Donnerstag, 17. April 2014
Vermutlich habe ich Phantomschmerz.
Weil sich ein Teil meines Herzens, das sich nach wie vor noch auf dem Rückweg von Mr.Gaunt zu mir befindet, an den Kater gehängt hat, obwohl das eigentlich gar nicht sein kann (es ist ja, wie gesagt, noch nicht wieder hier eingetroffen).
Zu wenig für "was Richtiges", zu viel für die Distanz, die die Eisbahn zwischen uns bildet.

Die sich dank des Knastbruders gebildet hat.
Der Denkfaulheit mit "ich habe meine Prinzipien" verwechselt, und dessen größter Aggressionsbildner im Moment meine Anwesenheit, meine Ansichten (Immer diese Frauen, die Widerworte geben) und meine Persönlichkeit darstellen.
Und dessen Meinung für ihn und auch für den Kater Gesetz ist.
Und für den ich plötzlich Todfeind, Lügnerin, und die blöde Gruftschlampe bin, weil er eine Aussage der Nachbarin falsch verstanden, und sie mit Aufklärungsversuchen nur erreicht hat, dass mich jetzt auch der Kater auf der Abchussliste hat.

Der Kater, der eigentlich, nach zwei Wochen Distanz, wieder dabei war, sich anzunähern.
Der jetzt mit dem Knastbruder in die entgegengesetzte Richtung der Unistadt ziehen will, viele Kilometer weit.

Vermutlich war es also das letzte Mal, dass er mich beim Einschlafen im Arm gehalten hat.
"Ich denke, du hast was gegen Körperkontakt?"
-"Ja schon. Aber du schläfst besser ein, wenn dich jemand festhält. Und das möchte ich gerade gerne tun."

Eine Nacht später halten mich zwei Tavor und der Termin bei der Übergangspsychaterin davon ab, einen Baum zu umarmen.
Mitsamt Mayhemmobil.
Und Tempo 140.

Vermutlich war es das mit der WG.
Und vermutlich ist das besser so.

Vermutlich war es das auch mit dem Kater.
Und vermutlich lässt der Phantomschmerz noch nach.
Jetzt, wo der von Mr.Gaunt verursachte langsam, aber sicher zuschlägt.

Menschen sind hässlich.
Obwohl, nein.
Das Leben ist hässlich.
Das Schicksal ist es.
Die ganzen Missverständnisse und Weltuntergänge, die sich so motiviert mich als bevorzugtes Ziel aussuchen.

Ich glaube, ich weiß gerade mal wieder nicht weiter.
Oder kann nicht mehr weiter.
Aber muss ja.

Ich sollte aufhören, zu predigen, dass alles gut wird.
Glaube ja gerade selbst nicht mehr dran.

Happy Weltuntergang, and may the odds be ever in your favor.
Mit mir hats das Glück ja zum Teil mal wieder nicht so.






Montag, 17. März 2014
In den letzten drei Wochen gab es keinen Tag, an dem ich nicht für mindestens ein paar Stunden beim Kater war.

Manchmal war alles gut, weil er so ist, wie ich es vor ein paar Monaten noch war. Weil ich nichts sagen muss; weil da irgendwie eine direkte mentale Autobahnverbindung zwischen seinem und meinem Hirn ist.

Manchmal ist die Welt untergegangen, weil er so ist, wie er ist. Oder weil sein eineiiger Zwilling im Geiste, der Knastbruder, ein Aggressionspotential jenseits von Gut und Böse hat, oder weil sein anderer Mitbewohner, der Otter, manchmal einfach ein Arschloch ist.
Oder weil zwischendurch planlos irgendwelche Junkies/Kleinkriminellen/Ehemalsnutten vor der Tür stehen und Drogen/Geld/Arbeit/Liebe und Zuneigung/ein Dach über dem Kopf wollen (Glauben Sie mir, das ist hier besser als RTL-Nachmittagsfernsehen!).

Irgendwann habe ich mich aufgerafft und wollte es ihm sagen.
Wollte sagen, Kater, du hast mein Herz nicht. Nicht zu hundert Prozent.
Ich weiß, dass es sich noch auf dem Weg von Mr.Gaunt zurück zu mir befindet, aber das ist es vielleicht nicht.
Da ist was, aber es reicht einfach nicht.
Du bist mir wichtig, aber nicht wichtig genug.
Das ist verknallt und physische Anziehung und der ganze andere Kram.
Aber ich weiß, wie ich bin, wenn ich liebe.
Und das tue ich gerade nicht.
Auch, wenn sich das, was da zwischen uns ist, nicht in Worte fassen lässt.

Dann hat er mir effektiv das Gleiche gesagt (bei ihm wurzelt es nicht in Herzschmerz, sondern in absoluter Beziehungsbeklopptheit) und seitdem weiß ich, was es heißt, wenn einem sowas von ein Stein vom Herzen fällt.
Und wie es ist, wenn man, muttihaft ausgedrückt, "nicht die Finger voneinander lassen kann".
Aber der Kater wäre ja nicht der Kater, wenn es ihm da mal anders ginge als mir.
Somit habe ich da also einen Kerl, der effektiv mein männliches Spiegelbild ist, nur physisch abgefuckter und zehn Monate älter,
mit dem mich irgendwas verbindet, was tiefer geht als Freundschaft,
aber bin mal wieder zu blöd, mich einfach zu verlieben (wäre ja zu einfach).
Der Kater wäre aber nicht der Kater, wenn es ihm da nicht genauso ginge, und somit haben wir jetzt TFGG* und spannenderweise sind da mal alle Beteiligten zufrieden damit.

Und weil der Kater zumindest etwas näher an der Unistadt wohnt und in seiner WG ein Zimmer frei ist, bin ich da in zwei Wochen übergangsweise drin, zumindest für ein paar Monate. Wenn alles gut geht.
Danach mutmaßlich auf in die Industriestadt, weil die genau in der Mitte zwischen der Tankstelle am Ende des Universums und der Uni liegt und somit beides für mich halbwegs erreichbar ist. Und für meine mutmaßlichen WG-Kollegen/-innen.


