Donnerstag, 21. August 2014
Tante Emma und ich haben es uns auf dem WG-Sofa bequem gemacht und tun das, was man wohl gemeinhin als "chillen" bezeichnen würde, wäre da nicht die standardmäßige innere Unruhe, die mein Seelenleben aus dem Exil funkt. Standard soweit.
Dann ein Anruf vom Proll, dem Freund der Prinzessin (Tante Emmas Schwester). Der Herr hat gerade Geld und ihm steht der Sinn nach Party.
In die Glitzerdisco soll es gehen, er würde uns ein Taxi entsenden, sämtliche Getränke bezahlen und mir eine bis zwei Schachteln Zigaretten spendieren, damit ich nicht meinen ganzen Tabak auf(b)rauche, um das musikalische Schlachtfest zu überstehen. "Und wir trinken Kurze." Die brauche ich dann wohl auch.
Mein Ausnahmsweisefeierabendbier sorgt nicht gerade dafür, dass die mir eigene Gutmütigkeit gedämpft wird, und so zeigt Tante Emmas bekiffte Zeitlupen-Argumentation von wegen "Schwester endlich wieder sehen" (Ja, letzte Woche ist schon so lange her), "einfach aufm Raucherbalkon sitzen und chillen" und "Boah, Burger King!" Wirkung.
Gefrustet von allen Exilsachsen und Surfern dieser Welt, der baldigen Besucherin und wie sie alle heißen, sowie der Gesamtsituation, ringe ich mir ein "Is ja gut, sag ihm wir kommen mit. Und zweimal Pall Mall Menthol. Und Salitos. Literweise Salitos und Cuba Libre. Und für dich nen kleinen Kirschsaft" ab.

Im Hintergrund spielt He's a Pirate das Lied aus dem "Spiel mir das Lied vom Tod"-Soundtrack, als ich aus dem Taxi steige, Kampfstiefel an den Füßen, (Kunst-)Lederjacke (nach dem Waschen gemäß Etikett in postapokalyptisch-dunkelgraumelierter Mad Max-Optik) über einem Arm, die glücklich zugedröhnte (dass sie nicht sabbert, ist alles) Tante Emma überm anderen gefaltet, mit wehendem Haar und der Mütze, die mir Mr.Gaunt geschenkt hat, auf dem Kopf (Mütze gibt Sicherheit, zumindest diese), und vielleicht nicht zu hundert Prozent motiviert, aber definitiv stilecht in die Glitzerdisco einmarschiere.

Neben sehr vielen irritierten Blicken bekomme ich vor allem unglaublich schlechte Musik entgegengeworfen und verbringe die ersten zwei Stunden pendelnd zwischen Bar und Raucherbalkon.
Der ist, genau, wie mir der Surfer erzählt hat, als er sich gerade noch ein Glas Wasser holen wollte und Tante Emma und ich abgeholt worden sind, wirklich ganz nett, Sand auf dem Boden, Korbsessel, Sofas, hab schon Schlimmeres gesehen.
Die Sehnsucht, die ich nach derAbsteige, oder alternativ wenigstens dem Gruftkeller, verspüre, ist nicht in Worte zu fassen.

Zwischen ach-so-lasziv (innerhalb ihres Kopfes: hocherotisch, Außerhalb: Paarungstanz einer Lemurendame auf Speed) tanzenden Vierzehnjährigen (Sondermodelle in der Mittzwanzigervariante ebenfalls vorhanden), halb vögelnden Pärchen (langfristig oder für ein paar Stunden), den obligatorischen Obercreeps (die gibts irgendwie überall. Aber selbst die sind im Gruftkeller sympathischer!) und ein paar Swag-Yolo-Prollonauten fühle ich mich so seltsam deplatziert und danke meinem Ego dafür, dass es mich immer noch an Orte gehen lässt, die besser sind als das hier, auch, wenn Mr.Gaunt und neuer Anhang dort ebenfalls anwesend sind.
Würde ich es so machen, wie er nach der Trennung von der Löwin, und über ein Jahr lang nur in Discos und schlechten Elektroschuppen aufschlagen...oh, das erklärt Einiges.
Während ich noch so über die psychischen Auswirkungen wiederholter Folter durch grausame Musik und noch grausamer tanzende Menschen sinniere, flatscht sich ein Arm um meine Schultern, ich werde mit einem "Seeeeers mayhem!" mit in ein Gruppenfoto gezogen und bin später am Abend auf einem der Partyfotoflachbildschirme über der HipHop-Area zu bewundern.
Der Arm hängt am Corsafahrer, einem meiner Tankstellenstammkunden, der so furchtbar unserem Alter entsprechend ist, dass es schon richtig weh tut.
"Äh, ja, Hallo Corsafahrer. Wieso musste ich da jetzt mit aufs Bild?" Eigentlich will ich nur gemütlich Salitos trinken und eine rauchen, danke.
-"Weil wir uns schon eeeeewig nicht mehr gesehen haben ey! Wie gehts dir?"
"Ja, man lebt. Du, ich muss aber echt weiter, siehst du die da drüben aufm Sofa?"
-"Was, die Fertige?"
"Ja, genau! Das is ne Freundin von mir, die muss ich bisschen überwachen quasi-"
-"Die is doch total zugekifft!"
"..schauen, dass sie nicht zu viel trinkt.."
-"Alter, sabbert die?!"
"..aufpassen, dass sie sich nicht vollsabbert und so. Du verstehst? Ah super, ich wusste, du verstehst das, voll einfühlsam und so"
-"Du findest mich einfühlsam? Oh, danke. Hast du Lust, zu tanze-"
"Also, man sieht sich!"

"Und, wars so schlimm?" Damit wir bei der Guten-Morgen-Kippe ein Gesprächsthema haben, erkundigt sich der Surfer, der am Vorabend ganz überrumpelt davon war, dass es mich auch in hübsch zurechtgemacht gibt, am nächsten Tag nach bleibenden Schäden, die der Abend hinterlassen haben könnte.
-"Worte können nicht beschreiben, wie schlimm. Ich hätte alle fünf Sekunden jemandem ins Gesicht schlagen oder vor die Füße rotzen können."
"Hach, so haben wir dich hier kennen und mögen gelernt."
-"Und alle sind sie unfähig, Mindestabstand zu halten! Oder zu tanzen! Nur verzweifelt-notgeile, wild rumzuckende Vollidioten! Ich hätt eigentlich jeden einzelnen umtreten müssen! Und nur mit brennender Kippe rumlaufen und alle anzünden, die zu blöd sind, nen verdammten Mindestabstand zu halten! Argh!"
"Deine liebevolle Art ist jedes Mal wieder herzerfrischend. Das sagt man doch so, oder?"
-"Irgendwie hab ich das Gefühl, du nimmst mich nicht ernst."




