Montag, 25. November 2019
------TRIGGERWARNUNG! Und zwar großzügig für den ganzen Text. Er thematisiert unter anderem Missbrauch.
Ich gehe nicht davon aus, dass mein Blog an sich in diesem oder anderen Bereichen triggerfrei ist, gerade weil ich meistens gleichzeitig denke und schreibe, oder nur schreibe. Dennoch thematisiere ich das Feld in diesem Eintrag vergleichsweise direkt, bin stellenweise im Rage-Mode und ich möchte nicht, dass Menschen, mit denen das Sachen anstellen kann, gerade diesen Text ohne Vorwarnung lesen. -----


Meine Ausgangslage ist nicht sonderlich rosig, wenn die Zielsetzung "geheilt" sein soll.
Meine Wirbelsäule macht zwei elegante Bögen um den Normwert herum, eine vergangene Borreliose-Infektion schubweise immer wieder Faxen, ich habe Migräne.
Ein paar Ecken in meinem Gehirn sehen, ganz physisch greifbar, etwas anders aus; sie sind ein wenig anders verkabelt, feuern ein wenig schneller, sind in ihrere Ausprägung und Entwicklung ein wenig eigen.
Ich habe ein paar psychische Krankheiten, deren Prognosen zwar variieren, generell aber in die gleiche Richtung gehen: Es gibt keine Heilung, keine Therapieansätze und keine echte Medikation, dafür meistens unschöne Verläufe; aber man kann den Umgang damit lernen; eventuell legen sie sich zwischenduch auch mal schlafen - davor, dass und wie es dann wieder kommt und mich, durch ihren Rapunzelschlaf daran gewöhnt, dass es anders sein kann, erst recht auf dem falschen Fuß erwischt, habe ich Angst.
Ich hab' meine Beklopptheit gerne da, wo ich sie sehen und auf sie reagieren kann. Diffuse Angst, oder, schlimmer, die Abwesenheit der Angst und dann das Comeback des Kopfkriegs wirken auf mich, zumindest gegenwärtig, kann sich ja ändern, noch grausamer als der Dauer-Ringkampf.

Ich bin ein Alkoholikerkind, das bis zu derem Tod keine andere Bezugsperson hatte als die dazugehörige Mutter, dessen soziale Kontakte zur Peergroup sich vom Kindergarten bis etwa zur zehnten Klasse auf Mobbing oder, bestenfalls, ignoriert werden beschränkt haben.
Auf dem Weg von damals bis heute hatten wir diverse Mitreisende, nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben unsere ehemaligen Stammgäste des emotionalen und physischen MIssbrauchs; dank der Erinnerungsschlaglichter, die immer mal wieder einen Glaskeil werfen, wissen wir inzwischen, dass die Hirnparties jener Stammgäste gelegentlich von einem weiteren Missbrauchskollegen mitgestaltet werden.


Und verdammtescheißenocheins, wenn ich nocheingottverdammtbeschissenesmal was lese von

-Opfern, deren "Wunden niemals heilen werden",
-oder von Opfern, die man nicht Opfer nennen dürfe,
-davon, wie man sie zu therapieren habe und wie lang,
-dass man niemalsnie mit Dingen abschließen könne,
-dass man nur abschließen könne, wenn man "seinem" Täter verzeiht (oder davon, dass das immer nur Täter sind - say it loud for the people in the back, Frauen können ebenfalls missbrauchen, vergewaltigen und alles andere an Ekligkeiten anstellen, und das kann nochmal eigene mentale Folgen haben, egal, welchen Geschlechts man selbst ist)
-dass man "seinem" Täter keinesfalls verzeihen, sondern den am besten gleich kalt machen sollte,
- dass ich grenzenloses Verständnis für andere haben soll, weil wir doch ähnliche Erfahrungen gemacht haben und ich doch weiß, wie schlimm das ist, und ich deshalb jede zwischenmenschliche Scheiße, die sie bauen, verzeihen soll,
- oder dass diejenigen sich nicht "so anstellen sollen", die "nur" emotional missbraucht oder verprügelt wurden,
- oder, dass es ja gar nicht zählt, wenn es nicht zu Penis-in-Vagina-Übergriffen kam,
oder irgendeine andere anmaßende verdammte Scheiße,

dann lass ich meinen inneren Kinski von der Leine, DU DUMME SAU.

Niemand, verdammtnochmal NIEMAND hat das Recht, für "die Opfer" zu sprechen - nicht einmal jemand, der selbst zu einem gemacht wurde. Mag sein, dass wir Dinge ähnlich verarbeiten oder nicht-verarbeiten, deshalb geh' ich aber trotzdem nicht hin und proklamiere, wie das zu verlaufen hat, wie es einem dabei zu gehen hat, was dabei schwierig zu sein hat, was hilft und was nicht.
Bevor jetzt wieder ein Stamtischphilosoph mit "aaaaaber" um die Ecke biegt: nein, damit meine ich NICHT das thematisieren von Tendenzen oder den Dialog über Methoden, klar zu kommen, oder Therapieempfehlungen, oder die Bitte, doch endlich mal darauf klar zu kommen, dass Täter nicht nur Männer und Frauen nicht nur Opfer sind.
Damit meine ich Menschen, die mir erklären, dass man, wenn man mit mir befreundet ist, keine zweideutigen Witze machen und dass auch ich keine machen darf, weil ich ein Opfer sexuellen Missbrauchs bin und das da eben so ist.
Oder welche, die erklären, dass Sex mit mir- wenn überhaupt- nur dann eine Option ist, wenn ich die dazugehörige Person abgrundtief liebe, wir uns jahrelang mental darauf vorbereiten, idealerweise mit engmaschiger Betreuung durch meine Therapeutin (die natürlicherweise auch in jedem Fall eine Frau sein muss) und das generell nur dann ok ist, wenn es bloß nicht zu ruppig, 120% vanilla und generell nicht zu oft passiert.