Keine Ahnung, was ich hier eigentlich mache, aber ich habe in dieser WG Menschen gefunden, die ich so schnell nicht mehr loslassen will.
Egal, ob sie im Knast waren, manchmal Panikattacken haben, jetzt mit der Nachbarin zusammen sind (Knastbruder), schlechte Frauenwitze reißen (der Otter), oder einfach genauso scheiße sind wie ich.


Vielleicht wird irgendwann alles gut.


Und ich habe endlich jemandem, mit dem a)TFGG* funktionieren könnte/wird und b) der sich sehr sehr gerne den Rücken aufkratzen lässt. Und so.
Ja, ich weiß, too much Information.
Aber ich wollte das mal erwähnt haben.




*= Tiefe Freundschaft mit Gelegentlichem Geschlechtsverkehr




Samstag, 1. März 2014



Und dann bist du auf einmal wieder da.
Vier Jahre, zahllose Festivals, eine Weile im Ausland und diverse schlechte Tattoos später bist du wieder da, und von all den Tankstellenkunden, die jeden zweiten Tag ihre Familienpackung Tabak holen, bist du der, der nochmal zurückschaut, als er wegfährt.
Dessen Kumpel mich anquatscht, als ihr zehn Minuten später wieder da seid, "Wir können ja mal alle was am Wochenende machen".
Worauf ich ein ein ganz lockeres "klar, gerne" erwidere, einfach so, denn wenn ich etwas von Mr.Gaunt gelernt habe, dann ist es Spontanität.

Zwei Tage später muss ich deine Daten aufnehmen, weil du zu wenig Geld für den Sprit hast und habe Zeit, um deinen Perso zu studieren. Der Name, das Foto.
Und auf einmal ist alles wieder da, und du bist es dann auch und findest meinen Spontanvorschlag, mich auf einen Kaffee einzuladen, nicht mal schlecht.
Wenn ich etwas von Mr.Gaunt gelernt habe, dann ist es Furchtlosigkeit im Umgang mit anderen Menschen, also tue ich das einzig Vernünftige, rede dich tot und wieder lebendig, bis du um halb vier Uhr morgens zur Arbeit musst, und nachdem ich meine Krankschreibung (Sehnenscheideentzündung,yeeeeey!) in der Hand halte, bist du der Erste, dem ich schreibe und ihn frage, ob er abends schon was vor hat.


Einen Absteigenbesuch mit anschließender Kneipentour später landen die Mitgitarristin und ich doch irgendwie in deiner WG, und noch etwas später, als wir uns zu dritt auf das winzige Sofa gequetscht haben, beschließe ich, erneut das einzig Vernünftige zu tun. "Kater, mir's kalt. Ich missbrauch dich jetzt als Heizung, damit musst du jetzt einfach mal klarkommen".
-"Könnt mir Schlimmeres vorstellen".

Viel zu wenige Stunden später werde ich, nach 30 Minuten Schlaf, durch das Geschepper deiner Mitbewohner geweckt und wenig später von ihnen mit Frühstück versorgt und gar nicht mal so misstrauisch beäugt. Deinen Kumpel, den Knastbruder, kenne ich ja schon aus der Tanke, der Rest ghettoisiert so am Rande vor sich hin, bis ihr los müsst, eine andere Wohnung renovieren.

Als wir vor der Tür stehen, bekomme ich erst eine Umarmung und dann einen gefühlt zwei Millisekunden dauernden Kuss, lade auf dem Weg zurück zum Mayhemmobil meine Angst, ich könnte dir mehr Hoffnung , als im Nachhinein angebracht wäre, machen, irgendwie anders deine Gefühle verletzen und dich in raucherähnliche Abgründe stürzen, oder sonst irgendwie Mist bauen, bei der Mitgitarristin ab, die sich auch alles brav anhört und netterweise darauf verzichtet, mich darauf hinzuweisen, dass ich paranoid ohne Ende bin und außerdem schon wieder viel zu weit denke.


Vier Jahre.
Hätte ich dich nicht wieder angesprochen, wäre es noch länger geworden.
Vier Jahre, und jetzt bist du wieder hier. In der Kleinstadt, der guten. Nach wie vor mit total verhauenem Iro-Undercut-irgendwas, aber jetzt in fast schulterlang, und du trinkst fast nichts mehr, zumindest an diesem einen Abend.
Die Saufphase hast du hinter dir, hast du gesagt.
Dass du nicht werden willst, wie dein Vater war.

"Wir Säuferkinder müssen zusammenhalten."
Vier Jahre, in denen du so unendlich gealtert bist.
Ich noch viel mehr, sagst du. Dass du mich, bevor du mich wiedererkannt und dich erinnert hast, älter geschätzt hättest, obwohl ich fast ein Jahr jünger bin als du.
Fast 10 Monate.
Nicht fast 10 Jahre.

Keine Ahnung, was da los ist.
Aber ich freue mich auf heute Abend.
Auf die Stammkneipe, auf die Beinahe-Lehrerin samt Freund, den Postboten, der mich toller findet, als gut für ihn ist, und auch auf den ultimativen Kulturclash, wenn deine Knasti-Kiffer-Ghetto-WG auf sie trifft.
Und darauf, dich wieder zu sehen.



Keine Ahnung, was ich hier eigentlich mache.




Sonntag, 9. Februar 2014
Kein mayhem&Mr.Gaunt mehr.

Einfach, weil ich mir immer die Leute aussuche, die auf halber Strecke merken, dass sie mich nicht mehr zurücklieben können.
Und es mir nicht sagen können, bis ich es ihnen aus der Nase ziehen muss.
Und mir immer wieder Hoffnung machen, auch, wenn sie das gar nicht wollen.
"Ich bin wie Cholera, wenn man mich hat, dann hat man mich. Und du hast mich."
Irgendwie wohl doch nicht. "Ich sehe keine Zukunft für uns", und es fehlt ihm mal wieder die 100%ige Gewissheit, dass es etwas dauerhaftes ist.
Und "Wir sind eher Kumpels als eine Liebesbeziehung".
Am Bartresen besprochen, weil ich ihn sonst nirgends erwischt habe.
Er habe das ja in Ruhe nächste Woche besprechen wollen. Stand ja in der sms, dass wir da mal über was reden sollten. Und dass es aber eigentlich nichts Schlimmes und sonst soweit alles in Ordnung wäre.


Ich könnte heulen. Und tue es auch. Mal wieder.
Wie immer.