Samstag, 9. August 2014
Zwischen Tag und Nacht wechsle ich zwischen neutraler Positivstimmung und namenlosem Heimweh.
Gelegentlich backe ich Pizza mit der neuen WG, oder wir sitzen im Garten, rauchen und schauen der Sonne beim Verschwinden zu.
"Wir", das waren bis jetzt die meiste Zeit Mitbewohner3 alias der Surfer und ich, da der Hippiehäuptling mit seiner Freundin im Urlaub war und sich der schüchterne Asiate nur selten aus seinem Versteck locken lässt.
Der Surfer ist kurzhaarig, beinahe untätowiert, gerade mal vier oder fünf Jahre älter als ich, seit zwei Jahren aus allen kriminellen Machenschaften ausgestiegen ohne Rückkehrwunsch und kein aktiver Metalmensch.
Dieses Wochenende ist er bei seinem Bruder zu Besuch, dann auf einer Fortbildung, ab Oktober wohnt er nicht mehr hier und nebenher macht er irgendwas komisches mit meinem kleinen, finsteren Herz.
Ein paar kurze, unverfängliche, vielleicht zufällige Berührungen an ein paar Bierabenden stehen im Kontrast zur absoluten Kumpelschiene, die er ansonsten fährt.
Vielleicht besser so. Normalen Menschen tue ich nur selten gut.
Trotzdem bleibt das "Es könnte ja sein", zusammen mit dem "was wäre wenn"; es schwebt neben mir die Treppenstufen hoch, wenn wir schlafen gehen, ich im Dach- und er im Kellerbunker.
Sitzt neben mir im Hauseingang, wenn ich, rein zufällig natürlich, gerade eine drehe, wenn er aus dem Garten kommt, oder wenn er schon da sitzt und auf mich wartet.
Rollt sich neben meinem Kopfkissen zusammen, wie Kater Mayhem auf meinem Bauch, wenn mein Herz ganz optimistisch rosa Glitzer kotzt, während es sich darauf freut, dass er am Sonntagabend hier ist, bevor er am Montag für eine Woche weg fährt.

Mir macht das Angst.
Das winzige bisschen Optimismus, das sich eingeschlichen hat und sich auch von ganz viel Kumpelschienenwahrscheinlichkeit nicht beeindrucken lässt, nicht mal ansatzweise.
Ich sollte eigentlich demnächst Besuch aus einer sehr, sehr großen Stadt bekommen, etwas Ablenkung, einfach, unkompliziert; zumindest, solange bei der Gegenseite keine Gefühle aufkommen, ich habe nämlich zur Abwechslung mal keine.
Es könnte so verdammt einfach sein.

"Ich habe keine".
Schreibe ich und versinke abwechselnd in Heimatlosigkeit, Isolation, und der pinken Glitzerwolke, die irgendwas in mir auskotzt, das für Gefühle, Schwärmereien und alles andere an mentalen Reifrock-Konstrukten* mitverantwortlich ist, sowie den Unsicherheiten, die sie produziert.
Dabei hatte ich mir gerade erfolgreich erklärt, dass ich vielleicht nicht ganz stabil, aber eindeutig absolut charismatisch. sowas von anziehend und allgemein ein toller Mensch bin; es ging sogar so weit, dass das andere Leute auch geglaubt haben.

Dann kam die Heimatlosigkeit, die Isolation und der Glitzerscheiß, und auf einmal geht alles wieder von vorne los.

Vielleicht ist es die Entfernung.
Der Bruch mit Menschen, auf die ich eigentlich gezählt hatte, und gleichzeitig die beinahe permanente Unterstützung, Betreuung und Bemutterung Tante Emmas, zusammen mit klassischem Coming of Age.
Verzögerte Erleichterung, weil ich noch zu sehr unter Schock stehe. Irgendwas.


"Auf dem Scheißhaus meiner Seele ist ein Rohr geplatzt".
Ich bin damit beschäftigt, den ganzen Dreck aufzuwischen.
Zwischen Bierabenden, Weinabenden, Pizza backen, Möbel rücken, Karten spielen und den endlosen Ausführungen des Surfers über sein getuntes, Pokale gewinnendes Auto.

Bis die ganze Scheiße wieder im Abfluss verschwunden ist, lassen endgültige Erleichterung und das Ankommen hier wohl noch etwas auf sich warten.
Muss man durch.







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*Je nach Ausführung etwas irritierend oder vielleicht sogar ganz nett, eventuell etwas kitschig, aber absolut unpraktisch, und Wegrennen ist auch nicht mehr drin, wenn man mal drin steckt.




Donnerstag, 31. Juli 2014
...oder: Moving to Auenland, Part 2



Während ich den mehr als feuchten Keller und mein Zimmer ausräume, verlässt der Knastbruder seinen Beobachtungsposten im Türrahmen nur dann, wenn er das, was seine kornzerfledderten Gedärme aus sich herausquälen wollen, von sich geben muss, oder wenn er eine neue Zigarette braucht.
Ruhig bleiben.

Zwischen dem Sichten dessen, was mal Einrichtung und Erinnerung war, bevor es zu vergammelten Moderklumpen geworden ist, deren Entsorgungsfahrt der Fremde glücklicherweise nach seiner Arbeit übernehmen konnte, bevor er zu einer Schulung weiterfahren musste,und der ersten Fahrt zum Zwischenlager und der neuen WG werde ich, in dem allzeit freundlichen Umgangston, der hier selbstverständlich herrscht, darum gebeten, doch bitte meinen gottverdammten Arsch zum verfickten Aldi zu bewegen und eine scheiß Flasche Korn zu holen. Aber plötzlich.
Nein, ich möchte nicht, dass man am vorletzten Tag meiner Katze oder mir den Schädel einschlägt, danke der Nachfrage.

Um halb elf bin ich wieder in der Noch-WG. Eingestaubt bis in die Winkel meiner Tunnel, mit diversen Schrammen verziert, und morgen wohl mit Muskelkater gratis.
In Umzugssituationen ist es dann doch etwas unpraktisch, dass grobe 80% meines Besitzes Bücher sind.
"Ist das echt dein Ernst? Die willst du alle mitnehmen?"
-"Das sind nur die Wichtigsten! Die meisten stehen ja bei meinem Vater."
"Du meinst die 3 Umzugskartons, die bei ihm aufm Dachboden stehen? Ich hab damals gedacht, die willst du verkaufen oder spenden."
-"Ich geb doch meine Kinder nicht weg!"
"Nicht nur verrückte Katzenlady, sondern auch noch eine, die sich hinter ner Wand aus Büchern versteckt, wenn sie die Nachbarskinder abwirft. Das hat sich nicht geändert. Und ändert sich wahrscheinlich auch nicht mehr." Das Lachen. Sein Lachen. Sie sehen mich verwirrt.

Der Hippiehäuptling wirkt ebenfalls etwas irritiert, als wir mit einer riesigen Reisetasche voller Bücher, die wir zu zweit tragen müssen, an ihm vorbeiächzen und uns die Treppen zu meinem Bunker hochquälen, um bei der nächsten Runde zu verkünden, dass die zwei Paar Schuhe und ein blauer Plastiksack alles sind, was ich an Kleidung mitbringe/besitze. Und dass da schon Bettwäsche mit reingestopft ist.

