Thema: monolog
Donnerstag - Hail to the freaks
Entgegen der Prophezeiungen des Rauchers, Papa Mayhems und des deutschen Wetterdienstes sind wir weder im Stau stecken geblieben, noch wurden wir durch ein Gewitter von der Autobahn gefegt oder durch die Fahrkünste des Fremden ("Was, der Fremde fährt? War schön, euch gekannt zu haben...") bei einem Autounfall getötet, und jetzt sind wir hier, poltern staubaufwirbelnd über Semi-Feldweg und fahren dann auf den Parkplatz, dieses riesige Feld im Nirgendwo.
Und da sind wir, stoßen an mit warm gewordenem Dosenbier, klopfen uns auf die Schultern und dösen dann in der Sonne, weil wir erst später Tickets gegen Bändchen tauschen können.
Und es ist so surreal, dass das meine neuen Freunde sind, mit denen ich hier gerade bin, querliegend im Fahrerraum, mein Kopf am Bauch des Fremden angelehnt, Füße aus dem Fenster hängend, und dass wir es geschafft haben, Ms Golightly gegen den Willen ihrer Eltern mitzunehmen...überhaupt, dass wir es geschafft haben.
Stellen später fest, dass der Fremde das Innenzelt daheim vergessen hat, liegen eine Weile auf dem Außenzelt in der Sonne, ich mit dem Kopf auf seiner Brust und seinem Arm um mich gelegt, Ms Golightly mit dem Fastfreund telefonierend, und die Welt ist ein guter Ort.
Später Reden mit den Zeltnachbarinnen, noch später ein geborgtes Zelt, und nachts traue ich mich, an der Schulter des Fremden zu schlafen.
Alles wird gut. Früher oder später wird alles gut, auch, wenn man dafür kämpfen muss.
Das ist es wert.
Freitag - Run away, try to find that safe place you can hide
Die Zeltnachbarinnen hellauf begeistert vom Fremden, ein paar andere Zeltnachbarinnen auch, Feststellung des Tages: Ja, ich bin eifersüchtig. Hauptsächlich verunsichert, aber auch eifersüchtig, wie die Hauptdarstellerinnen der Fotoromane in diversen Teeniezeitschriften.
Versuche, mich zusammen zu reißen, ende dann aber doch mit dem Kopf auf den Knien und flennend vorm Mittagessen, denn es sind heute fünf Jahre, und das ist in dem Moment wichtiger als Dosenspaghetti und potenzielle Konkurrenz.
Überlastete Ms Golightly, die mich umarmt, obwohl ich das gerade eigentlich gar nicht will, und vor lauter Mitgefühl weint sie schlimmer als ich, während der Fremde stoisch unser Mittagessen weiterrührt.
Fünfjähriges.
Fünf Jahre ist es her, seit zwei Jahren fängt es an, weh zu tun und gerade ist "verloren" gar kein Ausdruck mehr dafür, wie ich mich fühle.
Und es tut mir so Leid, Ms Golightly und den Fremden damit zu belasten, aber sie sagen, wenn ich mich noch einmal entschuldige, sperren sie mich in ein Dixieklo und schubsen es um, also lasse ich es und warte darauf, dass der größte Schmerz vorbei geht.
Es folgen diverse Indiebands, die eigentlich niemand hören will, zusammensitzen mit den Zeltnachbarinnen, die eigentlich niemand sehen will, und dann ist es schon abend und ich laufe bekampfstiefelt neben dem Fremden zu der Band, wegen der er eigentlich da ist, werde, während wir eigentlich noch warten und mit Freunden reden, von ihm weiter- und vor die Bühne gezogen, und dann spielen sie auch schon und befinde mich mitten im Moshpit, schlage mich an der Hand des Fremden durch und werde als die mutmaßlich einzige Frau in unserer lustigen Massenschlägerei wahlweise irritiert oder bewundernd angestarrt.
Ein paar Mal werden wir umgeworfen, aber immer wieder aufgehoben, und immer, wenn es wieder losgeht, nimmt der Fremde meine Hand, damit wir uns nicht verlieren, bis ich beschließe, mich bei einer drohenden Wall of Death aus dem direkten Radius zu verziehen und unterwegs noch einen Asiaten aufhebe, der umgeworfen wurde und sich die Nase hält.
"Alles ok?", schreie ich ihm ins Ohr.
-"Ja, alles klar. Der Kerl da und du, ihr seid übrigens so ziemlich das Süßeste, was ich bis jetzt auf einem Metalkonzert gesehen habe. Ist das dein Freund?"
"Nee, aber ich arbeite dran." Wieso habe ich das jetzt eigentlich gesagt?
Der Asiate grinst mich freundlich an. "Finde ich gut, ehrlich. Ich wünsch dir viel Glück, das wird schon!"
Und weg ist er, so, wie auch der Fremde, nur dass der immer wieder zurückkommt, um sicher zu gehen, dass ich noch da bin.
Als wir zum Zeltplatz zurückwanken, hat er aufgeschürfte Knie und Ellbogen, meine Hand blutet, jeder einzelne Knochen tut weh, thanks to linkskonvexe Wirbelsäule habe ich das Gefühl, nie wieder aufrecht gehen zu können und wir könnten nicht zufriedener sein.
Unterwegs nehmen wir noch Asianudeln mit, schmettern ein paar schlechte Anmachsprüche ab, die mir betrunkene und vermutlich verzweifelte Studenten entgegenwerfen, und als wir an diesem Abend schlafen gehen, hält mich der Fremde fest und streichelt mir etwas und unkoordiniert über den Arm, bis wir eingeschlafen sind.
Samstag- Wir machens uns auch einfach nicht leicht
Es ist nicht besser geworden, sondern schlimmer, aber ich will die anderen beiden nicht schon wieder runterziehen, also behalte ich es für mich und hebe mir meinen Gefühlszusammenbruch für Frittenbude auf. Die ganze Zeit kann ich ihn zurückhalten; als der Fremde mit der Ghettoschwester telefoniert, als wir auf einmal bei zu vielen unbekannten Zeltnachbarn sitzen, und auch, als er anmerkt, dass eine der unbekannten Zeltnachbarinnen "echt süß" ist, behalte ich die Fassung, danke dem Schicksal dafür, dass ich die stabilen Nerven bekommen habe, die mein Vater nicht mehr hat, und konzentriere mich darauf, einfach weiter zu atmen.
Einfach weiteratmen, auch, wenn die Welt untergeht.
Alles wird gut, irgendwann..
