Freitag, 6. Januar 2012
Gelobt sei die Referrer-Geschichte, aber sollte es mir zu denken geben, wenn anscheinend jemand auf der Suche nach "Füße saugen Stories" hier bei mir landet? Sehr geehrter Sucher, Fußsaugspielchen zählen nicht zu den von mir favorisierten Paaraktivitäten, Sie werden also weiter suchen müssen.

Zu meinen nicht favorisierten Events gehört das, was heute wieder anstand.
An nichts böses denkend, nichtmal von bösen Träumen geschüttelt, schlummerte ich friedlich vor mich hin, als mit einem Mal der schrille Ton der Türklingel meinen wohlverdienten Schlaf durchschnitt, gleichzeitig spürte ich etwas, das sich nach einem festen Schlag in die Magengrube anfühlte und wollte schon zur Selbstverteidigung übergehen, als ich den "Schlag" als meine Katze identifizierte, die, vermutlich vor lauter Schreck über die Klingel, vom Schrank herunter- und auf meinen Bauch gesprungen (oder gefallen?) war.
Wieder Klingeln.
Ich schubste die protestierende Katze auf den Boden, tappste halb blind durch das Licht, das mir mit dem Öffnen meiner Zimmertür entgegenschlug, Richtung Haustür, stolperte dabei über das mich begleitende Fellknäuel, dass jetzt penetrant anfing, sich zu beschweren, weil die Dosenöffnerin/Trockenfutterdosiererin schließlich "wach" war, und hängte mich an die Sprechanlage.
"Hmmm?"
Stille am anderen Ende der Anlage. Oh wie super.
Ich beschloss, erst die Katze zu füttern und war schon wieder auf dem Rückweg in mein warmes Bett, als es zum dritten Mal klingelte und mein Blick auf den Kalender fiel. Da stand es, sechster Januar. Dreikönig.
Sternsinger!
In meiner Phantasie hörte ich bereits meinen Großvater die Schrotflinte durchladen und fragte mich, wieso die Selbstschussanlagen vor der Haustür nicht funktioniert hatten, bis mir einfiel, dass wir die ja nur in der Theorie aufgestellt hatten.
Viertes Klingeln. Meine Fresse, waren die penetrant.
Als ich die Haustür öffnete, erstarrten sie mitten in der Bewegung, was ganz lustig aussah, weil sie wohl gerade zu einem Lied angesetzt hatten, und so starrten mich vier kleine Kinder mit offenen Mündern an,während der sie begleitende Erwachsene etwas verunsichert wirkte.
"Haben wir dich jetzt etwa geweckt?", fragt er ganz überrascht.
Nein natürlich nicht, mein Rolladen ist immer komplett unten und ich öffne jedem, der vorbeikommt, die Tür mit ungekämmten Haaren, in Boxershorts und zu großem Shirt, barfuß und mit Katzenfutterpackung in der Hand.
"Ja."
"Oh, das tut uns aber leid." Lügner.
"DU hast nur eine halbe Augenbraue!", ruft der Stern aus und deutet auf meine rechte Gesichtshälfte.
"Ja, ich war auch mal Sternträger, so wie du.. und dann gab es einen Unfall". Ich bemühe mich, den zweiten Satzteil möglichst gruselig klingen zu lassen, der kleine Stern wirkt auch sehr erschrocken und lässt fast die Holzkonstruktion, die er mit sich herumschleppt, fallen.
Unauffällig streiche ich ein paar Haarsträhnen über die noch nicht rekonstruierte Augenbraue (Meine Güte, ich habe geschlafen!), die nicht durch einen Sternsinger-Unfall sondern durch noch nicht verarbeitete Aggressionen beim Zurechtmachen entstanden ist.
Die Begleitperson guckt mich böse an, ich ziehe nur meine andere, noch komplette Augenbraue hoch.
Ich war auch mal Sternsinger, ich kenne das Geschäft.