In der Noch-WG wartet (noch) unausgesprochene Aggression und Krisenstimmung auf mich.
Noch eine Fahrt, einmal kehren und rauswischen, Katze einpacken und ich bin hier fertig.
Mit Allem.
Und jedem.




Sonntag, 13. Juli 2014
Die letzte WG liegt am Ende einer sehr, sehr langen Straßenbahnschienengerade, etwas abseits vom Gehsteig in einem schon etwas älteren Gebäude.
Drinnen riecht es wie im Rathaus in Mayhemsdorf, in dem ich meine halbe Kindheit verbracht habe, weil meine Mutter und der Rest der Theatergruppe (inklusive meinem mutmaßlichen Erzeuger) dort immer geprobt haben, und sogar die Treppe sieht so ähnlich aus.
Als ich den ersten Stock erreiche, stelle ich fest, dass selbst der Boden "passt".
Instant Heimatgefühl.
Nach ein paar Minuten verlässt ein anderer Kandidat die Wohnung und ich werde rein gebeten.

Mitbewohner2 ist Koch und gerade nicht da, Mitbewohner1 ist Journalist, um die 40 und, wie ich schnell feststelle, Metalmensch aus Leidenschaft.
Quasi subkultureller Heimvorteil für mich.
Die Tatsache, dass ich nicht nur halbwegs in der Szene verhaftet, sondern auch noch hochsympathisch und mit dem besten Humor der Welt ausgestattet bin (und kein bisschen pseudoarrogant) scheint irgendwie auch zu helfen, jedenfalls verquatscht man sich eine Dreiviertelstunde, bevor ich dann doch los muss, Tante Emma am Bahnhof einsammeln und weitertingeln Richtung Konzert.
Der Journalist sagt, am Dienstag fällt er eine Entscheidung, und ich weise nochmals darauf hin, dass ich eh die sympathischste Kandidatin bin.
Dreistigkeit siegt, und so.
Er meint, ich sei auf jeden Fall mit Abstand die Ehrlichste und Direkteste gewesen und die, die sich am Wenigsten verstellt hat, und es klingt, als ob das ganz gut ist.
Außerdem habe ich den Finsternis-Bonus, den bis jetzt kein einziger Bewerber mitgebracht hat.
Und kann legendäre Rumkekse backen.

Mit diesem Hinweis und einem absolut einnehmenden Grinsen verabschiede ich mich aus der eher kleinen, aber ganz netten Wohnung, in diesem wunderbaren Haus, am Ende der unendlichen Straßenbahngleise.
Renne noch fast einen Studenten über den Haufen, der gerade sein Fahrrad direkt vorm Hauseingang ankettet,
fahre zum Bahnhof, sammle Tante Emma ein, lasse uns vom Postboten einsammeln, um mich ein paar Stunden später mal wieder fast in den Haaren anderer Leute zu verheddern, mich ein bisschen feiern zu lassen und so, wie ich es von Mr.Gaunt gelernt habe, mit der SchreiSchwedin zu reden: Ohne jegliche Hemmungen, vielleicht zwischendurch etwas skurril, aber immer direkt.

Scheint auch ganz gut zu funktionieren, sie stellt sich als anhänglich, aber im angenehmen Maß heraus, bei "Ey, macht mal rum!"-Sprüchen vergräbt sie sich verschämt in meinen Haaren und alles ist ganz wunderbar, bis mich der Mischpultmann bei der letzten Band beiseite und Richtung Bar zieht und mir mitteilt, dass die gute Frau vergeben ist.
Kleiner Dämpfer.

Der Abend endet dort, wo Tante Emma und ich sowieso die meiste Zeit anzutreffen sind, nämlich auf dem Balkon des Mischpultmanns. Mit Mädchenbier, angenehmer Aussicht und sympathischer Gesellschaft.
Meine faszinierende Wirkung scheint ausgeprägter zu sein, als ich angenommen habe, denn, wie ich von seinem Kumpel Bon Jovi indirekt erfahre, hat der Exilsachse mich letztes Mal wohl nicht bewusst-ablehnend ignoriert und sich danach anscheinend sogar nach mir erkundigt.
"Aber der ist Nichtraucher. Und anscheinend normal im Kopf. Und sogar normalgewichtig! Und man sieht noch freie Stellen auf der Haut, die nicht zutätowiert sind!Sicher, dass du den attraktiv findest?" Tante Emma hat mein Standardbeuteschema wohl irgendwie durchschaut.
-"Hat lange Haare, nen Bart und konnte die letzten Male auch zu fortgeschrittener Stunde noch geradeaus laufen. Passt." Ich bin da nicht so anspruchsvoll.
Größer als ich ist er sogar auch. Luxus.
Ich beschließe, Bon Jovi weiter festzuquatschen, in der Hoffnung, nicht nur ihn, sondern vor Allem auch den Exilsachsen demnächst mal irgendwo mit hin schleifen zu können, um mir den Menschen mal näher anzusehen, und das möglichst, bevor ich (hoffentlich!) umziehe.

Man drücke mir also weiterhin die Daumen für alles Mögliche, und vielleicht schreibe ich schon in zwei Wochen aus der Unistadt.
Mit ansatzweise guter Laune (hey, ich habe einen Hoffnungsschimmer. Vielleicht komme ich hier doch heil raus) widme ich mich damit wieder der Metrik und dem ganzen Mist, den irgendwelche Menschen im Mittelalter so verzapft haben, in der Hoffnung (da, schon wieder Hoffnung. Ich werd noch zur Optimistin hier), meine letzte Klausur am Dienstag so gut zu überstehen wie die anderen davor; eventuell gelegentlich unterbrochen von ein paar Mal Aufregen über die SchreiSchwedin und ein, zwei Besuchen pro halbe Stunde des Profils des Exilsachsen. Also, einfach so. Der hat so eine wahnsinnig intensive Augenfarbe. Hach.




Donnerstag, 10. Juli 2014
Heute von der Kleinstadt zur Unistadt, einmal komplett ans andere Ende, in die nächste Ecke, einen Vorort, einen anderen Vorort und wieder zurück, mit freundlicher Unterstützung der allseits beliebten und stets zuverlässigen Deutschen Bahn.
Ich glaube, das, was mich das Semesterticket gekostet hat, hätte ich innerhalb der letzten paar Tage locker ausgegeben. (So sinds nur die Kosten bis ich im Gültigkeitsradius bin. Trotzdem, Meh).
Zum Bafögamt, zum Studentenwerk, zu Wohnungsbesichtigungen.
Und das alles, ohne sich einmal zu verlaufen oder in den falschen Bus/Zug/die falsche Straßenbahn einzusteigen.
Ich!
In der Großstadt!
Wenn das mal keine Leistung ist.

Beim Bafögamt schimpft man auf meinen Vater, füllt schon mal den Vorschussantrag aus, und wenn ich es schaffe, am Freitag um 10 Uhr mit den noch einzuholenden Unterlagen auf der Matte zu stehen, habe ich zum 01.08. wieder Geld.
"Und wenn dein Vadda dir nischt zahlt, Mäuschen, dann kümma ICH mich dadrum!" hat sich die nette Beamte (ja, sowas gibt es wirklich) lautstark durchs ganze Stockwerk empört. So halb habe ich damit gerechnet, dass sie mir noch ein paar selbstgebackene Kekse mit gibt.


