Mittwoch, 16. Januar 2013
Thema: monolog
Wir fassen uns an den Händen, nein wir lassen nicht los...
Dass Schwule keine richtigen Menschen wären, hat er gesagt.
Dass jeder "rechtes Gedankengut" in sich trägt, hat er gesagt.
Dass er sich an Fasching wieder mal richtig vollaufen lassen wird, hat er gesagt.
Dass das eben dazugehört, hat er gesagt.
Dass Lesben fast so schlimm sind wie Vegetarier, hat er gesagt.
Dass ich ihm wichtig bin, hat er gesagt. Dass ich toll bin.

Er ist dauerangepisst und auf Distanz gegangen, um meine überraschend-luftabschürend intensive Herzschmerzwand damit zu durchbrechen, mir zu erklären, dass es nicht an mir liegt, sondern daran, dass wir so wenig Zeit zu zweit verbracht haben die letzen Wochen.
Darum der Beschluss, sich den Freitag freizuhalten, dann: er möchte mich zum Essen einladen.
Als ich mich wegen Rückenproblemen nichtmal richtig aus dem Bett bewegen konnte, er Urlaub hatte und alles, was ich brauchte, (m)eine Wärmflasche war, war er beim Pinguin, zocken, und konnte sie deshalb leider nicht vorbeibringen.
Als ich zum von ihm erbetenen Termin angerufen habe, der einzige Tag in der Woche, an dem wir uns gehört hätten, wurde ich auf unbestimmte Zeit vertröstet, der Pinguin war gerade da.
Als die Kombination Schlafmangel-Ibuprofen Halluzinationen verursacht hat und ich, weil niemand erreichbar war und ich Angst hatte, ihn angerufen habe, wurde ich noch im ersten Satz abgewürgt und im Hintergrund hörte man den Pinguin über mich lästern.
Als wir übers Schwimmen lernen gesprochen haben, meinte er, man könne ja mal mit dem Pinguin ins Schwimmbad gehen, der habe sowieso noch Gutscheine.

Mein Hirn stellt mir gegenüber fest, dass ich bei jedem anderen Kerl, der sich so verhält und so eine Einstellung hat, wie es beim Raucher anscheinend der Fall ist, schon längst das Weite gesucht hätte, und mein Gewissen nennt mich inkonsequent.

Warum mir das nicht früher aufgefallen ist, frage ich mich. Warum er es die ganze Zeit so gut versteckt hat und so schmerzerregend ... passend war.
Warum er mir trotzdem so wichtig ist.


..doch wir bleiben nicht stehn
Dass er jetzt eine Freundin hat, erzählt er, ganz stolz.
Dass sie ja auch mit aufs Festival gehen könnte, findet er.
Dass ich mich bestimmt gut mit ihr verstehen werde, meint er.
Dass sie so viel gemeinsam haben, glaubt er.

Dass sie eigentlich kein Bier trinkt und keine laute Musik mag, weiß ich.
Dass sie deswegen dauergelangweilt mit dem Handy online ist, wenn sich auf der Bühne Leute die Seele aus dem Leib prügeln und das Publikum Weltschmerz auf die Bühne wirft.
Dass sie sich wegen ihm die Haare dunkler gefärbt und anstelle eines Besuches beim schwedischen Modehändler beim Onlinehalbmainstreammetalmailorder bestellt hat, hat sie erzählt.
Dass sie Metal eigentlich scheiße findet, und die Texte der besten Band der Kleinstadt sie verwirren, hat sie mir anvertraut.

Der Fremde ist mit dem braungefärbten Fangirlie zusammen, inzwischen ist sie sogar volljährig, und als er sich mit ihr an unseren Tisch setzen und diesen Anlass feiern wollte, habe ich mir die Sadistin unter den Arm geklemmt und bin mit ihr rauchen gegangen, und wissen Sie was, meine Welt steht immernoch, das große Erdbeben blieb aus, ich bin immer noch hier.
Ich hab schon schlimmeres mitgemacht.


so viele Farben, kennst du die Stadt schon?
Und ihren Hafen
Die leeren Straßen?
Ohne die Menschen ist sie ertragbar..

