Geburtstag.
6 Jahre alt wird er.
Einschulung.


Und wieder so vieles, was niemals auch nur ansatzweise am Rande meiner Vorstellung aufgetaucht war; vorbeigerast wie die Sportwagenfahrer an meinem Fahrschulauto.
Weißt du, wir stecken hier immernoch in der Krise; du hast es damals vermutlich nicht richtig mitbekommen, weil du keine der Personen warst, mit denen ich darüber geredet habe, aber ich denke, du hast mitbekommen, dass es irgendwie nicht so läuft, wie es sollte.
Vermutlich ist das untertrieben. Manchmal läuft garnichts und wenn doch, dann sind wir es, die laufen, und zwar auf den Abgrund zu, ob wir wollen oder nicht.
Ich akzeptiere es, was bleibt mir auch anderes übrig? Mir fehlen Kraft und Mut, um zu kämpfen, und es gibt so vieles, wofür ich trotzdem kämpfe, auch, wenn es doch genauso sinnlos erscheint..
Aber die Sinnlosigkeit des Versuchs, das hier irgendwie zu retten, bleibt unerreicht.
Also gehen wir immer weiter auf den Abgrund zu.
Und fallen.
Ich akzeptiere es.
Und wer weiß, wo so ein Sturz hinführt.

Wir stecken hier immernoch in der Krise; es geht wieder los mit dem Anschweigen, Kommunikation ist reduziert auf Vorwürfe und Anschnauzen, obwohl ich doch garnichts falsch gemacht habe; aber vielleicht sind das seine Nerven, die blank liegen und auf denen irgendjemand Salsa tanzt und sie dabei kaputttrampelt.
Morgen kommt mein Großvater ins Pflegeheim, weißt du.
Der Kumpel ist Pflegeheimsangestellter, er hat geschrieben, es gibt immer einen anderen Weg, aber anscheinend gibt es für uns keinen, jedenfalls hat Papa Mayhem das alles so organisiert, und weil er nicht irgendjemand ist, sondern Papa Mayhem, hat mein Großvater doch noch einen Platz bekommen. Im Nachbarort, immer, wenn ich zum Bahnhof laufe, komme ich auch am Heim vorbei. Vor dem eigentlichen Eingang steht eine Statue und außenrum ein Gitter, keine Ahnung, wie man da reinkommen soll.
Wir schauen seinem Verfall jetzt also nicht mehr täglich in halbwegs erträglichen Dosen zu, sondern bekommen immer die konzentrierten Teilergebnisse ins Gesicht geschlagen, nachdem wir mit einem zuckersüßen "Guten Tag Herr Mayhem, Hallo mayhem, er hat sich ja so auf Ihren Besuch gefreut" begrüßt worden sind.

*
Ab morgen ist das Schlachtschiff, Opa Mayhems Schlachtschiff, im Besitz des Klempnersohns. Wieder für einen Spottpreis, wie damals auch der Polo.
Der Klempnersohn macht gerade den Führerschein fürs begleitete Fahren, und was bietet sich da mehr an, als ihm einen beinahe dreißig Jahre alten Originalmercedes günstiger zu überlassen, als der Kommentator seine Kamera gekauft hat?
Lebe Wohl, Schlachtschiff. Entgegen Opa Mayhems Prophezeiung ist es nichts mit uns geworden und ich hatte nicht die Ehre, dich einmal fahren zu dürfen.
Opa Mayhem, sie werfen dein Auto weg.
Er hätte es sonst verschrottet, jetzt fährt es der Klempnersohn zu Schrott.
Aber Opa Mayhem ist zu reduziert, um es verstehen oder begreifen zu können.
Und ab morgen ist er nicht mehr hier, sondern im Heim.
Hättest du das gedacht, damals?

*
Vermutlich unternimmt mein Vater wieder einen Versuch, es zu verdrängen.
So werde ich eben angeschnauzt, wenn er nicht gerade den Wohnzimmerboden heraus- und die Tapete abreisst, die neuen Möbel, die er mit der Vatersfreundin bestellt hat, kommen bald und er will davor Fliesenboden verlegt und die Wände neu tapeziert haben; außerdem will er das Klingelschild neu beschriften, das ausgedruckte Kärtchen liegt bereits fertig auf dem Küchentisch, und darauf steht "Papa Mayhem, mayhem und auch die Vatersfreundin".
Ich habe ihn gebeten, mit dem Zusammenziehen doch bitte zu warten, bis ich das Haus verlassen habe, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass das Klingelschild nur eine Drohung und ein dunkler Vorbote der anstehenden Hölle, aber keine akute Ankündigung war und lediglich vorbeikommende Leute darüber informieren sollte, dass die Vatersfreundin gelegentlich auch eine Zeit lang hier verweilt.
Er hat sich vermutlich etwas vor den Kopf gestoßen gefühlt, aber unser aller Seelenheil hatte in diesem Fall ganz eindeutig Vorrang, und wenn sonst schon niemand das Bedürfnis hat, sich darum zu kümmern, muss ich es eben tun.
Reicht schon, wenn auf Papa Mayhems Nerven Salsa getanzt wird, da muss nicht auch noch die Gesamtsituation ankommen und versuchen, unsere zu zerreißen.


Vielleicht ist es gerade meine Fragilität, die dafür sorgt, dass meine Nerven, im Gegensatz zu denen anderer Mitmenschen, von der besonders stabilen Sorte sind, wie die Metallhaarnadeln, die von der amerikanischen Glaubensgemeinschaft, die sie fertigt, nicht nur als "heavy duty" bezeichnet wurden, sondern auch (natürlich rein theoretisch) zum Knacken von Türschlössern taugen würden, hätte ich genug Kraft, sie in eine entsprechende Form zu bringen.
Allerdings lassen sich die Haarnadeln weder durch Gewalt, noch durch Dutt (was ja prinzipiell fast das Gleiche ist) verbiegen.
Wenigstens eine feststehende Konstante hier.