Seine Sachen habe ich gepackt und einen vierseitigen Brief geschrieben, der nicht mal die Hälfte von dem in Worte fasst, was ich sagen will.
Werde sie bei ihm abstellen, wie es der Raucher damals bei mir gemacht hat, und habe darum gebeten, dass er es genauso handhabt. Weil ich ihn nicht sehen kann.
Und bei jeder sms hoffe, dass sie von ihm kommt.

Ich habe sie gelöscht. Alle 2532, noch in der selben Nacht.
Auch die mit "Ich habe noch nie einer Frau so vertraut, wie dir."
Und die mit "Ich danke einfach dem Schicksal, dass wir uns begegnet sind. Und ich finde es schön, dass wir jetzt zusammen sind."
Und die Fotos vom Handy.

Spätestens, wenn er zur Nachtschicht muss, fahre ich mit meinem Auto, dessen Tankstutzen durchgerostet ist, ein letztes Mal in dieses Dorf, laufe ein letztes Mal die Treppen zum Keller und sage ein letztes Mal Hallo zu seiner Bartagame.
Dann stelle ich seine Sachen ab, nehme meine mit, und gehe.
Lasse es hinter mir, muss ja, auch, wenn da noch so viel Unverständnis ist, so viel Nicht-wahrhaben-wollen.
Nicht können.

Lasse es da liegen, wie den Brief, der vier Seiten hat und in dem trotzdem so viel fehlt.
Zum Beispiel das "Ich liebe dich", das noch niemand wirklich von mir gehört hat, und das er als einziger verdient hätte, hätte ich mich jemals getraut, es auszusprechen.




Donnerstag, 6. Februar 2014
Der Moment, wenn der Herzensmensch, der doch immer davon überzeugt war, alles erfolgreich wegverdrängt zu haben, zugibt, dass er einfach nur aggressionsüberladen und völlig fertig ist.
Per sms, weil er sowas sonst erst recht nicht in Worte fasst,
und mit dem Zusatz "Ich kann nicht mehr, ich will einfach nur meine Flasche Jack".

Heulkrampf beiseite schieben, auf das "Alkohol ist auch keine Lösung" verzichten, Ärmel hochkrempeln und irgendwie versuchen, etwas hilfreiches zu schreiben.
Ganz vorsichtig, wie bei einem quengelnden Kind.
Denn er will nicht reden, das würde Selbstkonfrontation bedeuten.
Und er will nicht verarbeiten, aus eben diesem Grund.
In den Abgründen der Seele dieses Mannes schlummern Ungeheuer, die beinahe größer sind, als die, die mich verfolgen.

Natürlich habe ich Angst, ihn zu verlieren.
Davor, dass ich es bin, die ihm zu viel ist.
Dass ich ihn noch mehr überlaste, als ich das in schwachen Momenten wohl sowieso schon tue,
dass sich seine Aggression auch gegen mich wendet,
dass ich ihm nicht helfen kann.
Weil er sich nicht helfen lassen will.

Keiner hat gesagt, dass es einfach wird.
Und keiner (außer meinem Wunschdenken) hat gesagt, dass das eine harmonische, "einfache" Beziehung wird.

Aber es hat auch keiner gesagt, dass ich aufgebe.
Lieber lasse ich mir tausendmal mein kleines Herz zersprengen, als in eher seichten Zuneigungsgewässern sicher vor mich hin zu schippern.

Angst?
Aber sowas von.
Weltuntergangsstimmung? Schon so ein bisschen.
Der Versuch, Intuition von Unsicherheit zu unterscheiden und die Hoffnung, dass nur Letztere es ist, die mit Endzeitstimmung um sich wirft.
Muss man jetzt durch.

Edit: Und gerade der Entschluss, mit Zähneknirschen dem einzigen Menschen zu schreiben, dem er sich öffnen will, oder kann: Dem Mafiapaten.
Nicht, weil ich den auf einmal so sympathisch finden würde. Ich finde, zumindest bis jetzt, er ist ein egozentrischer, rechthaberischer Kotzbrocken.
Aber wenn dieser Kotzbrocken derjenige ist, der den letzten Selbstmordversuch abgewendet hat, und der einzige, der irgendwie helfen _darf_, dann kann sich mein Stolz jetzt mal gepflegt in die Ecke stellen, in der ich auch mein Heulbedürfnis abgestellt habe, und warten, bis die Lage wieder halbwegs im Lot ist.


Alles wird gut. Hoffe ich, nein, wünsche ich mir. Muss ja.





Montag, 13. Januar 2014
Beschlossen, doch wie geplant mit der mutmaßlichen Mitbewohnerin unsere kleine Grufti-Metal-Vegetarier-Bekloppten-WG (*Achtung, kann Spuren von Antidepressiva enthalten*) umzusetzen, sollte das soweit klappen.
Nicht, weil ich nicht zu Mr.Gaunt wollten würde, sondern aus reiner Vernunft.
Weil ich seine Unsicherheit gespürt habe; weil ich gewusst habe, dass er zurückrudern würde, früher oder später, und ich das ihm sowie mir ersparen wollte.
Im Gespräch nennt er "Wer weiß, ob es so richtig auf Dauer hält" als Hauptverunsicherungsargument, da das Finanzielle nicht so ein großes Thema gewesen wäre, die Tankstelle ist schließlich auch in der Kleinstadt.
Ich sage ihm, dass ich ihm nicht garantieren kann, dass es für immer hält. Und dass das keiner kann.
Ob ich enttäuscht bin, will er wissen.
Eigentlich schon. Aber ich habe beschlossen, zumindest zu versuchen, ihm und dem Schicksal ansatzweise zu vertrauen, und ihm den Platz und die Zeit einzuräumen, den und die er braucht.


Beschlossen, dass das (ehemalige) Problem Geschichte ist.
Wiedergesehen, seltsamerweise im Gruftkeller. Ich gerade auf der Flucht an die Bar, weil der mehr als betrunkene Geologe lang und breit mit Mr.Gaunt über dessen sämtliche Exfreundinnen und Ehemals-Affären diskutiert (dabei, wie sollte es auch anders sein,mit Schwerpunkt Löwin) und mir das zu unsicherheitsstiftend ist.
Nichtmal eine handbreit von mir entfernt, sein schmaler Rücken vor mir, dann dreht er sich um, um nach jemandem Ausschau zu halten. Und sieht mich.
Ein Blick in meine Augen.
Ich hätte mit ihm reden können. Ein klärendes Gespräch führen, oder sagen, wie scheiße mies er zu mir war.
Ich habe es gelassen.
Einfach mein Glas abgegeben, einen neuen Cuba Libre geholt, und fertig.


