Montag, 1. Oktober 2012
Thema: monolog
Freitag.
"Tagein, tagaus. Chaostheorie im Bauch?
Jetzt mal im Ernst:
dieses Mal wird alles gut, schreib dir das irgendwo auf!
Nimm meine Hand und lass mich nicht allein."


Der Raucher und ich, die einzigen Zwei, die das Kennzeichen unseres Landkreises haben.
Die einzigen Zwei, die mit Stiefeln den Konzertsaal betreten,
die einzigen Zwei, die sich nicht verbotenerweise auf einen Behindertenparkplatz gestellt haben ("Aber wir sind doch gefühlsbehindert!" - "Kaputtsein ist keine Ausrede für gemein sein. Und jetzt suchen wir uns einen richtigen Parkplatz"),
die einzigen Zwei, die wissen, wie man am Besten anpackt, wenn beim Stagediven jemand fast runterfällt,
und die einzigen Zwei, die eine Rollstuhlfahrerin vorlassen, sodass sie auch was sieht.
Während der Fahrt haben wir geredet, und manchmal geschwiegen, und zwischendurch haben wir Pause gemacht, uns auf einen Rastplatztisch gesetzt, weil die Bänke so schrecklich eingesifft waren, leicht aneinander angelehnt, und haben die Kekse gegessen, die ich als Reiseproviant gebacken habe. Ich glaube, es ist gut, dass er da ist. Egal, was sonst so ist, wir haben ja immer noch uns, so ein bisschen.
Immerhin.

Und dann ist da die Band. Und sie spielen.
Drei Stunden lang, fast alles, und ich kann die Texte und könnte mitsingen, auch, wenn ich es mich anfangs nicht traue, und nach zwei Liedern ist der Sänger durchgeschwitzt und nach fünf sind wir es, und irgendwann spielen sie Lieder vom neuen Album, und er schreit sich so sehr die Gefühle raus, dass ich Angst habe, sein Herz platzt gleich, und immer wieder schreit er, es wird alles gut.
Es wird alles gut! Und das Publikum: Es wird alles gut!
Er wird leiser mit seinem Es wird alles gut!, irgendwann verabschiedet sich das Ausrufezeichen und wird zu einem "...".
Und auf einmal springt er in die Menge und schreit, Es wird alles gut!, immer wieder, Es wird alles gut!, und er steht vor uns, Es wird alles gut!, und der Raucher und ich: Es wird alles gut!
Und wir stehen hier zu dritt, Es wird alles gut!, und irgendwie fühlen sich die anderen zwei genauso hoffnungslos an, Es wird alles gut!, und dann fegt der Sänger weiter, erwürgt dabei fast den Raucher mit seinem Mikrofonkabel, und dann ist er wieder auf der Bühne und das Lied vorbei.

Samstag.
Als wir vom Konzert zurückkommen, ist es halb neun; sind gerade noch wach genug, um Zähne zu putzen (was muss, das muss) und uns ansatzweise auszuziehen, dann vergrabe ich mich unter der Decke, die inzwischen seit ein paar Wochenenden wegen mir nicht mehr auf dem Sofa, sondern im Bett des Rauchers liegt und noch halb unter seiner, finde, dass das eindeutig immer noch zu kalt ist, rolle mich so klein wie möglich zusammen (weniger Oberfläche bedeutet weniger Wärmeverlust) und das Nächste, was ich mitbekomme, ist das herumschreiende Handy des Rauchers, das uns mit dem üblichen bösen Black Metal darauf hinweist, dass sein Vater irgendwas wissen will.
"HmmHmnpf.." Eine Lautäußerung des Rauchers, der mit dem Gesicht im Kopfkissen geschlafen hat, sich unter seinem Deckenstapel hervorwühlt und ziemlich zerknautscht aufs Handy schlägt.
-"Wie wärs, wenn ihr mal aufsteht, Herr Raucher?"
Aha, er hat auf Lauthören geschalten.
Grummeln. "Wievieluhrisn?"
-"Halb fünf. Wolltest du deine Freundin nicht um halb drei heimfahren? Ich brauche dringend dein Auto!"
"Halb fünf??" Wie wach wir auf einmal sind.
Noch der Hinweis an den Rauchervater, dass ich nicht die feste, aber fast die beste Freundin bin, dann das klassische Szenario, zum Transportmittel eilende Frau Mayhem, die nebenher alle möglichen Dinge in ihre Tasche stopft, sich in diverse Jacken und einen Schal und die Schnürsenkel der noch offenen Stiefel ums Handgelenk wickelt, und, ganz wichtig, ihr Gesicht mit einer verspiegelten Pilotensonnenbrille vor der Außenwelt abschirmt.

Sonntag.
"Mein Herz schlägt nur für dich
....
Mein Herz schlägt dir ins Gesicht."



