Donnerstag, 10. Juli 2014
Heute von der Kleinstadt zur Unistadt, einmal komplett ans andere Ende, in die nächste Ecke, einen Vorort, einen anderen Vorort und wieder zurück, mit freundlicher Unterstützung der allseits beliebten und stets zuverlässigen Deutschen Bahn.
Ich glaube, das, was mich das Semesterticket gekostet hat, hätte ich innerhalb der letzten paar Tage locker ausgegeben. (So sinds nur die Kosten bis ich im Gültigkeitsradius bin. Trotzdem, Meh).
Zum Bafögamt, zum Studentenwerk, zu Wohnungsbesichtigungen.
Und das alles, ohne sich einmal zu verlaufen oder in den falschen Bus/Zug/die falsche Straßenbahn einzusteigen.
Ich!
In der Großstadt!
Wenn das mal keine Leistung ist.

Beim Bafögamt schimpft man auf meinen Vater, füllt schon mal den Vorschussantrag aus, und wenn ich es schaffe, am Freitag um 10 Uhr mit den noch einzuholenden Unterlagen auf der Matte zu stehen, habe ich zum 01.08. wieder Geld.
"Und wenn dein Vadda dir nischt zahlt, Mäuschen, dann kümma ICH mich dadrum!" hat sich die nette Beamte (ja, sowas gibt es wirklich) lautstark durchs ganze Stockwerk empört. So halb habe ich damit gerechnet, dass sie mir noch ein paar selbstgebackene Kekse mit gibt.


Wohnung eins ist klein, aber nett und möbliert, leider aber auch so weit vom Schuss, dass selbst die Verbindungen in die deutlich weiter entfernte Kleinstadt besser wirken, vor Allem nach späten Seminaren.
Was tendenziell eher ungünstig ist, wenn man mit einrechnet, dass das Mayhemmobil wohl noch vor August den endgültigen Gnadenschuss bekommt.

WG1 hat gar nicht mit mir gerechnet und es stellt sich heraus, dass man mich mit einer anderen Frau Mayhem verwechselt hat, mein Vorname fliegt anscheinend relativ häufig hier in der Gegend rum.
Jedenfalls "Sorry, aber ich glaube auch nicht, dass du zu uns passt". Sagt das Klischee-American High School-Girl (angeblich aber schon länger am Studieren), das mir die Tür geöffnet (und mich eigentlich auch vorgeladen) hat, zu mir, ohne mich überhaupt hereingebeten oder mit mir geredet, beziehungsweise mich den anderen Mitbewohnern vorgestellt zu haben.
Gut, warte ich halt dreißig Minuten im Regen auf den Bus, der mich aus eurem Scheißkaff wieder rausbringt.

Wohnung2 hat neun Quadratmeter (und da soll noch eine Kochgelegenheit rein), keinen Anschluss (oder Platz) für ein Spül- oder Waschbecken, aber immerhin eine Dusche.
Der Vermieter erzählt, ganz früher war es der Hühnerstall, und bis vor Kurzem habe seine Frau den Kabuff als Verkaufsräumchen für ihre Handarbeiten und den Honig der Bienen, die gleich nebendran wohnen, genutzt.
Warmmiete? Dreihundertfünfzig. Telefonanschluss passt eh keiner rein, mit dem Internet solle ich mal schauen, ob das mit so einer Stick-Geschichte ginge, das und der Strom würden dann halt noch dazu kommen.
Hups.

Am Bahnhof nach Feuer gefragt und sehr angenehm festgequatscht worden.
18, wirre dunkelmagentafarbene Locken, obskure Bandjacke. Stellt sich als die SchreiSchwedin vor (auch, wenn sie, wie sie erklärt, nur zu einem Viertel Schwedin ist, das restliche Viertel ist deutsch und die fehlende Hälfte kommt aus dem Iran), ist Frontsau irgendeiner Band von hier, die ich eigentlich kennen sollte, und so viel Randale, Revolution und Leidenschaft, wie man eben auf einsfünfundfünfzig packen kann.
Fand ich eigentlich ganz sympathisch.

Noch zwei WGs am Samstag. Und meine kleine "Geburtstags"feier.
Sollte mir nicht vorher vom Knastbruder das Genick gebrochen werden, weil sie kornbedingt die Miete für diesen Monat jetztsofortaufderStelleduSchlampe brauchen, wird das vielleicht auch mal ganz nett.

Und sollte ich das alles irgendwie bis August überstehen, wird es vielleicht wirklich besser.




Auto-Liebeskummer hab ich trotzdem.




Sonntag, 6. Juli 2014
Und BAM, Wohnung weg, weil dem Vermieter die ganze Bürgschaftssache zu lange gedauert hat.

Die letzten Stunden mit Anzeigen suchen, Mails schreiben und für WGs bewerben verbracht.