Als wir zu Frittenbude hetzen, schreibt der Fremde nonstop sms an die Zeltnachbarin, die auch hinwollte, schafft es aber anscheinend nicht, ihr klarzumachen, wo wir auf sie warten, und somit gehen wir ohne sie, denn er hat versprochen, mich zu begleiten.
Er gibt auch nicht auf, als er fast keines der gespielten Lieder kennt, feststellen muss, dass das eigentlich alles viel zu elektronisch für seinen Geschmack ist und headbangen irgendwie nicht so gut klappt, und bei der Wall of Love, die viel zu weit weg von uns ist, nehmen wir uns in die Arme, drehen uns einmal um 360Grad und er schüttet mir dabei den halben Tetrapackwein über den Rücken, sodass das Erreichen des nächsthöheren Promillelevels (Es wäre dann "so betrunken wie nie zuvor gesehen" gewesen) unmöglich scheint, zumindest solange wir noch hier sind und ich meine emotionale Kaputtheit nonverbal rausschreie.
Wir reden nicht auf dem Rückweg, und auch nicht, als wir noch bei den Zeltnachbarinnen sitzen, die ihn systematisch abfüllen, sodass er irgendwann anfängt, noch schlechtere Witze zu machen und die zwei Brüder, die ebenfalls zur Gruppe der Zeltnachbarinnen gehören, zu beleidigen.
Es könnte leicht sein, doch es wird immer mehr..
Einfach weiteratmen.
Ich lehne sowohl den mir angebotenen Joint als auch eine bunte Pille zweifelhafter Herkunft ab und versuche, gleichzeitig mit den fremden Menschen, den fünf Jahren und dem schlimmsten Herzschmerz seit Langem fertig zu werden.
Klappt nur ansatzweise, und an diesem Abend schlafen der Fremde und ich mit den Rücken zueinander und ohne uns Gute Nacht zu sagen.
Sonntag-You don't want to hurt me, but see how deep the bullet lies
Vermutlich ist mein Herz angeknackster, als ich vermutet habe, denke ich mir so, während Placebo übertrieben perfekt-geplant ihre Show spielen und die Zeltnachbarinnen pseudomotiviert tanzen. Sehe zum Fremden, der neben mir steht und wortlos auf die Bühne starrt.
Vielleicht ist auch er angeknackster, als man im ersten Moment vermutet.
Vom anschließenden Zusammensitzen mit den Anderen fliehe ich relativ schnell, werde vom Zeltnachbarn aufgehalten und er macht den Fehler, zu fragen, was los ist.
Also sage ich ihm, was los ist. Nicht alles, nur die Fakten. Wie es ist.
Als ich fertig bin, wünscht er mir Beleid wegen meiner Mutter, alles Gute für/wegen dem Fremden, sagt, dass der ein Idiot ist, wenn er sich so verhält, und ich eigentlich "was besseres" verdient hätte, empfiehlt mir, mich an den Raucher zu halten und jammert mich anschließend eineinhalb Stunden wegen seiner hochdramatischen Beziehung zu seiner Noch-Freundin voll, sodass der Fremde bereits im Zelt liegt, als ich es endlich bis dorthin geschafft habe.
Ich gehe davon aus, dass er schläft, als ich mich nach dem Zähneputzen möglichst leise auf meinen Schlafsack legen will, aber auf einmal ist sein Gesicht neben mir, und er fragt, was los ist.
"Du musst es mir nicht sagen, aber manchmal hilft es, wenn man über etwas redet. Falls du reden willst, bin ich da."
Also rede ich mit ihm. Und manchmal redet er auch, und wir reden zwar nicht darüber, dass er es ist, der mir wehtut, aber dafür über meine Mutter, nicht über alles, nur das grobe Gerüst, und ich sage ihm, woran sie gestorben ist, wie lange es vorher schon so war, wie es eben war, und dass das vermutlich eine Ursache für diverse Macken, die ich habe, ist. Und wir reden über Macken und Depressionen und deprimiert sein, zerfallende Familien und dass einen das mehr mitnimmt, als man im ersten Moment denkt, und bevor wir ruhig sind und der Fremde sich in seine normale Schlafposition mit dem Gesicht zur Zeltwand dreht, weil Ms Golightly, die gerade ins Zelt gekrochen ist und schlafen will, ihr Kissen nach uns geworfen hat, drückt er mich nochmal und flüstert dann ganz leise: "Du bist viel größer, als du denkst."
Montag/Dienstag- mindestens in 1000 Jahren..
Auf dem Heimweg verfahren, irgendwann doch in der Kleinstadt angekommen.
Beim Fremden Musik gehört, bis der Raucher vorbeikommt und uns mit zu sich nimmt, dort auf der Terasse gesessen, das restliche Festivalbier getrunken und den Hund geflauscht, später einen Film geschaut und irgendwann vom Fremden verabschiedet, weil der morgen arbeiten muss und deshalb vorgeschlagen hat, dass ich beim Raucher übernachte.
Der hat damit kein Problem, aber dafür anscheinend nach unserem Gespräch begriffen, dass ich ihn nicht ganz so toll finde wie er mich, und weil das augenscheinlich nichts macht, können wir normal miteinander reden und blöde Witze reißen, bis die Unterhaltung sich in Richtung des Fremden dreht und somit ernster wird.
Der Raucher macht sich Sorgen, weil das nicht gesund ist, sagt er; weder der Alkohol, noch die Ghettoschwester. Ich erfahre,dass es schonmal eine Ghettoschwester gab, seit der Fremde sein Pubertätsnachholbedürfnis auslebt, die, ein wenig wie die jetzige auch, den größten Wert der Sache darin sah, dass er Alkohol und Zigaretten besorgen konnte, und dass der Raucher schon mehrmals versucht hat, mit dem Fremden über die Ghettoschwester und sein Trinkverhalten zu reden.
"Aber ich brauch dem nix sagen, ich bin ja selbst genauso schlimm", meint er, "auch, wenn ichs nicht gut finde."
-"Dann änder es".
Und auf einmal erzählt er vom Zuvieltrinken und Traurigsein, von damals, als er seinen toten Großvater gefunden und ihn das völlig aus der Bahn geworfen hat, und noch ein wenig später halte ich ihn im Arm und er versucht, nicht zu weinen.
Was er auch schafft, obwohl ich ihm sage, dass er weinen soll, wenn ihm das hilft, und irgendwann geht es wieder ein bisschen und er schämt sich und entschuldigt sich so lange, bis es mir zu blöd wird und ich ihn kitzle, bis er keine Luft mehr bekommt und vor Lachen weint.