Genauso hat aber auch niemand, weder ich, noch sonstwer, das Recht, zu sagen, dass irgendwas davon falsch ist - Sex geht nicht immer klar, Witze gehen nicht immer klar, Umarmungen gehen nicht immer klar.
Nur, weil es bei mir manchmal klappt, heißt das nicht, dass das bei anderen Leuten gefälligst genauso sein muss.
Wer nicht umarmt werden möchte, wird gefälligst nicht umarmt - und das ist keine Besonderheit des Umgangs mit Traumabolzen wie mir, sondern basale menschliche Kompetenz.

Was ich sagen will ist nicht "wir brauchen mehr Sensibilität im Umgang mit Betroffenen" oder "wir sollten uns alle mal zusammenreißen, auch als Betroffene", sondern ganz einfach, ganz pragmatisch, bestechend effizient, brilliant in Logik und Umsetzbarkeit:

Schließ nicht von dir auf andere und mach deine Weltsicht nicht zur einzig wahren, einzig gültigen.

Das Gefühl, dass Trauma ein Leben ganz schön nachhaltig auf den Kopf stellen kann und dabei selten hübsch ist? Stimme zu.
Den Eindruck, dass daraus jede Menge andere ungute Dinge entstehen können, man nen ordentlichen Schwung tauglicher Therapie drauf werfen sollte und es auch dann alles andere als leicht ist? Habe ich auch.
Die Schlussfolgerung, dass Opfer für immer unter dem, was ihnen angetan wurde, leiden, keine ruhige Minute mehr haben und niemals ein selbstbestimmtes, glückliches Leben führen werden? Meinetwegen - aber wer das als allgemeingültige Diagnose ansieht, als unumstößlichen Fakt, und dann auch noch die Frechheit besitzt, das so in die Welt hinaus zu tragen, bekommt von mir ne Schelle.

Wer sagt oder schreibt, dass Opfer ihr Leben lang welche bleiben und nie darüber hinweg kommen

- tut so, als gäbe es die Opfer und negiert, dass das Menschen sind, so richtige, echte; kein gesichtloser Komplex

- reduziert mich, als ein Opfer, auf eine Eigenschaft, die keine ist, und für die ich noch nicht mal was kann: Opfer-Sein. Ich bin schließlich auch nicht meine psychischen oder anderen Erkrankungen, sondern habe welche. und jede Menge andere guter und schlechter Eigenschaften, die mich als Menschen ausmachen.

- haut aktiv meiner Hoffnung auf die Fresse: vielleicht werd' ich in diesem Leben nicht mehr neurotypisch, aber ich wäre so gerne mehr als das, was mir ins Hirn gepflanzt wurde.

- macht es sich sowas von einfach: "Wir" (fiktiv!) sind "die" Opfer: Klasse, muss man sich gar nicht überlegen, wie man mit dem Menschen vor sich umgehen könnte. Und es ist sowas von gut für's eigene Gewissen, wenn man sich zum Kämpfer (m/w/d), der Gerechtigkeit für Schwache will, erklären kann - wer braucht sich da schon die Mühe machen, die eigenen Eindrücke hinsichtlich ihrer Abstrahierbarkeit zu prüfen, oder mal zu überlegen, ob "die Opfer" das überhaupt alle so sehen/möchten? (Pro Tip: einfach mal nachfragen)

- unterschätzt mich. Geschehnisse lassen sich nicht streichen, das können wir mit der Mondlandung, der Erfindung der Atombombe oder dem Kater nach einem zu langen Kneipenabend schließlich auch nicht.
Aber nur, weil mir etwas passiert ist, heißt das nicht, dass meine Art, damit umzugehen, immer die gleiche bleibt.
Oder dass ich es niemals schaffen werde, damit umzugehen.
Oder es zu dem zu machen, was es ist: Scheiße in meiner Vergangenheit, von der ich mir weder meine Gegenwart, noch meine Zukunft klauen lasse.


Wer erklärt, dass Tante Emma natürlich säuft, weil sie sonst nicht auf ihr Leben klar kommt, macht aus Verständnis ein toxisches Entschuldigen.
Wer festhält, natürlich rauche ich wie ein Schlot, ich hab schließlich Psyche und ADHS und ein Suchthirn, gibt dem Ding in meinem Kopf Futter, dass mich darin festhält (inzwischen rauche ich fast ein halbes Jahr nicht mehr - das hab' ich selbst geschafft, und geholfen haben mir weder "ist doch nicht so schlimm, dir geht es schlecht und wenigstens säufst du nicht hart" noch "das ist eine Frage des Wollens", sondern die Verlagerung auf ein deutlich weniger schädliches Vehikel zum Nikotinkonsum und Support, mir eben keine Fluppe anzumachen, wenn das dampfen gerade "nicht genug" war oder ich "keinen Nerv" dafür hatte und "einfach" 'ne Kippe wollte).


Wer mir sagt, dass das Ding in meiner Psyche mich den Rest meines Lebens verfolgen wird, füttert meine Ängste und raubt mir die Luft zum atmen.
Als Alternative schlage ich vor, von So-ist-die-Welt-Diagnosen abzuweichen und sie stattdessen als eigene Sicht/These zu kennzeichnen.

Und, ganz innovativ: nicht über, sondern mit Menschen zu sprechen.