Vermutlich habe ich auch HeavyDutyNerven, wo auch immer sie herkommen.
Und vermutlich werde ich sie brauchen, jetzt, wo die Vatersfreundin selbst dann anrückt, wenn sie eigentlich auf Kur sein sollte und sich auch sonst Krise an Krise reiht.
Erstaunlicherweise ist da weder Weltuntergangsverzweiflung, noch allzu große Angst.
Man hat nur Angst, wenn man mit sich selber nicht einig ist (Hermann Hesse).
Und im Gegensatz zu früher habe ich eine Art Gleichgewicht gefunden. Ich bin bei mir angekommen und mir mit mir einig.
Zumindest halbwegs.

Hättest du das gedacht?




Dienstag, 8. Mai 2012
Thema: monolog
So ein ausgeräumtes Zimmer birgt das Risiko, beim Einräumen Erinnerungen zu begegnen und von ihnen umgerempelt zu werden.
Da waren Bücher, schon lange nicht mehr gelesene Bücher, und mein Notizbuch, mittendrin abgebrochen und das einzige, in dem ich mehr Zahlen als Buchstaben festgehalten hatte.
Da war Kleidung, die zu weit geworden ist.
Die anderen haben aufgehört, direkt gemein zu sein und lästern nur noch im Hintergrund.
Da war auch Kleidung, die zu eng geworden ist.
Die Jeans, W27. Es wären nur noch ein paar Kilos gewesen.
Ich verfüge in dieser Hinsicht nicht über das Durchhaltevermögen meiner Mutter, und der Fakt, dass ich mich generell immer wieder aufzurappeln scheine, hat dem ganzen wohl einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Da war die CD, Summer Swap 2011.
Auch, wenn es nicht meine Geschichte war, die die CD erzählt hat, konnte ich einige Nummern nicht zuende hören, und manches war auf einmal wieder da.

Als zum xten Mal The Doors und The End liefen, räumte ich gerade die letzten Teile in meinen Kleiderschrank zurück, die von dem auch vorher nicht überquellenden Inhalt übrig geblieben sind, und
telefonierte später mit der Optimistin, die meinte, würde sich doch alles super entwickeln, es würde alles einen viel besseren Eindruck machen jetzt und die Vatersfreundin wolle doch nur Liebe und Harmonie.

Ich tendiere ja eher zu "meinen Kopf".

**
Eventuell morgen ein Besuch bei Opa Mayhem, dessen Sprachzentrum immernoch meistens macht, was es will, aber nur sehr selten, was es soll.
**
Mit viel Glück bis Freitag endlich eigene Dienstkleidung, ansonsten wird der Dienst eben wieder in zu großer Uniform und einer Jacke, die auch mir bis zu den Knien reicht, absolviert.
Bin ja nicht zum gut aussehen da, sondern zum helfen, auch diesmal wieder mit freundlicher Unterstützung der sympathischsten aller Mitsanitäter.

Lesen Sie also diesen Samstagmorgen nach Dienstschluss, exklusiv und nur bei Just Listen:
Zwischen Zuhalten, Abdrücken und Mojito-
Papa Mayhem, der gesprächige Kollege und ich vs. The Dorffest.
Mit allen seinen netten Begleiterscheinungen.

Hoffentlich hab ich bis dahin wieder Einweghandschuhe.