Gehen nach zwei Stunden freundschaftlicher Schlägerei/Kissenschlacht schlafen, er auf dem Sofa, ich in seinem Bett, und als wir am nächsten Tag den Fremden, der in seiner langen Mittagspause nach Hause gefahren ist, besuchen, schaut der undeutbar, als der Raucher und ich Witze über unseren "Kampf" machen, ist allgemein nicht gerade gesprächig, schreibt zwischendurch mit der Ghettoschwester und ein paar anderen Leuten und grummelt "Ihr habt mir ja auch nicht gesagt, was los ist", als Ms Golightly und ich, nachdem ich mit ihr in die Küche gegangen bin und einen Lagebericht abgeliefert habe, fragen, mit wem er die Nonstopsmsdiskussion führt.
Bevor er wieder zur Arbeit muss, räumen der Fremde und ich noch den Festivalkram in die Spülmaschine, dann schleifen der Raucher und ich den Müllsack mit den leeren Pfandosen zu seinem Auto, während der Fremde sich wieder in Hemd und lange Hose wirft, seine Aktentasche zu seinem Auto bringt und schon losfahren will, bevor wir uns richtig verabschiedet haben.
"So nicht, Mäuschen", ruft der Raucher, der mit dem Fremden gelegentlich eine scrubs-inspirierte JD-Turk-Beziehung führt, umarmt ihn übertrieben innig und hebt ihn dabei ein Stück hoch.
Ich befinde somit, dass eine Abschiedsumarmung legitim ist, hänge ein "bis nächstes Wochenende" an und hole noch schnell meine Chucks (in Kampfstiefeln ist Fahrschulautofahren etwas gewöhungsbedürftig) aus dem Kofferraum, bevor der Fremde endgültig fährt.
Als ich nach Hause komme, habe ich knapp 20 Euro Dosenpfand im Geldbeutel, den Staub von vier Festivaltagen an den Stiefeln, mein Shampoo und Duschgel im Auto des Fremden vergessen, den schlimmsten Schlafentzug seit Langem, werde von der Katze ausgeschimpft dafür, dass ich so lange weg war und denke mir rückblickend, vielleicht hat der Fremde Recht, wenn er sagt, dass ich größer bin, als ich denke.
Und vielleicht bin ich groß genug, um das alles zu überstehen.
Entgegen der Prophezeiungen des Rauchers, Papa Mayhems und des deutschen Wetterdienstes sind wir weder im Stau stecken geblieben, noch wurden wir durch ein Gewitter von der Autobahn gefegt oder durch die Fahrkünste des Fremden ("Was, der Fremde fährt? War schön, euch gekannt zu haben...") bei einem Autounfall getötet, und jetzt sind wir hier, poltern staubaufwirbelnd über Semi-Feldweg und fahren dann auf den Parkplatz, dieses riesige Feld im Nirgendwo.
Und da sind wir, stoßen an mit warm gewordenem Dosenbier, klopfen uns auf die Schultern und dösen dann in der Sonne, weil wir erst später Tickets gegen Bändchen tauschen können.
Und es ist so surreal, dass das meine neuen Freunde sind, mit denen ich hier gerade bin, querliegend im Fahrerraum, mein Kopf am Bauch des Fremden angelehnt, Füße aus dem Fenster hängend, und dass wir es geschafft haben, Ms Golightly gegen den Willen ihrer Eltern mitzunehmen...überhaupt, dass wir es geschafft haben.
Stellen später fest, dass der Fremde das Innenzelt daheim vergessen hat, liegen eine Weile auf dem Außenzelt in der Sonne, ich mit dem Kopf auf seiner Brust und seinem Arm um mich gelegt, Ms Golightly mit dem Fastfreund telefonierend, und die Welt ist ein guter Ort.
Später Reden mit den Zeltnachbarinnen, noch später ein geborgtes Zelt, und nachts traue ich mich, an der Schulter des Fremden zu schlafen.
Alles wird gut. Früher oder später wird alles gut, auch, wenn man dafür kämpfen muss.
Das ist es wert.
Freitag - Run away, try to find that safe place you can hide
Die Zeltnachbarinnen hellauf begeistert vom Fremden, ein paar andere Zeltnachbarinnen auch, Feststellung des Tages: Ja, ich bin eifersüchtig. Hauptsächlich verunsichert, aber auch eifersüchtig, wie die Hauptdarstellerinnen der Fotoromane in diversen Teeniezeitschriften.
Versuche, mich zusammen zu reißen, ende dann aber doch mit dem Kopf auf den Knien und flennend vorm Mittagessen, denn es sind heute fünf Jahre, und das ist in dem Moment wichtiger als Dosenspaghetti und potenzielle Konkurrenz.
Überlastete Ms Golightly, die mich umarmt, obwohl ich das gerade eigentlich gar nicht will, und vor lauter Mitgefühl weint sie schlimmer als ich, während der Fremde stoisch unser Mittagessen weiterrührt.
Fünfjähriges.
Fünf Jahre ist es her, seit zwei Jahren fängt es an, weh zu tun und gerade ist "verloren" gar kein Ausdruck mehr dafür, wie ich mich fühle.
Und es tut mir so Leid, Ms Golightly und den Fremden damit zu belasten, aber sie sagen, wenn ich mich noch einmal entschuldige, sperren sie mich in ein Dixieklo und schubsen es um, also lasse ich es und warte darauf, dass der größte Schmerz vorbei geht.
Es folgen diverse Indiebands, die eigentlich niemand hören will, zusammensitzen mit den Zeltnachbarinnen, die eigentlich niemand sehen will, und dann ist es schon abend und ich laufe bekampfstiefelt neben dem Fremden zu der Band, wegen der er eigentlich da ist, werde, während wir eigentlich noch warten und mit Freunden reden, von ihm weiter- und vor die Bühne gezogen, und dann spielen sie auch schon und befinde mich mitten im Moshpit, schlage mich an der Hand des Fremden durch und werde als die mutmaßlich einzige Frau in unserer lustigen Massenschlägerei wahlweise irritiert oder bewundernd angestarrt.
Ein paar Mal werden wir umgeworfen, aber immer wieder aufgehoben, und immer, wenn es wieder losgeht, nimmt der Fremde meine Hand, damit wir uns nicht verlieren, bis ich beschließe, mich bei einer drohenden Wall of Death aus dem direkten Radius zu verziehen und unterwegs noch einen Asiaten aufhebe, der umgeworfen wurde und sich die Nase hält.
"Alles ok?", schreie ich ihm ins Ohr.
