Donnerstag, 21. November 2019
Experiment begonnen: Escitalopram weglassen.
Seit zwei Jahren frage ich mich, ob das Zeug überhaupt wirkt, und da ein anderes Medikament (Venlafaxin), das selbst in Höchstdosis absolut nichts angestellt hat - nichtmal Nebenwirkungen hatte ich, und die habe ich normalerweise immer- das auch vertragen hat, dachte ich mir so, Mensch, das probier ich mal aus.

Ausnahmegenehmigung fürs komplette Weglassen vom Neurologen erhalten, das Experiment falle gerade noch so in unseren Deal.
(Anm: der Deal besagt, dass ich innerhalb eines gewissen Rahmens freie Hand habe, solange ich ihn darüber informiere, was ich vor- oder gemacht habe, genau beobachte, was mein Körper und mein Hirn währenddessen anstellen, das Experiment generell verantwortungsbewusst durchführe, es ggf abbreche und dabei nichts gesundheits- oder lebensbedrohliches tue.
Eine Dosiserhöhung des Escitalporams hätte ich beispielsweise nicht einfach so testen dürfen, weil jenseits der meinigen das fröhliche Feld der Herzrhythmusstörungen erscheint.
Die Frage danach, ob ich mit den anderen Medikamenten Alkohol trinken darf, wurde dagegen mit dem Hinweis beantwortet, aus psychatrischer Sicht sei er aufgrund möglicher Auswirkungen auf meine emotionale Verfassung sowie Abhängigkeitsrisiken vorsichtig, aus rein medizinischer Sicht sei ein gewisses Maß verträglich, und da ich mit ihm offen und ehrlich bin und außerdem generell keine grob idiotische Scheiße baue, erteile er mir hiermit feierlich die Genehmigung zu einem halben bis ganzen Glas Wein am Wochenende - theoretisch ginge da vielleicht auch mehr, aber ich solle das bitte beobachten und vielleicht nicht gerade dann ausreizen, wenn ich in einer fremden Stadt unterwegs bin,keine Ahnung habe, wo ich schlafen werde, und meine Freunde verschollen sind)

Escitalopram abgesetzt, ca. zwei Tage nur bisschen komisch.

Ich jetzt so:
Schwindelgefühl, Übelkeit bei Belastung, reizbar wie sonstwas, Überlastungsgefühl, Geduldsfaden, welcher Geduldsfaden?
Dafür: keine Depressionstiefs, ich kann wieder weinen, auch vor Lachen, und bin wieder fähig, Gedanken-/Gefühlsüberschüsse auf's Papier oder die Leinwand zu bringen.
Internet sagt, Änderungen im Bereich sexueller Nahkampf möglich; da es in der Auswahl der freiwilligen Testobjekte niemanden gibt, der meine Übelkeit nicht noch schlimmer machen würde, stehen Erkenntnisse hierzu noch aus.
Anfangs gedacht, ich hätte nur 'ne Erkältung, deren restliche Symptome sich verzögern.

Ja nee, wohl doch nicht.


Katze: *schreit*

Ich: Alteeeer, ich habe dir Nahrung, frisches Wasser, ein sauberes Katzenklo, Beschäftigung, Kuscheln, raufen, in Ruhe gelassen werden und meine endlose Liebe angeboten, WAS ZUR HÖLLE WILLST DU NOCH?

Katze: Miau

Neuer Miitbewohner:Willst du n Stück Pizza?

Ich: NEIN, ICH BIN EH SCHON FETT UND DESHALB FÜHLE ICH MICH SCHLECHT UND DAS STRAHLE ICH AUS UND DESHALB KÖNNEN ANDERE FETTE MEINEN EX HEIRATEN WÄHREND ICH ZIMMERPFLANZEN SAMMLE! *schluchz*

Mitbewohner: Ok, das klingt jetzt vielleicht blöd, aber weil du sagst, dass Hormone manchmal komische Sachen machen....bist du vielleicht nicht erkältet, sondern bekommst bald deine Tage? Ich hab da nen mega Respekt davor, weil sich das so krass anhört mit Blut und Schmerzen und Hormone. Ich kann dir da als Mann wahrscheinlich nicht so helfen, aber ich muss eh einkaufen. Also, wenn du irgendwie was brauchst. Tampons, Gummibärchen, Wein, Handgranate, Panzertape, Müllsack, Schaufel...