Wir waren damals älter als die jetzigen, zwischen zehn und 14 meistens, und wir hatten noch einen richtigen Text, nicht ein seltsames Lied so wie das, was mir die Kindergartenfraktion jetzt vorsang. Hm.
Insgesamt segneten sie das Haus aber dreimal, vielleicht bringt es ja was.. auch wenn ich das "Wir wünschen euch ein gesegnetes ( ganz böse Sternsinger sangen auch mal "verregnetes" )Jahr, Kaspar, Melchior und Balthasar" ein bisschen vermisst habe.
Die erwachsene Begleitperson schrieb dann noch eine 12 über die entsprechende Stelle des Segnungsspruches vom letzten Jahr, dann drückte ich ihnen das Geld, das ich von meinem Großvater aus spenden sollte, in die Hand und wollte die Tür schon wieder zuschlagen, als die Begleitperson ihren Fuß dazwischen stellte und meinte "Na na, wir sind noch nicht fertig".
"Is ja toll ",murmelte ich und gab den Kindern noch die 2 Euro Extrageld, das nicht für die Sternsingeraktion, sondern für sie selbst bestimmt war.
Wir sind damals von dem Geld Pizzaessen gegangen, die ganze KLJB. KLJB, das heißt katholische Landjugendbewegung und klingt gefährlicher, als es ist; man war natürlich auf Toleranz bedacht und erlaubte es manchmal sogar,man glaubt es kaum, Evangelischen, mitzumachen.
Ich bin gelegentlich hingegangen, nicht, weil ich so gläubig gewesen wäre, sondern weil ich die Bastelnachmittage cool fand und manchmal Buntstifte oder Süßigkeiten mitgehen ließ.
Irgendwann habe ich mich dann mal bereit erklärt, auch Sternsinger zu sein, nach dem einen Mal hatte es mir aber gereicht, weil die anderen gemein waren und man mir ohne mein Wissen eine andere Rolle zugeteilt hatte, was sich an der Generalprobe etwas doof machte,als ich da mit braun angemaltem Gesicht und Rettungsdecke als Umhang auftauchte und ausgelacht wurde, weil ich doch eine andere Rolle bekommen hatte und jetzt König Kaspar war.Den Anfang meines Textes kann ich aber auch nach sieben oder acht Jahren noch.
Die Kinder, die jetzt da rumstanden, waren maximal 7; anscheinend waren keine "Großen" irre genug gewesen, singend durch das halbe Dorf zu ziehen, auch nicht, als man ihnen Pizzaessen versprochen hatte.
So musste auch die Begleitperson die Tür neu beschriften, die Kleinen konnten ja nicht. Wir hatten das damals selbst gemacht.
Erinnerten mich an diese einen South Park-Folge, in der Stan (oder war es Kyle?) eine Kindereishockeymannschaft trainiert. So klein waren die Sternsinger. Nur war ihre Begleitperson kein Viertklässler, sondern irgendein übermotivierter Vater, der Wert darauf legte, dass sein Kind am Dorfleben teilnimmt. Das arme Kind, es würde bestimmt sehr verstört enden und niemals ein normales Leben führen können.
Inzwischen war auch die letzte Segnungsrunde, diesmal im Namen des Chefs von oben persönlich, vollendet und als ich mich zu einem freundlichen Lächeln durchrang, sahen die Kinder aus, als würden sie mir jeden Moment gleichzeitig vor die Füße spucken (größer waren sie ja nicht), entschieden sich aber offensichtlich, es sein zu lassen und zogen ab.
Kurz, bevor die Haustür wieder zu war, drehte sich der Stern nochmal zu mir um.
"Duhuu?"
-"Jahaa?" Du kriegst kein Katzenfutter. Vergiss es. Nein, man.
"Du musst mir die Daumen drücken, dass mir nicht auch sowas passiert wie dir." Als sie meinen leicht irritierten Blick sieht, fügt sie hinzu: "Und viel Glück für die Augenbraue".
Eins zu Null fürs Kind.