-"Ja, alles klar. Der Kerl da und du, ihr seid übrigens so ziemlich das Süßeste, was ich bis jetzt auf einem Metalkonzert gesehen habe. Ist das dein Freund?"
"Nee, aber ich arbeite dran." Wieso habe ich das jetzt eigentlich gesagt?
Der Asiate grinst mich freundlich an. "Finde ich gut, ehrlich. Ich wünsch dir viel Glück, das wird schon!"
Und weg ist er, so, wie auch der Fremde, nur dass der immer wieder zurückkommt, um sicher zu gehen, dass ich noch da bin.
Als wir zum Zeltplatz zurückwanken, hat er aufgeschürfte Knie und Ellbogen, meine Hand blutet, jeder einzelne Knochen tut weh, thanks to linkskonvexe Wirbelsäule habe ich das Gefühl, nie wieder aufrecht gehen zu können und wir könnten nicht zufriedener sein.
Unterwegs nehmen wir noch Asianudeln mit, schmettern ein paar schlechte Anmachsprüche ab, die mir betrunkene und vermutlich verzweifelte Studenten entgegenwerfen, und als wir an diesem Abend schlafen gehen, hält mich der Fremde fest und streichelt mir etwas und unkoordiniert über den Arm, bis wir eingeschlafen sind.
Samstag- Wir machens uns auch einfach nicht leicht
Es ist nicht besser geworden, sondern schlimmer, aber ich will die anderen beiden nicht schon wieder runterziehen, also behalte ich es für mich und hebe mir meinen Gefühlszusammenbruch für Frittenbude auf. Die ganze Zeit kann ich ihn zurückhalten; als der Fremde mit der Ghettoschwester telefoniert, als wir auf einmal bei zu vielen unbekannten Zeltnachbarn sitzen, und auch, als er anmerkt, dass eine der unbekannten Zeltnachbarinnen "echt süß" ist, behalte ich die Fassung, danke dem Schicksal dafür, dass ich die stabilen Nerven bekommen habe, die mein Vater nicht mehr hat, und konzentriere mich darauf, einfach weiter zu atmen.
Einfach weiteratmen, auch, wenn die Welt untergeht.
Alles wird gut, irgendwann..
Als wir zu Frittenbude hetzen, schreibt der Fremde nonstop sms an die Zeltnachbarin, die auch hinwollte, schafft es aber anscheinend nicht, ihr klarzumachen, wo wir auf sie warten, und somit gehen wir ohne sie, denn er hat versprochen, mich zu begleiten.
Er gibt auch nicht auf, als er fast keines der gespielten Lieder kennt, feststellen muss, dass das eigentlich alles viel zu elektronisch für seinen Geschmack ist und headbangen irgendwie nicht so gut klappt, und bei der Wall of Love, die viel zu weit weg von uns ist, nehmen wir uns in die Arme, drehen uns einmal um 360Grad und er schüttet mir dabei den halben Tetrapackwein über den Rücken, sodass das Erreichen des nächsthöheren Promillelevels (Es wäre dann "so betrunken wie nie zuvor gesehen" gewesen) unmöglich scheint, zumindest solange wir noch hier sind und ich meine emotionale Kaputtheit nonverbal rausschreie.
Wir reden nicht auf dem Rückweg, und auch nicht, als wir noch bei den Zeltnachbarinnen sitzen, die ihn systematisch abfüllen, sodass er irgendwann anfängt, noch schlechtere Witze zu machen und die zwei Brüder, die ebenfalls zur Gruppe der Zeltnachbarinnen gehören, zu beleidigen.
Es könnte leicht sein, doch es wird immer mehr..
Einfach weiteratmen.
Ich lehne sowohl den mir angebotenen Joint als auch eine bunte Pille zweifelhafter Herkunft ab und versuche, gleichzeitig mit den fremden Menschen, den fünf Jahren und dem schlimmsten Herzschmerz seit Langem fertig zu werden.
Klappt nur ansatzweise, und an diesem Abend schlafen der Fremde und ich mit den Rücken zueinander und ohne uns Gute Nacht zu sagen.
Sonntag-You don't want to hurt me, but see how deep the bullet lies
Vermutlich ist mein Herz angeknackster, als ich vermutet habe, denke ich mir so, während Placebo übertrieben perfekt-geplant ihre Show spielen und die Zeltnachbarinnen pseudomotiviert tanzen. Sehe zum Fremden, der neben mir steht und wortlos auf die Bühne starrt.
Vielleicht ist auch er angeknackster, als man im ersten Moment vermutet.
Vom anschließenden Zusammensitzen mit den Anderen fliehe ich relativ schnell, werde vom Zeltnachbarn aufgehalten und er macht den Fehler, zu fragen, was los ist.
Also sage ich ihm, was los ist. Nicht alles, nur die Fakten. Wie es ist.
Als ich fertig bin, wünscht er mir Beleid wegen meiner Mutter, alles Gute für/wegen dem Fremden, sagt, dass der ein Idiot ist, wenn er sich so verhält, und ich eigentlich "was besseres" verdient hätte, empfiehlt mir, mich an den Raucher zu halten und jammert mich anschließend eineinhalb Stunden wegen seiner hochdramatischen Beziehung zu seiner Noch-Freundin voll, sodass der Fremde bereits im Zelt liegt, als ich es endlich bis dorthin geschafft habe.
Ich gehe davon aus, dass er schläft, als ich mich nach dem Zähneputzen möglichst leise auf meinen Schlafsack legen will, aber auf einmal ist sein Gesicht neben mir, und er fragt, was los ist.
"Du musst es mir nicht sagen, aber manchmal hilft es, wenn man über etwas redet. Falls du reden willst, bin ich da."
Also rede ich mit ihm. Und manchmal redet er auch, und wir reden zwar nicht darüber, dass er es ist, der mir wehtut, aber dafür über meine Mutter, nicht über alles, nur das grobe Gerüst, und ich sage ihm, woran sie gestorben ist, wie lange es vorher schon so war, wie es eben war, und dass das vermutlich eine Ursache für diverse Macken, die ich habe, ist. Und wir reden über Macken und Depressionen und deprimiert sein, zerfallende Familien und dass einen das mehr mitnimmt, als man im ersten Moment denkt, und bevor wir ruhig sind und der Fremde sich in seine normale Schlafposition mit dem Gesicht zur Zeltwand dreht, weil Ms Golightly, die gerade ins Zelt gekrochen ist und schlafen will, ihr Kissen nach uns geworfen hat, drückt er mich nochmal und flüstert dann ganz leise: "Du bist viel größer, als du denkst."