Samstag, 14. April 2012
Thema: monolog
Aggressionsorkane über Deutschland
Manchmal beschleicht einen ja bereits morgens so ein Gefühl, dass der Tag kein guter werden wird.
Manchmal haut einem der anstehende Tag allerdings auch mit so einer Wucht in die Fresse, dass an diesem Umstand kein Zweifel mehr bleiben kann, und so wurde ich heute morgen nicht vom dezenten Säuseln eines unguten Gefühls, sondern vom Gezetere der Vatersfreundin geweckt, was zugegebenermaßen nicht zu den angenehmsten Arten gehört, aus dem Tiefschlaf befördert zu werden, wohl aber zu den effektivsten; alleine schon aufgrund ihrer Lautstärke und Aggressionswucht.
Und da wurde geschrien, sie habe mir gestern gesagt, sie würde mich frühs zum Busunternehmen fahren, damit ich meine vor den Ferien verlorene Jacke einsammeln kann, was mir einfalle, nicht wach zu sein, wenn sie losfahren will, jetzt habe sie da keine Lust mehr, und es steigerte sich zum üblichen Orkan, der jedes Mal tosend durchs ganze Haus und über mich hinweg fegt, wenn ich versuche, mich zu rechtfertigen ("Aber du hast nicht gesagt, um wieviel Uhr du abfahren willst.Entschuldigung, bin ich wohl Schuld, wenn ich nicht frage, wann du fahren willst, und davon ausgehe, dass, wie jeden Morgen, entweder mein Vater oder du die Tür halb zerlegen, um mich freundlich darauf hinzuweisen,dass ich aufstehen soll") und sich noch weiter vergrößerte, als sie immer mehr Kleinigkeiten herbeizog, mit denen sie ihre Wut füttern konnte.
Irgendwann rauschte sie trotzdem erbost ab und gab den Blick auf das Elend, das auf der Fensterbank schwamm, frei. Da stand die Schale, in der mal Katzengras wachsen soll, und war komplett unter Wasser gesetzt, offensichtlich hatte selbst das beiliegende Granulat, das am ersten Tag gefühlt eine halbe Gieskanne weggeschlürft hatte wie nichts, den Wassermassen, die die Vatersfreundin entgegen meiner ausdrücklichen Bitte, mein Katzengras in Ruhe zu lassen, in den letzten Tagen immer wieder hineingekippt hatte, nicht Stand halten könnnen. Die Stimme in meine Kopf rezitierte gelesene Online-Bewertungen, in denen von aufgrund chronisch zu hoher Wasserzufuhr nicht keimen wollendem oder gar schimmelndem Saatgut die Rede war, während ich über dem nächsten erreichbaren Waschbecken versuchte, möglichst viel Wasser rauszubekommen, ohne dabei die halbe Saat mit wegzukippen. Was auch erstaunlich gut klappte, und ich wollte schon fast zufrieden mit mir selbst sein, mein Katzengras noch etwas bemitleiden, ihm gut zureden und es dann wieder an seinen Platz im Elternschlafzimmer, den ihm die Vatersfreundin zugeteilt hatte, tragen, als eben diese wieder auftauchte.
"Ja, das hab ich auch gegossen, damit das was kriegt!"
Danke, das habe ich gesehen.
"Und auf die Fensterbank in unserem Schlafzimmer stellst du das nicht mehr! Da waren mir zuviele Katzenfussel und von deinen scheiß Haaren drin!"
Fünf Minuten in einem Raum legen natürlich einen enormen Haarteppich über die komplette Einrichtung, ja...
-"Vatersfreundin, du hast doch gesagt, ich soll es bei euch reinstellen,solange es noch nicht ausgewachsen ist, weil euer Fenster besser für Pflanzen-"
"Ich will nichts mehr hören! Immer nur Ausreden hast du, jetzt schon wieder, deine dummen Ausflüchte, ich habs langsam satt! Kannst das Zeug gleich wegschmeißen, an andere Fenster als an deines kommt das nicht, und da wächst es nicht, weil du ein Nordfenster hast!"
Also wanderte das Katzengras mit mir in mein Zimmer, wo es einen netten Platz auf der Fensterbank zugeteilt bekam, gleich neben dem Kaktus, der dort schon geraume Zeit steht und nicht gerade unglücklich wirkt.
Es bleibt zu hoffen, dass dem Kater der noch vorhandene Platz reicht, sodass er es im Idealfall unterlässt, die Fensterbank mit einem Pfotenschwung abzuräumen.
Für den Moment schien es zu funktionieren, und vielleicht würde aus dem traurigen grau-braunen Matsch, auf und in dem die Samenkörner lagen, ja doch noch eine üppige Miniwiese werden.
"Das wird schon alles, Kater Mayhem lässt euch in Ruhe, die Vatersfreundin jetzt hoffentlich auch, und dann werdet ihr schön und robust und habt ein erfülltes Leben", redete ich dem Inhalt der Schale gut zu und versuchte, die laustarke Schimpftirade auf mich, die gerade im Nebenzimmer meinem Vater um die Ohren gehauen wurde, zu ignorieren.


About Murphy
Im Vergleich zur Vatersfreundin erstaunlich viel Gelassenheit zeigte mein Fahrlehrer, der aussieht, wie der Frosch aus Chihiros Reise ins Zauberland (wirklich!), nur etwas korpulenter, und keine Kimonos trägt, sondern Karohemden, und dessen Sprache in ihrer gedehnten Langsamkeit an eine Schnirkelschnecke auf dem Heimweg nach einem langen Arbeitstag erinnert, als wir durch strömenden Regen quer duch die Pampa, über Straßen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe,mehrmals die Serpentine rauf und wieder runter und schließlich noch ein paar Runden durch das wohl verschachtelste Dorf der Welt fuhren.
Ich hatte mich bereits zu Beginn der Fahrstunde darauf verlegt, mich am Lenkrad festzukrallen, während ich verzweifelt versuchte, überhaupt noch etwas zu sehen, an alles zu denken, woran ich eben denken musste (oder hätte denken sollen) und nach Möglichkeit kein Lebewesen zu überfahren.
"Fahr dann bei der Fahrschule ran, wir bringen einen zur anderen Filiale, wo die Mofas und Roller stehen", ordnete er an, und weil er so ein Schnirkelschneckensprachtempo hat, waren wir schon fast an der Hofeinfahrt vorbei, als ich endlich wusste, was er mir eigentlich sagen wollte. Also, Rückwärtsgang...
"Wieso biste denn da fast vorbeigefahren, bist du so doof? Und mach mal schneller!", meckerte der Fahrlehrerfrosch, während ich feststellen musste, dass der Rückspiegel eben doch nicht richtig eingestellt war, weshalb die Hälfte des rückwärts einparken Gefühlssache war.
Trotzdem schaffte ich es irgendwie, vor einer schwarz gekleideten Gestalt anzuhalten, die sich die Kapuze über den Kopf gezogen und sich unter den schmalen Überhang des Fahrschuldaches gedrängt hatte, um nicht nass zu werden.
"Hm, ganz gut gemacht. Siehste, Rückspiegel ist wichtig, immer in den Rückspiegel gucken!", teil-lobte mich der Mensch neben mir.
Ja, zum Glück war da der fast blinde Rückspiegel, der natürlich bereits richtig eingestellt gewesen war (zumindest laut Aussage des Fahrlehrers) und selbstverständlich nicht aufgrund der Tatsache, dass er so alt und instabil wie das ganze Auto war, gerne mal anfing, zu wackeln oder in eine leichte Schieflage zu wechseln.
"Tach!"
Die Gestalt ließ sich auf die Rücksitzbank fallen, zog ihre Kapuze vom Kopf und entpuppte sich als Murphy.
Murphy ist mal in meinem Bus mitgefahren, als ich früher heimkonnte, besitzt und trägt die gleiche böse Bandjacke wie ich, nur, dass seine in einem besseren Zustand ist, und beweist auch ansonsten durch entsprechende Kleidung und das, was manchmal aus seinen Kopfhörern in die Außenwelt schallt, ausnahmslos guten Musikgeschmack. Zum ersten Mal gesehen hatte ich ihn, als ich auf Wunsch eines Lehrers, der eine Vertretung halten und gleichzeitig woanders unterrichten hatte sollen, die Betreuung einer Mittelstufenklasse übernommen hatte.
Entgegen meiner Befürchtungen hatten dort nur Schüler gesessen, die sich auch gut alleine beschäftigen können, sodass ich meine Ruhe hatte.
Und Murphy sah.
Ich beobachte ja gerne Menschen, und da saß einer, der sich so komplett von seiner Mittelstufenklasse abhob, nicht nur äußerlich, und der nicht eine Bandjacke trug , sondern meine. Also, nicht die selbe, meine lag ja zu diesem Zeitpunkt im Oberstufenzimmer, aber die gleiche, von der selben Band.