Dann der sehr an mir interessierte Sänger, den ich das letzte mal mit Kunstblut verschmiert und Kontaktlinsen in den Augen auf einer Bühne gesehen habe, mit ein paar Gemeinsamkeiten und irgendwas an sich, das bei mir im Normalfall den Schalter von "logisch denkend" auf "triebgesteuert" umlegt.
Ein Blick in meine Augen, eine Hand um meine Hüfte und eine Frage in mein Ohr geflüstert.
Mr.Gaunt erst in ein paar Stunden wieder da, weil er unbedingt mit seinem Bruder in irgendeine komische Disko "musste".
Ich habe es gelassen.
Nicht, weil ich nicht gewollt hätte.
Einfach, weil es das nicht wert gewesen wäre.
Nach wie vor Gewissheit, zur Abwechslung.
Ist ja auch mal ganz nett.


"Eigentlich bist das nicht du."
Mr.Gaunts Atem an meinem Nacken, sein Arm um mich gelegt und sowas wie Geborgenheitsgefühl.
-"Meinst du?"
Nachdem der Gruftkeller mich und die anderen beiden rausgekehrt hatte, waren wir zurück zur Wohnung des Bankkaufmannes gelaufen und hatten unterwegs ihn und Mr.Gaunt eingesammelt, der überraschenderweise sogar noch geradeaus laufen konnte.
"Weiß ich."
Während im Nebenzimmer langsam Ruhe einkehrte, habe ich mich entschuldigt, mal wieder. Dafür, dass er so viel Rücksicht auf mich nehmen muss.
Erklärt, dass ich immer wieder das Gefühl habe, ihm so ein bisschen den Abend zu versauen.
Und dass Versuche, mich zum "locker machen" zu zwingen, alles nur noch viel schlimmer machen.
"Du bist nicht so scheiße, wie du das immer denkst. Überleg mal, wie viele Leute du jetzt schon von dir überzeugt hast. Fast meinen ganzen Freundeskreis; also halt die, die ich regelmäßig sehe. Die sagen alle, dass du total sympathisch bist, und es fällt sogar öfters mal das Wort "humorvoll". Und die haben da auch recht. Du bist eigentlich eine lockere und auch humorvolle und sympathische Frau, mit der man, zumindest manchmal, auch mal Blödsinn machen kann. Und eben nicht verkrampft, komisch und kacke, so wie du immer denkst."
-"Manchmal klappt es eben besser, und manchmal schlechter. Ich hab dann nur immer das Gefühl, dir mit sowas den Abend zu ruinieren, und das verunsichert mich dann noch mehr."
"Ach du. Du machst dir viel zu viele Gedanken."
-"Weiß ich ja. Aber wenigstens hab ichs mal fertig gebracht, einen Teil davon in Worte zu fassen."
"Stimmt, das wird auch langsam besser. Find ich gut, bin schließlich kein Hellseher."
-"Auch, wenn ich weiß, dass das eigentlich Blödsinn ist: Ich kann über Probleme, die ich habe, teilweise sehr schlecht reden. Sowas ist Schwäche zeigen, und das ist meistens nicht gut für mich ausgegangen. Und ich weiß zwar, dass ich dir vertrauen kann, aber dieser Reflex ist eben trotzdem da."
-"Du hast bei mir nichts zu befürchten. Ich nutze Schwächen nicht aus, oder mach mich über sie lustig, oder dreh dir den Rücken zu."
-"Oh man, ich werd gleich sentimental."
"Deswegen, oder weil der Abend dir zu viel war, oder weil du wieder Gedankenkarussell fährst?"
Ohne eine Antwort abzuwarten, zieht mich Mr.Gaunt näher zu sich heran, klemmt sich meinen Kopf unters Kinn und streicht mir durchs Haar.
"Ach weißt du, Kleine, mich verschreckt nichts.
Ich bin wie Cholera: Wenn man mich hat, dann hat man mich."

Alles wird gut.




Dienstag, 7. Januar 2014
Felsenfest davon überzeugt, Chaos und Verderben über mich und die Kleinstadt zu bringen, sobald ich alleine Schicht habe (also ab nächster Woche), reagiere ich logischerweise innerlich alles andere als gelassen, als die Chef-Stellvertreterin ihren Ehefrust/Hormonstau/die gesammelten Aggressionen, die sie sonst an ihren Kindern, die sie meistens für ein paar Stunden dabei hat, ausgelassen hat, heute auf mich entlädt.

Neun Minuten Verspätung beim Melden des Benzinpreises der Konkurrenz. Weltuntergang, Verwüstung, die Tanke wird bestimmt pleite gehen, weil ich nicht rechtzeitig bei der Hotline angerufen und unsere Preise entsprechend angepasst habe..
Am Vortag 10 Euro Kassendifferenz, die mich gefühlt über Nacht ergrauen lassen, sich aber gnädigerweise erledigen, als ich heute ein Plus von 13 Euro bei der Abrechnung habe. Es ist bekannt, dass das System immer mal spinnt; trotzdem werde ich seitdem genauestens überwacht und bei der Gelegenheit noch leidenschaftlich zur Schnecke gemacht, wenn ich der einzigen offiziell obdachlosen Trauergestalt , die sich von Pfandflaschenerspartem ein Fläschchen Hochprozentiges holt, oder den Kettenrauchern, die entnervt ihre Stange Marlboro wollen und mehr nicht, keine Autowäsche andrehe, wir haben da doch schließlich eine Sonderaktion und es ist Pflicht, jeden Kunden darauf hinzuweisen.
Und auf die Kaffeeaktion.
Sollten Sie sich also am Ende der Welt befinden, in der nächsten Zeit nur schnell eine Schachtel Zigaretten, oder das Feierabendbier holen wollen, und bei dem Versuch, zu bezahlen, erstmal minutenlang mit Autowäsche-Sonderangeboten und dem Hinweis darauf, wie toll doch unsere Kaffeespezialitäten sind, belästigt werden, lassen Sie Gnade walten.
Ich bin normalerweise gar nicht so nervig, und erst recht nicht so gesprächig gegenüber Fremden, aber das muss halt jetzt so.