Montag/Dienstag- mindestens in 1000 Jahren..
Auf dem Heimweg verfahren, irgendwann doch in der Kleinstadt angekommen.
Beim Fremden Musik gehört, bis der Raucher vorbeikommt und uns mit zu sich nimmt, dort auf der Terasse gesessen, das restliche Festivalbier getrunken und den Hund geflauscht, später einen Film geschaut und irgendwann vom Fremden verabschiedet, weil der morgen arbeiten muss und deshalb vorgeschlagen hat, dass ich beim Raucher übernachte.
Der hat damit kein Problem, aber dafür anscheinend nach unserem Gespräch begriffen, dass ich ihn nicht ganz so toll finde wie er mich, und weil das augenscheinlich nichts macht, können wir normal miteinander reden und blöde Witze reißen, bis die Unterhaltung sich in Richtung des Fremden dreht und somit ernster wird.
Der Raucher macht sich Sorgen, weil das nicht gesund ist, sagt er; weder der Alkohol, noch die Ghettoschwester. Ich erfahre,dass es schonmal eine Ghettoschwester gab, seit der Fremde sein Pubertätsnachholbedürfnis auslebt, die, ein wenig wie die jetzige auch, den größten Wert der Sache darin sah, dass er Alkohol und Zigaretten besorgen konnte, und dass der Raucher schon mehrmals versucht hat, mit dem Fremden über die Ghettoschwester und sein Trinkverhalten zu reden.
"Aber ich brauch dem nix sagen, ich bin ja selbst genauso schlimm", meint er, "auch, wenn ichs nicht gut finde."
-"Dann änder es".
Und auf einmal erzählt er vom Zuvieltrinken und Traurigsein, von damals, als er seinen toten Großvater gefunden und ihn das völlig aus der Bahn geworfen hat, und noch ein wenig später halte ich ihn im Arm und er versucht, nicht zu weinen.
Was er auch schafft, obwohl ich ihm sage, dass er weinen soll, wenn ihm das hilft, und irgendwann geht es wieder ein bisschen und er schämt sich und entschuldigt sich so lange, bis es mir zu blöd wird und ich ihn kitzle, bis er keine Luft mehr bekommt und vor Lachen weint.
Gehen nach zwei Stunden freundschaftlicher Schlägerei/Kissenschlacht schlafen, er auf dem Sofa, ich in seinem Bett, und als wir am nächsten Tag den Fremden, der in seiner langen Mittagspause nach Hause gefahren ist, besuchen, schaut der undeutbar, als der Raucher und ich Witze über unseren "Kampf" machen, ist allgemein nicht gerade gesprächig, schreibt zwischendurch mit der Ghettoschwester und ein paar anderen Leuten und grummelt "Ihr habt mir ja auch nicht gesagt, was los ist", als Ms Golightly und ich, nachdem ich mit ihr in die Küche gegangen bin und einen Lagebericht abgeliefert habe, fragen, mit wem er die Nonstopsmsdiskussion führt.
Bevor er wieder zur Arbeit muss, räumen der Fremde und ich noch den Festivalkram in die Spülmaschine, dann schleifen der Raucher und ich den Müllsack mit den leeren Pfandosen zu seinem Auto, während der Fremde sich wieder in Hemd und lange Hose wirft, seine Aktentasche zu seinem Auto bringt und schon losfahren will, bevor wir uns richtig verabschiedet haben.
"So nicht, Mäuschen", ruft der Raucher, der mit dem Fremden gelegentlich eine scrubs-inspirierte JD-Turk-Beziehung führt, umarmt ihn übertrieben innig und hebt ihn dabei ein Stück hoch.
Ich befinde somit, dass eine Abschiedsumarmung legitim ist, hänge ein "bis nächstes Wochenende" an und hole noch schnell meine Chucks (in Kampfstiefeln ist Fahrschulautofahren etwas gewöhungsbedürftig) aus dem Kofferraum, bevor der Fremde endgültig fährt.
Als ich nach Hause komme, habe ich knapp 20 Euro Dosenpfand im Geldbeutel, den Staub von vier Festivaltagen an den Stiefeln, mein Shampoo und Duschgel im Auto des Fremden vergessen, den schlimmsten Schlafentzug seit Langem, werde von der Katze ausgeschimpft dafür, dass ich so lange weg war und denke mir rückblickend, vielleicht hat der Fremde Recht, wenn er sagt, dass ich größer bin, als ich denke.
Und vielleicht bin ich groß genug, um das alles zu überstehen.
Thema: gefunden.
16. August 12 | Autor: mayhem | 0 Kommentare | Kommentieren
"Twenty years from now you will be more disappointed by the things that you didn't do than by the ones you did do. So throw off the bowlines.
Sail away from the safe harbor.
Catch the trade winds in your sails.
Explore.
Dream.
Discover.”
Auf gehts. Für und gegen alles.
Man wünsche mir Glück.
Für alles.
Sail away from the safe harbor.
Catch the trade winds in your sails.
Explore.
Dream.
Discover.”
Auf gehts. Für und gegen alles.
Man wünsche mir Glück.
Für alles.
Thema: kurz gemeldet
Festivaleinkäufe getätigt....
"Wieso schaut die Kassiererin so komisch? Nur, weil wir fünf 5l-Kanister Wasser, zwei Paletten Dosenbier/Radler/Biermischgetränk, zwei Tetrapacks Wein und eine Probiergröße Prinzessin Lillifee-Shampoo kaufen?"
...der Fremdenschwester spontan die Haare getönt..
Türklopfen.
"Sorry, wenn ich gerade störe, aber einer von euch hilft mir jetzt bitte beim Haaretönen, ich brauche da tatkräftige und auch seelische Unterstützung.."
-"Aber du hast dir doch noch nie irgendwas an den Haaren gemacht, außer schneiden, wieso..."
"Ruhe, Bruder. Mayhem, komm mit, du machst das jetzt!"
Fünfunddreißig Minuten später. Fassungsloser Blick der Fremdenschwester in den Spiegel, dann taucht da auf einmal ein Lächeln in ihrem Gesicht auf, das schnell zu einem Grinsen wird.
Die zwei Schritte über den winzigen Hausflur bis zum Zimmer ihres Bruder scheint sie zu schweben, ruft ein breit grinsendes "Ich hab mich getraut, und es sieht gut aus!" zu ihm rein und schwebt weiter zu ihrer Mutter in die Küche. Die findet, dass ich das gut hinbekommen habe, auch wegen Einwirkzeit ändern undso, und dass ich, davon abgesehen, ruhig öfter vorbeikommen könnte; ihr persönlich sei ich lieber als die Ghettoschwester, die am Samstagabend zum wiederholten Mal in der Wohnung gekotzt habe.