Wohnung eins ist klein, aber nett und möbliert, leider aber auch so weit vom Schuss, dass selbst die Verbindungen in die deutlich weiter entfernte Kleinstadt besser wirken, vor Allem nach späten Seminaren.
Was tendenziell eher ungünstig ist, wenn man mit einrechnet, dass das Mayhemmobil wohl noch vor August den endgültigen Gnadenschuss bekommt.

WG1 hat gar nicht mit mir gerechnet und es stellt sich heraus, dass man mich mit einer anderen Frau Mayhem verwechselt hat, mein Vorname fliegt anscheinend relativ häufig hier in der Gegend rum.
Jedenfalls "Sorry, aber ich glaube auch nicht, dass du zu uns passt". Sagt das Klischee-American High School-Girl (angeblich aber schon länger am Studieren), das mir die Tür geöffnet (und mich eigentlich auch vorgeladen) hat, zu mir, ohne mich überhaupt hereingebeten oder mit mir geredet, beziehungsweise mich den anderen Mitbewohnern vorgestellt zu haben.
Gut, warte ich halt dreißig Minuten im Regen auf den Bus, der mich aus eurem Scheißkaff wieder rausbringt.

Wohnung2 hat neun Quadratmeter (und da soll noch eine Kochgelegenheit rein), keinen Anschluss (oder Platz) für ein Spül- oder Waschbecken, aber immerhin eine Dusche.
Der Vermieter erzählt, ganz früher war es der Hühnerstall, und bis vor Kurzem habe seine Frau den Kabuff als Verkaufsräumchen für ihre Handarbeiten und den Honig der Bienen, die gleich nebendran wohnen, genutzt.
Warmmiete? Dreihundertfünfzig. Telefonanschluss passt eh keiner rein, mit dem Internet solle ich mal schauen, ob das mit so einer Stick-Geschichte ginge, das und der Strom würden dann halt noch dazu kommen.
Hups.

Am Bahnhof nach Feuer gefragt und sehr angenehm festgequatscht worden.
18, wirre dunkelmagentafarbene Locken, obskure Bandjacke. Stellt sich als die SchreiSchwedin vor (auch, wenn sie, wie sie erklärt, nur zu einem Viertel Schwedin ist, das restliche Viertel ist deutsch und die fehlende Hälfte kommt aus dem Iran), ist Frontsau irgendeiner Band von hier, die ich eigentlich kennen sollte, und so viel Randale, Revolution und Leidenschaft, wie man eben auf einsfünfundfünfzig packen kann.
Fand ich eigentlich ganz sympathisch.

Noch zwei WGs am Samstag. Und meine kleine "Geburtstags"feier.
Sollte mir nicht vorher vom Knastbruder das Genick gebrochen werden, weil sie kornbedingt die Miete für diesen Monat jetztsofortaufderStelleduSchlampe brauchen, wird das vielleicht auch mal ganz nett.

Und sollte ich das alles irgendwie bis August überstehen, wird es vielleicht wirklich besser.




Auto-Liebeskummer hab ich trotzdem.




Donnerstag, 3. Juli 2014


Nachts halb eins auf der einzigen wirklichen Straße, die durch die Kleinstadt führt.
Nach einem Ausraster des Knastbruders, weil die 230 Euro, die er kornbedingt seiner Schwester schuldet, noch nicht auf deren Konto sind (Heute auf mein Konto einbezahlt und sofort auf ihres überwiesen), laufe ich zur einen Hälfte zur Postbank, zur anderen irre ich durch die Stadt und fühle mich heimatlos.
Nachdem erst der Salzkrug, dann ein Topf, der Hinweis "Ich schlag auch Behinderte. und Wenn die scheiß Kohle nicht auftaucht, schlag ich dich behindert", und schließlich die Erinnerung daran, dass er schon Leuten für weniger einen Finger abgeschnitten hat, in meine Richtung geflogen sind, wurde ich zur Tür rausgeschubst mit dem Befehl, das Geld sofort abzuheben, dann mit der gesamten Truppe (Knastbruder+Nachbarin, der Kater+Anhang) die 200km zu seiner Schwester zu fahren und mich zu entschuldigen für meinen Frevel, meine Unfähigkeit, meine Todsünde.

Ein Anruf beim Fremden.
Keiner da.
Einer bei Ms Golightly. Was auch immer los sei, sie könne gerade nicht, ihre Abikollegin hat Geburtstag.
Ich hätte gerne eine Familie, zu der ich zurückkann.
Habe ich aber nicht.
Ein Anruf beim Kumpel mit der weiblichen Seite. Seine Freundin hat eine Katzenhaarallergie und mag mich nicht, und überhaupt, so schlimm sei es doch bestimmt nicht.
Dann bin ich bei der Bank, stopfe mir die 230Euro wieder in meinen Geldbeutel, winke wie immer in die Kamera stehe kurz darauf wieder an der Straße und warte, dass die Fußgängerampel grün wird.
Inmitten des ganzen Wortgefechts hat der Kater angefangen, mitzuschreien. Dass ich das Geld wiederbeschaffen soll; dass ich sterbe, wenn es morgen nicht bei der Knastbruderschwester ist, und es ihm egal ist, ob sie mich dafür auf den Strich schicken müssen oder sonstwas.

Inzwischen habe ich fast alle Kontakte aus meiner Telefonliste abtelefoniert, die in und um die Kleinstadt wohnen.
Mir bleibt die Telefonnummer des Rauchers, die ich seit dem letzten Konzert wieder habe.
Erster Anruf. Mailbox.
Zweiter Anruf. Mailbox.
Ich hätte gerne eine Wahlfamilie, zu der ich kann.
Habe ich aber nicht. Nicht hier.
Eine sms, mit der Bitte, dem Flehen, an sein Telefon zu gehen.
Schreibe ihm, dass ich Angst habe. Wieder.
Dass ich nicht weiß, wo ich hin soll, dass er mich bitte zurückrufen soll, und ich nicht weiß, wen ich sonst noch anrufen soll. Dass ich nicht mehr weiß, was ich machen soll.
Dritter Anruf. Mailbox.

Auf der Fahrt bringt uns die Nachbarin fahrstilbedingt diverse Male fast um und ich denke mir, dass dann eigentlich alles einfacher wäre.

Die Knastbruderschwester sagt, es wäre schon ok gewesen, ist aber ruhig, als der Knastbruder anfängt, rumzuschreien, sie solle mich nicht verteidigen.
Der Kater liegt mit seinem Anhang besoffen auf dem Sofa und schläft.
Zu mir hat er gesagt, er kann sich keine Beziehung mehr geben.
Nachdem er und sie sich jetzt zwei Mal gesehen haben und ihr Einzug in der WG fest geplant ist, hat sich das wohl geändert.
Wie auch seine angebliche Näheallergie.
Stelle fest, dass er sich, ausgelöst vom Hass des Knastbruders auf mich, anscheinend sehr schnell von mir losgemacht hat, und dass das doch eigentlich gar nicht zu dem passt, was er gesagt hat.
Wie auch bei Mr.Gaunt, mit dem es heute ein Jahr gewesen wäre.