Irgendwo zwischen den Umwegen, die ich gehe, um der Mutter des Fremden nicht auf dem Markt zu begegnen, seiner Umarmung, als er mich sieht und begrüßt, der Feststellung, dass sich der Grinch wieder so an ihn ranschmiert, einer Runde Aufderstadtmauersitzen und in den Wald starren mit dem Raucher, einer Begegnung mit der alten Sache, der mich wieder nicht grüßt und einer mit dem Quasi-Stiefbruder, der das Schreikind und die dazugehörige Mutter spazieren führt begreife ich emotional, dass es wohl so sein soll.
Vielleicht ist der Lerneffekt größer, wenn es wehtut.
Schwacher Trost, und eigentlich will ich das alles weder wissen, noch lernen.
Aber muss wohl so. Und vielleicht hat es mich jetzt kaputt gemacht, aber ich wachse, das heißt, ich lebe noch und es wird besser, irgendwann.
Irgendwann wird alles besser. Vielleicht nicht gut, aber besser als jetzt. Irgendwann, dann.

Der Mischpultmann baut auch darauf, dass alles besser wird.
Seine Freundin hat ihn verlassen und das gemeinsame Kind mitgenommen, und jetzt ist er alleine in der leergeräumten Wohnung, deshalb ist der Raucher da reingestiefelt, hat die Vorhänge geöffnet, die Rollos aufgemacht und ihn rausgeschleift. Unter Menschen gehen. Auch, wenn es weh tut. Wir sind da.
Oder versuchen zumindest, es zu sein.
Der Mischpultmann ist ein großer, freundlicher Teddybär und jener Absteigenangestellte, der seinerzeit versucht hat, den Fremden beim Nebelmaschine-Konzert etwas aus der Schusslinie zu ziehen.
Vergeblich, der Fremde ist nicht mehr der, der er mal war, sagt der Mischpultmann und sieht noch trauriger aus als vorher, während wir vor einem Bratwurststand darauf warten, dass sich der Raucher eine Portion Pommes geholt und die Bekannten, auf die wir noch warten, telefonisch erreicht hat.
"Dich hat er ja auch enttäuscht, mayhem...wie er jeden hängen lässt."
-"Was hat er sich denn bei dir geleistet?"
"Wir waren 12 Jahre lang beste Freunde."
Autsch. "Und warum seid ihrs nicht mehr?"
"Ich mache echt sehr viel mit, aber das ging einfach nicht mehr. Er hat sich so total verändert, seit er die Vorgängerin der Ghettoschwester und dann auch die Ghettoschwester kennen gelernt hat, total kindisch und pubertär, weil er da irgendwie dazugehören und was nachholen will. Und das ist einfach so krass, wie deswegen auf einmal alle andern egal sind. Und wie er allgemein total verkackt. Der hat gestern mit meinem Bruder auf der Hochzeit von seinem Chef gespielt, Mittagszeit, und war voll. Hackedicht. Ich hab gemerkt, dass er mehr trinkt, als sein Vater dann ganz offiziell ne andere Frau hatte, und noch mehr, als der sich mit ihr verlobt hat, aber jetzt ist das einfach so... viel."
-"Und ich hab keine Ahnung, was man da machen kann",fügt der Raucher besorgt hinzu und hält uns die Pommes hin. Wir lehnen ab, er versucht es wieder. "Eigentlich is mir der Appetit auch grad vergangen."
"Du isst die jetzt", fordert ihn der Mischpultmann auf, "dir schadet es nicht, und davon abgesehen ändert Nichtessen auch nichts an der Situation."
Betretenes Schweigen, dann wendet er sich wieder an mich: " Jedenfalls habe ich dann, nachdem er immer wieder Mist gebaut und unsere Freundschaft einfach total kaputt gemacht hat, gesagt, wie es ist, nämlich, dass ich das nicht mehr kann. Und dann den Kontakt abgebrochen.
12 Jahre Freundschaft am Arsch, weil der Kerl wegen dem Ghettoverein so rumspackt. Aber es ging einfach nicht mehr."
Versprich mir, dass du vergisst,
wie allein du eigentlich bist
Blut und Wasser in den Augen..

Und die einsachzig geballtes Kuschelbärformat vor mir sehen gerade so elend aus, dass ich das Näheproblem wegdränge, dem Mischpultmann meine Hände auf die breiten Schultern lege, zu ihm hochschaue und ihm sage, dass alles gut wird.
Alles wird gut, Mischpultmann. Das Leben geht weiter, ob man will oder nicht. Alles geht vorbei, auch Freundschaften. Kann man nichts gegen machen..
Und als ich die Traurigkeit inden Augen des Mischpultmannes sehe, finde ich in meinem eigenen Herzschmerztümpel ein bisschen Wut, gerade genug, um sie auch im Dunkeln zu sehen.
Und ich bin wütend auf den Fremden, weil er sich so gemein verhält und das nicht einmal absichtlich tut, sondern weil er so unsensibel geworden ist und es nicht besser wissen will, und weil er 12 Jahre Freundschaft mit einem der gutgläubigsten, gutmütigsten und treusten Menschen, die in der Absteige Musik machen, einfach weggeworfen hat.
Nicht so sehr, weil er mich weggeworfen hat, daran bin ich ja gewöhnt. Aber wenn es um andere Menschen geht, hört der Spaß auf.
Versprich mir, dass du weißt,
wer du in Wirklichkeit bist.
Spiegelbilder entzerren,
mein Herz schlägt nur für dich.

Mein Herz schlägt dir ins Gesicht.
Mein Verstand umarmt dich innerlich.