Schwebe zurück ins Zimmer des Fremden, lasse mich die nächste halbe Stunde mit seiner Musik beschallen und befinde, dass seine Mutter eine sehr sympathische Frau ist.
..ein Testberatungsgespräch geführt...
Verschüchtertes Schweigen, nicht direkt total unangenehm, aber trotzdem...
Er kann sich wenigstens an seiner Gitarre festhalten, ein wenig. Dann springt er auf, holt seinen Aktenordner und fragt, ob er ein Testberatungsgespräch mit mir führen darf. Einerseits, damit ich mir besser vorstellen kann, was er so auf der Arbeit macht, andererseits, damit er das üben könne. "Natürlich nur, wenn du auch willst. Aber ich fände das echt nett von dir, ich glaube nämlich, dass du gut beurteilen kannst, was ok war und was schlecht, und wie das bei einem echten Kunden ankommen würde, und dass du das auch ehrlich sagst."
Also lasse ich mich testberaten. Und er gibt sich richtig Mühe, den auswendig gelernten Phrasen, die ihm sein Ausbilder beigebracht hat, Leben einzuhauchen, auch, wenn man trotzdem noch merkt, dass es Standardschemata und -sätze sind, an denen er sich da festhält, aber vielleicht muss das auch so sein.
Sage ihm das und ermutige ihn, spontan zu sein, auch, wenn man dann das Gefühl hat, den Halt in der Konversation zu verlieren.
Komme mir doof vor bei der Aussage, aber dann meint er, dass er das schön von mir findet. Dass ich so ehrlich bin, und dass ich das verstehe, mit dem Halt verlieren.
Er lächelt mich an.
Ich lächle zurück.
Sekundenbruchteil, dann synchrones Wegschauen.
Schüchtern sein ist manchmal unpraktisch.
...keinen Film, aber mal wieder die familiäre Idylle gesehen..
Den Vorschlag des Fremden, einen Film zu gucken, muss ich abwehren, weil Papa Mayhem findet, 21 Uhr sei eindeutig zu spät, um noch in die Kleinstadt zu fahren und mich abzuholen.
Schade, ich hätte den Film gerne gesehen. Zum einen, weil der Fremde, abgesehen von einer Vorliebe für Horrorfilme, die ich nicht teile, einen ziemlich interessanten Filmgeschmack hat, der meinem nicht unähnlich ist, zum anderen, weil das ein Grund gewesen wäre, mich todesmutig vielleicht sogar etwas mehr anzulehnen als beim letzten Mal.
So bringt er mich zur Tankstelle und erklärt sich sogar bereit, mit mir auf meinen Vater zu warten, der gerade auftaucht, als der Raucher und der Pinguin, die noch schnell tanken wollten, uns erzählen, dass das Festival ein einziges Desaster werden wird, weil wir so wenig Erfahrung mit derartigen Veranstaltungen haben.
Auf der Heimfahrt folgen fünfzehn Minuten Schweigen, dann der Hinweis, dass ich ganz schön tief gesunken sei, wenn ich mich mit "den Asozialen da" abgeben würde.
Ich äußere den Verdacht, dass es sich bei zwei der "Asozialen" um vermutliche Freunde handelt.
"Außerdem bin ich genauso schlimm."
-"Da hast du wohl recht."
Zuhause das übliche Gezetere der Vatersfreundin, was mir eigentlich einfalle, meinen Vater so reinzustressen wegen dem Fahren.
Verzichte auf den Hinweis, dass nicht ich die Person war, die 20 Uhr festgemacht hat, fliehe möglichst bald in mein Zimmer und freue mich über die Musik, die der Fremde auf meinen mp3-Player übertragen hat und die dafür sorgt, dass mir das menschliche Gewitter vor meiner Zimmertür egal ist.
...und festgestellt, dass wir zwar wieder Kaltwasser und sogar eine provisorische Duschmöglichkeit haben, dafür aber jetzt das Wasser im anderen Raum abgestellt ist und somit die Waschmaschine nicht mehr läuft.
Was besonders aufgrund der Tatsache, dass der Großteil meiner Festivalklamotten vorher gewaschen werden müsste und wir am Donnerstag früh losfahren eher unpraktisch ist.
"Wieso schaut die Kassiererin so komisch? Nur, weil wir fünf 5l-Kanister Wasser, zwei Paletten Dosenbier/Radler/Biermischgetränk, zwei Tetrapacks Wein und eine Probiergröße Prinzessin Lillifee-Shampoo kaufen?"
...der Fremdenschwester spontan die Haare getönt..
Türklopfen.
"Sorry, wenn ich gerade störe, aber einer von euch hilft mir jetzt bitte beim Haaretönen, ich brauche da tatkräftige und auch seelische Unterstützung.."
-"Aber du hast dir doch noch nie irgendwas an den Haaren gemacht, außer schneiden, wieso..."
"Ruhe, Bruder. Mayhem, komm mit, du machst das jetzt!"
Fünfunddreißig Minuten später. Fassungsloser Blick der Fremdenschwester in den Spiegel, dann taucht da auf einmal ein Lächeln in ihrem Gesicht auf, das schnell zu einem Grinsen wird.
Die zwei Schritte über den winzigen Hausflur bis zum Zimmer ihres Bruder scheint sie zu schweben, ruft ein breit grinsendes "Ich hab mich getraut, und es sieht gut aus!" zu ihm rein und schwebt weiter zu ihrer Mutter in die Küche. Die findet, dass ich das gut hinbekommen habe, auch wegen Einwirkzeit ändern undso, und dass ich, davon abgesehen, ruhig öfter vorbeikommen könnte; ihr persönlich sei ich lieber als die Ghettoschwester, die am Samstagabend zum wiederholten Mal in der Wohnung gekotzt habe.
Schwebe zurück ins Zimmer des Fremden, lasse mich die nächste halbe Stunde mit seiner Musik beschallen und befinde, dass seine Mutter eine sehr sympathische Frau ist.
..ein Testberatungsgespräch geführt...
Verschüchtertes Schweigen, nicht direkt total unangenehm, aber trotzdem...