Das Baby der Knastbruderschwester spielt seelig mit meinem Glöckchenarmband, während die WG-Truppe besoffen auf dem Sofa eingeschlafen ist und seine Mutter die leeren Flaschen, die als Reiseproviant dabei waren, rausträgt.
"Sieh zu, dass dein Vater die Bürgschaft für die Wohnung übernimmt. Wär der Knastbruder nicht mein Bruder, würd ich auch nichts mit ihm zu tun haben wollen. Ich bin da nicht umsonst 200km weggezogen", hat sie gesagt.

Morgens halb vier, 200km weiter weg als vor drei Stunden.
Zur einen Hälfte sitze ich auf dem winzigen Balkon einer viel zu jungen, viel zu glücklichen Familie, damit ich deren Wohnzimmer nicht verräuchere, zur anderen hänge ich irgendwo in der Schwebe und fühle mich heimatlos.
Ein Blick aufs Handy, keine neuen Nachrichten.

Da sind auch keine neuen Nachrichten, als wir um zehn wieder heimfahren und ich überlege, erst den Knastbruder zu foltern und dann ihn, mein sterbendes Mayhemmobil und mich abzufackeln, bis mir einfällt, dass er es nicht verdient hat, im wunderbarsten Auto der Welt, in meinem Auto, sterben zu dürfen.
Pläne schmiede, wie ich ihn am effektivsten leiden lassen könnte, aber doch immer wieder zum Ergebnis komme, dass das rauskommt und ich dann Probleme kriege, von denen 15 Jahre Knast die Geringsten wären. Und etwas, das ich billigend in Kauf nehmen würde.

Bei "unserer" Autobahnabfahrt habe ich mir lange genug vorgebetet, dass Rache nicht die Lösung ist und ich eigentlich nicht auf seine untermenschliche Ebene runtersteigen will, um es mir fast zu glauben.
Zuhause wartet eine schreiende, hungrige Katze auf mich, die mir zur Begrüßung in die Wade beißt, danach aber immerhin die Freundlichkeit besitzt, sich neben mir zusammenzurollen und zu schlafen.
Ich hätte gerne ein Zuhause, das sich auch danach anfühlt.
Habe ich aber noch nicht.




Sonntag, 29. Juni 2014
Tante Emma und ich vergammeln die Zeit, bis der Postbote uns abholen kann, stilecht hinterm alten Supermarkt, sie mit einer Flasche Zweieuroweincocktail, ich mit Mediumwasser, und mit dem, was so an Musik auf meinem Handy rumfliegt, was uns gnädigerweise ghettoisierende Vorpubertisten besser vom Leib hält als jedes Insektenspray.
Alles ist gut, das Nieselwetter hält sich auch in Grenzen und im Prinzip könnte man sich auf den Abend freuen (Punkkonzert unter freiem Himmel. Ihr zuliebe. Und "früher" mochte ich das ja auch mal ganz gerne).
Dann ruft sie der Knastbruder an.
"Ey Schnegge, willste bumsen?"
Sie sagt nein, alles ist gut.

Zehn Minuten später hat er uns gefunden und sie will für fünf MInuten alleine mit ihm reden.

Nochmal zehn Minuten später werde ich zur Wohnung beordert, er führt sein übliches "ich bin doch gar nicht so böse, und du bist doch voll korrekt und ne gute Freundin"-Theater für sie auf und sie fragt mich, was sie machen soll. Er hätte gerne, dass sie den Abend bei ihm verbringt, schließlich ist sie ab Dienstag im betreuten Wohnen in der Unistadt, er säße sonst alleine rum, und sie hätten ja schon so viel durchgemacht, und bla, Freundschaft, das Übliche.
Ich sage ihr, dass sie das selbst entscheiden muss, ich zwar etwas enttäuscht wäre, aber sie zu nichts zwinge(n kann/will).
Sie bleibt, das Letzte, was ich mitkriege, sind ein paar Takte Bollywood-Filmmusik, die mich in meiner Überzeugung, dass man beim Knastbruder getrost auf sein ständiges Gerede von wegen "Ehrlichkeit", "zu seinem Wort stehen" und "Loyalität" scheißen kann und er im Endeffekt auch nur ein falscher Pseudomensch ist, dezent bestärken (welcher Mann tut sich schon freiwillig und ohne Hintergedanken Bollywood an? Das würde ja nicht mal ich machen).

Eine halbe Stunde später steuere ich die abgeranzte Riesenkarre des Postboten mit 120 durch die 70er-Pseudoserpentinen vom Dorfsportplatz zurück Richtung Kleinstadt, lege eine 1a Vollbremsung beim Marktplatz hin, lade die sehr verstörte, dauerjammernde und -heulende und nur halb angezogene Tante Emma ein und steure den Kahn im gleichen Fahrstil wieder zurück Richtung Konzert.
"Lass mich raten: Er hat dich halb abgefüllt, du konntest nicht nein sagen, ihr habt gevögelt und er ist ausgetickt?"
-"Ja, und das tut immer so weh und er hört trotzdem nicht auf und ich musste mit Anrufen warten bis er schläft und dann hab ich mich rausgeschlichen aber er hats mitgekriegt und mir nachgebrüllt und dann bin ich gerannt und hab mir unterwegs das Nötigste angezogen und das ist alles so furchtbar ich komm einfach nicht von ihm los und wieso tut er mir das an und ich hatte Angst dass du nicht auftauchst..."
"Atmen. Einfach weiteratmen." Ich schaffe es tatsächlich, gleichzeitig den Kampfkoloss von Auto zu steuern (Servolenkung...wie lange ich sowas schon nicht mehr in den Händen hatte), meine Jacke aus- und sie Tante Emma anzuziehen, ihr eine Zigarette in den Mundwinkel zu klemmen ("Hast du ne Kippe, ich dreh sonst echt noch durch. Der hat mir meine alle weggeraucht!") und sie sogar anzuzünden.
Nachdem sie sie in gefühlt einem Zug bis zum Filter runtergeraucht und das noch dreimal wiederholt hat, während ich versuche, ihr den Selbsthass auszureden, beruhigt sich Tante Emma tatsächlich wieder ein bisschen. "Danke, dass du her gefahren bist, ehrlich."
-"Kein Problem. Ich hab dir gesagt, so leicht kriegst du mich nicht los, und dass ich das so meine, wenn ich sage, ich bin da."
Als Antwort wirft sie sich mir um den Hals und uns damit fast die Serpentine runter (verdammte Servolenkung aber auch).