Man kann darüber streiten, wie attraktiv ich in einer zu kurzen Bluse in einem Farbton, der Augäpfel zum Platzen, Typberater zum Selbstmord und zarter besaitete Angestellte zum Weinen bringt, wirke, aber immerhin darf ich sie offen lassen, solange ich ein schwarzes Shirt drunter trage (Ich weiß, das kommt überraschend, aber ja, ich besitze tatsächlich schwarze Kleidung).
Und in Kombination mit einem Paar an mir festgeklammerter Handschuhe, meinem Namensschild, so ich denn endlich eines bekomme, sowie zwischendurch einer orangenen Warnweste (wenn ich draußen bin), oder einer Einweghaube (wenn ich mit Backwaren hantiere) fällt die auch gar nicht mehr so arg auf.
Und eines steht definitiv fest: Dienst- oder Arbeitskleidung gibt Sicherheit.
So schaffe ich es irgendwie, meine neun Stunden (meistens im wahrsten Sinne des Wortes) durchzustehen, dabei zumindest ein paar Autowäschen und Kaffees zu verkaufen, mir zumindest äußerlich nichts von meiner Angst anmerken zu lassen, und nebenher sowas wie ein Freundschaftskonstrukt mit der Tabakfee aufzubauen.

Die Tabakfee ist eine der unzähligen Verwandten Mr.Gaunts und eine der Personen, die meinen Humor nicht nur verstehen, sondern absolut zum Schießen finden.
Außerdem ist sie fast so zugetackert wie ich, hat einen leichten Haartick, der durch regelmäßigen Kontakt zu mir eher/hoffentlich schlimmer als besser wird, und verzichtet darauf, mich komisch anzuschauen, als ich am Ende unserer Schicht übrig gebliebenes Gebäck (wird sonst weggeworfen) und ein paar abgelaufene Sachen (wandern sonst ebenfalls in den Müll) mitnehme.
"Weißt du was? Ich finds voll gut, dass du die neue Freundin von meinem Cousin bist. Von der vor dir hat er sich bloß rumschubsen lassen, und die anderen Tussis waren auch irgendwie scheiße, die haben ja alle fremdgevögelt. Aber bei dir hab ich ein richtiges gutes Gefühl."
-"Äh, danke."
"Ehrlich, wir hatten jetzt zweimal Schicht zusammen, und ich fand dich gleich voll sympathisch. Deshalb fand ich das auch so cool, als du vorhin gesagt hast, dass du mit ihm zusammen bist. Kommst du dann am Sonntag auch?"
-"Was ist denn am Sonntag?"
"Da feiert doch meine Mutter ihren fünfzigsten."
-"Bis jetzt wusste ich noch nicht mal, dass überhaupt irgendwas ist."
"Was, hat Mr.Gaunt dich da noch nicht gefragt?"
-"Nee, der sagt einem doch immer erst frühestens ne halbe Stunde vorher Bescheid. Wahrscheinlich hat ers selbst verpeilt, oder will nicht hin."
"Mir egal, wenn der dich nicht mitbringt, bring ich dich mit!"
Auch mal ne Ansage.

Unter der furchtbaren Angst davor, alles mögliche falsch zu machen (nein, Tanke ist nicht nur "kassieren und Kaffee kochen") und an ganz realen Problemen wie rumspinnender Technik, Abschließmechanismen aus der Hölle, sowie den aufgestauten Aggressionen meiner Co-Chefin zu scheitern, habe ich irgendwo ein gutes Gefühl bei der Sache.
Habe Arbeit, habe zumindest eine Kollegin, mit der ich mich eventuell sogar anfreunden kann.
Auch, wenn ich sie auf der Arbeit so gut wie nie sehen werde, weil meine Einlernzeit in dieser Woche endet und ich danach alleine bin.
Ich versuche, die Angst/Panik nieder zu ringen, indem ich mir immer wieder vorbete, dass das mit einer der besten Jobs ist, der mir passieren konnte. Acht Euro zehn die Stunde, nach neun Monaten sogar neun Euro dreißig, Freischein, was Piercings, Tattoos und bunte Haare angeht, und je nach Schicht Gebäck oder andere Sachen, die ich mir sonst nie leisten könnte (Ich habe heute zum ersten Mal in meinem Leben Häagen Dazs probiert. Und letzte Woche nach der Spätschicht einen Donut, der sonst 1,20 (!) gekostet hätte! Luxus), gratis.
Fehlt nur noch sowas wie Selbstsicherheit, um nicht, wie jetzt, zwanghaft nur an das, was schief gegangen ist, zu denken, und vielleicht etwas weniger davon überzeugt zu sein, dass mit meiner Spätschicht am kommenden Montag die Welt untergeht.




Dienstag, 22. Oktober 2013
So ein wenig fühlt es sich schon nach einem weiteren Tiefpunkt an, wenn man, weil die kfz-Steuer, die Papa Mayhem leider diesmal nicht übernehmen wollte, jetzt fällig war, Lohn für den Nebenjob nächsten Monat und das Praktikum dagegen erst Mitte/Ende nächsten Monats eingeht, man aber trotzdem Miete/Strom/sonstige Ausgaben zahlen muss, das bisschen an halbwegs wertvollem (Haar-)Schmuck, das man hat, verkauft, bzw es versucht.
Und die Springerstiefel. Zunächst das Paar, das noch top in Schuss ist, später, wenn es sein muss, auch die anderen.
Kleidung sowieso.
CDs, egal, wie viel mir an ihnen liegt.
Und Plugs/Tunnel. Egal, wie schön sie sind.

Das einzige, was hier bleibt, sind dann wohl zwei Haarstäbe, einer von Frau Huehnerschreck, einer von Mr.Gaunt.
Und die Ohrringe aus Prag.
Lieber verkaufe ich den kompletten Inhalt meines Kleiderschranks, meines Bücherregals und meines CD-Turms, bevor ich die hergebe.