Mittwoch, 4. Januar 2012
Thema: monolog
Du erkennst mich nicht wieder
Allein
Mein Gesicht sei noch gleich
Und du weißt nicht ob das reicht
Um nicht alleine zu sein

Du erkennst mich nicht wieder
Unerkannt
bin ich die halbe Nacht
noch um die Häuser gerannt

Ich erkenn hier nichts wieder
Alles müde und alt
und ich male uns beide
als Umriss aus Kreide
auf den Asphalt

Du erkennst mich nicht wieder
Unerkannt
hab ich dann drüben im Park
meine Kleider verbrannt

Ich erkenn mich nicht wieder
Nur mein Herz das noch schlägt
Und ich hebe die Arme
um zu sehen ob die warme
Nachtluft mich trägt

Du erkennst mich nicht wieder
Unerkannt
flieg ich ans Ende der Stadt
ans Ende der Welt
und über den Rand




(in nicht-live nicht gefunden)

Einer dieser "vielleicht muss es ja so sein"-Momente.
"Ich erkenn mich nicht wieder, nur mein Herz das noch schlägt"
Hörst du, mein Herz schlägt noch und immer weiter, einfach so. Ich frag mich, wie es das macht.

Und an diesem grauen Tag sitzen die Katze und ich auf meinem Bett und starren die Tür an, während mein Vater im Nebenzimmer sitzt und entweder den Computer oder den Fernseher anstarrt, oder eingeschlafen ist.
Währenddessen sitzt mein verkindlichter Großvater alleine in seiner Wohnung, auch vor dem Fernseher, bis er in exakt sieben Minuten langsam die Treppe zu uns niederkämpfen und erzählen wird, was er schon den ganzen Tag wiederholt hat. Wenn er das erledigt hat, wird er wieder gehen und weiter alleine vor seinem Fernseher sitzen, bis er dann noch ein paar mal zu uns kommt und schließlich gute Nacht sagt.
Dann wird er schlafen gehen, kurz darauf auch mein Vater, und ich werde irgendwann so gegen 4 dasselbe tun, und wir alle werden uns denken, wieder ein Tag geschafft.
So werden die Ferien, in denen ich wohl doch nichts lernen und auch mein Portfolio nicht schreiben werde, verstreichen, sobald ich wieder zur Schule gehe verändert das den Rhythmus meines Großvaters dahingehend, dass er auch früh runterkommt, um Guten Morgen zu sagen.
Mein Rhythmus wird zerschossen werden durch meinen rund zwei Monate lang beurlaubten Vater, mein Nervenkostüm wohl auch.
Aber das kennen wir ja schon.
Doch auch dieses Übel geht vorbei, genau so, wie das Halbjahr vorbeigeht; noch ein Monat, dann sind die bösesten Klausuren vorbei und ich brauche nur noch knapp beide Hände, um die ausstehenden Tanzstunden abzuzählen, bis der erste Sportschwerpunkt gemeistert ist und es mit Nahkampf nichtgeschlechtergetrenntem Basketball weitergeht.
Wir sind dann schon groß, wir haben dann die erste Klausurenphase hinter uns. Uns kann nichts mehr erschüttern, wir habens das erste Mal überstanden.
Die einen mehr, die anderen weniger.
Und während ich in der Zeit danach das aufhole, was während dem Kurzzeitlernen für Einzeltests unterrichtstechnisch an mir vorbeigezogen ist, wird das Problem so langsam anfangen, Abitur zu schreiben.
Sie werden dann wieder grimmig guckend im Oberstufenzimmer sitzen, wenn es so weit ist; die weniger stabilen gelegentlich in Tränen ausbrechen, er wird stumm auf seine Aufzeichnungen oder an die Decke starren, oder vielleicht auf seine Freundin, wenn sie es denn ist.
Und ich werde dasitzen, am anderen Ende des Raumes, und er wir mir so fremd vorkommen, the stranger I used to love, so fremd wie die gesamte Situation, so seltsam, surreal, es wirkte immer so weit weg, und jetzt ist es auf einmal da und geschieht so vor sich hin.
Währenddessen wird die zweite Zweckgemeinschaft entweder auf ihrem Wurstbrot herumkauen, mit der Blondine reden oder auf ihre Schuhe starren, weil sie nicht weiß, was sie sagen soll, aber merkt, dass ich nicht reden kann gerade.
Diese Momente, die sie so verwirren. Wenn ihr Unterbewusstsein sagt, sag lieber nichts. Ich muss ihr vorkommen wie eine Außerirdische, wenn ich so dasitze, geistig abwesend wirke und wahlweise dabei bin, das große Geheule zurückzuhalten oder wirklich in Gedanken zu versinken, zu ertrinken.
Doppelpersönlichkeit, und wenn es diese Seite ist, die sie sieht, erkennt sie mich nicht wieder.

Eigentlich wollte ich immer mehr "ich" sein, aber irgendwo auf dem Weg dorthin habe ich mich wieder verirrt und ein Stück von mir verloren, während ich teilweise wieder in die alten Muster zurückgefallen bin.

Ich rede mir trotzdem ein, dass es nicht wieder das selbe ist.
Und es ist ja auch auch nicht das selbe, so viele seltsame Dinge, die da passieren..

Einfach mal so Kino mit der Feindin und ihrem Freund und es ist völlig normal,dass sie bei mir vorbeifahren und mich mitnehmen.
Und die Kollegiatinnen, die mit Kaffeebecher in der Hand zum Drogeriemarkt hetzen, um noch was zu kaufen und pünktlich zur nächsten Stunde wieder da zu sein, das sind wir.
Das Einlassbändchen hat jetzt mehr oder weniger die richtige Farbe,
die Tussenfraktion liest nicht mehr Bravo Girl, sondern Cosmopolitan.
Die Kettenraucher klauen ihre Zigaretten nicht mehr aus Papas Auto oder aus dem Supermarkt, sondern drehen selbst.
Die "Mädelsabende" der Upper Class mutieren zum "wir sind ja so erwachsen"-Schauspiel, mit Sekt und Gossip Girl,
das Gebluffe übers Sexleben könnte inzwischen sogar halbwegs der Realität entsprechen.
Spontanmutationen vom Nerd zum Normalmenschen passieren in seltenen Fällen und werden teilweise sogar gut aufgenommen.
Wir sind nichtmehr diejenigen, die fasziniert zuhören, wenn über Klausuren, Fachwahlen, Schwerpunkte und Abitur geredet wird,wir sind diejenigen,die es tun.
Während wir wie selbstverständlich im Oberstufenzimmer auf den Sofas sitzen, wo man sich noch am Schuljahresanfang nicht mal alleine hingetraut hat.
Und die anderen schauen im Vorbeilaufen rein und denken sich, wie unecht sich das doch anfühlt, dass die Leute da drin bald studieren.