Auf dem Konzert habe ich zu tun, gleichzeitig Tante Emma vom Dauersaufen ab- und mir/später ihr einen seltsamen Deathrocker-Grufti-Rockabilly-Styler-Verschnitt vom Hals zu halten, während ich eigentlich nur mit einer Band, deren Sänger und Gitarrist ich aus der Absteige kenne und schon ewig nicht mehr gesehen habe, reden, gemütlich mein Radler trinken und irgendwie die anderen hören will.
Klappt natürlich alles nicht, und zwischen Tate Emmas Feststellung, dass sie die Musikrichtung ganz furchtbar vermisst hat, während ich ihr irgendwie tatsächlich so ein bisschen entwachsen bin, etwas Zusatzemotionsstress ihrerseits, weil der Mischpultmann sie total ignoriert, und ein paar ganz netten Begegnungen, die ich aber jedes Mal vorzeitig stehen lassen muss, helfe ich ihr in schöner Regelmäßigkeit, aufs Klo zu gehen ("Da sin üüüüüüberaaaaalll Menschen!" - "Nein man, da sind keine Leute. Wir sind im Wald! "Üüüüüberaalll Menschen, da kannsch nich pissn!"), bringe sie in Sicherheit, wenn sie sich zielsicher mit Zweimeterfünzigpunkern vom Typus "hochaggressiver, muskelbepackter Schrank" anlegt, baue sie wieder auf, wenn sie in Selbstekel und Seelenschmerz versinkt, und passe auf, dass sie nicht von der Bank fällt, wenn sie wieder apathisch vor- und zurückwippt.

Erkläre ihr, dass so ein Herz ganz schön lange brauchen kann, bis es wieder bei einem angekommen ist, während ein Bekannter unbedingt Fotos vom letzten Konzert der Band Mr.Gaunts rumzeigen will, auf denen natürlich auch er samt neuem Anhang zu sehen ist.
Und dass das wehtut ohne Ende, aber man da durch muss, irgendwie.
Tante Emma weint und rotzt meine Jacke,mich und auch gleich den Postboten voll und sagt, sie hält das alles nicht mehr aus. Ich doch auch nicht.
Ich sitze daneben, beschränke mich aufs da sein, Taschentücher reichen und Kippen drehen und bin dadurch der wunderbarste Mensch der Welt. Sagt sie, und will mir schon wieder einen sabbrigen Schmatzer aufdrücken.

Der komische Wasauchimmer-Verschnitt ist die ganze Zeit um uns herumgeschlichen, und als ich dann doch mal aufs Klo muss, hat er anscheinend seine Chance gewittert, denn als ich wiederkomme, will Tante Emma gerade eine halb leere Flasche Wodka ansetzen und der Mutant sitzt vor ihr, streicht sich unheimlich tiefsinnig eine schlecht pomadisierte Strähne aus der Stirn und macht einen auf rebellisch, aber doch sooo tiefgründig und emotionsverkrüppelt.
"Kind: Nein." Zwei einfache Worte, mit denen ich Tante Emma die Flasche entreiße, mich neben ihr auf die Bank plumpsen lasse und dem Möchtegernmutanten den bösesten Blick schenke, zu dem ich aus dem Stand fähig bin.
"Wassollndas?", jammert Tante Emma, faltet sich aber sofort danach auf unserer Bank zusammen, lässt ihren Kopf auf meinen Schoß fallen und fängt an, leicht sabbernd wegzudösen.
"Eben, was soll denn das?", fragt der Mutant, "lass sie doch ihren Spaß haben."
-"Mein kleiner Freund, der Einzige, der hier Spaß haben wollte, bist du, und das kannst du schön knicken, solange sie das nicht selbst entscheiden kann."
"Sie ist doch alt genug, also bitte. Bist du ihre Mutter oder was?". Verunsichertes Lachen. Meinem Blick kann er auch nicht Stand halten.
-"Ich bin ihre Mutter im Geiste, und inzwischen eine verdammt gereizte noch dazu. Und wenn ich noch einmal mitkriege, dass du um uns rumschleichst, oder versuchst, sie abzufüllen, oder du uns wieder nachdackelst, wenn wir in den Wald gehen, oder ich auch nur sehe, dass du uns anschaust und mir dein Blick nicht passt, wirst du dir wünschen, mir nie begegnet zu sein, das garantiere ich dir."
Sie hat mich gebeten, auf sie aufzupassen und ihr keinen Alkohol mehr zu geben, also mache ich das. Und lasse es auch unter Garantie nicht zu, dass sie heute nochmal zum Triebbefriedigungsobjekt wird.
Zweieinhalb Sekunden hält der Mutant dem finstersten Blick, der je meine Augen verlassen hat, noch aus, dann macht er sich vom Acker und in meinem Kopf klatscht ein imaginäres Publikum und wirft mir Blumen zu.

Vielleicht habe ich nicht alles vom Konzert mitbekommen (gegen Null Uhr mussten der Postote und ich Tante Emma zum Auto tragen, weil sie nur noch vor sich hingewippt hat und dauernd am wegpennen war), bin zwischendurch fast vor Platzangst durchgedreht (auch in einem großen Kombi wird es zu dritt eng, besonders, wenn eine halbe Alkoholleiche dabei ist und niemand die Fenster aufmachen will), wurde, als endlich alle geschlafen haben, von meinem eigenen Restherzschmerz halb bewusstlos geschlagen, aber irgendwas ist ja immer.

Und wenn ich schon muttihaft bin, dann bin ich wenigstens eine von der coolen Sorte.
Eine unfassbar düstere, finstere, trve kvlt Mutti of Doom, und so. Sie wissen schon.




Freitag, 13. Juni 2014
...to join the Black Parade.
...oder auch: halbes Requiem für den besten Polo der Welt.


Als ich meine Kündigung aus der Post gezogen habe, dachte ich, die Welt geht unter, aber kennwa ja schon.

Als sich der Mensch, der den neuen Tank ins Mayhemmobil einbauen wollte, nicht mehr meldete, dachte ich mir, Scheiße.
Ebenso, als ich die Spiegelfläche meines linken Außenspiegels irgendwo auf der Autobahn verloren habe.


Als meine Bremse heute auf einmal nicht mehr ging, wir Bremsflüssigkeit nachfüllten und nur noch kurz entlüften wollten, dachte ich, wird schon nichts Schlimmeres sein.
Bitte lass es nichts Schlimmeres sein.

Als sich herausstellte, dass der dazugehörige Schlauch mehr Loch als Schlauch ist, konnte ich mein schlechtes Gefühl nicht mehr länger ignorieren, aber sagte mir, vielleicht wirds ja wieder.

Dann hat es geknirscht und der Wagenheber hat sich zwei Zentimeter tief ins Auto gebohrt.
Und die Schraube, die eigentlich sechskantig und in 12er-Größe sein sollte, musste mit einem 10er-Rundschlüssel festgezogen werden, weil sie nicht nur weg- sondern rundgerostet ist.