Ich: Meine Tage?

Mitbewohner: Ja, also, jetzt nicht als Unterstellung! Aber weil du so ein Nervenbündel bist. Und das ist bestimmt fies, wenn du dann auch noch Grippe hast.

Ich: Grippe? Erkältung?

Mitbewohner: Ja weil du gemeint hast, du kriegst wohl ne Erkältung.

Ich: Achsoooo! Ja, nee. Dachte, ich wär' erkältet, eben weil Wattehirn und Erschöpfung. Internet sagt, ich hab entweder was lebensgefährliches oder bin ein Vampir geworden. Ist aber wahrscheinlich doch nur der Entzug :)

Mitbewohner: Achso. Ja. Ähm. Machst du das öfter?

Ich: Beschissene Ideen haben und mir alles viel zu schwer machen?

Mitbewohner: Nee, ähm, Entzug.

Ich: Hm, nee, mit mir selbst eigentlich nicht.

Mitbewohner: Weiß das dein Arzt? Also, einer von den drei?

Ich: Jo, der kennt mich schon.

Mitbewohner: Ah, ok. Und der, also, der weiß, was er macht?

Ich: HAST DU GERADE MEINEN NEUROLOGEN BELEIDIGT, KURWA?




Hach, ich liebe wissenschaftliche Experimente.


Anm: Ich habe kein Problem damit, das Experiment als gescheitert zu betrachten und nochmal zwecks Ausschleichen zum Arzt zu gehen, sofern nicht sehr zeitnah grippaler Infekt und Menstruation über mich herein brechen, um das ganze zu erklären.
Gehe aber davon aus, dass das Absetzen zumindest eine Rolle spielt - fast 3 Tage war nichts, jetzt eben das, was ich als generelle Entzugssymptome einordnen würde.
Die antidepressive Wirkung meines Antidepressivums habe ich, wie bereits geschrieben, schon recht lange angezweifelt, der Neurologe an sich auch, wollte da aber nichts ändern, solange wir an den anderen Medis schrauben (nachvollziehbar),was wir auch soweit erfolgreich erledigt haben; er war dann zwischendurch eine ganze Weile krank, und so hat sich das verschleppt.
Zuvor mit meiner Therapeutin drüber geredet, die meinte, es kann schon sein, dass das Antidepressivum bei mir nichts macht, gerade, wenn ich Medikamente generell so komisch verstoffwechsle - und weil ich ihrer Meinung nach halt auch nicht depressiv bin, sondern diejenigen meiner Symtpome, die dazu passen würden, eigentlich wo anders her kommen und zuhause sind (stimme ihr zu).


So, jetzt habe ich darüber gelacht, wie seltsam es mir gerade geht und, ein erleichtertes Lachen, dass ich es mir gerade fast komplett ohne schlechtes Gewissen erlaube, nicht klar zu kommen.
Dann hab ich mich wieder wahllos anspannungs-aufgeregt, wie es zu Zeiten ohne ADHS-Medikation und Coping Skills war, oder in tiefster Pubertät.
Wobei, da war ich eigentlich hauptsächlich traurig, oder leer, oder unglücklich verliebt in Menschentypen, die ich inzwischen erfolgreich meiden kann.


Stelle fest, ich kann endlich wieder entlastungsschreiben, innere Monologe/Gedankenströme auf's analoge oder virtuelle Papier bringen - eine meiner konstruktivsten Bewältigungsstrageien funktioniert wieder!
Es fühlt sich zwar nicht direkt schön an, das sich-rein-schreiben, aber es ist sowas von notwendig, ein Ventil zu haben.

Bin also wieder öfter hier, schreibe wieder Endlostexte, für die ich mich dann vielleicht schäme, und die ich, noch vielleicht-er, in ein paar Jahren lesen und mir denken werde, Mensch, eigentlich warst du schon ziemlich cool.

Und jetzt mach ich mir Essen oder bestelle vielleicht zum zweiten Mal diese Woche was, von meinem Studienkredit-Geld bezahlt, obwohl Essen bestellen nicht lebensnotwendig ist und ich deswegen ein schlechtes Gewissen haben und mich dekadent, verzogen und faul fühlen werde.
Oder auch nicht, wenn ich es niederringen/entkräften kann.
Oder aussitzen.
Wenn es etwas gibt, das ich gelernt habe, dann das.