Und dann ist da diese Gruppe an Leuten, von denen ich nie weiß, ob es richtige Freunde sind oder nicht; die die Feindin nicht mehr mag, weshalb es immer ein Spagat ist, den ich machen muss.
Die Gruppe da, mit diesen ganzen angehenden Bachelors Of Sience und Bachelors of Arts, den paar Anfangsstudenten, die Wartesemester oder eine Ausbildung abgesessen haben und einzelnen Berufstätigen.
Sitzen so rum, diese Erwachsenen und ich, in der Stammkneipe, haben sogar eine Stammkneipe, wir, und während ich mich darüber wundere, dass ich einfach so mein Getränk bekomme, fällt mir wieder ein,dass ich ja alt genug dafür bin. Sehe mich um, in ihren Gesichtern, und einer erzählt da was von Verloben und der Student jammert wieder, wie alt er doch ist, sein Cousin ist letztens Vater geworden.

Die Katze liegt wieder neben mir, so wie am Anfang dieses Eintrags, sie döst so vor sich hin und atmet und schnurrt ganz leise, und mir bleibt jedes mal fast das Herz stehen, wenn ihr Atem einen Tick zu lange aussetzt, während sie einschläft.
Auch Katzen können graue Haare bekommen, er hat ein paar, verteilt über seine schwarzen Flecken und auch in den Streifen. Bestimmt auch in den weißen Abteilungen,aber da sieht man es nicht so gut.
Mein Vater hat auch graue Haare, eigentlich ist der Weg von Naturhaarfarbe zu grau abgeschlossen und der nächste, von grau zu weiß,läuft gerade ab zusammen mit ein bisschen mutmaßlichem Haarausfall, der aber auch einfach ein schlechter Haarschnitt (seine Locken sind der Feind eines jeden Friseurs) in Kombination mit einem Wirbel sein kann.

An der Wand hängt das Foto vom Tanzkursabschlussball vor über zwei Jahren.
Was kamen wir uns erwachsen vor, als es darum ging, Tanzpartner zu suchen, und als wir dann fotographiert wurden.
Und dann die Elterntanzrunden, mein Vater und ich haben einfach beide getanzt, die für Mutter und Sohn und die für Vater und Tochter, und die Erinnerung daran,dass er gegens Tanzen eine genauso große Abneigung hat wie ich und es auch genauso wenig beherrscht wie ich, war gerade irgendwie sentimentalitätsauslösend.
Damals hat er seine Freundin noch nichtmal gekannt und ich habe mit einem Mädchen getanzt, weil wir zu viele waren und die Jungs, die die Auswahl hatten, irgendwie alle anderen cooler fanden als mich.
Ich hab mich den ganzen Kurs lang gefragt, warum ich mir den Mist eigentlich antue, auch am Abschlussball noch, besonders als ich mir nicht sicher war, ob mein Kleid und absolutes underdressed-Sein jetzt Scham oder "so what" bei mir auslösen sollten.

Neben dem Bild steht mein Bücherregal und im Bücherregal sind auch die Jahresberichte.
Als wir in der fünften waren, sahen die 10. so erwachsen aus, und die Abiturienten erst.
Und jetzt? Unvorstellbar, dass die Abiturienten so alt und erwachsen sein sollen. Und die, die gegangen sind erst.
Damals, in der fünften, sah die Oberstufe so erwachsen aus. Unvorstellbar,mit ihnen zu reden.
Jetzt stehe ich neben der alten Sache in der Absteige oder werde vom Studenten angegeigert, bin im Februar auf einer Hochzeit eingeladen und vor zwei Jahren ist eine Klassenkameradin aus der Grundschule gestorben.

Sogar auf der Gesichtscreme steht jetzt eine andere Altersklasse drauf, und ich vollziehe nebenher ein bisschen die Entwicklung von "uwääääääh" hin zu "halbwegs passabel".
Verrückte Welt, ich erkenn mich nicht wieder.