Und dann habe ich im Mayhemmobil gesessen, ihm vorsichtig übers Lenkrad gestreichelt und zu ihm gesagt, es tut mir Leid, aber vielleicht schaffen wir es doch nicht bis zum H-Kennzeichen.
Dass es mir so Leid tut, aber dass das "bis das der TÜV uns scheidet" wohl näher liegt, als geplant; wenn wir es denn überhaupt bis dahin schaffen. Ein Jahr und zwei Monate noch.
Der Mechanikeronkel des Postboten, bei dem ich einen Stopp eingelegt hatte, wollte mich eigentlich gar nicht weiterfahren lassen.
Aber muss ja.
Muss morgen zu Uni und wieder heim, jeweils eine Stunde Fahrt.
Muss Wohnung besichtigen.
Und eigentlich auch aufs Festival fahren.
Und das noch eine ganze Weile so machen.

Wenn mein Auto einen Geist hat, wovon ich felsenfest ausgehe, dann hoffe ich, dass er mir nicht böse ist.
Und dass es mehr friedliches Einschlafen als langsames Siechtum ist.

Alles bröselt weg, sogar mein Mayhemmobil. Unwiderruflich.
Selbst das Mayhemmobil, geliebtes und bestes aller Autos. Auch, wenn es nicht frohmbwahsrot ist.





Mittwoch, 14. Mai 2014
"Der Krähen Klage dringt nicht an mein Ohr,
ich riss es aus meinem klagend' Gewissen.
Ich mordete alle Schatten hinfort,
die einst mich in Abgründe rissen

Auch hab ich das blut-rost'ge Messer
wohl unterm Kirschenbaum vergraben
und habe den Dämon der Rache
in meinen Träumen erschlagen
"

Nach einem weiteren WG-Weltuntergang und der darauffolgenden Vorlesung finde ich mich auf einmal auf dem Weg ("Straße" kann man das ja nicht nennen) zum Postboten wieder, und nachdem ich das Mayhemmobil über diverse Berge (inklusive 90 Grad-Kurven und nur echt mit zweistelliger Steigung), die keine höhere Geschwindigkeit als 45 km/h zulassen, und Feldwege, auf denen es schon mir zu eng war und Traktorfahren wohl an olympischen Leistungssport grenzt, gequält habe, stehe ich dann irgendwann tatsächlich vor seiner Haustür.
Links Hühnerstall, rechts ultimativ flauschige Hasen, die grob geschätzt doppelt so groß sind wie Kater Mayhem, und vor mir ein circa achtjähriges Kind, das mich zunächst misstrauisch beäugt, um dann zu einer unter einer Strickjacke, einer geblümten Bluse, Gummistiefeln, einem schweren Rock, diversen Geschirrtüchern, einer Schürze und einem (absolut obligatorischen) Kopftuch begrabenen Frau zu flüchten, die aussieht, als ob sie mich gleich mit der Mistgabel, die sie in der rechten Hand hält, vom Hof jagen würde.
"Grüß Gott, ich wollt zum Postboten. Is der da?"
Die richtige Grußformel ist alles, das Gesicht der Frau hellt sich auf.
"Woarddemmoakuaz."
(Anmerk.d.Red. : Warte mal kurz/einen Moment bitte.)
Die Frau schubst das Kind samt Sportbeutel zur Hoftür raus. "Umochtbisdewiddadahemm!"
( Um acht Uhr erwarte ich dich wieder zu Hause.)
"Bostboooooooooooooooooot! Bewechdeinoarschher, d'hoasd B'such!"
(Postbote, komm doch bitte mal her, du hast Besuch.)
Nach diversen, kontinuierlich lauter werdenden und schließlich die ganze Nachbarschaft an die Fenster rufenden Versuchen ihrerseits, den Postboten (wo auch immer er gerade steckt) her zu bewegen, gibt die Kopftuchfrau auf, tritt einmal fest gegen eine Holztür und erklärt mir, einmal die Treppe hoch, dann links, dann die Balkontür eintreten, und im Flur dann die erste Tür rechts.

Die ich sowieso nicht hätte verfehlen können.
Zwei Chaossterne auf dem Türrahmen, ein Spongebobposter an der Tür, und dahinter unverständliches Geschrei auf voller Lautstärke, trotz dessen der Postbote mein Klopfen hört und mir öffnet, um mich anschließend so fest zu umarmen, dass mir kurz die Luft weg bleibt.
"Ach, schön, dass du her gefunden hast. Such dir irgendwo ne freie Ecke."
Zwischen unendlich vielen obskuren Elektrogeräten, die er wohl selbst gebaut hat, und noch mehr Pflanzen, die auf sämtlichen Fensterbänken, Regalen, und von Schränken herunter wuchern, finde ich einen Schaukelstuhl, neben dem sogar noch eine Ecke frei ist, in die ich meine Tasche stopfen kann.
"Erstmal Tee?"
-"Erstmal Tee."

"Weißt du, eigentlich ist das schon so eine Vorstufe oder Mutation von Verliebtsein. Wenn man vor jemandem sitzt, dem gerade die halbzerkauten Chips wieder aus dem Mundwinkel fallen, weil er so besoffen ist, und man ihn trotzdem noch ganz wunderbar findet, und das inzwischen so ziemlich jeden Abend.
Aber auf der anderen Seite ist es auch so, dass man jemandem, der einem was bedeutet, einen Platz in seinem Leben gibt.
Man sollte nicht auf verlorenem Posten darum kämpfen müssen, irgendwann doch zugelassen zu werden; darum, dass es eine zweite Chance gibt, und darum, dass "der Knastbruder mag Mayhem nicht" als das angesehen wird, was es ist, nämlich ein verdammt mieser Grund, dafür jemanden wegzuschubsen. Auszusetzen.
Mich wieder vom Boden aufzuheben und dann einfach wieder fallen zu lassen. "
Der Postbote und ich laufen querfeldein spazieren, an längst stillgelegten Bahngleisen vorbei, mitten ins Nirgendwo, und mit genug Abstand zum Dorf, den Menschen, der WG, und dem ganzen Rest, sodass ich reden kann.
-"Eigentlich hast du Recht. Ich weiß nicht, ich kann da nie so viel dazu sagen, wenn du was erzählst. Das ist immer alles so passend und endgültig, dass ich gar nicht weiß, was man noch hinzufügen könnte."
"Davon abgesehen, dass ich dich sowieso tot- und wieder lebendig rede und nicht zu Wort kommen lasse."
-"Ach, das passt schon so. Ist quasi wie Radio..."
"....zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus, ne?"
-"Endlich eine Frau, die mich versteht! Nee. Mehr so angenehme Hintergrundmusik. Du hast so ne eher dunkle, bisschen tiefere Stimme, und so einen angenehmen Sprechrhythmus, der erdet einen so schön."
"Bis jetzt bin ich dreimal innerhalb eines Monats gefragt worden, ob ich aus Thüringen komme, ich würde so klingen, und wurde mehrmals darauf hingewiesen, dass ich wahlweise viel zu leise, oder viel zu laut spreche, und zu undeutlich. "Angenehm" hat dazu noch keiner gesagt."
-"Siehste mal. Ich bin halt nicht so, wie die Meisten."