Meine Wut hält nicht lange aus, aber was habe ich denn erwartet?
Als wir den Fremden und den Grinch erneut treffen und er ihr gerade einen Luftballon kauft, lasse ich es einfach auf mich einprasseln, wie sauren Regen, alleine auf weiter Flur. Nicht gesund, aber irgendwo unterstellen geht auch nicht mehr.
Mein Herz schlägt nur für dich...
Das ganze Verletzsein, die Traurigkeit, die Enttäuschung.
Mein Herz schlägt dir ins Gesicht...

Nicht einmal der Raucher merkt, dass ich im Regen stehe, aber vielleicht liegt das auch daran, dass seine Bekannten endlich erschienen sind; da ist die Frau mit der Opernstimme, die regelmäßig in der Absteige Krach macht, und ihre Bandkollegin Esmeralda, mit der sie seit der Mittelstufe, also fast sieben Jahren, zusammen ist, und als düsteren Schatten hinter ihnen erahnt man Mr.Gaunt, der mich und somit auch den Mischpultmann um mindestens eineinhalb Köpfe überragt und sich, wie der Raucher und ich, hinter Pilotensonnenbrille und bösem Bandshirt tarnt.

Man absolviert keine Begrüßungsumarmungssequenz, sondern nickt sich zu, nur Mr. Gaunt verteilt Handschläge an den Mischpultmann und den Raucher; ich werde ignoriert, aber auch daran habe ich mich inzwischen gewöhnt.
Noch eine Notiz für mich: Nicht alle Leute, die dich nicht begrüßen, finden dich doof.Manche sind auch einfach nur schüchtern.
"Ist Mr. Gaunt eigentlich immer so, oder habe ich es geschafft, gleich vom ersten Eindruck her unsympathisch zu sein?", will ich später trotzdem die Meinung des Rauchers wissen, als wir, ganz untrve, unter einem Sonnenschirm vor der Stammkneipe sitzen und der Rest, zu dem sich noch der Klischeeblackmetalfan und der Masochist gesellt haben, diskutiert, ob man gleich zur bösen Kneipe wechseln, oder doch lieber noch ein bisschen hier draußen sitzen bleiben sollte, schließlich sind die Getränke hier günstiger.
-"Kein Plan, ich weiß nichtmal, ob ich den Kerl schonmal nüchtern erlebt hab, von daher.. allgemein isser aber gern mal bisschen cool, wenn Leute dabei sind, die er nicht kennt. Scheint aber nix zu machen, wenn der will, schleppt der alles ab, was nach Frau aussieht."
-"Mr. Gaunt? Alter, der ist so krass!", mischt sich der KBM ins Gespräch ein, während er sich, wie alle anderen am Tisch außer dem Raucher und mir, eine Zigarette dreht, " der Kerl ist komplett zutätowiert, atmet nur noch mit halbem Lungenvolumen, schaffts, jede Frau aufzureißen, und kippt vor jedem Auftritt erstmal zehn Havanna-Club. Der säuft sogar auf Morphium weiter, ey!" Mr. Gaunt, anscheinend der große Held des KBM, der mit leuchtenden Augen von dessen glorreichen Taten erzählt und dabei immer mehr in Fahrt kommt. "Echt mal, der ist so krass ey.. der hat keinen Magen mehr!"
"Was dir der KBM damit sagen wollte: er ist Mr. Gaunts größter Fan", fasst der Mischpultmann das Gehörte kurz zusammen, "auch, wenn der wahrscheinlich noch mit annähernd normalem Lungenvolumen atmet, vermutlich noch im Besitz seines Magens ist und nur sein Oberkörper komplett verziert ist. Wie du eventuell auf seinen Armen bereits bemerkt hast."
"Der Rest stimmt aber", wirft der Raucher ein.
"Jo, da hab ich ja nix gegen gesagt. Wobei, ich glaube, wenn der so weitermacht, ist seine Lunge echt irgendwann zugeteert und sein Magen weggeätzt... aber dafür hat der Kerl schon Profi-Musiker mit dem Bass an die Wand gespielt."
Wieder ein (mutmaßlich) überragend guter Musiker mit besorgniserregendem Alkoholkonsum.
Da hören die Parallelen zum Fremden allerdings auch schon auf (netterweise), und es sieht so aus, als handle es sich bei Mr. Gaunt um die deutlich extremere Version.
Die Genialsten sind immer die kaputtesten.