Ich hatte mich nicht getraut, mit Murphy zu reden, obwohl sich eine Gelegenheit geboten hätte, immer diese verdammte Unsicherheit, und fortan schien er mir öfter zu begegnen, wenn ich mit der Blondinenfraktion von deren beinahe allfreistündlichem Spaziergang zum Drogeriemarkt zurückkehrte. Manchmal war er alleine und stattete dem Milchautomaten einen Besuch ab, manchmal hatte er Klassenkameraden dabei, die im Vergleich zu ihm mindestens zwei Jahre jünger wirkten.
Eine kleine Unterhaltung mit der Informationsschaltzentrale ergab, dass er keineswegs zwei Jahre älter war als der Rest seiner Klasse und somit in etwa diese Zeitspanne jünger als ich; zudem zählt er zu den Freunden gepflegt-lauter Musik und würde gerne Konzerte von ein paar Bands, die ich mal live gehört habe, besuchen.
Eigentlich eine gute Ausangslage für ein Gespräch, aber ich habe es nicht geschafft, das mal in Angriff zu nehmen, auch nicht , als er in dem namensgebenden Dropkick Murphys-Pullover auf der Rücksitzbank meines Fahrschulautos saß und wohl beobachtete, wie ich gegen das Apokalypsenwetter und eine Straße, die den Namen nicht verdiente, ankämpfte.
Bei der anderen Filiale angekommen, gebot uns der Fahrlehrer, noch kurz sitzen zu bleiben, er müsse erst nachsehen, ob überhaupt offen sei, seinen Schlüssel hatte er nämlich (mal wieder) zuhause vergessen.
Danach, so befahl er, solle Murphy auf den Roller und ich auf den Beifahrersitz wechseln, seine Fahrstunde würde über mein Heimatdorf erfolgen, damit ich nicht hier festsaß.
Ich hätte mit Murphy reden können, stattdessen nahm ich stumm meinen Platz auf dem Beifahrersitz ein und beschäftigte mich damit, schwer verunsichert ins Nichts zu starren, bis der Fahrlehrer wieder auftauchte; die Sekretärin hatte noch Papierkram abgeheftet, erklärte er, sodass er alles Wichtige hatte abliefern, beziehungsweise holen können.
"Also Murphy, dann mal los! Und versuch mal, dass du heute nichts an dir oder an deiner Umgebung kaputt machst.."
"Jo, aber ich garantiere für nichts!" Grinsend stieg Murphy aus, schwang sich auf den Roller vor uns und zeigte auf der folgenden Strecke ein Fahrverhalten, dem "waghalsig" nicht mehr gerecht wurde , bis er per Funk und in Schnirkelschneckensprechtempo aufgefordert wurde, seitlich ranzufahren und zu warten, bis ich ausgestiegen war.
Als ich an ihm vorbeilief, mit dem festen Vorsatz,ihn wenigstens anzusehen, drehte er sich zu mir, dieser dezent-Wahnsinnige war mit offenem Helm gefahren, und verabschiedete sich. "Tschüss". Da, er hatte mit mir geredet.
-"Ciao, viel Spaß noch". Da, ich hatte mit ihm geredet. Die Frage war nur, ob er Ironie verstand..
"Klar, werd ich haben". Er grinste immernoch, und vermutlich auch noch, als er etwa hundert Meter weiter in einer Kurve fast mitsamt dem Roller ausgerutscht und umgekippt wäre.

Aber es war ein ehrliches und sympathisches Grinsen. Sowas ist mir schon länger nicht mehr zuteilgeworden, und ich bekam auch den restlichen Tag über keines mehr zu sehen.
Dafür aber ein einzelnes Katzengraskörnchen, das während den Stunden, in denen es unbeaufsichtigt dem bösen Nordfenster ausgesetzt gewesen war, angefangen hatte, zu keimen.
Winzigklein war das, was mal ein Katzengrashalm werden sollte, man sah es nur, wenn man sich nahe über die Schale beugte, so, wie ich gerade, aber es war definitiv da.
Trotz wiederholter Ertränkungsversuche durch die Vatersfreundin hatte also zumindest ein Teil der Miniwiese überlebt und beschlossen, sich die kalte, graue Welt mal von außen anzusehen.
Am Nordfenster.