Der Postbote ist nicht wie die Meisten.
Unsere Unterhaltungen sind stockend und unsicher, weil selbst ich gegen ihn die Meisterin des Gesprächsflusses bin, und wenn, dann rede die meiste Zeit ich, nach dem Motto "einfach alles raushauen, irgendwann wird schon was sinnvolles dabei sein".
Irgendwie schaffe ich es trotzdem, das peinliche Schweigen nur als Hintergrundgefühl einer Semi-Unterhaltung existieren zu lassen, während wir weiter durch die Gegend, die als Vorlage fürs Auenland (nur mit fünf Trilliarden Bergen, die wahllos in die Gegend geschmissen und verdammt hoch gezogen wurden) gedient haben muss, und schließlich wieder zurück Richtung Dorf laufen. Irgendwann fange ich an, die leicht irritierten, aber überraschend neutral-freundlichen Einwohner zurück zu grüßen, und als wir nach drei Stunden wieder im Zimmer des Postboten sitzen, in dem sich die Beleuchtung auf Klatschsignal einschalten lässt, und uns Nichtlustig-Videos und den von mir bis zum Erbrechen weiterempfohlenen Frosch!Metalbrother! (Wirklich, da lernen Sie noch was fürs Leben) zum tausendsten Mal ansehen, tickt die Gedankenamokherzschmerzbombe in mir tatsächlich langsamer.
Irgendwann muss der Postbote schlafen gehen, und weil er findet, dass die WG mir nicht gut tut, und ich ihm da eigentlich zustimmen muss, bleibe ich bei ihm.

Und weil der Postbote nicht ist, wie die Meisten, liegen wir so da, in der unteren Hälfte eines Hochbetts, halb versteckt hinter den Pflanzen, die von der oberen runterwuchern, unter einer Decke und ich als der kleine Löffel, wie sich das gehört, und er startet nicht einen Annäherungsversuch der sexuellen Art. Liegt einfach so da, atmet ruhig und tief und friedlich, sein Kopf ganz vorsichtig an meiner Schulter angelehnt, nur wenige Millimeter. Sämtliche Hände, Arme, Beine, Füße und sonstige Extremitäten bei sich. Nur ein paar Haarsträhnen haben sich verirrt und auf mich gelegt, trotz mehr als Hosenbundlänge nur ganz leicht, nicht so medusamäßig, wie das meine machen würden, würde ich nachts nur einen Pferdeschwanz, oder sogar offene Haare tragen.
Und er schnarcht nicht mal, und als er um fünf aufstehen muss, schafft er das, ohne mich zu wecken, sodass ich mich ganz gemütlich gegen elf ins Bad und kurz darauf so unauffällig wie möglich aus dem Haus schleichen kann (Sie kennen mich. Fremde Menschen, und so), das Mayhemmobil sattele und wieder Richtung Kleinstadt starte.

Die Bombe ist immer noch in mir.
Sie wird explodieren und ich weiß nicht, was dann noch von mir übrig ist.
Aber sie tickt langsamer, für den Moment.

Und wenn er auch ein nervtötend optimistischer, teilweise nicht gerade feinfühliger, vieles nicht verstehender, so gar kein bisschen geschädigt-zerlegter, höchstens ein bisschen zerfledderter Mensch ist; er ist ein Mensch, ein lebendiger, der sich weder von Klischees, noch von irgendwelcher Scheiße hinter Masken oder auf den Boden drücken lässt, sondern mit beiden Füßen fest darauf steht.

Weiß nicht, ob mir das gut tun soll oder nicht.
Fest steht, ich bin verwirrt.
Und ich habe nicht das Bedürfnis, diesen Zustand so schnell aufzulösen.




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Zitat aus Frühling von Nargaroth. Aus dem Album Jahreszeiten, das sowieso sehr tolle Texte hat und musikalisch überraschend vielseitig ist, das Black Metal-Etikett sollte einen da nicht abschrecken.




Donnerstag, 1. Mai 2014
Der Knastbruder hat sich eingekriegt, der Kater aus hirnrissigsten Gründen beschlossen, dass wir nur noch Freunde sind, sein Sexualtrieb doch wieder vorhanden ist, er den aber lieber bei Damen auslebt, die der andere Mitbewohner charmant mit "weißte, das is, wie wennde ne Bratwurst in ne Turnhalle schmeißt" umschreibt,
Mr.Gaunt hat seit ewig und drei Tagen eine neue Freundin,
mein Nebenfach ist immer noch scheiße und meine Motivation ohne mich nach Prag gefahren,

aber hey, ich habe getan, was getan werden musste.
Mein linkes, bis dahin verhältnismäßig so gut wie unberührtes Ohr so zugetackert, dass ich jetzt vom Tunnel bis zum oberen Rand Ringe reinballern kann wie eine Bescheuerte,
zwei Schachteln Mentholkippen, zwei Flaschen Rum, drei Flaschen Cola, sämtliche CDs, die ich finden konnte und drei Packungen Haarfarbe eingepackt,
das Mayhemmobil gesattelt,
und den Weg zur eigentlich angedachten WG-Kollegin ( alias der Ex des Grinsebuddhas, alias ehemals Crackschlampe. Die Frau braucht endlich einen Namen) angetreten.

Dreieinhalb Stunden später war ich wieder schwarzhaarig, heillos mit gefühlt sämtlichen Piercings in den Haarmatten diverser anderer Fans gepflegter Trommelfellvergewaltigung verknotet und die potentielle neue Mitbewohnerin des Bandpapis.
Der Bandpapi ist 32, gehört zur EvilBlackMetalband Mr.Gaunts (die mit Plattenvetrag), kennt mich noch aus der Anfangszeit des Dramas mit dem Raucher (den ich nach wie vor so ein bisschen vermisse) und überlegt/plant, in die Unistadt zu ziehen, um näher an seiner Arbeit und seiner Freundin (einer von drei) zu sein.
Außerdem mögen mich seine Kinder und hasst mich seine Exfrau.
Und ich habe eine hochsympathische Katze.
Leider nur noch eine, weil Katze2 von ihrer eigentlichen Besitzerin (die nichtmal wusste, wie Katze2 eigentlich heißt, soviel dazu) abgeholt worden ist.
Sogar Egoaggrokotzbrocken Kater Mayhem vermisst den kleinen Traumabolzen.

Und als ich da so am Haareschleudern, Michverknoten und Piercingsbeinaherausreißen war, gelegentlich von Kippenpausen unterbrochen, und am nächsten Morgen vor lauter Nackenschmerzen meinen Kopf abstützen musste, wenn ich Cornflakes essen wollte, weil ich sonst Gesicht voraus in die Schüssel geflatscht wäre,
da habe ich beschlossen, dass alles gut ist.
Mit Glück bin ich zu den Semesterferien in der Unistadt (und habe bis dahin sowas wie Motivation statt nur Interesse Und Verwirrung/Verzweiflung, was mein Studium betrifft), habe einen echt sympathischen Mitbewohner, wieder eine kleine Katzenherde und wahrscheinlich mehr Metall in und Tinte unter der Haut, als Rost am Mayhemmobil (und glauben Sie mir, das ist einiges!).
Vielleicht auch nicht.

Bin gescheitert, bin untergegangen, und sowas von kaputt,

und habe beschlossen, alles ist gut.

I got freedom and my youth.