Doch alles Gerede macht im Endeffekt nichts außer diesen sowieso schon viel zu langen Eintrag noch länger;da sieht man mal,was passiert, wenn ich Musik höre und einfach schreibe.
Sollten Sie inzwischen eingeschlafen sein, verzeihe ich Ihnen, präzise und knapp formulieren war noch nie meins, wenn mir schon mal jemand zuhörte, der sich als Freund herausstellte, wollte ich gerne erzählen und reden und auch zuhören, aller Teilzeitmenschenphobie zu Trotz.
War irgendwie nie so das Wahre, und ich habe gelernt, dass man den Leuten gegenüber nicht offen sein sollte. Man muss die Arme verschränken und grimmig gucken und darf nicht zu viel reden, denn alles, was man sagt, kann und wird gegen einen verwendet werden, genau dann, wenn man es am wenigsten erwartet.
Manchmal mache ich das trotzdem, einfach erzählen, nicht von den tiefsten Abgründen, aber das,was ich denke.
Es wird seltener, das einfach erzählen; ich vertraue ja nicht einmal der Feindin, und das ist eigentlich eine traurige Sache.

Dafür bin ich dazu übergegangen, mir selbst zu vertrauen, ganz vorbehaltslos aufs Bauchgefühl zu hören, und auch, wenn in dieser Zeit einiges verloren gegangen ist, ausdiskutiert wurde, unterging und schwieriger wurde, ist das bisschen an positivem, was passiert ist, auch ganz nett und eventuell ein Grund, weiter so vorzugehen.

Against all odds, manchmal gegen mich selbst, und denken Sie sich jetzt bitte ein möglichst dramatisches Ende für diesen Eintrag.

Ich werde jetzt nämlich auf den "veröffentlichen"-Knopf drücken, weil mein Großvater zum dritten Mal runtergekommen ist und mein Vater nicht mehr die Nerven hat, sich das alles zum fünften Mal anzuhören, weshalb Großvater Mayhem gleich an meiner Tür klopfen und es mir zum siebten Mal erzählen wird.




Sonntag, 1. Januar 2012


"..auf gute Freunde
verlorene Liebe
auf alte Götter
und auf neue Ziele
auf den ganz normalen Wahnsinn
auf das, was einmal war
darauf, dass alles endet
und auf ein neues Jahr.
"


Frohes Neues.


Vor einem Jahr hörte sich das Ganze noch so an .




Freitag, 30. Dezember 2011
"So ein Arsch ey!"
Sie.
Sie ist so impulsiv-emotional, die Nachbarin. Sitzt da so sektbetrunken vor ihrem PC, an den sie vor einer halben Stunde spontan gestürmt ist, als ich ihr erzählt habe, dass das Problem vielleicht eine Freundin hat, hat ein Unterhaltungsfenster mit ihm offen und könnte fast explodieren, weil er ihr keine klare Antwort gibt.
Abiball.
Ja, geht er wohl hin.
-Mit wem?
Wisse er nicht so genau, mache er sich auch keinen Stress.
-Ja, wieso er nicht einfach seine Freundin mitnehme?
Wer sagt ihr denn, dass er eine hat?
-Also hat er keine?
Warum sie das wissen will.
- Weil sie halt neugierig ist. (Das stimmt sogar.)
Zu diesem Zeitpunkt kaute sie schon sehr aggressiv auf einer Strähne ihrer neuen Extensions herum und krallte die Hände regelrecht in den Tisch. Ich lag auf ihrem Bett, neben dem PC, Beine angewinkelt, Blick zur Decke, und war irgendwie jenseits von Gut und Böse.
Kurze Pause am anderen Ende der Internetleitung.
Ich sage, guck, jetzt hast du ihn verunsichert.
Sie, Boah, das ist so ein Idiot, dem ists scheißegal ob er da Abiball hat, wahrscheinlich würd der in Jogginghose und T-Shirt da hinschlappen! Und ich meine schulterzuckend, wäre ja mal was anderes. Ich seh das ja alles bisschen lockerer.
Sie sagt, ich bin genauso dumm wie er.
Ich sage, vielleicht hat er deswegen mein Herz.
Sie zuckt die Schultern. "Son Idiot. Aber guck mal, er schreibt gerade".
Als er dann fertig geschrieben hat, steht da "Das geht dich ehrlich gesagt nix an, ich kenn dich nicht mal richtig^^". Tja, für Freundesliste hats wohl gereicht. Das Phänomen der sozialen Netzwerke.
Die Nachbarin explodiert endgültig, haut den Laptop mit einem lauten "ARGH" zu und dreht ein paar Runden im Zimmer, bevor sie sich wieder hinsetzt, einen tiefen Schluck aus der Sektflasche nimmt und den Rechner wieder hochfährt. "Ich hab gerade eine halbe Stunde mit dem geredet, nur dewegen, ich weiß jetzt, dass sein Cousin im selben Kaff wohnt wie er und dass er findet, dass McDonalds einen Lieferservice braucht, aber ob er ne Freundin hat weiß ich immernoch nicht!"
-"Ja, ganz gut zusammengefasst." Meine Fresse, kann ich gelassen sein.
"Lass mal ziehen, ich brauch das jetzt". Die Nachbarin reißt mir die drittletzte Mentholzigarette, die sich noch in meinem Besitz befand und für deren Aufrauchung (wasn Wort) der heutige Tag ganz geeignet schien, aus der Hand und man kann regelrecht zusehen, wie der Glimmstengel mit einem Zug fast komplett.. verschwindet.
Naja, ich bin ja eigentlich sowieso Nichtraucher. Außer an Tagen mit Weltuntergangsstimmung.