Freitag, 30. März 2012
Thema: monolog

Spätestens jetzt kann man bei meiner Verbindung zu dieser Musik von "Liebe" sprechen.


Heute ein Anruf der kleinen Schwester der ehemaligen Busnebensitzerin,
deren Freund hat Schluss gemacht und die Schwester hat Angst um sie.
Wo sie jetzt ist? Erstmal wieder daheim.
Ich sofort los, durchs ganze Dorf, vorbei an Leuten, die sehr seltsam dreinblickten, wie ich da so in Jogginghose und bösem Metalbandpullover halb rannte.
Stand dann vor ihr, ich zerzaust vom Weg, sie zerzaust und verweint, und schwarze Schlieren zogen sich über ihr ganzes Gesicht, vom Kajal und vom Weinen.
Stand da vor mir, in ihrer Tür, und ich habe sie in den Arm genommen.
Da standen wir, ohne ein Wort, und sie hat geweint und ich sie festgehalten und trotz der Entfremdung und ihrer schwierigen Art, die mich in der Vergangenheit so sehr belastet hatte, blieb ich bei ihr und ließ sie traurig sein und jammern und weinen, bis es ihr besser ging. Ohne zu äußern,was ich mir dachte; dass es vorhersehbar war; dass ich mir denken konnte, warum Schluss war,
das alles.
Weil wir einmal Freunde waren, und ich ihr das nicht vergessen werde, egal,was passiert.

Wieder zuhause ein Anruf der Vatersfreundin, die sich vor kurzem zum wiederholten Mal so sehr mit ihm gestritten hatte, dass sie nicht wieder herkommen mag.Sagte sie.
In einer Sekunde war ich Schuld, in einer anderen er, und aktuell hatte sie mal wieder eine ihrer Kontaktabbruchsphasen abgebrochen, er fuhr wieder zu ihr und nicht mehr nur sie zu uns.
Eine Einladung sprach sie aus, ich könne einen Teil meiner Ferien mit Katze bei ihr verbringen.
Mein Vater würde sie zur Zeit so furchtbar ankotzen, sie könne verstehen,wenn der mich nerve, aber ich sei ja eigentlich auch nicht besser.
Könne trotzdem mit Katze vorbeikommen, es würde allerdings schwierig für sie werden, immer die Türen hinter sich zu schließen,damit das Tier nicht auf die Straße läuft.
Wenn doch, sei es ja nur eine Katze. Ich solle es mir überlegen und Bescheid sagen, das Gästezimmer sei frei.
Ich habe abgelehnt.

Keine Flucht.
Und kein Ausweg.

Wir haben heute die Trümmer unserer aufgelösten Vater-Tochter-Bindung in Stein gemauert.
Saßen so nebeneinander auf dem Sofa und konnten einfach nichts sagen.
Schwiegen uns an, irgendwann setzte er seine Arbeit an der Flurbeleuchtung fort, und selbst die damit verbundene Konversation fiel uns schwer, so schwer, dass er sich seinen Schraubenzieher und die Leiter selbst holte, ohne ein Wort zu sagen, und obwohl ich direkt daneben stand.
So schwer fiel uns die Konversation, so unmöglich war es uns zwei Fremden, zu reden, dass ich ihm nicht erzählt habe, dass die Biologienote sich stabilisiert, so, wie die anderen Fächer auch, dass die 1,8 in Reichweite rücken,wenn es so weitergeht, und es vielleicht sogar 1,6 werden könnten, wenn ein Wunder geschieht und ich es durchhalte bis zum Schluss, dass ich nicht erzählt habe, dass seine Freundin mir angeboten hat, in den Ferien eine Weile bei ihr zu bleiben; dass ich nicht erzählt habe, dass ich wieder auf der Grenze balanciere wie ein Seiltänzer.
Ohne Sicherheitsnetz.


Das alles hier findet ohne Sicherheitsnetz statt, ohne Bungeeseil, das einen wieder hochzieht, ohne Geländer neben oder Trampolin unter einem, ohne Sportmatten, die den Aufprall dämpfen, ohne Halt.

Nichts und niemand, das oder der einen hält.
Mich nicht, ich balanciere alleine, und mein Gleichgewichtssinn ist in etwa so gut ausgeprägt wie mein räumliches Vorstellungsvermögen, also quasi nicht vorhanden.
Den Fremden nicht, er balanciert alleine, und er schwankt schlimmer als eine Weide im Wind.
Papa Mayhem nicht, der nur deshalb noch nicht gefallen und am Boden zerschellt ist, weil er sich trotzig und grimmig einfach weigert, so, wie ich.

Man kann sich wohl nur selbst Halt geben.
Vielleicht ist es ja das, was Erwachsensein bedeutet; dass man sich selbst festhalten muss, weil es sonst nichts und niemand kann.
Etwas kann dir Halt geben, aber festhalten musst du dich selbst.
Und der Halt, der so stabil scheint, dass man sich auf ihn stützt, bröselt schneller weg, als man sich umsehen kann, und dann stolpert man.
Ich stolpere wohl öfter als andere Menschen
und jedes Mal ein bisschen schlimmer.


Trotzdem war ich da, als die ehemalige Busnebensitzerin um ihre vergangene Beziehung trauerte, als die Vatersfreundin um ihren gestorbenen Mann trauerte und sich über Papa Mayhem beschwerte;
als mein mir fremder Vater und ich uns wieder anschwiegen.
Vielleicht findet er es ja doch wieder; irgendeinen Grund, mich wieder als seine Tochter anzusehen.
Vielleicht finde ich einen Grund, mich wieder wie seine Tochter zu fühlen.
Ich will nicht vaterlos durch mein Leben laufen,solange er noch da ist.
Aber vermutlich tue ich es bereits.

