Sonntag, 15. Juni 2014
Thema: monolog
Am Freitag kann Tante Emma noch gar nicht glauben, dass sie auf einem Festival ist.
Mit mir.
Überhaupt, wir hier.
Draußen. In der anderen Welt.
Wir kletten uns zwischendurch immer mal an den stockbesoffenen Fremden oder den Mischpultmann, gelegentlich sorge ich zusammen mit ein paar Sachsen schonmal dafür, dass ich am nächsten Tag mit einem Monsterdread auf dem Kopf und fiesem Nackenmuskelkater aufwachen werde, was aufgrund der Tatsache, dass wir es rein aus Protest zu schlechtem Girliepop tun, sämtliche Kamerablitze in unsere Richtung lenkt. Egal.
Ein bisschen wirken wir auf mich wie Laborhunde, die gerade freigelassen worden sind.

Zu den Sachsen gehört auch ein Exilsachse, der inzwischen hier wohnt und immer seinen Tabak bei mir gekauft, mich dabei sehr sympathisch angelächelt und meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.
Klassischer Dummschmarrer, wie ich es nunmal bin, wenn ich gerade nicht in meinem Angstzustand festhänge, bekommt der Exilsachse eine freundlich-lockere Begrüßung sowie meinen Namen entgegengeworfen. Wenn wir eh schon alle bei seiner Autogruppe (die auch die des Mischpultmanns und Co. ist) hier rumstehen.
Dachte ich mir.
Der Exilsachse sieht mich ausdruckslos an, zieht eine Braue hoch, dreht sich um und stiefelt zum Auto seines Kumpels.
"Wunder dich nicht, der is selbsterklärter Master of Coolness." Der Raucher. Und er spricht mit mir!
-"Ah, ok. Naja, ich bin ja auch nicht evil Black Metal, wie ihr das alle seid."
"Moooment, ich denke, du bist die Fürstin der Finsternis, Miss Mayhem, der Tod und überhaupt? "
"Den Posten hatte ich eigentlich an den Nagel gehängt", seufze ich, "aber man hat ja sowieso nie seine Ruhe. Geht ja alles vor die Hunde, wenn ich nicht da bin."

Nachdem zwei von drei aus dem Nichts aufgetauchten, vollkommen betrunkenen Schwedinnen sich mehr oder weniger auf Tante Emma und mich stürzen wollten und die eh schlafen gehen will (und das schon um 4.30Uhr morgens!), endet der Abend grübelnd, etwas frierend und dezent verwirrt (der blöde Exilsachse! Und wieso spricht der Raucher normal mit mir? Und was mache ich eigentlich mit der ganzen anderen Scheiße?) in meiner Zeltecke.
Ohne Schwedin. Die eine hat mir gleich zur Begrüßung wahllos ihre Hände auf die Brüste geflatscht und wollte gar nicht mehr loslassen vor Begeisterung; der Alkoholpegel der anderen hat dafür gesorgt, dass ich mir wie ein frauenausnutzender Highschool-Creep vorgekommen wäre, wäre ich auf ihr schwankendes Lallen eingegangen.

Am Samstag kann ich nicht glauben, dass ich tatsächlich mit dem Raucher auf einem Festival bin.
Der Fremde ist zwischendurch heimgefahren, hat mich zum Katzefüttern und -bespaßen abgesetzt, ein paar Stunden später sitze ich zwischen dem Mischpultmann und dem Raucher, der keine frischen Narben hat, nicht kifft, gar nicht so homophob und rassistisch klingt und schon bei "betrunken" von Bier zu Cola übergeht.
Man hört sich ein paar Bands an, ich schnorre mich in Sachen Flüssignahrung und Zigaretten so effektiv bei sämtlichen vorbeilaufenden Menschen durch, dass der Raucher und ich überlegen, eine Firma damit aufzuziehen, und als die anderen vor der Bühne und Tante Emma und ihre neue Bekanntschaft an der Bar sind, kommt die Frage, vor der ich mich die ganze Zeit gefürchtet habe:
"Wie gehts dir eigentlich so?"
Leider Gottes auch noch ernst gemeint.
Und wir machen Mackenabgleich, die ganze Scheiße, die in letzter Zeit bei mir gelaufen ist und die, die ihn überrollt hat, als ich weg war.
"Ich wollte nur, dass du glücklich bist."
-"Ich auch.
Deshalb hab ich Schluss gemacht. Mir ist das über den Kopf gewachsen."
"Mir ja auch."
-"Im Endeffekt hätten wir uns wahrscheinlich beide weggehängt."
"Glaub ich auch. Kippe?"
-"Immer her damit."

Sein Hund lebt immer noch, Methusalem ist nichts dagegen. Und in seinem Kleiderschrank liegt immer noch einer meiner Leitpfosten.
Erzählt er so, während irgendeine schlechte Hardcoreband lieblos Töne auf die Bühne rotzt.
Was alles gleich geblieben ist.
Dabei ist so viel passiert.

Dann erkläre ich es ihm. Was damals eigentlich alles los war, in meinem wirren Hirn und meinem verwirrten kleinen Herz, und wieso ich so war, wie ich war.
Und er tut nicht nur so, sondern versteht es sogar wirklich. Und sieht ausnahmsweise mal so aus, als würde er klarkommen.
Mit sich, und der Welt, mit mir, und überhaupt mit Allem.
Und dann sagt er, eigentlich wars trotzdem schön.
Dass das kein Versuch sein soll, es wiederzubeleben, aber ich als Mensch gefehlt habe.
Aus irgendeiner Ecke in mir kommt Zustimmung, zusammen mit der Angst, dass er es doch anders meint, oder ich es anders meine, oder Mist baue, aber als er mich am nächsten Tag heimfährt, wie früher immer, noch kurz die Katze flauscht und sich dann verabschiedet, weiß ich, dass es nicht so ist.

Und aus irgendeiner Ecke kommt ein Hinweis, eigentlich klingt er mehr wie eine Tatsache, dass das ausnahmsweise kein Mist war. Und er mir nicht wieder was vorspielt. Und ich nicht wieder scheiße baue.
Dass er wieder der ist, der er mal war, nur anders, und dass das gerade ganz gut tut.
Er mir, ich ihm, wie auch immer.
Man sieht sich immer zweimal im Leben.
Und manchmal ist das ganz gut so.