Mittwoch, 13. Februar 2013
Thema: monolog
Ms Golightly dann doch noch dabei, der Fremde hat sie zum Einsatzort gefahren und mich zur Begrüßung sehr vorsichtig auf die Wange geküsst.
Ein zurückhaltendes Lächeln in seinem besonnenbrillten Gesicht, ein paar Worte, Bereitschaftsleiter betritt die Bühne, der Fremde velässt sie, mayhem ab Richtung Garderobe.
Mit Wohlgefühl.

Dienstkleidung gibt Sicherheit. Ich bin kategorisierbarer damit. DRK, SEG Mayhemsdorf, Sanitäterin. Klare Beschriftung, klare Aussage, klare Aufgabe. Klare Funktion, klares Ich. Alles ganz einfach.
Ein bisschen mit Betrunkenen reden, freundlich zu kleinen Kinden und alten Omas sein.
Stabil, sachlich, neutral. Über der Situation stehen, aber menschlich genug, um trotzdem dabei zu sein.
Mit weisem und vertrauenserweckenden Blick das Schlachtfeld überwachen, gegebenenfalls eingreifen und hier und da Pfläumchen in die Hand gedrückt bekommen, um sie ein wenig später unauffällig weiter zu verschenken.

Dienstkleidung gibt Sicherheit, an Dienstkleidung prallt alles ab. Alles mit Sicherheitsabstand.
Ein bisschen der Vatersfeundin zuhören, ein bisschen mit dem Schreikind spielen, ja, ich weigere mich immer noch, meine Quasi-Nichte auch als solche anzusehen.
Hab schon genug Familienzugewinn durch den einen Mann da, der vielleicht mein Vater ist, und alles, was er sonst so in die Welt gesetzt hat plus die Familie des Rauchers, die mich standhaft aufnehmen will. Die Eltern meckern ein bisschen, weil ich mich nie traue, Hallo zu sagen, die Schwester hat mich sowieso schon ins Herz geschlossen und die Oma bittet mich immer, meinen Dutt aufzumachen, fragt ganz schüchtern, ob sie mein Haar anfassen dürfe und streicht dann andächtig durch. Sogar der Hund mag mich.
Es ist zum Ausderhautfahren.

Dienstkleidung schützt leider nicht vor allem.
Als die Nachbesprechung mit der Feuerwehr vorbei ist und ich von Ms Golightly erfahren habe, dass der Fremde schon länger wieder solo ist, stiefle ich gerade wieder Richtung Auto, um mich meiner viel zu weiten Einsatzuniform zu entledigen (nein, der Kreisverband hat es immer noch nicht für nötig gehalten, der einzigen Frau in der Bereitschaft passende Sachen zu stellen) und mir was ansatzweise Vorteilhaftes anzuziehen, bemerke noch eine verschwommene Bewegung im Augenwinkel und habe kurz darauf die Ghettoschwester am Hals hängen, die mir völlig betrunken ins Ohr schreit, wie lieb sie mich hat und bei der Gelegenheit ihre Flasche Asbach über/in meine Tasche mit der Zivilkleidung schüttet.
Und weil Parasiten immer in Horden auftreten, bin ich kurz darauf umringt von Ghettokindern, dem Grinch, dem braunhaarigen Fangirlie und dem Fremden, der im Bademantel unterwegs ist und aussieht wie ein Zuhälter.
Genug Ware hat er ja im Schlepptau, denke ich mir so, bin ein bisschen eifersüchtig, erleide einen akuten Anfall von Negativgefühl, weil ich mich ja in eine nicht-offene Käfigbeziehung habe drängen lassen und beschließe, mich auf die Suche nach dem Gefängniswärter alias dem Raucher zu machen.
Finde ihn dann auch, im Gegensatz zum Pinguin steht ihm die böse-Biker-Kluft sogar, will das zum Anlass nehmen, mich davon zu überzeugen, mich doch ein bisschen (mehr?) in ihn zu verknallen, werde in meinen Bemühungen aber dadurch, dass Mr.Gaunt im Jack-Sparrow-Kostüm nicht nur gut, sondern schlicht und ergreifend geil aussieht und der Fremde nebenher beständig versucht, mit mir zu reden, doch etwas gestört.
Begrüßungskuss vom Raucher, überraschenderweise ist die einzige Ursache für meine innerliche Abwehrreaktion die Tatsache, dass er nach Bier und Zigarettenrauch stinkt wie eine ganze Kneipe.
Vielleicht wird es ja doch noch.
Stehe so zwischen den Gesprächsgruppen und fühle mich deplatziert, bis die Ghettoschwester mich bittet, sie zur Toilette zu begleiten, weil sie nicht mehr alleine geradeaus laufen kann.
Mache ich, bin ja schließlich ein netter Mensch.