Dass er nach dem Tod seiner Mutter so viel gelaufen ist, dass sein Ruhepuls unter 40 war und seine eine Herzklappe nicht mehr richtig geschlossen hat, weil die Blutpumpe zu groß geworden ist, hat er geschrieben.
Dass Leben sinnloses Leiden ist, hat er geschrieben.
Dass er alleine ist, das aber eigentlich auch schon immer war, hat er geschrieben. Dass das schon so passt.
Dass er nicht weiß, wofür das Ganze, hat er geschrieben.
Dass er die Todestage so fröhlich wie möglich verbringen will und deswegen auch schonmal den seiner Schwester vergessen hat, hat er geschrieben.
Dass sein sozialer Kontakt sich auf die Mittagspausen mit der Azubine beschränkt, die 30 Jahre jünger, aber sehr nett ist, hat er geschrieben.
Dass er oft traurig ist, hat er geschrieben

aber will es auch nicht ändern. Oder kann es nicht.
Der Patenonkel ist kein Kämpfer, sondern konventionell-verzweifelter Weitermacher. Und ein Einzelgänger, schon immer gewesen, zwischenmenschlich irgendwie unfähig, die dicke Glaswand um einen rum. Man selbst drin und die anderen Lebensformen draußen.
Kennt man.
Zu oft Grund des Scheiterns.


Aber manchmal, da muss man sich eben zusammenreißen und das tun, was wichtig ist.


da hinten geht der richtige Zeitpunkt,
dort drüben fährt unsere letzte Chance.
Da vorne fällt die größte Lüge,
dort oben sitzt er auf seiner Wolke und lacht


Deswegen ist der einzige Faschingsumzug, dem ich beiwohne, der, bei dem ich Sanitätsdienst habe, und wenn der Raucher auf große Sauftour gehen will, dann ist das eben so;
deswegen werde ich in nächster Zeit kein Konzert der besten Band der Kleinstadt mehr besuchen, eineinhalb von drei Bandmitgliedern kann ich zur Zeit nämlich nicht in meiner Nähe ertragen, ohne kotzen oder weinen zu müssen.

Kurzerhand habe ich beschlossen, das einzig Vernünftige zu tun, den Dienst angenommen, den finalen Versuch, die übliche Truppe wieder zusammenzutrommeln, gestartet, die Vatersfreundin so laut angeschrien, dass mein Pfeif-und-Tinnitus-Ohr danach zwei Tage lang beleidigt war, den literarischen Grundstein für eine längere Geschichte (hooray for fantasy, man will ja nicht aus der Übung kommen) gelegt, mich von der roten Haarfarbe verabschiedet und der alten Sache geschrieben.

Kein deplatziertes Rumstehen beim betrunkenen Raucher und dem schlecht verkleideten Pinguin, dafür Antifasching in der Absteige, mit der üblichen Truppe.
Da muss er durch, ist alt genug.
Mal wieder "gemeinsames" Rauchen mit Faust, Sternegucken mit der alten Sache (er hat es vorgeschlagen und versprochen), ein Glas Wein mit Mr.Gaunt (er ist es mir noch schuldig und vielleicht bin ich mutig genug, ihn darauf anzusprechen), danach unfähig-taktloses Tanzen mit eben jenem (ich schulde es ihm und vielleicht ist er nüchtern genug, sich daran zu erinnern) und ginge das so einfach, ich würde sofort zu Ferienbeginn nach Prag fahren.

Das Mayhemmobil läuft so gut, man könnte fast glauben, es sei vollständig regeneriert, und ich habe zwar immer noch nicht die Bücher meiner Mutter, oder das Hometrainerdings, das sie nie benutzt hat, oder den großen Gymnastikball zum draufsitzen, den ich laut Ärztin für meinen Rücken bräuchte, dafür aber die Sparbücher, die für mich angelegt wurden, damals.