Überhaupt, der ganze Abend heute...
Die Nachbarin, die ist so ein Sonderfall, in ihrer Gesellschaft ist alles irgendwie normal, so abgefuckt-normal, aber ohne Tiefgang, weil sie tiefergehendes nicht versteht. So "normale, mehr oder weniger erwachsene, auf dem Land festsitzende Jugendliche"-mäßig, nur mit der leichten Abänderung, dass wir beide ne ziemliche Meise haben, jede auf ihre Art, und mit dem Unterschied, dass ich wohl nicht mehr ganz als durchschnittlich durchgehe.
Und wir sitzen so rum auf ihrem Bett, sie mit Sekt- ich mit Wasserflasche und zusätzlich einem Aschenbecher, und sie sagt, eigentlich ist das Leben scheiße, und eigentlich will sie gar keine Friseurin sein, aber sie ists halt trotzdem. Einfach so.
Und ich frage, was sie lieber wäre, und sie sagt, an der Seite eines reichen Mannes.
Und dass das das Wichtigste sei, dass der Mann Geld hat, gut aussieht und die Restaurantrechnung bezahlt beim Date. Und die Tür aufhält und einem in den Mantel hilft.
Wie ich das denn sehen würde, will sie wissen.
Und ich erkläre, mir ist es egal, wieviel Geld er hat; und meinetwegen muss er nicht im Restaurant vor mir sitzen, sondern kann auch mit mir spazieren gehen, auf der Panzerstraße oder irgendwo, wo man eher spazieren geht, oder er kann mit mir in der Absteige vor der Bühne rumstehen, und er muss mir auch nichts bezahlen, auch, wenn ich das aus rein finanziellen Gründen natürlich ganz nett fände, und die Tür aufhalten sollte er mir vor allem, wenn ich gerade alle Hände voll Katze habe.
Auch, wenn Türaufhalten und die Mantelsache natürlich ganz nett sind.
Verständnislos guckt sie und fragt, was dann für mich "den Richtigen" ausmacht.
Das Gefühl, dass es richtig ist, sage ich und komme mir irgendwie dumm vor.
-Ob dann die alte Sache der Richtige für mich gewesen wäre. Oder das Problem.
Wenns nach meinem Gefühl geht schon, sage ich. Die fiese Wahrheit kommt einem in solchen Momenten irgendwie leichter über die Lippen.
-Restlos?
Will sofort mit Ja antworten, überlege dann aber.
Gefühl sagt ja, Verstand sagt Nein, Herz enthält sich.
Ich sage ihr das so, auf gut Glück, und sie ist verwirrt und wechselt das Thema.
Silvestergestaltung.
Ich erzähle von meinem vorrausichtlich ach-so-tollen Abend, den ich erleben werde; werde wohl sinnlos beim Working Class Hero rumsitzen, mit dem Studenten und der Schwester der alten Sache und anderen Leuten, und ich habe keine Lust und will nicht, weil dann wieder die gottverdammten Partyspiele ausgepackt werden. Mit denen ich mich unwohl fühle, massivst, die ich nicht mag, die ich so furchtbar hohl finde und die mich fast physisch leiden lassen. Alleine durch den Gedanken an sie. Ebenso Trinkspiele. Ein ganzer Abend damit, das halte ich nicht aus, glaube ich.
Hm, sie geht an Silvester auf ne Privatparty bei einem Freund, also, um genau zu sein, ihrem Freund. Der hat sogar nen Pool, deshalb wäre das ne ganz nette Sache. Ohne mich, undso, solche Bonzengeschichten wären ja eh nicht meins, ich sei ja mehr so antikapitalistisch. Sagt sie so, und als ich sie frage, ob sie weiß, was das Wort heißt, meint sie, nicht genau, aber sie fände, das würde so gut zu mir passen, mit dem "anti" vornedran.
Fährt fort und erklärt mir, ich wäre ja allgemein so anti.
Anti-Kapitalistisch,
Anti-Konsumgesellschaft,
Anti-Nach-dem-Äußeren-Gehen,
Anti-Vorurteile,
Anti-Luxus,
Anti-Atomkraft,
Anti-Style.