Überhaupt sind wir so eine Kuriositätensammlung, und ich glaube, dass das gut so ist. Für alle Beteiligten.
Für den Masochisten, weil er sich jetzt traut, offen über seine Beziehung zu reden und von uns Rückenhalt bekommt, nachdem er zuhause beinahe verstoßen wurde, weil er seine Freundin, die Sadistin, vorgestellt hatte und die Dame genau so aussieht, wie man sie sich im Klischee vorstellt,
für den Raucher, weil das alles wieder anfängt, lebenswert zu sein, und er sich ganz ohne Vorurteilsbombardement von Außen wieder raus in die Welt trauen kann,
für den Mischpultmann, weil wir ihn so kompromisslos einfühlsam wieder aufbauen, dass er gar nicht anders kann, als sich besser zu fühlen,
und vielleicht ja auch für den KBM, in irgendeiner Art und Weise.
Eventuell auch nur, weil er über uns den Fremden kennt, der immer begeistert ist, wenn er an einem Joint ziehen darf (ist ja schließlich cool,macht die Ghettoschwester doch auch... seltsamerweise wurde im Gespräch mit mir immer übers Rauchen egal welcher Substanzen gelästert) und vielleicht potenzielle Kundschaft darstellt.
Und dann sind da noch Ms Golightly und eigentlich auch der Fremde, der sich immer mehr abkapselt. Und manchmal kommt der Musiker vorbei, oder der Schlagzeuger, oder der Pinguin.
Oder die Schwester des Fremden bittet um Unterstützung beim Haaretönen. Auch, wenn sie die so bald nicht mehr von mir bekommen wird, ich war nicht mehr bei ihm und werde es wohl auch so bald nicht mehr sein.
Er hat es mir immer noch nicht gesagt.
Nur freundlich ist er, und zuvorkommend, soweit er das eben kann.

Ich weiß nicht, was es ist, das ich mir da gerade in der Kleinstadt aufbaue, aber ich glaube, es ist gut, auch, wenn niemand weiß, ob es von Dauer ist, man hat ja bereits bei der üblichen Truppe gesehen, wie sowas laufen kann.
Aber vielleicht ist das ja echte, dauerhafte Freundschaft, die ich gefunden habe, hier am Tisch, etwas vernebelt durch die Rauchschwaden der Beteiligten (erwähnte ich schon,dass ich es eigentlich nicht mag, wenn man mich verräuchert, weil ich dann, warum auch immer, öfter mal Nasenbluten bekomme?) und, wenn man die Opernstimme, Mr. Gaunt und Esmeralda einrechnet, zum Großteil hinter verspiegelten Sonnenbrillen und Tätowierungen verborgen, aber definitiv existent, auch, wenn ich mir nicht sicher bin, was die letzten drei, die, bis auf ein wenig Höflichkeitssmalltalk in Form von Fachwissensaustausch von selbsterklärter professioneller Piercerin (die Opernstimme) zu selbstdiagnostizierter Amateuerin (ich) mit "mehr Ahnung als einige Profis und vor allem die Opernstimme"(O-Ton Mischpultmann, Raucher, Masochist) kein Wort mit mit mir reden, eigentlich von mir denken, und ob sie wirklich so ultracool sind, oder nur so tun. Tatsächlich vemute ich Ersteres, aber das muss nicht so schlimm sein, das Rotkreuzmädchen war auch lange Zeit so, und ich habe mich mit der Zeit daran gewöhnt und entsprechende Anpassungen vorgenommen.
Vielleicht ändern sie sich ja auch noch und nähern sich wieder dem Boden, falls wir uns öfter begegnen; glaubt man dem Raucher, sind sie sowieso schon viel menschlicher geworden als noch vor einem halben Jahr.

Davon abgesehen, Menschen ändern sich, der Grinch, eigentlich glücklich vergeben, aber eine Angehörige der Kleinstadtghettofraktion, schmiert sich an den Fremden, der die Ghettoschwester vernachlässigt, ich schaffe es manchmal, mit fremden Menschen zu reden, der Raucher raucht beinahe gar nicht mehr und Mr.Gaunt hat angefangen, Gedichte zu schreiben, ein Schock für Freunde und Familie, und er hört nicht mehr auf damit, schreibt innerhalb kürzester Zeit ganze Schulhefte voll, laut dem KBM mit Blut, aber der Mischpultmann meint, eventuell war das früher so, jetzt, mit 25 bis 27 (so sicher ist man sich da am Tisch nicht), sei er bestimmt ruhiger geworden und auf Kugelschreiber oder Füller umgestiegen.


Und all die Songs, die ich nie schrieb,
all die Zeilen, die ich schrie, die mich am Leben hielten
Eingebrannt
in Mark und Bein. All die Fetzen, die sich Gedanken nannten,
vertont mit Augen zu und durch.


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Zitate aus Chaostheorie, Ode to Self und Lebewohl von Thoughts Paint The Sky




Donnerstag, 27. September 2012
Referrer des Tages:
search request: Urlaub Psychoterror Hass Verachtung.

Urlaub könnte ich tatsächlich gebrauchen. Urlaub vom ganzen Rest, Ruhe und Auftanken und all das.
Aber es wäre ja doch nur Weglaufen, also lasse ich es.

Selbst der Lichtblick, das Konzert morgen,dunkelt alles nur noch mehr ab.
Thoughts Paint The Sky live, Abschiedskonzert, mit dem Raucher.
Geplant war, mit dem Fremden hinzugehen.
Geplant war auch, dass ich fahre.

Jetzt habe ich weder den Fremden, noch mein Auto bei mir,den ersten habe ich verloren, das zweite verliere ich noch, weil Papa Mayhem nicht mehr in die Stadt fahren will.
Heute wäre der Termin, Probefahrt, anschauen, kaufen, anmelden. Neue Bremsscheiben sind drauf, der Rest noch annehmbar, der Preis in Ordnung.
Adios, MayhemMobil, es wäre ja auch zu schön gewesen.