Nachdem ich auf Euro umschreiben und alle Zinsen eintragen lassen habe, habe ich die Reparaturen fürs Mayhemmobil wieder drin und außerdem 600 Euro mehr als eigentlich gedacht, was bedeutet, dass die Welt zumindest auf finanzieller Ebene nicht mehr ganz so akut untergeht.

Den Rest versuche ich zu ignorieren, an die Wand zu werfen, irgendsowas.
Fordere mein Recht ein, glücklich zu sein.
Auch, wenn der Mensch, der so irgendwie an meiner Seite ist, auf einmal ins komplette Gegenteil umschlägt, jetzt, wo ich mich daran gewöhnt habe.
Und mich einengen will, und einfangen, jetzt, wo ich Mr. Gaunt nicht mehr aus meinem Kopf kriege.
Und ich zu feige bin, es einfach zu lassen und ihn in den Wind zu schießen, weil er eben doch irgendwas bedeutet.

Vermutlich bin ich die größte Spinnerin von allen.




Samstag, 5. Januar 2013



So ein innerer Zersetzungsprozess kann etwas faszinierendes haben; ebenso faszinierend die Tatsache, dass meine Lebensstabilität in genau dem selben Flecken wurzelt.
Ich habe ja schon immer zu Extremen geneigt.

Ansonsten, nachträglich Frohes Neues, Sie sehen, ich bin immer noch hier.




Samstag, 29. Dezember 2012
Thema: monolog
Absteige, wie habe ich dich vermisst.
Mit meinem Einlassbändchen kaufe ich mir ein Stück Selbstsicherheit für den Abend, so viel, dass ich alle Versuche des Fremden, Blickkontakt aufzunehmen, ignoriere, seinen Versuch, mich zu umarmen, abwehre, sein leicht angetrunkenes "Hey, lange nicht mehr gesehen, erstmal frohe Weihnachten!" eiskalt ignoriere und ihn frage, ob er den Raucher schon irgendwo gesichtet hat.
"Der ist gerade backstage, glaube ich..." Er irgendwas zwischen verdutzt und verletzt und gerade tut mir das nur ein bisschen weh,

so, wie es auch nur ein bisschen weh tut, als er vor der Bühne mosht, als gäbe es kein morgen mehr, während sie daneben steht und ihren Blick erst vom Smartphonedisplay hebt, als die nächste Band die Bühne betritt und die Sängerin ganz furchtbar schlecht Katy Perry covert.
Wenn ihm das lieber ist, denke ich mir, bin erstaunt darüber, dass es keine Herzexplosion auslöst und mache mich auf den Weg in die Bar, um mich zu feiern, wobei mir auf halber Strecke einfällt, dass ich Bier nicht mehr so gerne trinke, Wein irgendwie technisch unpraktisch ist, Cola mich wieder so furchtbar müde macht und Wasser gerade zu fade schmeckt.
Mein Problem löst sich sehr schnell, als mich der Mischpultmann erkennt und mir Malibu-Spirte ausgeben will.
"Hammwa nich", spuckt die Thekenfrau aus spitzen Lippen in unsere Richtung.
-"Malibu Kirsch?", fragt der Mischpultmann, der die relativ eingeschränkte Auswahl an Getränken, die ich als "getestet und für sicher befunden" einstufe, auswendig kann.
"Hammwa auch nich mehr."
-"Touchdown?" Zunehmende Frustration seinerseits, weil seine Chancen, mich abzufüllen, immer weiter sinken, und zunehmende Aggression meinerseits, weil mich immer noch niemand gefragt hat, ob ich überhaupt was spendiert haben will.
"Neee du."
-"Sag mal Jeanette, willst du mich verarschen?"
Die Thekenjeanette lacht.
"Cuba Libre, bitte?", erkundige ich mich.
"Kommt sofort", grinst sie.