Laufe da vaterlos durch, ohne Plan, aber mit dem Optimismus der Verzweifelten, wie Faust sagte, und halte mich an meinem Glauben, dass alles gut werden wird, fest, während das alles an mir vorbeizieht, eigene Trennungen, andere Trennungen, immer wieder der Tod, der schon jetzt laufende Kampf für die Zahl, die Unis davon überzeugt, dass ich fürs Studium geeignet bin, die Entfremdung, verschwindene Freundschaften, Absteigenkonzerte, Einsätze und Absicherungen, Führerschein, die Seminararbeit, das Wiederauftauchen der ehemaligen Busnebensitzerin, Berlin, Prag.

Der Kopf ist voll, doch das Herz ist so leer..




Mittwoch, 21. März 2012
Thema: monolog
Und da steht dieser Mensch, die Vatersfreundin, im Schlafanzug vor mir, und schreit fast in übertriebener Verzweiflungsdramatik:"Verrückt wird man hier, verrückt, kann man nichtmal in Ruhe schlafen, musst du so laut sein??", weil ich, nicht wissend, dass sie anscheinend schon wieder vergessen hat, wo sie wohnt und deshalb hier geschlafen hat, meinem normalen morgendlichen Tagesablauf gefolgt war und dabei Türen normallaut geöffnet und geschlossen und, oh Schande, die Mikrowelle bedient hatte.
" 'Schuldigung, ich hab nicht gewusst, dass du heute hierschl-"
-"Zum verrückt werden ist das! Dass du das nicht leiser machen kannst, Hallo, Fräulein, ich will vielleicht schlafen?"
"Entschuldige, aber ich habe nicht gewusst, dass du-"
"Aber das geht ja nicht,dass man dann leise ist und Rücksicht nimmt, todmüde bin ich, todmüde, nicht schlafen konnt ich, seit du aufgestanden bist, garnicht, zum Verrücktwerden!!"
Ich begnügte mich damit, meinen Tee umzurühren und mich im Geiste zu fragen, wie jemand, der um zweiundzwanzig Uhr bereits so laut geschnarcht hatte, dass ich es bis in mein Zimmer gehört hatte, und vor maximal zehn Minuten geweckt worden war, im Vergleich zu mir (3 Stunden Schlaf dank Gedankenkarussell) so furchtbar erschöpft sein konnte, wie sie es darstellte.


Als ich nachmittags von der Schule wiederkam, zeigte die Vatersfreundin keinerlei Anzeichen von Müdigkeit mehr, im Gegenteil, sie war mit der obligatorischen Kippe im Mundwinkel hochmotiviert dabei, unsere Fenster zu putzen.
"Deins ist als nächstes dran!", ordnete sie zur Begrüßung an.
-"Nein". Ich kann mein Fenster selbst putzen, der Zustand des dazugehörigen Zimmers ist vergleichbar mit der Gedankenwelt meiner Deutschlehrkraft (Wirr und für den Durchschnittsmenschen nicht nachvollziehbar) und davon abgesehen mag ich es nicht, wenn ungemochte Menschen ungefragt in das bisschen Privatsphäre, das ich habe (mein Vater kann mühelos einfache Türschlösser knacken und ist jederzeit bereit, von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen) eindringen und dort bleiben, sitzen, schauen, Dinge verstellen oder Fenster putzen.
"Doch!"
"Ich kann mein Fenster selbst putzen, danke", erklärte ich, während ich die aufmerksamkeitsbedürftige Katze aufhob und nebenher die Post einsammelte.
-"Es ist nicht dein Fenster, es ist das Fenster deines Vaters!"
"Du musst auch nicht die Fenster meines Vaters putzen".
"Doch!"
Soviel zum Thema "Ich bin nicht eure Putzfrau".

Eine erneute Steigerung erlebte das Drama, als ich, sobald mein Vater heimgekommen war,in die Küche zitiert wurde.
Eine sehr wütende Vatersfreundin starrte mich aus zu Schlitzen verengten Augen und mit zitterndem Unterkiefer an.
"Fräulein, dein Vater hat gesagt, er hat seine Krümel weggemacht. Da auf dem Tisch sind aber welche. Wem gehören die denn dann, hm?"
-"Nem Geist bestimmt", antwortete ich sarkastisch. Dumme Fragen erfordern bekanntlich dumme Antworten, und ich war es müde, dauer-ruhig und gelassen zu bleiben.Diese Frau strapaziert meine Nerven.
"DUUUUUU warst das!!!", stellte sie fest, in einer Lautstärke, dass man meinen konnte, ich hätte ihr Enkelkind geschlachtet und der üblichen Truppe als Grillfleisch mitgebracht, "WIESO sind da noch Krümel?"
Ein Blick auf den Esstisch zeigte mir, dass dort tatsächlich noch einzelne Brotkrümel lagen.
-"Hab nicht dran gedacht, die wegzumachen". Ehrlich,das passiert mir, gerade,wenn es früh am morgen ist. Ich weiß, ich bin ein schlechter Mensch.
"Erzähl mir doch nicht so einen Scheiß, es reicht mir mit dir, entweder dein Vater und ich, wir gehen, oder..:" Sie vollendete ihren Satz nicht.
-"Im Ghetto neben meiner Schule ist ne Mietwohnung für 218 kalt freigeworden". Wenn es etwas gibt, was ich von Papa Mayhem gelernt habe, dann ist es die Fähigkeit, auch in Extremsituationen so ruhig,gleichgültig und leicht gelangweilt klingen zu können, dass man meinen könnte, wir würden gerade über einen Bausparvertrag reden.
"Und dann müllste die auch zu, genau wie hier!"
-"Dann ist es _meine_ Wohnung."
"Richtig", bestätigte die Vatersfreundin, immernoch am Rand der Hysterie, "Deine Wohnung ists dann, und wenn du drin erstickst, ist es uns auch egal, scheißegal ist uns das dann! Mir reichts hier, ich gehe!"
"Jo, tu das", waren meine letzten Worte, bevor ich in mein Zimmer verscnwand.
Unnötig zu erwähnen,dass die Vatersfreundin immernoch hier ist,gerade Abendessen kocht,natürlich rein zufällig Schinkennudeln, ist ja nicht so, dass ich schon länger Vegetarierin bin als sie Dauerplage in unserem Haus an der Seite meines Vaters, und dass sie bereits Kleber (alias Haargel), Fön und Haarspray im Bad deponiert hat, um sich morgen früh zurechtmachen zu können.