Immerhin, der Hauch einer Chance. Die Mailbenachrichtigungen sprechen von einem Post im Netzwerk des Misstrauens, man sucht für das Konzert jemanden, der Fotos macht.
Nach dem Tod der alten Kamera und dem Erwerb der neuen auf leicht absurdem Weg könnte ich mich melden.
Ich kann fotographieren, eigentlich.
Pflanzen und Tiere und Landschaften.
Bands? Ich habe es bei der besten Band der Kleinstadt versucht, und war semi-zufrieden. Teilweise null Wirkung, allgemein die Stimmung nicht genug eingefangen.
Der Raucher und der Fremde haben sich vor Begeisterung fast nicht mehr eingekriegt, als sie die Bilder gesehen haben.
Einen Versuch wäre es wert, aber wenn es nichts wird, habe ich ein Problem.

Überhaupt, diese Angst, zu scheitern.
Wegen der Seminararbeit (noch nicht angefangen), jetzt mit den Fotos, allgemein.
Es steht so viel auf der Kippe im Moment.. und ich habe doch Höhenangst.
Aber manchmal muss man wohl über seinen Schatten springen, mit Anlauf. Und hoffen, dass bei der Landung nicht so viel kaputtgeht.
Die letzten Male ging es gut, wenn auch nicht im Hinblick aufs Endresultat. Aber ich habe es gelernt, durch den Fremden, unbewusst, wie fotographieren.
Tief durchatmen, ich kann das.
Auch, wenn mir die Energie fehlt, ich kann das, alles.
Ich überstehe das. Alles.
Alles wird gut, irgendwie. Irgendwann, und wenn es im nächsten Leben ist..

Back to being productive, in der Theorie.
In der Praxis: Unwohl fühlen und Zufluchtsort suchen.
Leider gibt es keinen, die Zeit, in der ich den Fremden einfach mal schnell anklingeln und mit ihm meinen Endlosfreistundenblock verbringen konnte, sind vorbei.
Vielleicht Musik hören und schlafend stellen.

Winterschlaf, warten auf bessere Zeiten.
Und im Hintergrund die Geräuschkulisse von Super Mario, sie haben ihre Playstation wieder ins Oberstufenzimmer mitgenommen.




Montag, 24. September 2012
Es ist eine Woche, es fühlt sich an wie eine Ewigkeit.
Das heißt nicht, dass es besser geworden ist, ich weiß nicht, ob es das ist; es tut immer noch genauso weh wie am Anfang, aber zunächst geht es ja gar nicht darum, den Schmerz los-, sondern eher darum, mit ihm fertig zu werden.
In der vergangenen Woche also Versuche meinerseits, es zu realisieren (unnötig zu erwähnen, dass sie fehlgeschlagen sind, alle), und als der Fremde dann am Sonntag doch beim Raucher vorbeikam und zuvorkommender und freundlicher war als sonst, sich, nachdem ich erwähnt hatte, dass ich bald gehen würde, extra mit dem Essen daheim beeilte und pünktlich wiederkam und mir am Schluss die warmherzigste Abschiedsumarmug seit Beginn unserer seltsamen Freundschaft verpasste, fragte ich mich so ein kleines bisschen, was das sollte, während ich versuchte, die Hoffnung niederzuringen und das Miststück zu erwürgen.

Vermutlich ist es das schlechte Gewissen.
Der Fremde hat es mir noch nicht gesagt, er geht wohl davon aus, dass ich es dank Ms Golightly schon weiß, und vielleicht kommt diese (immer noch leicht distanzierte) Freundlichkeit einfach von seinem schlechten Gewissen, so ein bisschen scheint er auch davon auszugehen, dass jetzt alles geklärt ist und wir somit weitermachen können wie bisher, nur ohne Annäherungsversuche meinerseits.

So geht das aber nicht.
Ich will ein Gespräch, ein persönliches, und ihm sagen, dass es nicht nett ist, jemanden so in der Schwebe zu lassen und immer wieder die Hoffnung zu reanimieren, so lange, bis sie nicht mehr totzukriegen ist, und dass ich auch Gefühle habe, und man mir auch wehtun kann, auch, wenn er das nie so richtig mitbekommen hat, weil ich jedes Mal die Zähne zusammengebissen und einfach weitergemacht habe, wenn er es mal wieder geschafft hat, mich in den Abgrund zu schubsen, und weil er in dieser Hinsicht das Einfühlungsvermögen einer Leitplanke hat.
Ich war kurz davor, es ihm zu sagen, aber dann dachte ich mir, eigentlich ist das sein Job.
Eigentlich müsste er mir sagen, dass es von ihm aus nichts wird, und nicht Ms Golightly; eigentlich sollte er sich nicht einfach aus der Affäre ziehen, nur, weil ich es ja jetzt weiß und Ende, und ganz davon abgesehen sollte er sich eigentlich wie der Erwachsene verhalten, der er laut Personalausweis schon ein paar Jahre länger ist als ich.