Mit meinem Einlassbändchen habe ich mir ein Stück Melancholie gekauft, drei Bands spielen heute , teilweise in Urbesetzung, zum letzten Mal und geben dem Abend damit einen erinnerungsüberladenen Verlustanstrich, den auch das eigentliche Programm, das unter dem Motto "cover your favorite Band" steht, nicht so recht ausgleichen kann.
Bandtod bleibt Bandtod, auch, wenn ihr letztes Lied "Barbie Girl" heißt.
Und neben Bier, langen Haaren und zwischendurch auch Unterwäsche fliegen vor allem Erinnerungsfetzen durch die Luft, denn da wird nicht nur Barbie Girl gequietscht, sondern auch Auf gute Freunde gegröhlt, zwischendurch steht die alte Sache höchstpersönlich auf der Bühne und der Raucher hinter mir startet einen unsicheren Versuch, seine Arme um mich zu legen, den er aber wieder abbricht, als er merkt, dass Umarmungen gerade nicht gesund sind.
Kurzes Handdrücken ist aber nicht nur ok, sondern fühlt sich richtig an, und ich sage mir, dass ich rücksichtslos und übertrieben kompliziert, und ihm, dass ich bekloppt und viel zu seltsam bin, und er sagt, das passt schon so.

Mit meinem Einlassbändchen habe ich mir auch ein Stück Gelassenheit gekauft, und so lasse ich die ungläubig-herablassenden Blicke, die folgen, als ich auf ein bewusst provozierenwollendes "Also MICH an deiner Stelle würde es stören, wenn der Raucher so intensiv mit anderen Frauen flirtet" ganz neutral und sachlich "Wir sind nicht im klassischen Sinn zusammen" erwidere, völlig gleichgültig an mir abprallen.
Mein Glas ist erst halb leer, das Leben nicht schön, aber stabil neutral, es reicht, um anderen nicht den Abend zu versauen.
Die Feindin ist keine richtige Freundin mehr, aber man mag sich eben aus Höflichkeit, also begrüße ich sie und ihren Freund, bin dann aber doch wieder bei ihr und der Nachbarin, manchmal reicht es auch, um sich alleine vor die Bühne zu stellen, wenn die Musik gut ist, und wenn er nicht gerade spielt, bin ich beim Raucher und werde einer derart riesigen Menge fremder Menschen vorgestellt, dass mir der Kopf schwirrt vor lauter neuen Namen.

Und dann ist Mr. Gaunt neben mir.
Mein Glas wurde inzwischen von der Feindin geleert und der Raucher hilft gerade der Thekenjeanette, den nicht enden wollenden Ansturm minderjähriger Falschausweisbesitzer irgendwie unter Kontrolle zu bekommen, während ich mich eigentlich nur hier vorne geparkt habe, um bei Bedarf schnell wiedergefunden zu werden (bei den von mir bevorzugten Musikrichtungen ist die Frauenquote unter den Fans erfahrungsgemäß zumindest in unserer Gegend ziemlich niedrig) und mich wesentlich lieber in einer Ecke verkrochen hätte, zu viele fremde Menschen, beginnende Unsicherheit trotz Absteigenkonzert.
Aber das ist jetzt egal, überhaupt ist gerade relativ viel egal, sogar der Bekloppte mit der Theo-Waigel-Gedächtnisaugenbraue, der seine fettigen Haare beständig in unrhythmischen Dauerpropellerschleudergängen gegen mich flatscht, ist jetzt egal, und die doof guckenden Fangirlies, die abgefüllt auf ihren Hockern hocken, sind es erst recht.
"Hey mayhem."
"Hey Mr. Gaunt."
"Wär ich nicht so betrunken, ich würde sofort wieder mit dir Walzer tanzen."
"Aber die covern gerade Cannibal Corpse."
"Eben deshalb ja."
Dann wird er vom Mischpultmann um die viel zu dünne Taille gepackt und Richtung Backstagebereich geschleift, anscheinend muss er als nächstes spielen.
Aber er grinst mich an, nicht komatös-alkoholisiert, sondern ehrlich, und hält Blickkontakt, bis er hinter dem eingesifften, ehemals dunkelblauen Vorhang verschwindet und mich nicht nur geflasht oder aus den Socken gepustet, sondern total umgeschmissen und konzeptlos zurücklässt.
Hach.