Sagt sie so und findets bei jedem "anti" ein bisschen lustiger, und ich höre irgendwo ab der Hälfte auf, mir Gedanken darüber zu machen, ob das eigentlich stimmt, was sie da so sagt.
Anti-Alkohol, zumindest meistens, macht sie weiter.
"Und", sie deutet auf den Aschenbecher, in den sich das erste Ascheflöckchen der nächsten Mentholkippe begeben hat, "Anti-Rauchen". Sagts und lacht. Ich dann auch ein bisschen. Sie noch mehr.
Überhaupt lacht sie so oft, und meistens sogar über das,was ich sage. Muss mich nichtmal anstrengen, sie braucht keine hochgeistigen Bemerkungen und Ironie versteht sie nicht. Leider auch oft nicht, wenn mir etwas ernst ist. Oder wehtut. Hm.
Sie wendet sich wieder dem PC zu, überlegt kurz, sieht sich dann die Freundesliste des Problems durch und fährt dabei eine Weile fort, mir verschiedene "antis" zuzuordnen, bis sie dann verstummt und sich ein, zwei Profile ansieht.
Anti-Kontrollverlust, füge ich geistig noch hinzu.
Anti-Lebenaufdiereihekriegen.
Anti-Disco.
Anti-Tierversuche.
Anti-Friseur.
Anti-Böseinhaltsstoffeinkosmetikaundlebensmitteln.
Anti-Herzverlieren. Zumindest theoretisch..
"Schau mal, der ist süß!"
Erhebe mich schwerfällig und rutsche in ihre Richtung, um vom Laptop aus von einem Profilbild angelächelt zu werden.
Auf dem Profilbild, da ist der Schlagzeuger aus der Luxusabsteige, und er lächelt so ehrlich, dass ich fast ein wenig zurücklächeln muss. Anscheinend wurde er da in der richtigen Absteige fotographiert, der Hintergrund spricht dafür.
"Wo hast du den denn gefunden, war der noch auf der Freundeliste?" Und wieso habe ich ein schlechtes Gefühl bei der Sache.
"Ja, ich glaub der war da noch dabei..." Die Nachbarin klickt zurück und wir sind wieder beim Profil des Problems, und beim Anblick seines Bildes im Vergleich mit dem des Schlagzeugers drängt sich mir ein Verdacht ins Hirn.
"Sag mal, weißt du, ob das Problem nen Bruder hat?"
"Nee, aber ich frag ihn mal". Noch bevor ich meinen Du-kannst-den-doch-jetzt-nicht-einfach-so-fragen-Reflex ausleben oder zumindest äußern konnte, hatte sich die Nachbarin wieder in die Unterhaltung eingeklinkt, und nach einem "Sorry ich war grad an der Tür und hab meine Pizza geholt. Welche Pizza isst du gerne?" ihrerseits hängt sie nahtlos ein "Hast du nen Bruder?" an.
Vermutlich ist das Problem von der allgemeinen Zusammenhanglosigkeit ihrer Fragen geringfügig verwirrt bis überfordert (Zwischendurch hatte sie sich bereits nach der Farbe seiner Socken, seinen Wochenendaktivitäten und seinem Lieblingessen in dieser Reihenfolge erkundigt), jedenfalls dauert die Antwort ein bisschen und meine Nervosität steigert sich, ein bisschen.
"Wieso"
Naja, wenigstens ein Fragezeichen hätte er ihr ja gönnen können. Aber die alte Sache antwortet auch vorzugsweise ohne Satzzeichen, dafür mit großer Verzögerung und gerne auch mal nur "^^". Wie ich das hasse.
-"Weil ich letztens wen gesehen hab, der dir voll ähnlich sieht und ich wissen will ob du noch mit wem verwandt bist"
Da, sie verwendet auch keine Satzzeichen.
Und eigentlich auch kein festes System in Sachen Rechtschreibung, aber ich sitze inzwischen neben ihr und gebe Vorschläge ab. Für Formulierungen eigentlich auch, aber das ignoriert sie gekonnt.
Wieder kurze Pause, dann:
"Ja ich hab noch Verwandte^^
Wenn das auf nem Konzert oder so war, wars wahrscheins mein Cousin, der steht ja voll auf sowas"