Vielleicht habe ich doch einen Fortschritt gemacht in der Woche.
Es tut immer noch furchtbar schrecklich weh, entweder habe ich ganz vergessen, wie weh es tut, oder es ist diesmal schlimmer als sonst, und ich hoffe immer noch, aber immerhin gebe ich der Hoffnung bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit der Faktenkanone eins auf den Deckel, und ich kann mir sogar ansatzweise Aggression einreden.
Auch, wenn ich weiß, dass sie nicht echt ist. Und ich ihn nicht hasse. Und nichtmal richtig wütend bin.
Und eigentlich nur will, dass alles gut wird.
Aber das habe ich wohl, aus irgendeinem Grund, nicht verdient.


Und dann ist da Papa Mayhem, der mich in der Kleinstadt anruft, den Weltuntergang über mir herabregnen lässt und dann verkündet, die Katze muss gehen. Jetzt sofort, auf der Stelle. Nein, er kann nicht bis Ende November/Anfang Dezember warten, wenn ich sowieso gezwungenermaßen ausziehe und in der selben Woche noch Chemie, Mathe und Wirtschaft schreibe.
Der Schlagzeuger merkt es nicht, der macht weiter Witze. Der Fremde schaut kurz her, konzentriert sich aber dann wieder aufs Gitarrespielen.
Nur der Raucher hat wohl mitbekommen, was los ist, obwohl er nichtmal neben mir sitzt, und er deutet in Richtung Terasse, schließt die Tür hinter uns und nimmt mich kurz in die Arme.
"Wenn dein Vater die Katze und dich jetzt rauswirft, könnt ihr zu mir, bis du mit der Nachbarin in die Mietswohnung gehst. Ich klär das mit meinen Eltern, denen gehört das hier ja, aber es müsste schon klargehen. Platz genug is, Benzin sparste dann auch ohne Ende, und dann haste wenigstens die Ruhe, die du brauchst um das Seminararbeitdings und das andere da zu schreiben. Und brauchst keine Angst ham, dass die Katze fliegt. Und auch nicht vor deinem Vater, oder seiner Freundin."

Als der Raucher mich heimfährt, beschließen wir, noch zum Aussichtspunkt zu laufen, Sterne gucken, und ich lasse mir das Wochenende nochmal durch den Kopf gehen, der Fremde, vor allem der Fremde, wieder mal, den Fakt, dass es mit ihm doch nichts werden soll, irgendein schlauer Mensch hat mal gesagt, die größte, intensivste, wahrste Liebe ist die, die unerwidert bleibt; die böse Kneipe, übernachten beim Raucher, wirken beziehungshaft, sind es aber nicht , dafür wohl Freundschaft mit Kuschelfaktor, Tendenz Richtung weitere Extras, keinerlei enttäuschte Hoffnungen seinerseits und wohl auch keine meinerseits, dafür zwischendurch aus dem Nichts heraus innere Abwehrreaktion bei mir, unterdrücke sie und verfluche mich selbst ein wenig dafür, dann wird es wieder besser, vielleicht lag es nur daran, dass Samstag und Sonntag zu viel Nähe auf einmal waren, und irgendwie ist es wohl so, dass ich ihm Halt gebe, mehr,als das seine Familie oder seine Freunde können, und er war die letzten Wochenenden nüchtern, das war er sonst nie, sagt er, und dieses Wochenende hat er keine einzige Zigarette geraucht.
Unter der Woche sind Schlaflosigkeit und depressionsgetränkte Liedtexte seine Begleiter, am Wochenende bin ich es.
Wenigstens mit einem von uns beiden geht es bergauf.


Und immer noch: Ja, es tut weh.


Die wüsten Straßen fließen lichterloh
durch den erloschnen Kopf. Und tun mir weh.
Ich fühle deutlich, dass ich bald vergeh-
Dornrosen meines Fleisches, stecht nicht so.

De Nacht verschimmelt. Giftlaternenschein
hat, kriechend, sie mit grünem Dreck beschmiert.
Das Herz ist wie ein Sack. Das Blut erfriert.
Die Welt fällt um. Die Augen stürzen ein.

("Punkt" von Alfred Lichtenstein)




Montag, 17. September 2012




Phönixpotenzial.
Der Kumpel hat gesagt, ich habe Phönixpotenzial; zerfallen zu Staub, verbrennen an den eigenen Gefühlen und dann aus der Asche wieder aufstehen.
Aber der Kumpel hat auch gesagt, ich solle mich vor dem Raucher in Acht nehmen.

Dem Raucher, bei dem ich von Samstag auf Sonntag geschlafen habe, weil der Fremde spontan den Musiker beherbergen musste.
Dem Raucher, der mich anlächelte und meinte, das würde doch was werden, als der Fremde vor und nach dem Auftritt das Gratisbier Gratisbier sein ließ und lieber bei mir blieb; als er mich umarmte, immer wieder, und pünktlich war, als wir abends wieder zum Raucher gingen, nachdem ich zwischendurch eine Seminaraktion und der Fremde eine Taufmusikprobe überstanden hatte.
Dem Raucher, der, als ich von dem Gespräch mit Ms Golightly wiederkam, sofort gemerkt hat, was los ist, mich auf die Terasse bugsiert und im Arm gehalten hat, als ich angefangen habe, zu weinen.