Er kann sich wenigstens an seiner Gitarre festhalten, ein wenig. Dann springt er auf, holt seinen Aktenordner und fragt, ob er ein Testberatungsgespräch mit mir führen darf. Einerseits, damit ich mir besser vorstellen kann, was er so auf der Arbeit macht, andererseits, damit er das üben könne. "Natürlich nur, wenn du auch willst. Aber ich fände das echt nett von dir, ich glaube nämlich, dass du gut beurteilen kannst, was ok war und was schlecht, und wie das bei einem echten Kunden ankommen würde, und dass du das auch ehrlich sagst."
Also lasse ich mich testberaten. Und er gibt sich richtig Mühe, den auswendig gelernten Phrasen, die ihm sein Ausbilder beigebracht hat, Leben einzuhauchen, auch, wenn man trotzdem noch merkt, dass es Standardschemata und -sätze sind, an denen er sich da festhält, aber vielleicht muss das auch so sein.
Sage ihm das und ermutige ihn, spontan zu sein, auch, wenn man dann das Gefühl hat, den Halt in der Konversation zu verlieren.
Komme mir doof vor bei der Aussage, aber dann meint er, dass er das schön von mir findet. Dass ich so ehrlich bin, und dass ich das verstehe, mit dem Halt verlieren.
Er lächelt mich an.
Ich lächle zurück.
Sekundenbruchteil, dann synchrones Wegschauen.
Schüchtern sein ist manchmal unpraktisch.
...keinen Film, aber mal wieder die familiäre Idylle gesehen..
Den Vorschlag des Fremden, einen Film zu gucken, muss ich abwehren, weil Papa Mayhem findet, 21 Uhr sei eindeutig zu spät, um noch in die Kleinstadt zu fahren und mich abzuholen.
Schade, ich hätte den Film gerne gesehen. Zum einen, weil der Fremde, abgesehen von einer Vorliebe für Horrorfilme, die ich nicht teile, einen ziemlich interessanten Filmgeschmack hat, der meinem nicht unähnlich ist, zum anderen, weil das ein Grund gewesen wäre, mich todesmutig vielleicht sogar etwas mehr anzulehnen als beim letzten Mal.
So bringt er mich zur Tankstelle und erklärt sich sogar bereit, mit mir auf meinen Vater zu warten, der gerade auftaucht, als der Raucher und der Pinguin, die noch schnell tanken wollten, uns erzählen, dass das Festival ein einziges Desaster werden wird, weil wir so wenig Erfahrung mit derartigen Veranstaltungen haben.
Auf der Heimfahrt folgen fünfzehn Minuten Schweigen, dann der Hinweis, dass ich ganz schön tief gesunken sei, wenn ich mich mit "den Asozialen da" abgeben würde.
Ich äußere den Verdacht, dass es sich bei zwei der "Asozialen" um vermutliche Freunde handelt.
"Außerdem bin ich genauso schlimm."
-"Da hast du wohl recht."
Zuhause das übliche Gezetere der Vatersfreundin, was mir eigentlich einfalle, meinen Vater so reinzustressen wegen dem Fahren.
Verzichte auf den Hinweis, dass nicht ich die Person war, die 20 Uhr festgemacht hat, fliehe möglichst bald in mein Zimmer und freue mich über die Musik, die der Fremde auf meinen mp3-Player übertragen hat und die dafür sorgt, dass mir das menschliche Gewitter vor meiner Zimmertür egal ist.
...und festgestellt, dass wir zwar wieder Kaltwasser und sogar eine provisorische Duschmöglichkeit haben, dafür aber jetzt das Wasser im anderen Raum abgestellt ist und somit die Waschmaschine nicht mehr läuft.
Was besonders aufgrund der Tatsache, dass der Großteil meiner Festivalklamotten vorher gewaschen werden müsste und wir am Donnerstag früh losfahren eher unpraktisch ist.
Thema: oh happy day.
Heute.
Da wird Fortschritt sein, positiver Fortschritt, irgendwie.
Ab heute.
Ich glaube daran, als ich zum Bahnhof laufe, während ich mich dafür verfluche, keinen Hut mitgenommen zu haben,
Ich glaube daran, als der Fremde, der meinen Anruf nicht mitbekommen hat, 20 Minuten nach meiner Ankunft mit dem Musiker, mit dem er später noch für einen Auftritt Lieder von Coldplay probt, am Zielbahnhof auftaucht, um mich einzusammeln, und sich damit entschuldigt, das Handyklingeln nicht gehört zu haben, weil er mit der Ghettoschwester telefoniert habe.
Ich glaube daran, als ich erfahre, dass wir nach unserer Festivallagebesprechung mit der in Hamburg weilenden Ms Golightly zum Raucher gehen, und auch dann noch, als der am Telefon von "wir warten" spricht und nicht im Singular.
Fremde Menschen, zu viele Menschen vor allem...
Dranbleiben. Der Kumpel hat gesagt, ich soll dranbleiben, also bleibe ich dran, am Fremden, und sage meinen Ängsten, dass ich jetzt keine Zeit für sie habe, ganz einfach.
Beim Raucher diskutiere ich mit dem Klischeeblackmetaler über seine Ansichten, die einfach keine sind, und Anschauungen, für die er keine Argumente hat, denn entgegen dem "Ich merke zwar, dass der Kerl dich innerlich total aufregt, aber es bringt nichts, mit ihm zu diskutieren, ehrlich" des Fremden habe ich, nachdem mein Geduldsfaden nicht nur gerissen, sondern praktisch in die Luft gesprengt wurde, das Wort und nebenher die fünfte Bierdose des Fremden ergriffen und, angefeuert vom Raucher, gegendiskutiert.
Und der KBM erzählt da so, er würde ja Cannabis legalisieren und dafür Alkohol verbieten, der sei eh schädlicher, davon abgesehen gehörten Ausländer und Behinderte seiner Meinung nach sowieso um die Ecke gebracht oder zumindest abgeschoben und Christen sind doch eh alle scheiße. Aber nee, begründen könne er seinen Standpunkt jetzt nicht..
Der Raucher, der solche Situationen wohl schon zu Genüge kannte, lachte zusammen mit dem Bruder der Altesachefreundin über die Stammtischargumentation des KBMs, während der Musiker irgendwann aufstand, in den Garten flüchtete und dabei schrie "Zerstören! Ich muss etwas zerstören, sonst zerstört meine Wut mich!".
Der Fremde saß mir inzwischen gegenüber, weil ich mich nach einer Runde kollektivem Headbangen (einfach, weil es in dem Moment lustig war) vorm Gartenzaun der Nachbarn als eine der Ersten wieder hingesetzt hatte, worin der Raucher seine Chance gesehen und sich kurzentschlossen neben mich gepflanzt hatte, und verfolgte die Diskussion.