Sehen Sie also, wenn es so weitergeht, demnächst in diesem Theater:

-Vatersfreundin vs.mayhem, ein Endloskampf in 3 Jahren: Still a Vegetarian, oder: Schinken stammt auch vom Tier und tut das auch dann noch,wenn man ihn in einem Nudelauflauf verarbeitet, so wie zahllose andere Fleisch-und Wurstprodukte, die die Vatersfreundin bereits auf den Tisch brachte,wenn sie beschlossen hatte,für alle zu kochen, auch

-mayhem vs. Der Mensch, dem sämtliche Mietwohnungen in der Kleinstadt gehören, ein Trauerspiel in einer Woche, oder: Ich weiß, dass in Ihren Mietwohnungen nie Küchenzeilen eingebaut sind und nicht immer Toiletten, und das finde ich mindestens genauso scheiße wie Sie den Umstand,dass ich trotzdem dort einziehen und meine Katze mitbringen will

-mayhem vs. Arbeitssuche, ein Trauerspiel in Überlänge, oder: Wenn Sie mich schon ausbeuten und mir viel zu wenig zahlen, weil ich Schülerin bin und mans mit denen ja machen kann, dann unterlassen Sie es doch bitte, dabei den Inhalt meines Ausschnitts physisch untersuchen zu wollen


-mayhem vs. der Zahn der Zeit, das ewig gleiche Problem, oder: Verdammt, morgen schreibe ich Bio Part Eins, am Freitag Deutsch und ich habe bis jetzt noch nichts gelernt, obwohl beide Fächer abiturrelevant sind und ich meinen Schnitt um beinahe 1,0 verbessern muss

-mayhem vs. mayhem, das ewige Drama, oder:
Wie ich lerne, damit zu leben, dass ich über 55kg wiege,es trotz Fahrstunde und akuten Abneigungserscheinungen gegenüber Kriemhild als Einheit mit ihrem Freund schaffe, dieses Wochenende in die Absteige zu gehen, wahlweise den Raucher, den Schlagzeuger oder die mir noch vom Rotkreuzwettkampf Bekannte so zu beeindrucken, dass er/sie wenigstens nicht sofort flieht oder mich auslacht, wenn ich einen Ansprechversuch starte, und nebenher endlich Kontakt zum Fremden herstelle,sollte der wieder auftauchen


-mayhem vs. Kommentator, epic battle, oder: Wenn ich in der praktischen Fotographieprüfung besser bin als du, darf ich dann die überteuerte Kamera, die du sowieso nicht bedienen kannst, gegen deinen Kopf schlagen, bis dein Hirn wieder funktioniert?


Sie sehen, es sieht ziemlich schlecht aus an den Fronten und eine Änderung ist nicht in Sicht.
Wär ja zu einfach, wenn doch.
Und Sie sollten wissen, dass ich mich davon,vom Leben, weder besiegen, noch einschüchtern lasse.





Sonntag, 18. März 2012
Thema: monolog
Faust und ich, wir laufen durchs Ghetto zur Wohnung der Kollegin, weil sie sich um halb elf mit der Begleitung abgeseilt, aber vorher versprochen hatte, den Ersatzschlüssel unter der Fußmatte liegen zu lassen, damit ich, auch, wenn sie bereits schlafen oder noch nicht da sein würde, das Haus betreten können würde.
Hinter mir liegen zu lange Stunden mit zu schlechter Musik, zu teuren Getränken und zu kalten Menschen, aber ich habe mit der Freundin der alten Sache geredet, er scheint ihrem Selbstbewusstsein gut zu tun und sie mag sowohl mich als auch meinen Humor.
Er hat nicht mit mir geredet, kein Wort hat er gesagt, keinen Ton von sich gegeben, nicht zur Begrüßung, nicht zum Abschied, nicht zwischendurch. Nichts. Auch,wenn ich geschrieben habe, dass ich es aufgebe, uns retten zu wollen, tat es weh. Es tut weh.
Nicht einmal ein Wort zum Abschied.