Hätte ich nicht machen sollen, bin schließlich hypersensibel (das sogar offiziell) und potenziell depressiv.
Weibergekicher drinnen, während ich vor der Tür warte, dann die Stimme des braunhaarigen Fangirlies.
Will eigentlich weghören, aber sie klingt so stolz, und dann fällt der Name des Fremden.
Von einer offenen Beziehung ist die Rede, oder, nach kurzem Überlegen, eher Fickbeziehung, man habe sich da so drauf geeinigt, weil sie untervögelt und er Dauersingle war.

Dienstkleidung schützt leider nicht vor Herzschmerz.
Spontanflucht, als sie mit den Einzelheiten auspackt und erzählt, wie doof er sich doch angestellt hätte; ich überlasse die Ghettoschwester ihrem Schicksal und hoffe, dass sie jemand anders wieder zu ihren Freunden zurückträgt.
Eine sehr schnelle Verabschiedung vom Raucher und den ganzen Leuten, die ich nicht mag, Mr. Gaunt ignoriert mich weiterhin eiskalt, ja, es tut weh, die Abschiedsumarmung des Fremden lasse ich ins Leere laufen, werfe meine Tasche und mich auf die Trage hinten im Auto, während der Bereitschaftsleiter zu doof ist, um es anzukriegen und deswegen lautstark mit dem gesprächigen Kollegen ehekracht.

Ein bisschen Heulbedürfnis, ein bisschen Herzschmerz.
Eine SMS von Kriemhild und, dank einem geistigen Kurzschluss, eine Zusage meinerseits.

Somit abends Fasching, Part 2 in der Heimatstadt meiner Mutter.




Dienstag, 5. Februar 2013
Ich versuche, mich auf ihn zu konzentrieren.
Sitze im Auto des Rauchers, auf dem Weg zu seiner Schwester, und ein wenig freue ich mich sogar, ihn zu sehen. Bei mir zu haben. Bei ihm zu sein
Habe aber auch keine andere Wahl.

Der Raucherschwesterhund wirft mich zur Begrüßung um, Kopf meets Marmorfliesen, aber ich bin bekannt für meinen Dickschädel, also geht das, und während der Raucher sich gerade vom Freund seiner Schwester alias der Dogge erzählen lässt, was in der Wohnung alles auf Kredit maßangefertigt worden ist, rapple ich mich wieder auf und versuche, meinem strauchelnden Gehirn Fluchtmöglichkeiten abzuringen.
Klappt eher suboptimal, während ich noch versuche, irgendwas sinnvolles in meinem Gedankenmatsch zu erkennen, werde ich schon von dem Mann, der mein Freund ist, eingearmt, ins Wohnzimmer geschleift und auf dem kreditfinanzierten Sofa geparkt, das in etwa den Wert meiner kompletten Wohnungseinrichtung haben dürfte.
Man flatscht mir ein vermutlich kreditfinanziertes Kühlbeutel-Geschirrtuch-Arrangement auf den Kopf und ich versuche, mich voll und ganz auf die Abwehr des völlig überdrehten Höllenhundes, der mich im Sitzen beinahe überragt, zu konzentrieren und seine Sabbersturzbäche irgendwie von mir weg zu lenken, während die Dogge am laufenden Band Scheiße verzapft und der Raucher immerzu andächtig nickt.
Klappt auch ganz gut, bis: "Also ich find das super, dass ihr jetzt richtig zusammen seid. Habs im Gesichtsbuch gelesen und mich richtig gefreut."
-"Wir waren auch vorher "richtig" zusammen", erwidere ich dem Kreditfan und mache mich auf eine weitere Endlosdiskussion über das Thema "offene Beziehung" gefasst.
Die Dogge lacht ein selbstgefälliges Ichweißallesbesserlachen. "Offene Beziehung,lächerlich. Hab mich gefragt, was das für eine lächerliche Scheiße sein soll, als ichs gelesen hab".
Ein betretenes Kippesuchen der Raucherschwester, ein triumphierendes "Siehste, da hörstes" des Rauchers.
Letzteres verletzend/verunsichernd genug, um mich endgültig davon zu überzeugen, den heutigen Abend in meinem Schneckenhaus zu verbringen und es nur bei Bedarf (Essen, Trinken, Toilette) zu verlassen.
Hab so schon genug Negativgefühl.
Fühle mich so schon deplatziert genug.
Bin so schon verunsichert ohne Ende.