Montag, 7. Oktober 2013
"Ich kann das einfach nicht mehr."
Die Crackschlampe sieht mich an, mit so viel Herzschmerz und Seelenleid im Gesicht.
-"Ich doch auch nicht."
Vermutlich sehe ich genauso schlimm aus.
Sitzen am Teich, frierend und in tiefster, dunkelster Nacht, nach einer spontanen Flucht vom Geburtstag ihres Freundes.
"Aber er siehts einfach nicht." So viel Verzweiflung in diesem einen Satz.
Meine und ihre.
"Ich hab meine Arbeit gekündigt, um zu ihm zu können. Ich hab an meinem Geburtstag meine Freunde sitzen lassen und bin hierher. Ich hab ihm gesagt, was los ist. Aber er kapierts einfach nicht. Oder wills nicht kapieren. Und Rücksicht nehmen auch nicht."
-"Kennt man."
Eine Parallelstraße weiter tobt die Feier des Grinsebuddhas, der es irgendwie geschafft hat, 20 Menschen in seine winzige WG zu quetschen, sitzt der Raucher rum und ist Mr.Gaunt wieder der betrunkene (aber wenigstens halbwegs lustige) Alleinunterhalter des Abends.
"Ich kann das echt nicht mehr. Und ich hab nichtmal was zu rauchen. Könnt ich mir aber eh nicht leisten. Ich hab noch 30 Euro, dann bin ich pleite. Die 30 gehen für die Zugfahrt nach Hause drauf."
Sie sitzt so vor mir, ein Häufchen Elend, mit leergekotzter Seele. Hat alles rausgewürgt und mir erzählt, und gesagt, sie hat Angst.
Angst, weil ich zu viel verstehe, und es da viel zu viele Parallelen gibt.
Aber sie hat auch gesagt, dass es mal ganz gut ist, nicht alleine zu sein.
Säuferkinder unter sich, Erzeuger unbekannt, Restwelt verständnislos.
Auch mal eine Abwechslung.
"Mayhem, du solltest Schluss machen."
-"Was?"
"Du solltest Schluss machen. Ich hab euch reden gehört. Sein Rummgejammer von wegen, seine Exfreundinnen wären nie so gewesen, die hätten immer mitgefeiert, und er wüsste angeblich nicht, wie er damit umzugehen hätte. Bla bla. Genauso, dass er sich nicht vorstellen kann, mit dir auf ein Festival zu gehen. Für die Aussage hätt ich ihm eine reingehauen. Hinsetzen und jammern und schmollen kann ich auch, und nichts anderes macht er. Vorher einen auf verständnisvoll gemacht, und jetzt heult er dir die Ohren voll, dass du dich "nicht so anstellen" und "einfach machen" sollst, und dass es ihn ja soooo belastet, dass du Angst vor Menschen hast. Meine Fresse, das hat er von Anfang an gewusst. Und du schlägst dich echt gut, soweit ich das mitkriege. Du bist ja immer dabei, wenn was ist, und gibst dir ja auch Mühe. Und man muss außerdem echt nicht mit jedem Arschloch reden. Mach ich auch nicht."
-"Er hat mal gesagt, dass er das ja so cool findet, dass du immer mitfeierst und so auf die Leute zugehen kannst und alles."
"Ok, er ist echt nicht nur blöd, sondern auch total blind.
Was hab ich heute großartig gemacht? Getränke gemischt und mit dir geredet. Und sonst mit niemandem. Weil ichs nicht einsehe, mit Idioten, die ich nicht mag, zu reden, unds auch nicht lustig finde, wenn sich dreißigjährige Männer zusaufen wie zu Schulzeiten, dabei Türen kaputt machen und sonstwas und das auch noch sooooo toll finden. Ehrlich, such dir nen anderen Kerl, oder gleich n Weib, am Besten wieder in der Altersklasse oder älter, normalerweise haben die nämlich halbwegs nen Plan vom Leben. Und führen sich nicht so auf. Die nehmen manchmal sogar Rücksicht und alles."
-"Ich will aber niemand anderen."
Und diesmal weiß ich, dass ich das, was ich gesagt habe, auch so meine.
"Ja klar, das ist immer schwierig. Schau dir an, wie fertig ich wegen dem Grinsebuddha bin. Aber willst du echt dein Leben an nen Kerl verschwenden, der dir noch mehr Stress macht, als du eh schon hast, weil er zu bescheuert ist, um zu verstehen, dass bei manchen Problemen "einfach machen" eben sowas von überhaupt nicht hilft? Der kann noch so oft erzählen, dass er schon mit Essgestörten und genug Bekloppten zusammen war. Wenn ers nicht auf die Reihe kriegt, sich so zu verhalten, dass er seine depressive und verängstige Freundin nicht noch mehr kaputt macht, ist er auch nicht besser als die ganzen anderen Holzklötze da draußen."
-"Ich weiß nicht, ob er besser oder sowas ist. Aber ich will ihn nicht verlieren. Nicht an sowas. Vielleicht bin ich auch einfach zu blöd zum Erklären und er versteht es deshalb nicht."
Die Crackschlampe seufzt. " Er nimmt es einfach nicht ernst. Das ist das Problem. Er nimmts nicht ernst. Ist beim Grinsebuddha genauso. Da muss erst Legolas kommen und ihm sagen, hey, deiner Freundin gehts kacke aus den und den Gründen, und da bist du dran Schuld, nicht sie, damit er mal seinen Hintern hochkriegt. Und ganz ehrlich, so nen beschissenen Zustand haben wir nicht verdient."
-"Es ist ja nicht so, dass alles scheiße wäre. Eigentlich läuft es richtig gut und ich fühle mich zur Abwechslung mal absolut..angekommen, oder keine Ahnung, wie man das nennen soll. Es fühlt sich eben richtig an. "
"Wenn es nicht so traurig wäre, wäre das richtig episch filmreif, wie du so total fertig hiersitzt und fast heulst."
-"Mein halbes Leben ist filmreif. Deins übrigens auch."
"Jo, das auf jeden. Aber ich glaube, der Grinsebuddha hat in meinem keinen Platz mehr. Eigentlich weiß ich es sogar."
Sagt sie, der personifizierte Liebeskummer, und kippt ihr Rotwein-Cola-Gemisch, das sie mitgenommen hat, runter, und findet schließlich irgendwo in den Untiefen ihres überdimensionierten Stoffbeutels nicht nur eine Packung Taschentücher, sondern auch ihre Fassung wieder.
"Muss man halt durch, können wir jetzt auch nix dran ändern. Themawechsel, sonst hört das hier ja nie auf mit der Gefühlskotze.
Wenn ich echt in die Stadt, in die du nie wolltest, komme, und du da echt auch studierst, dann müssen wir ne WG aufmachen. Du hast Angst vor fremden Menschen, ich find sie einfach so zum Kotzen, ich putze gern, du backst ultragut, und wir haben beide sowas von nen Schlag."
-"Hast du ne Katzenhaarallergie oder so? Dann wirds schwierig."
"Nö, ich kann die Viecher nur nicht ausstehen. Aber die Katze vom Grinsebuddha ist ne Ausnahme, und deine ist bestimmt auch voll nett. Dann kann ich mich an die gewöhnen, und wenn du immer mal Rumkekse backst oder den einen abartig geilen Kuchen da, kannst du meinetwegen mit fünf Katzen einziehen."
Wäre eigentlich sogar eine Überlegung wert.
Also, die WG, nicht die fünf Katzen.
Zeit bleibt bis zum Sommersemester noch genug, und eine teilzeitmisanthropische, ebenfalls mittelschwer bekloppte Barkeeperin, die gerne sauber macht, als Mitbewohnerin zu haben, ist vermutlich auch nicht das Schlechteste, was einem passieren kann.
-"Könnten wir halt echt. Fängst du im Sommersemester an?"
"Nee, Wintersemester. Aber vielleicht komm ich schon früher her, je nach Geld."
-"Hm, ok, müssen wir dann halt mal schauen. Ich weiß nicht, wegen deinen diversen Konsummittelchen-"
"Ich kiff nur noch, alles andere ist zu teuer. Und auch das nicht mehr regelmäßig, weil ich kein Geld mehr hab. Wenns dich stört, kann ich damit aber auch in meinem Zimmer bleiben, oder auf den Balkon gehen, falls wir dann sowas haben."
-"Na dann."
"Kannsts dir ja überlegen. Bin mir auch noch nicht sicher, ob ich echt da hin gehe, aber wär schon ganz cool. Studierst du sicher da?"
-"Ja. Ich wollte eigentlich wo anders hin, aber vom Studienfach her ists in der Stadt, in die ich nie wollte, angenehmer, weil Informatik größtenteils wegfällt. Außerdem haben die nen relativ guten Ruf, mein geplantes Nebenfach klingt auch echt interessant und mit Glück kenne ich ein paar Leute. Oder wenn ich Pech habe, je nachdem, wie mans sieht."