Es ist auch der Raucher, neben dem ich auf einem Stein auf dem Aussichtspunkt sitze und die Sterne anschaue, weil man die in der Kleinstadt nicht gut sieht, und es ist der Raucher, dem ich sage, dass ich das so nicht mehr kann. So weitermachen.
Überhaupt, weitermachen, mit welcher Kraft denn…
Er sagt, dass er es nicht versteht. Den Fremden. Der mit Ms Golightly über mich geredet hat und laut ihr meinte, er habe versucht, sich auf die Sache mit mir zu konzentrieren, aber es sähe im Moment eben nicht danach aus.
Keine Begründung, nichts. Dafür ein „im Moment“.
Wenn es etwas gibt, was ich durch das Problem gelernt habe, dann, mich von „im Moment“ und Konsorten nicht zu Hoffnung anstiften zu lassen.
Es gibt keine Hoffnung, nicht in dem Fall.
Also Hoffnung, stirb endlich, aber richtig.

Zu erwachsen.
Der Raucher vermutet, dass es daran liegt. Bin zu erwachsen, sagt er; hab zu viel mitgemacht, und deshalb klappt es mit Leuten wie dem Problem oder dem Fremden nicht.
Vielleicht hat er Recht.
Aber es ist mir egal, gerade ist alles egal, ich will nicht, dass es so ist, wie es ist, und ich will mein schnelles Existenzende oder dass es aufhört, wehzutun.
Ich sage ihm das so, wortwörtlich, und er ist unter Garantie völlig überlastet, aber in dem Moment ist mir das egal.
Im nächsten komme ich mir egoistisch vor und es tut mir Leid, also entschuldige ich mich, aber er sagt, das ist schon ok. Und dass er den Fremden nicht versteht.
Ich sage, mit Mädchen wie der Ghettoschwester kann ich wohl nicht mithalten und denke dabei an ihr Selbstbewusstsein und dass sie dünner ist und weiß genau, dass zumindest letzteres kein ausschlaggebender Punkt ist.
Vielleicht das Selbstbewusstsein, und ihre Art an sich. Offener, und prinzipiell nicht am sichsorgenmachen, sondern immer am mitsaufen.
Der Raucher sagt, dass ich besser bin als solche Mädchen. Und der Fremde dumm ist, wenn er das nicht versteht, oder einfach noch nicht so weit. Er tippt auf letzteres, und sagt, wenn der Fremde sich verhält wie ein Fünfzehnjähriger, wie soll er dann mit einer Freundin klarkommen, die mit 18 ist wie 23 und in den achtzehn Jahren vom Schicksal mehr auf die Fresse bekommen hat als normale Menschen in 50 Jahren.
Mein Gefühl sagt, dass er Recht hat, aber das ist gerade egal.

Überhaupt ist gerade alles egal, nur dieses Gefühl, mein kleines Herz wieder hergeschenkt, und wieder muss ich es mir kaputt zurückholen.
Kaputtes Herz, kaputtes ich.
Und das Einzige, was ich aus der Sache mitnehme, ist das Wissen, dass ich manchmal über meinen Schatten springen muss und das auch kann.
Ich wollte nicht nur das mitnehmen, ich wollte ihn mitnehmen. Eigentlich von Anfang an.
Aber das geht nicht. Also hole ich mir mein Herz zurück, mal wieder, weil das Ding niemand haben will, und jedes Mal wird es hässlicher, und der Raucher hält mich im Arm und hält mich weiter fest, während meine Musik über usb läuft, erst Thoughts Paint the Sky, ich weine, und dann Wings von Frittenbude, das immer lief in den letzten Minuten, bevor ich am Bahnhof ankam und dass immer das Lied war, verknüpft mit dem Fremden, das Lied, das gesagt hat, es wird schmerzhaft, aber es wird, und ich weine.
Da ist das Festival in meinem Kopf, der eine Abend, händchenhaltend durchs Moshpit und kuschelnd im Zelt, da ist der Auftritt, nach dem es mal von ihm aus ging.
Das erste Mal übernachten bei ihm, als ich auf seinen Rücken gestarrt und mir gesagt habe, ich würde gerne öfter neben ihm einschlafen.
Er hat versucht, sich auf ne potenzielle Beziehung mit dir zu konzentrieren..
In seinem Arm im Auto schlafen, beim Warten auf die Festivalbändchenausgabe, beim Warten auf Ms Golightly, beim Warten am See.
..aber er sagt, dass das im Moment nichts wird. Sagt er dir aber nochmal persönlich.
„Wenn er dann mal ne Freundin hat, wars das.
Egal, ob Ghettoschwester, Fangirlie oder sonst was, dann wars das. Ich halte es ja schon jetzt nicht mehr aus, und wir sind befreundet, so irgendwie. Ich kann das nicht, ich hab jetzt schon Horrorszenarien im Kopf.“
-„Ach man..“ Der Raucher zieht mich ein Stück an sich und packt mich in seine Jacke. „ Ich versteh den Kerl nicht. Ich verstehs echt nicht…aber so blöd, wies jetzt klingt, er ist halt echt nicht so weit. Der ist einfach noch nicht so weit, auch wenns dieses Wochenende wieder echt gut aussah… und ich habs dir gewünscht. Ehrlich, ich habs dir echt gewünscht, dass das was wird, einfach, weil dus verdient hast, dass du mal glücklich bist...“
„Vermutlich sieht mein Schicksal mich nicht gerne glücklich.“
-„Mir egal, was das sagt, ich will dich glücklich sehen.“
„Ach Raucher…“