Man nimmt bei der Wahl des ersten Films, der auf dem glorreichen (kreditfinanzierten) 3D-Fernseher in Sabberhundgröße gezeigt werden soll, sogar Rücksicht auf mich, wobei die Dogge keine Gelegenheit auslässt, sich über meine Angst vor Horrorfilmen lustig zu machen, zu sticheln und blöde Kommentare rauszuhauen, während der Raucher brav mitlacht und sich darüber wundert, dass sich mein Kuschelbedürfnis sehr in Grenzen hält.
Dann eine Strafpredigt der Dogge, weil ich es wage, den Raucher nach seiner siebten Zigarette darauf hinzuweisen, dass er heute eigentlich nicht mehr als zwei rauchen wollte (worum er mich gebeten hatte), die mich vor die Wahl stellt, ihm entweder sofort die schlecht gestochenen Piercings aus dem fleischigen Gesicht zu reißen, oder aber heulend aus dem Raum zu rennen.
Eventuell auch beides.
Die große Schwebesekunde, in der die Raucherschwester nervös an ihrer Kippe zieht, die Dogge hämisch grinst und der Raucher die Situation hätte retten können.
Unsicheres Grinsen bleibt seine einzige Reaktion und ich weiß, dass es jetzt eigentlich Zeit ist, zu gehen.

Ich bleibe.
Bleibe sitzen und wehre die Sabberfontänen des einen Hundes ab, während sich der andere vor dem Mann, der mein Freund ist, profiliert und der ergeben nickt, zustimmt, an den richtigen Stellen lacht und zwischendurch immer mal unsicher in die kreditfinanzierte Sofaecke schaut, in der ich mich verkrochen habe und still vor mich hin leide.
Dann Handyvibrieren und somit ein Grund, auf den Balkon zu fliehen. Anrufer: Papa Mayhem.


"Tut mir Leid, wenn ich dich gerade störe, ich wollte nur mal anrufen."
-"Danke, Papa."
"Ich kann auch wieder auflegen, wenn es später besser passt".
Das vermutlich ehrlichste "Danke" seit Langem verlässt mich, findet irgendwie durchs Handynetz seinen Weg heim und schreit nach einer väterlichen Umarmung.
Und auf dem Geländer hängend heule ich mich bei Papa Mayhem aus, so gut es eben geht, wenn man sowas 18 Jahre lang nicht gemacht hat. Eigentlich wissen wir beide nicht so wirklich, was man in so einer Lage machen muss, und eigentlich hatte er nur fragen wollen, wann ich die Unterlagen für den Vaterschaftstest rüberbringe, aber mein Papa scheint die Situation halbwegs zu erfassen, schweigt die allgemeine Weltuntergangsstimmung geübt in Grund und Boden und bringt es auf den Punkt: "Mit ihm geht also ganz sicher nicht, ohne aber irgendwie auch nicht."
-"So sieht es aus."
"Du bist genau so ein Schaf wie ich."
-"Ich weiß".
Und anscheinend reicht es, um im richtigen Moment zu wissen, wann man da sein sollte.
Und vielleicht sind wir uns inzwischen nah genug, um es dann auch zu sein. Da. Und so.
Vielleicht ist ja doch nicht alles verloren.

Den restlichen Abend überstehe ich durch gezieltes Schweigen und gezielten emotionalen Rückzug unter meine Schafswolle. Sollen sie doch gemein sein. Und unsensibel.
Sollen sie mich doch verletzen.
Hab schon schlimmeres überstanden.
Der Raucher bemerkt es nicht und sagt mir auf der Heimfahrt ganz stolz, wie mutig ich gewesen bin, und wie gut ich mich geschlagen habe, trotz fremder Umgebung und fremder Menschen.
Ich will ihm sagen, wie schmerzhaft ich die Gesamtsituation finde und den Abend fand, und dass ich das eigentlich nicht kann, so, wie es jetzt ist.
Es reicht, um anzumerken, wie unsympathisch ich die Dogge, wie unpassend-gemein ich seine Bemerkungen bezüglich einer nicht-klassisch eingeschränkten Beziehung und meiner gesamten Einstellung gefunden habe und dass ich mir sowohl sachliches Diskutieren, als auch einen Wutausbruch sehr hatte verkneifen müssen.

Er versucht es mit Beschwichtigungspolitik, obwohl ich längst nicht mehr wütend, sondern schon eine ganze Weile wieder am Boden zerstört bin.

Frage mich, wo es hin ist. Das, was da am Anfang war. Auch bei mir.
Wer es versteckt hat und wo.
Mit ihm geht also ganz sicher nicht, ohne aber irgendwie auch nicht.
Wenigstens haben Papa Mayhem und ich eine Gemeinsamkeit in Form unserer absoluten zwischenmenschlichen Unfähigkeit gefunden.