Habe also, nach einer mehrstündigen Krisensitzung in eisiger Kälte, die eigentlich "nur mal schnell bisschen an die frische Luft, bis meine Nerven aufhören, zu flattern" hätte sein sollen, nicht nur eine ähnlich Geschädigte gefunden, sondern eventuell auch eine potenzielle Mitbewohnerin.
Ganz vielleicht auch eine neue Freundin.
Und davon abgesehen die Gewissheit, vor drei Monaten das Richtige getan zu haben, und dass Mr.Gaunt es sowas von wert ist.
Wie er das sieht? Wird man sehen.
Er versucht es. Manchmal. Glaube ich.
Ich versuche es.
Und warum einfach, wenn es auch schmerzhaft, mit dauerhafter Verlustangst beladen und sowieso hochemotional geht?
Irgendwie ist es das wert.
Zumindest im Moment.




Dienstag, 1. Oktober 2013
Ich starre den blutverschmierten Sänger an, der blutverschmierte Sänger starrt mich an.
Das, was ein verzerrter Menschlichkeitsabklatsch war, formt sich langsam wieder zu einem Gesicht um, während er einen langgezogenen, letzten Ton herausschreit, bevor man nur noch Basswummern hört.
Aus irgendeinem Grund hat er seine Hand auf meinem Kopf abgelegt.
Ich will aber jetzt gerade keine kunstblutverschmierte Hand auf meinem Kopf haben. Auch, wenn sie zu einem oberkörperfreien, langhaarigen, tätowierten und gepiercten Mann mit echt guter Stimme gehört. Mag ich jetzt grade einfach nicht. Also wische ich sie weg.
Der blutverschmierte Sänger scheint hinter seinen hellblauen Kontaktlinsen ziemlich fasslungslos zu gucken, ist ihm wohl noch nicht oft passiert.
Mindestens genauso fassungslos schauen mich die ganz krassen Metaler aus der ersten Reihe an, ihnen hat er seine Hand nämlich nicht durch die Haare geflauscht.
Was eventuell daran liegen könnte, dass ich mindestens vier Jahre älter und durchschnittlich zwei Köpfe größer bin, weshalb man mich, auch, wenn ich nicht direkt an der Bühne stehe und zwischen der Fielmannfrau sowie einem ihrer Freunde eingeklemmt bin, wohl einfach bequemer erreicht.
Dann gehe ich einen Schritt zurück.
Die krassen Metalfans sind immer noch fassungslos.
Ich streiche eine Haarsträhne zurecht.
Das Basswummern weicht einem weiteren Inferno.
Unter den krassen Metalfans bricht die Hölle los.
Die Fielmannfrau schaut mich an. Und grinst.
Ich schaue sie an. Und grinse.
Dann beschließen wir, das einzig Vernünftige zu tun, und unter den krassen Metalfans mal ein bisschen aufzuräumen.