Dann Handyklingeln, diesmal keines der Groupies, sondern die Ghettoschwester.
Ohne den Blick von uns abzuwenden, geht er kurz ran, sie redet, er liefert Lagebericht.
Dann der Satz des Jahres: "Ruf später nochmal an, Ghettoschwester, ich finde das gerade echt interessant."
Breit grinsende Flugsaurierschmetterlinge in meinem Bauch.
Dranbleiben. Nobody said it was easy, aber ich schaffe das.
Und tatsächlich sagt er später, als wir um 4.50 einen Otto-Film schauen und ich wieder vergeblich versuche, eine bequeme Liegeposition auf dem Sofa zu finden, dass ich meinen Kopf auch an seiner Schulter ablegen kann.
Die Schmetterlinge im Bauch fallen in Ohnmacht und rein emotional bin ich am Hyperventilieren wie Groupies auf einem Tokio Hotel-Konzert, aber das Leben ist kein Boybandauftritt, deshalb spare ich mir das Hyperventilieren, rutsche ein Stück näher und nutze seine Schulter als gar nicht mal unbequeme Zusatzliege.
Effektiv sehe ich genauso schlecht wie vorher, aber ich bin in dem Moment vermutlich sowieso unzurechnungsfähig und mein Verstand hat sich aufgelöst in völlig durchgeknallt rumfliegende Flugsaurierschmetterlinge.
Sie beruhigen sich, als wir schlafen gehen, und liegen wieder friedlich und positivgefühlumgeben auf ihren Plätzen, als ich allen Mut, den ich nicht habe, zusammenkratze und meinen Kopf wieder auf der Schulter des diesmal nur halb von mir weggedrehten Fremden ablege. Die Unsicherheit bringt mich dazu, darauf hinzuweisen, dass ich mir auch eine andere Schlafposition suchen könne, aber er meint, das passt schon so, also bleibe ich so liegen, höre auf seinen Atem, der bald ruhiger wird, atme leichten Männerparfumduft und bin überwältigt vor lauter Positivgefühl.
Ich schlafe trotzdem nicht, einerseits, weil sein Rolladen immer noch kaputt ist und wir erst um 7 Uhr endgültig beschließen, einzuschlafen, andererseits, weil er immer wieder besorgniserregende Atempausen einlegt, um sich anschließend total zu verkrampfen, manchmal auch noch die Augen aufzureißen, sich dann anders hinzulegen und wieder ruhig weiter zu schlafen. Traue mich nicht, ihn zu wecken, weiß aber auch nicht, was ich sonst machen soll. Somit wieder eine Nacht,in der ich nicht schlafe..
Außerdem ist da noch die Tatsache, dass ich massivst geflasht bin, und in meinem Kopf läuft wieder Wings von Frittenbude.
Es läuft auch noch, als wir am nächsten Tag vom Raucher geweckt werden, der mit uns ins Restaurant zum goldenen M will, wo wir noch den Schlagzeuger treffen, und selbst, als wir zurückkommen und die Fremdenschwester völlig apathisch auf dem Sofa vorfinden, ist es noch ein wenig da, auch, wenn sie in den Vordergrund rückt.
"Was ist denn los?" Der Fremde steht etwas unbeholfen daneben und wirkt so, als fühle er sich von der Gesamtsituation berechtigteweise etwas überlastet.
-"Bin jetzt wieder Single. Nach 3 Jahren, einfach so."
Am Vorabend hatten sie und ich uns unterhalten, sie wollte Essen gehen mit ihrem Freund, eventuell würden sie auch noch beim Raucher vorbeikommen, meinte sie.
Vermutlich mindestens so unbeholfen wie der Fremde setze ich mich neben sie und lege meine Hand auf ihre.
Sie schaut mich an aus ihren großen Augen, und dann fängt sie an, zu weinen, einfach so, und kann gar nicht mehr aufhören, bis ihr Bruder mit drei Tafeln Schokolade, einem Nintendo 64 und einem Plüschaffen zurückommt, die Schokolade und die Konsole mit einem "Ich glaube, das brauchst du jetzt" auf den Sessel wirft und anschließend nahtlos und mit Stofftier zur Gruppenumarmung übergeht.
"Du bist so ein bekloppter Spinner!"
-"Aber du lachst wieder, also habe ich mein Ziel erreicht."
Er hängt ein pseudoböses Lachen an und motiviert sie anschließend, indem er den Affen spechen lässt, dazu, irgendwelche quietschebunten Videospiele mit uns durchzuspielen, wobei alleine die Tatsache, dass ich nur PC-Spiele und selbst davon nicht viele kenne, oft genug Anlass zur Schadenfreude gibt.
Was natürlich alles von mir geplant ist und nicht etwa an meinem Unwissen oder meiner Talentfreiheit liegt...
Irgendwann folgt ein Kartenspiel, und noch eines, dann weint sie sich wieder ein bisschen aus und wir hören Soap&Skin, bis ich beschließe, dass jetzt genug geweint wurde und zu Crucified Barbara übergehe.
Dann verkündet der Fremde, dass er noch auf einer Geburtstagsfeier eingeladen ist und beschließt, mich nicht zum Bahnhof, sondern heim zu fahren, sodass er die Ghettoschwester mit zu der Party nehmen kann.
Stelle fest, dass ihr Name für mich ein rotes Tuch ist und ermahne mich, ruhig zu bleiben; es gibt viel realere Feinde in Form der Groupiebande, die wohl auch auf der Geburtstagsfeier anwesend sein wird.
Und eigentlich kam ich mir aufdringlich vor, dass ich bei ihm übernachtet und mich ansatzweise angenähert habe, aber er hat gesagt, dass es ihn nicht stört, und es beim Filmgucken sogar vorgeschlagen, also passt das schon so.
Und egal, worüber sich die Vatersfreundin heute noch aufregt, ob Papa Mayhem mal wieder beweist, wie egal ich bin,
ob die Unsicherheit jetzt riesig groß ist, weil da ab heute morgen wieder mehr Distanz war, oder auch nicht,
Ich weigere mich jetzt, negativ zu denken, und freue mich. Kompromisslos, völlig bekloppt und an den Schmerzen meiner Verliebtheit fast zugrunde gehend halte ich mich fest an dem Gefühl, an der Schulter des Fremden zu liegen, und versuche, auch mein Unterbewusstsein davon zu überzeugen, das alles gut wird.
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Eintragstitel und entsprechendes Zitat aus The Scientist von Coldplay