Samstag, 2. Februar 2013
Thema: monolog
Erkenntnis
Bin im Vergleich zum Patenonkel emotional ausgeglichen, positiv eingestellt und völlig gesund.
Aufgrund der Vergleichsperson wäre das allerdings jeder, der, von Bahngleisen/Autobahnen/Bürgersteigen vor Hochhäusern gekratzt, auf meiner Trage landet.
Erkenntnis, dass ich ihm nicht helfen kann.
Beschluss, trotzdem zu versuchen, den Kontakt beizubehalten.

Epic
Der andere Onkel, also der, der vielleicht gar nicht mein blutsverwandter Onkel ist, hat zu Papa Mayhem gesagt, Bruder, du solltest dein Hirn nicht in der Hose haben, sondern im Schädel, reiß dich mal zusammen, schau dir das Weib an, dass du dir da angelacht hast, und überleg mal, was du da für ne Scheiße gebaut hast.
BÄM, das ist meine Verwandschaft.
Auch, wenn er ansonsten ein korrupter, geldgeiler Schleimbeutel ist. In Vollzeit.

Endzeitstimmung
Papa Mayhem hat Verlustangst, überraschenderweise nicht wegen seinem Ansehen, sondern wegen mir.
Macht mich ein wenig sentimental. Wo wir uns doch schon so lange verloren haben.
Gesagt hat es mir nicht er, sondern die Vatersfreundin.
Er hat Angst. In die Ecke gedrängtes Kaninchen.
Ich weiß, wie das ist.
Er wusste es noch nicht.
Jetzt bin wohl ich die, die vorausgehen muss.

eingesperrt
Bei der Raucherschwester und ihrem Freund eingeladen gewesen, so oft zusammengerissen, nichts zu sagen.
Tendenziell wie irgendein viel zu großes Vieh in irgendeiner viel zu kleinen Gitterbox gefühlt.
Albatros im Wellensittichkäfig.
Eigenartig und eingesperrt.
Alltagsgefühl, anders ist eben doch immer das Gleiche.
Man gewöhnt sich dran.

Aber er gibt sich Mühe.
Ich mir auch.
Dem Raucherschwesterfreund fast ins Allerweltsgesicht geschlagen.
Mich fast ein bisschen in meinen verknallt.
Diesmal keine Abneigung, sondern sogar minimales Kuschelbedürfnis.
Ich habe gesagt, ich weiß nicht, ob das so geht, aber ich versuche es.
Eigentlich bin ich vom Scheitern überzeugt, aber zwischendurch hat es sich doch richtig angefühlt.
Weiß nicht, wo es hingegangen ist.
Vielleicht kommt es ja wieder.

Er gibt sich Mühe.
Ich mir auch.
Weiß nicht, ob er den Käfig größer machen oder mich schrumpfen will.

eigenartig
Die potenzielle Halbschwester angesehen und unter zwei Kilogramm Schminke ein Gesicht entdeckt, dass meinem viel zu ähnlich ist, um von Zufall zu sprechen.
75, 80%, sagt der Raucher. Sieht mir fast ähnlicher als meine Mutter. Und das bedeutet was.
Nur die Haare, und die Augen.
Die hat sie von ihrem Vater, glatte Haare und braune Augen. Meine Mutter hatte auch glatte Haare, und dunkelblaue Augen.
Meine sind grüngraublautürkis, wie bei Papa Mayhem. Oder Opa Mayhem.
Und wellige Haare hab ich, wie Papa Mayhem.
Ist irgendwie trotzdem kein Anhaltspunkt.

Gestern die Unterlagen bekommen, heute Besprechung, dann Test.
Neben dem gefühlt katastrophalen Zeugnis also dann der nächste blöde Zettel, der mehr bedeutet, als das ein Stück Papier eigentlich sollte.

Wer auf keinem Fundament steht, kann wenigstens nicht entwurzelt werden.

Ich vermisse Prag, obwohl ich nie da war, und die verwinkelte, kleine Stadt am Fluss, weil ich mal da war und es sich richtig angefühlt hat.
Hatte ich so nur ein weiteres Mal, am Meer.
Bin Nichtschwimmer und brauche Wasser in meiner Nähe.


Die Welt ist seltsam.




Mittwoch, 30. Januar 2013
Thema: gefunden.
"(...)
Ich setze mich gerne zwischen Stühle.
Ich säge an dem Ast, auf dem wir sitzen.
Ich gehe durch die Gärten der Gefühle,
die tot sind, und bepflanze sie mit Witzen.

Auch ich muss meinen Rucksack selber tragen.
Der Rucksack wächst. Der Rücken wird nicht breiter
Zusammenfassend lässt sich etwas sagen:
Ich kam zur Welt und lebe trotzdem weiter
.

(aus kurzgefasster Lebenslauf von Erich Kästner)





Einfach weiteratmen, und das Lächeln nicht vergessen.
Oder so.