Nach ein paar vergeblichen Versuchen, mich innerlich wieder zu sortieren, spricht sie mich nicht direkt auf mein bis jetzt noch dezentes grenzdebiles Grinsen, aber auf Mr. Gaunt an. Ob ich ihn denn mögen würde. Und so.
"Das kann ich jetzt noch nicht sagen, glaube ich.." ...vor allem, weil deine Schwester die Löwin alias seine Exfreundin ist und gerade aussieht, als würde sie den richtigen Moment abwarten, um mich anzufallen und zu zerfleischen.
-"Ihr würdet aber schon gut zusammenpassen", findet sie.
"Ja, weil ihr beide total übersensible Heulsusen seid", mischt sich die Löwin ein und ihr Lachen klingt etwas zu brutal, um das Ganze komplett wie einen Witz erscheinen zu lassen.
"Woher kennst du denn Mr.Gaunt?", frage ich ganz unschuldig.
"Ich war mal mit dem zusammen, hab dann aber was besseres gefunden", antwortet sie knapp und fügt noch ein "war ja auch nicht weiter schwierig" hinzu.
-" Jetzt sei doch nicht so, jeder Mensch trägt etwas Gutes in sich". Sie, die ewig-naive Optimistin.
"Das einzig Gute in dem Kerl ist der Alkohol, den er reinkippt", knurrt die Löwin und zieht ab, um sich eine neue Flasche Bier zu holen.
"Lass dich nicht verunsichern", flüstert mir ihre Schwester aufmunternd zu, " sie will dich nur anfangs von ihm abbringen, weil es ihr Exfreund ist und er Schluss gemacht hat. Verletzter Stolz. Das ist aber nicht weiter dramatisch und geht vorbei".
Den Versuch, ihr zu erklären, ich brächte Mr. Gaunt absolutes Desinteresse entgegen, ersticke ich selbst im Keim, als mein Puls bei ihrem Hinweis, er habe gerade die Bühne betreten, innerhalb einer Millisekunde die magischen 180 passiert und meine Herzfrequenz in den Bereich "Jenseits von Gut und Böse" schießt.
Nicht mal schlecht als Musikbegeisterung getarnte Emotionseskalation, und als er fertig gespielt hat, geht er nicht zurück zum Gratisbier, sondern erst zu mir, und mein inzwischen vermutlich absolut beklopptes Grinsen wäre mir sowas von peinlich, wenn seines nicht genauso doof wäre.
"Hey mayhem."
"Hey Mr. Gaunt. Lange nicht mehr gesehen."
"Kommt mir vor wie Jahre."
"Zum Glück haben wir uns überhaupt noch erkannt."
"Das müssen wir auf jeden Fall feiern. Ich geh jetzt eine rauchen und danach lade ich dich auf ein Glas Wein ein."
Und er lächelt. Mich an. Auf diese Art und Weise.
Von irgendwoher kommt ein ganz winzigkleiner Schmetterling und flattert so in mir rum, endorphinverteilend, leicht desorientiert, aber unter Garantie grenzdebil grinsend.

Aus der kurzen Kippenpause wird eine halbe Stunde, in der meine Euphorie von der Verunsicherung zunächst angenagt, dann aber schließlich ganz aufgefressen wird.
Irgendwann denke ich mir aber, reiß dich zusammen, rutsche von meinem Barhocker, schreite zur Tat und in Richtung Ausgang und sage mir, zur Not könne ich immer noch behaupten, ich wäre auf der Suche nach Faust.