Faust und ich, wir reden übers glücklich sein, er zündet sich eine Zigarre an, ich nehme ein weiteres Hustenbonbon, und er sagt, er bewundert es, dass ich so daran festhalte, dass alles gut wird; dass gerade ich an sowas glaube.
Vielleicht bin ich naiv und halte mich an einer Utopie fest, um nicht völlig den Überblick zu verlieren, überlege ich laut.
Optimismus der Verzweifelten, lacht Faust, und muss fast so schlimm husten wie ich, allerdings ist er nicht seit einer Woche so erkältungsgeplagt, dass er nicht mehr richtig sprechen kann, sondern schlicht und ergreifend motivierter Raucher. Aber vielleicht bahnt sich doch einer Erkältung an;im Rahmen seines Studiums beschäftigt er sich gerade wieder mit Leichen und "gut gekühlt kann man die besser verarbeiten", hatte er mir mal mit seinem ganz eigenen Humor erklärt.
Irgendwann kommt er näher, aber nicht zu nah, Faust und ich, wir wahren immer unseren Höflichkeitsabstand, das ist etwas, woran er auch dann noch denkt, wenn er stockbesoffen ist, und ich finde das sehr rücksichtsvoll von ihm.
Eine Weile laufen wir so schweigend nebeneinander her, mit Höflichkeitsabstand, dann und wann raschelt eine Stadtkatze im Gebüsch oder eine Laterne flackert, um kurz auszufallen, sich wieder anzuschalten und dann sehr gelblich weiter zu leuchten, und man sieht sogar Sterne am Himmel.
"Sag mal, du wirst ja jetzt auch bald 18, oder?", erkundigt er sich. Noch einer, der es nicht abwarten kann, so, wie beinahe die komplette Truppe. Zumindest der Teil, der mit mir redet."Wie feierst du denn?"
Ich überlege kurz, nichts zu sagen.
Aber nachdem Faust daran gewöhnt ist, dass ich manchmal anders bin als der normale Rest der Welt, erzähle ich es ihm doch.
Zu meiner Überraschung lächelt er, das wärmste Lächeln, das ich bis jetzt in seinem Gesicht gesehen habe, und er sagt, nichts anderes habe er von mir erwartet.
Sind irgendwann bei der Kollegin angekommen,stehen noch zwei Minuten da und schweigen uns an, dann eine Abschiedumarmung,trotz Höflichkeitsabstand, er wünscht mir viel Glück für die Klausuren, ich wünsche ihm, dass er auch daran glaubt, dass alles gut wird, und dann macht er sich auf den Weg zurück in die Spelunke, zu den anderen, während ich den Ersatzschlüssel suche, finde und nach Betreten der Wohnung schonmal Teewasser aufsetze, weil die Kollegin noch nicht da ist, aber eigentlich auch bald auftauchen müsste.
Faust ist einer von den Guten, glaube ich.

Das war er also, mein grandioser Abend. Ohne Weinkrampf, ohne Schlagzeuger, ohne Fremden.
Ohne ein Wort mit der alten Sache zu wechseln.
War wohl ein Zeichen, mal wieder, das Schicksal winkt jetzt nicht mehr mit Zaunpfählen, sondern mit Baumstämmen, und das, was mal unsere Freundschaft war, die besondere, das ist nicht mehr da, und alles in mir sträubt sich dagegen, es wahrhaben zu wollen, ich bin eben doch naiv und kindisch.


Und weil ich naiv und kindisch und manchmal seltsam bin, werde ich mich dann, wenn es soweit ist und ich Geburtstag habe, ins Mayhem-Mobil setzen und losfahren.
Ein paar Stunden werde ich fahren, bis nach Prag.
Da werde ich den Tag verbringen und mich umsehen, dorthin gehen, wo sie auch war, und die Brücke suchen, auf der sie die Ohrringe gekauft hat, die Ohrringe, die ich vor der Vatersfreundin und dem Tod durch Wegwerfen gerettet habe.
Vielleicht werde ich mich feiern, in Prag, vielleicht auch einfach nur da sein.
Vermutlich wird außer Faust niemand wissen, wo ich bin, und selbst er wird es schon wieder vergessen haben, die Leichen und das restliche Studium verlangen ihm allerhöchste Konzentration ab.
Ich werde wahrscheinlich alleine nach Prag fahren, falls ich spontan sentimental werden sollte, reicht es, wenn sich die Prager wundern, was mit der Touristin, die nur Englisch, und vermutlich sogar das mit deutschem Akzent spricht,los ist, und überhaupt glaube ich nicht, dass jemand anderes meine Pragfahrt verstehen würde.

Vielleicht frage ich meinen Vater.
Vielleicht gehe ich dann einfach hin zu ihm und sage Papa, morgen früh gehts los, dann fahren wir nach Prag, du und ich. Du musst dir keine Sorgen machen wegen dem Benzin, ich fahre, und uns wird nichts passieren, weil ich gut genug Auto fahre.
Wir fahren nach Prag, Papa, weil meine Mama dort war und weil sie gesagt hat, dass es schön war, so wunderschön, und weil da ihre Ohrringe herkommen, die deine Freundin wegwerfen wollte, deine Freundin, die für mich immernoch so ungewohnt und deplatziert ist, der ich immernoch keinen Platz in meinem Leben einräumen kann und die dann bitte daheim bleibt.
Richtig, Papa, ich möchte nicht, dass sie dann mitfährt,ich möchte, dass wir das zu zweit machen.


Aber vermutlich hätte Papa Mayhem sowieso keine Zeit für so etwas, oder keine Lust, und er würde mich auslachen, weil ich so eine dumme Idee habe und sie auch noch umsetzen will.
Bestimmt wird er das tun, und dann werde ich sagen,wenn du das denkst, dann kann ich es auch nicht ändern, und dann fahre ich eben alleine.
Und dann werde ich mich ins Mayhem-Mobil setzen und losfahren, bis nach Prag werde ich fahren und meinen achtzehnten Geburtstag mit meinem gedankenschweren Hirn und meinem gefühlsüberladenen Herz dort verbringen; vielleicht kann ich ja etwas davon dortlassen und komme ein Stück leichter wieder zurück.