Sie schaut mich mit großen Augen an, ich schau sie mit großen Augen an.
"Alter."
"Alter". (Wenn sogar ich mich mal zu sowas hinreißen lasse...)

Vor meinem geistigen Auge wieder der Schlagzeuger, und es wird auf einmal klar. Hätte es gleich sehen müssen; mir denken können.
Das Grinsen. Von einem Ohr zum anderen, mit Zähnen. Und die Locken.
Die Art, wie er peinlich berührt nach unten geguckt hat, als seine Schlagzeugerfähigkeiten erwähnt wurden.
"Hm. Naja. " Sie geht wieder dazu über, sich ein bisschen darüber lustig zu machen, dass mein Silvester so furchtbar scheiße wird, weil ich nicht alleine daheim sein will, aber die einzige Alternative "sinnlose Party- und Trinkspiele und ein mich angeiernder Student beim Working Class Hero" heißt und die Person, die mich eingeladen hat, dummerweise nichtmal Veranstalter der Party ist. Aber der Zusatzschlafplatz, den finden wir auch noch. Und überhaupt, wird ja sooo lustig. Ich könnte kotzen, so lustig wird das. Oder in echter Depression versinken, wenn ich alleine bin.
Mich zu meinem verkindlichten, halb tauben und halb blinden Großvater zu setzen erscheint mir als eine fast schon angenehme Alternative, aber was haben wir zu reden?
Anschweigen, nur manchmal unterbrochen durch Sinnlosigkeiten seinerseits. Weiterschweigen.
Dann würden wir noch beide in unseren Depressionen versinken.

Also "Party". Beim Working Class Hero. How wonderful.
Mit den ganzen verfickten Partyspielen. Und einem Studenten, der meint, er hat ja auch keinen Bock auf die Spiele, wir könnten ja was anderes machen.
Worauf ich mir denke, SICHERLICH NICHT das was du denktst.
Und mich frage, wie ich den Abend überleben soll. Stundenlang hirnlose Partyspiele. Bis Null Uhr. Danach weiter. Einfach so. Weil ihnen danach ist. Weil es ihnen Spaß macht. Und ich in der Unterzahl bin.
Ach scheiße ist das doch.

Überhaupt hat sich der Ankotzfaktor des Lebens für mich aktuell vervielfacht.
Mein Vater verletzungsbedingt jetzt monatelang dauerzuhause; seine Freundin hat anscheinend vergessen, wo sie wohnt und hängt deshalb immer bei uns rum;
wieso kann das Problem keine eindeutige Ansage machen, ja er hat eine Freundin oder nein, er hat keine,
wieso kann ich mit der ganzen Sache nicht endlich mal abschließen,wieso muss ich mir die gottverdammten, hirnlosen, bekloppten, beschissenen Partyspiele antun,
und wieso zur Hölle muss der Schlagzeuger der Cousin des Problems sein?

Die Nachbarin ist ganz erschrocken, ich hab das nämlich laut gesagt. Und zwar crescendo bis zum emotionalen und (für meine Verhältnisse) lautstärketechnischen fortissimo. Dafür ganz ohne Neologismen bis zum Erbrechen.
Erschüttert sie aber nicht dauerhaft, sie dreht sich wieder zum Bildschirm, auf dem in einem anderen Fenster unser Film schon seit Stunden darauf wartet, gesehen zu werden, klickt ihn versehntlich weg und da ist somit nur noch der Schlagzeuger in Großaufnahme,und als die Nachbarin seine Bilder durchsieht, fällt mir wieder ein, warum er mir so bekannt vorkam (Klar, er ist ja auch der Cousin des Problems..).
Da, ein uraltes Klassenfoto, auf dem unser Schulstempel und auch er zu sehen sind, und ein Lehrer, der schon längst in Rente ist. Was macht das eigentlich im sozialen Netzwerk meines Misstrauens?
Sie klickt weiter. Er mit seinem Cousin, vor dem Einlass zu einem Dorffest, bei dem ich Sanitätsdienst hatte und den Kumpel, der bei ihnen steht, zusammenflicken durfte. Der mich damals tot- und wieder lebendig geredet hat.
Der Schlagzeuger in der Absteige, zwischendurch ein Bild von einer Generalprobe oder einem Konzert. Eher Probe.
Und da, der Fremde,ganz versunken in der Musik, mit geschlossenem Augen und dem Kontrast Gibson Les Paul vs. blau-weißes Streifenhemd und kurzer Kurzhaarschnitt, ein Sänger, der sich wohl gerade die Seele aus dem Leib schreit, und der Schlagzeuger in Action, bei vollem Körperseinsatz, mit fliegender Mähne und im Nirvanashirt (Pluspunkt!).
Ein Bild von der selben Probe(?), Pause. Ein relativ ernsthafter Fremder starrt in die Ferne. Ein Sänger, der sich nicht mehr die Seele aus dem Leib schreit, dafür aber eine Bierflasche ext, und der Schlagzeuger. Nicht mehr mit fliegender Mähne,mit Drumsticks in der einen Hand, um deren Gelenk sich diverse Festivalbändchen winden, dafür aber ohne Nirvanashirt. Das hält er in der anderen Hand.

Und ich denke mir so, verdammt, irgendwie hab ichs mit der Familie.