Draußen finde ich nicht Faust, aber dafür Mr.Gaunt.
In der einen Hand hält er tatsächlich eine Zigarette, in der anderen eine Flasche mit klarem, vermutlich hochprozentigen Inhalt, und an ihm dran klebt die Löwin, wahlweise wimpernklimpernd, haarsträhnendrehend, schmollmundziehend oder ihn zum Weitertrinken motivierend.
Ich verzichte darauf, zu ihm zu gehen und irgendwas zu sagen, stattdessen suche ich die Feindin alias meine Fahrgemeinschaft.
Irgendjemand hat den Schmetterling erschlagen, und das nicht etwa mit einer Fliegenklatsche oder einem Schuh, sondern mit sämtlichen Brockhausbänden auf einmal.

An dieser Stelle nochmals ein gepflegtes "Ach scheiße!".




Dienstag, 25. Dezember 2012
Wings - Frittenbude.

Und da sitze ich alleine in meiner Wohnung.
Kater Mayhem hat sich hinter den Kühlschrank verkrochen und weigert sich beständig, rauszukommen; weil ich Angst hatte, dass er eventuell festhängt, habe ich die Fußleiste komplett entfernt, um dann festzustellen, dass von ihm sowieso nur eine Pfote zu sehen ist, weil er den Restkörper so weit nach oben gequetscht hat, dass niemand an ihn rankommt.
Zwei Stunden später traut er sich raus, nachdem ich ihn dauerhaft mit Unspoken von Four Tet beschallt und außerdem ein Räucherstäbchen abgebrannt habe, das so reinhaut, dass man es als Quasi-Methadon für leichtere Drogen verkaufen könnte, und wühlt sich, eine staubige, nervöse Fellkugel, ganz tief in mein frisch bezogenes Bett, um beim ersten Geräusch aus den angrenzenden Wohnungen sofort unter den Kleiderschrank zu schießen und dort auch zu bleiben.

Das kleine Knäuel Überforderung unter dem Schrank und ich, wir sind immer noch ereignisschocksgelähmt.
Dass es tatsächlich geklappt hat.
Dass wir hier sind...
dass wir alleine sind.

Als ich meine letzten Sachen hole, sitzt Papa Mayhem vor dem Fernseher und sieht semi-zerstört aus, zeigt sich aber neutral-freundlich und trägt sogar seine leere Wasserflasche selbst in den Keller; etwas, das in 18 Jahren noch nie vorgekommen ist, wenn ich da war.
Ich verabschiede mich mit dem Hinweis, die Katzenstreu morgen mit zu nehmen und der Bitte, mich anzurufen, wenn er Opa Mayhem abholen möchte.

Dann gehe ich, aus dem Haus, weg von der Straße, zur nächsten, die Treppen hoch, und noch weiter, und noch weiter, und noch weiter, in die Wohnung, meine Wohnung, schließe hinter mir ab und erschrecke die Katze damit so sehr, dass sie sich den Kopf am Schrankboden stößt, und während mein Vater drüben vor seinem Fernseher sitzt und sich an mechanisch-geordnetem Pflichtreihenfolgenleben festzuhalten versucht, rolle ich mich auf dem Bett zusammen, meinem Bett, in der Dachschräge, so, wie ich es immer wollte, und weil sonst niemand zum festhalten da ist, halte ich mich an der Decke des Rauchers fest, die er hier gelassen hat, wickle mich ein, begrabe mich unter ihr und versuche, weiterzuexistieren.

Und ich existiere auch weiter, in diesem Haus, auf dem Bett zusammengerollt, unter der Dachschräge, versteckt unter der Decke des Rauchers
Während mein Vater Akten sortiert und Chips isst und Bier trinkt und fernsieht
mein Großvater im Heim vor sich hin vegetiert, am Mittwoch hat er zwar mich erkannt, aber Papa Mayhem nicht mehr,
die Vatersfreundin wieder mal den Kontakt zu ihm abgebrochen hat, tippe bezüglich des Eintritts des Krisenendes auf "noch heute Abend",
der Raucher bei seiner Familie sitzt, wie der Hut, die Nixe, die Blondinenfraktion,
und mein Pate irgendwo in der Tundra unterwegs ist, windumrauscht, schneesturmgepeitscht und fast taub, eigentlich bräuchte er zwei Hörgeräte, hat er geschrieben.
Dass er deshalb nicht mehr so gerne telefoniert, ich aber vorbeikommen kann, wenn ich will.
Ich weiß nicht, ob ich will.
Aber ich bemühe mich, Kontakt zu halten, Mailkontakt, weil er sich sonst schämen würde, wenn ich wegen ihm so schreien muss, und eigentlich ist das ganz gut so, Distanzkontakt.
Halbwegs gut verträglich, nicht zu persönlich.
Geregelt, geordnet, genügend Abstand.