"Voll krass sah das aus!", schreit mir die Hexe, Mr.Gaunts beste Freundin/Schwester im Geiste, ins Ohr, als ich mir mit aufgeplüschten Haaren und einem Gefühl im Nacken, für das das Adjektiv "kaugummiartig" erfunden worden sein muss, meinen Weg in Richtung Bar bahne. "Ich bin übrigens die Hexe, wir hatten ja bis jetzt noch nicht so die Gelegenheit, uns zu unterhalten".
-"Hi." Was hätte ich sonst auch großartiges antworten sollen?
Während ich noch überlege, was ich sagen könnte, um irgendwie sowas wie ein Gespräch hinzukriegen, taucht die Crackschlampe auf, drückt mir einen Cuba Libre in die Hand und bringt die Unterhaltung gekonnt wieder zum Laufen. Sogar so gut, dass ich zum Rauchen mitgeschleift werde und von der Hexe eine Zigarette bekomme, als ich nach längerer Suche in den Tiefen meiner Handtasche feststelle, dass meine Notfallschachtel (wird dann genutzt, wenn rauchen aus emotionalen oder zwischenmenschlichen Gründen gerade ganz passend wäre) leer ist.
Und wir stehen da rum und reden, irgendwann ist auch die Opernsängerin da und wir reden immer noch.
Zwischendurch werden mir ein paar Fotos gezeigt, nebenbei werde ich darüber informiert, dass die halbe Stadt davon ausgeht, ich sei nur eine Fickbeziehung zum Überbrücken des Liebeskummers, der Mr.Gaunt angeblich immer noch plagt. Ob nach wie vor aufgrund der Löwin, oder eher der anderen Dame wegen, mit der es zwischendurch fast was geworden wäre, hätte sie nicht ihren Freund mit Mr.Gaunt betrügen wollen, ohne überhaupt einen der beiden über den jeweils anderen in Kenntnis zu setzen, da ist man sich wohl nicht ganz einig.
"Find ich jetzt eher weniger cool, ehrlich gesagt." Und das ist noch vorsichtig ausgedrückt.
"Ach weißte was, die reden so viel", winkt die Hexe ab, "das darfste alles nicht so ernst nehmen. Musst dir selbst dein Bild machen und fertig. Ich find dich jedenfalls total sympathisch, und das sag ich nicht nur, weil ich vor 10 Jahren genauso ausgesehen hab. Und ich glaub, du tust ihm gut und er ist glücklich."
Im Moment ist er daheim und schmollt. Mal wieder.
"Wo bleibt dein Göttergatte eigentlich?" Während seine anderen Freunde einfach nach Mr.Gaunt, meinem "Kerl", oder meinem "Bückstück" fragen, nennt ihn die Hexe schon den ganzen Abend den "Göttergatten". Bin mir nicht sicher, was ich davon halte, würde mich aber so oder so nicht trauen, was zu sagen. Die Hexe ist eine der Personen, die die geballte Autorität/Ausstrahlung/Hauruckpersönlichkeit der Welt in sich zu vereinen scheinen und damit kleine, hilflose Normalsterbliche wie mich ziemlich einschüchtern können.
"Der ist daheim, hatte ja Spätschicht". Und schmollt, weil ich, nachdem ich sein ewiges "Du musst dich nur zusammenreißen und einfach machen", das auf Äußerungen bezüglich meiner Angst vor Menschen immer kommt, nicht mehr hören konnte, beschlossen habe, in Zukunft eben nicht mehr zu sagen, wenn ich Angst habe oder mich unwohl fühle.
-"Ach, der soll sich nicht so anstellen." Bevor ich noch irgendetwas sagen kann, hat seine Schwester im Geiste den Menschen an meiner Seite bereits angerufen, verbal zusammengefaltet und so lange verbal drangsaliert, bis er sich auf den Weg in die Kleinstadt gemacht hat. "Geht ja nich, sowas. Ich bin hier, du bist hier. Da soll er mal seinen Hintern hockriegen."


"Echt jetzt Mr.Gaunt. Deine Freundin ist hier, die will heim. Krieg endlich mal deinen Arsch hoch."
Es ist vier Uhr morgens und aus "noch ne Kleinigkeit beim Grinsebuddha trinken, dann heimlaufen" wurden mehrere Stunden, in denen ich mich irgendwie mit der Crackschlampe angefreundet habe und bei den ehemaligen WG-Kolleginnen des Menschen an meiner Seite ebenfalls einen relativ guten Eindruck hinterlassen habe. Wie auch immer ich das geschafft habe.
"Mhmfhnichstehjaschonauf." Mr.Gaunt, der mit dem Kopf auf der Tischplatte liegt, schubst die Hand Fausts, der ihn zum Aufstehen bewegen wollte, weg. Und bleibt liegen.
Ich beschließe, zu härteren Mitteln zu greifen.
"Duhuuuuu, Schaaahaaaaatz?"
-"hm?"
"Du musst in drei Stunden aufstehen und ich hab sicher nicht umsonst meine Halterlosen und alles, was dazugehört, angezogen. Also beweg dich jetzt endlich zumindest soweit, dass ich dich abstützen und heimschleifen kann, wenn wir in der Dusche sind, kannste dich ja anlehnen."
-"Hmnf- Was, wir duschen?"
Na also, klappt doch.

"Ey weissu, egal, wie betrunkn isch bin, heim findsch imma!", verkündet Mr.Gaunt stolz, und tatsächlich schafft er es, mich über diverse Feldwege und Abkürzungen, auf denen ich ihn diverse Male fast verliere, mehr oder weniger wüst beschimpfe, oder umwerfe, weil ich beinahe hingefallen wäre und mich an ihm festhalten musste, bis vor seine Kellerbunkertür zu lotsen. "Siehsdu, alles subba!"
Sagts, rollt sich auf seinem Bett in der Yoga-Stellung des Kindes zusammen und pennt weiter.
"Zähneputzen?"
-"Hmhmnhmnmachichnachher."
Als ich wiederkomme, liegt er noch genau so da wie vorher und blockiert außerdem die Hälfte meiner Seite des Bettes und meine Decke.
"Rutsch mal."
-"Hm." Bewegt sich keinen Millimeter.
Seufzend zerre ich meine Decke unter ihm hervor, lege sie über uns beide und mich irgendwie um ihn herum und versuche, meinen Kopf auf dem bisschen Kissen, das mir genehmigt wird, unter zu bringen.
Mr.Gaunt macht irgendein Geräusch, das zwischen Schmatzen, Schnurren und "undefinierbar" ist, dreht sich ein bisschen seitlich, so, dass er noch genauso viel Platz beansprucht, aber dabei sein Gesicht an meinem Hals vergraben kann.
"Du bist so ein blöder Penner."
-"Hm. Weißichdoch. Nacht."
"Nacht."

Immerhin war er so besoffen (Originalzitat am nächsten Morgen: "Ich war nicht gut betrunken...ich war kurz vor "David Hasselhoff..glaub ich"), dass er sogar vergessen hat, zu schnarchen.