Als der Raucher mich vorm Hoftor verabschieden will, stellen wir fest, dass mein Vater nicht da ist, Garage leer, dann: Hausschuhe weg, Schlafzimmer abgeschlossen. Also kommt er noch mal mit rein, und wir schweigen uns so an, während ich Kater Mayhem, der in letzter Zeit so schrecklich von mir vernachlässigt wird, beiläufig den Kopf kraule und er schnurrt, als gäbe es kein morgen mehr.
Wenigstens für den Kater bin ich die Größte, zumindest in diesem Moment.
Teile dem Raucher diese Feststellung mit und er sagt, dass ich die Größte bin. Zumindest die Größte und Stärkste und Tollste, die er kennt.
“Du bist viel größer, als du denkst“, hat der Fremde auf dem Festival gesagt.
Auf dem Festival, als da so was wie Hoffnung war. Manchmal.
Vermutlich geht es jetzt darum, zu zeigen, wie groß ich bin.
Ich habe mal geschrieben, vielleicht bin ich groß genug, um das alles zu überstehen. Ich bin mir da nicht mehr so sicher, wissen Sie.
Nein, stimmt nicht.
Eigentlich ist mir völlig klar, dass es das diesmal war. Sehe mir wieder beim Scheitern zu und warte auf meinen Zusammenbruch, und diesmal kommt er sicher, die Frage ist nur wann. Vielleicht bin ich auch schon mittendrin.
Mein Gefühl sagt, dass es diesmal nicht mehr weitergeht, nicht so und nicht an diesem Punkt und…eben überhaupt nicht.
Und ich hätte jetzt sehr gerne jemanden, der mich auffängt, irgendwann, möglichst vorm Aufprall, oder mir hilft, ihn abzudämpfen, aber im Endeffekt kann man sich nur selbst retten.

Ich kanns nicht mehr. Nicht jetzt, nicht später, nicht in dieser Situation, alles zu viel und jetzt noch mehr.
Das Problem mit dem „stark sein“ ist, dass es nicht aufhört, weh zu tun; das Schicksal denkt sich nicht, gut, jetzt reichts aber mal, das Schicksal entscheidet sich nicht dafür, einem spontan was Gutes zu tun, nicht, wenn es um so was geht; vielleicht den Fund eines Geldstücks als Höchstleistung; aber wenn es kein Euro ist, den man findet, sondern eine Person, vergisst das Schicksal jede Nettigkeit und jeden Skrupel, und wenn dann noch das Herz auf Wanderschaft geht, weiß man, es wird schmerzhaft.

Vielleicht Hamburg.
Vielleicht doch für den Freiwilligendienst nach Hamburg, ein halbes Jahr, und das andere halbe Jahr nach Prag.
Ich habe gesagt, ich gehe nach Prag, irgendwann.
Leere Pläne, Überreaktion, aber vielleicht hilft das.
Einfach zulassen, alles geht vorbei.
Einfach weiteratmen, alles wird.
Nächstes Wochenende ohne den Fremden, er geht aufs Dorffest, mit der Ghettoschwester, den Groupies und den Fangirlies, ich gehe in die böse Kneipe mit dem Raucher, dem Masochisten und eventuell der alten Sache und Co. .
Ich sage meinen Dienst ab, no Dorffest for me, denn es ist schlimm, wenn ich mir den ganzen Abend den Kopf zerbreche, was das Fangirlie mit ihm anstellen könnte, aber es wäre wohl schlimmer, wenn ich dabei wäre und ihm dauernd nachrennen würde.
Also nimmt mich der Raucher mit in die böse Kneipe, hat er gesagt, und es ist ok, wenn ich da wieder weg will, weil es mir schlecht geht wegen dem Fremden, oder weil ich mich unwohl fühle, weil so viele unbekannte Leute da sind, oder weil die alte Sache wieder so komisch ist. Er sagt, dass es ok ist, einfach aus Räumen und von Orten wegzulaufen, weil die Situation zu viel ist, und er sagt, dass er dann mit mir wegläuft, weil es zur Zeit keine gute Idee ist, mich alleine zu lassen.
Und er sagt, dass alles gut wird. Irgendwann wird alles gut, sagt er; hat das so von mir übernommen und glaubt daran, und er sagt mir immer wieder, dass alles gut wird.
Für mich bedeutet das gerade, dass es mit dem Fremden was wird, aber das bleibt Wunschtraum.
Also wird nicht alles gut.
Vielleicht habe ich nicht genug daran geglaubt.

Vielleicht wird doch nicht alles gut, Raucher, sage ich ihm. Vielleicht hatte ich Unrecht, als ich das gesagt habe, jedes Mal. Aber alles geht vorbei.

Alles geht vorbei, Nein wir bleiben nicht stehen.
Alles geht vorbei, auch ein wieder mal gebrochenes Herz.