Kater Mayhem kommt unter dem Schrank rausgekrochen und wühlt sich zu mir durch.
Ich ziehe uns beiden die Decke des Rauchers über den Kopf und wir halten Winterschlaf ohne Schlafen, Eiszeitaussitzen im Wachzustand.
Warten auf bessere Zeiten.




Gibt es Uruguay eigentlich noch? - Frittenbude

Wir schleppen
an den anderen, an uns, meine Möbel die Treppen hoch.
Schwer atmend, Aufzüge sind Luxus, und Luxus kann man sich nicht leisten, Schranktür um Schranktür, Lattenrostplanke, Bettbrett, immer so weiter.
Parallel putzen, mein Zimmer, das Bad meines Großvaters, die Küche. Der väterliche Anspruch, den Sauberkeitsgrad zu erreichen, der nie da war.
Irgendwann ist es dunkel und wir tragen immer noch, Wäschekörbe, Spiegel, Schminktisch. Erbstück und trotzdem nicht als mein Besitz anerkannt, die Restverwandschaft lauert.
Dann Regen, wir hören auf, ich hole die Instrumente rüber, das Katzenklo und die Futternäpfe, und ganz am Schluss trage ich die große, blaue Transportbox, aus der Kater Mayhems gelbe Augen nervös durch die Gegend zucken,während ich versuche, sein Teilzeitgefängnis möglichst ruhig zu halten und der Raucher als Absicherung nebenher läuft und versucht, uns ein bisschen von den ganzen Autos abzuschirmen und vom Jugendzentrum, an dem wir vorbeimüssen.

Kurzes Aufatmen und dann Pizzabestellen, am Wochenende bekommt man sonst nichts und ich habe beim Aufräumen genug Geld gefunden und habe oft genug die Endlostreppen niedergekämpft, um mir eine genehmigen zu können.
Die Erschöpftheit und das Geleistete streut Positivgefühlspuderzucker über die Gesamtsituation, und der Hut bestellt unser Essen, weil ich mich doch nicht traue, mit fremden Menschen zu telefonieren.
Positivgefühl plus Weltuntergang.
Der Hut und der Raucher Positivgefühl, die Nixe und ich Weltuntergang.
Um mich rotiert es, das Leben, und auf einmal ist es halb drei Uhr morgens, die Nixe musste schon nach Hause und hat sich vorher ausgeweint, der Hut schläft in meiner Gruselkammer und hat sich, während der Raucher die Nixe heimgefahren hat, bei mir über sie ausgeweint, und gerade bin ich dabei, mich auszuweinen, ganz leise, an der Brust des Rauchers, der tief und fest schläft, aber mich immerhin im Arm hält, während ich hin und her gerissen bin, weil ich das eigentlich gut finde, so ein bisschen, aber gerade irgendwie nicht und gleichzeitig doch.
Ich weiß nicht mehr weiter, sage ich zu ihm.
Ich weiß nicht, wie ich das alles schaffen soll.
Er schnorchelt kurz, ist genau so schlimm erkältet wie ich, da hilft die Tatsache, dass mein Boiler nicht funktioniert und die Heizung nur langsam warm wird, auch nicht gerade viel, und dann dreht er sich zu mir, sehr zerknautscht, weil sehr müde, und murmelt:"Alles wird gut." Versinkt einen Sekundenbruchteil später wieder in seinem unerschütterlichen Bärenwinterschlaf, wiederholt es aber vorher nochmal,
"Alles wird gut".

Muss ja.