Ist das noch Weltuntergangsstimmung, oder schon absolute Auswegslosigkeit.




Donnerstag, 3. Juli 2014


Nachts halb eins auf der einzigen wirklichen Straße, die durch die Kleinstadt führt.
Nach einem Ausraster des Knastbruders, weil die 230 Euro, die er kornbedingt seiner Schwester schuldet, noch nicht auf deren Konto sind (Heute auf mein Konto einbezahlt und sofort auf ihres überwiesen), laufe ich zur einen Hälfte zur Postbank, zur anderen irre ich durch die Stadt und fühle mich heimatlos.
Nachdem erst der Salzkrug, dann ein Topf, der Hinweis "Ich schlag auch Behinderte. und Wenn die scheiß Kohle nicht auftaucht, schlag ich dich behindert", und schließlich die Erinnerung daran, dass er schon Leuten für weniger einen Finger abgeschnitten hat, in meine Richtung geflogen sind, wurde ich zur Tür rausgeschubst mit dem Befehl, das Geld sofort abzuheben, dann mit der gesamten Truppe (Knastbruder+Nachbarin, der Kater+Anhang) die 200km zu seiner Schwester zu fahren und mich zu entschuldigen für meinen Frevel, meine Unfähigkeit, meine Todsünde.

Ein Anruf beim Fremden.
Keiner da.
Einer bei Ms Golightly. Was auch immer los sei, sie könne gerade nicht, ihre Abikollegin hat Geburtstag.
Ich hätte gerne eine Familie, zu der ich zurückkann.
Habe ich aber nicht.
Ein Anruf beim Kumpel mit der weiblichen Seite. Seine Freundin hat eine Katzenhaarallergie und mag mich nicht, und überhaupt, so schlimm sei es doch bestimmt nicht.
Dann bin ich bei der Bank, stopfe mir die 230Euro wieder in meinen Geldbeutel, winke wie immer in die Kamera stehe kurz darauf wieder an der Straße und warte, dass die Fußgängerampel grün wird.
Inmitten des ganzen Wortgefechts hat der Kater angefangen, mitzuschreien. Dass ich das Geld wiederbeschaffen soll; dass ich sterbe, wenn es morgen nicht bei der Knastbruderschwester ist, und es ihm egal ist, ob sie mich dafür auf den Strich schicken müssen oder sonstwas.

Inzwischen habe ich fast alle Kontakte aus meiner Telefonliste abtelefoniert, die in und um die Kleinstadt wohnen.
Mir bleibt die Telefonnummer des Rauchers, die ich seit dem letzten Konzert wieder habe.
Erster Anruf. Mailbox.
Zweiter Anruf. Mailbox.
Ich hätte gerne eine Wahlfamilie, zu der ich kann.
Habe ich aber nicht. Nicht hier.
Eine sms, mit der Bitte, dem Flehen, an sein Telefon zu gehen.
Schreibe ihm, dass ich Angst habe. Wieder.
Dass ich nicht weiß, wo ich hin soll, dass er mich bitte zurückrufen soll, und ich nicht weiß, wen ich sonst noch anrufen soll. Dass ich nicht mehr weiß, was ich machen soll.
Dritter Anruf. Mailbox.

Auf der Fahrt bringt uns die Nachbarin fahrstilbedingt diverse Male fast um und ich denke mir, dass dann eigentlich alles einfacher wäre.

Die Knastbruderschwester sagt, es wäre schon ok gewesen, ist aber ruhig, als der Knastbruder anfängt, rumzuschreien, sie solle mich nicht verteidigen.
Der Kater liegt mit seinem Anhang besoffen auf dem Sofa und schläft.
Zu mir hat er gesagt, er kann sich keine Beziehung mehr geben.
Nachdem er und sie sich jetzt zwei Mal gesehen haben und ihr Einzug in der WG fest geplant ist, hat sich das wohl geändert.
Wie auch seine angebliche Näheallergie.
Stelle fest, dass er sich, ausgelöst vom Hass des Knastbruders auf mich, anscheinend sehr schnell von mir losgemacht hat, und dass das doch eigentlich gar nicht zu dem passt, was er gesagt hat.
Wie auch bei Mr.Gaunt, mit dem es heute ein Jahr gewesen wäre.

Das Baby der Knastbruderschwester spielt seelig mit meinem Glöckchenarmband, während die WG-Truppe besoffen auf dem Sofa eingeschlafen ist und seine Mutter die leeren Flaschen, die als Reiseproviant dabei waren, rausträgt.
"Sieh zu, dass dein Vater die Bürgschaft für die Wohnung übernimmt. Wär der Knastbruder nicht mein Bruder, würd ich auch nichts mit ihm zu tun haben wollen. Ich bin da nicht umsonst 200km weggezogen", hat sie gesagt.

Morgens halb vier, 200km weiter weg als vor drei Stunden.
Zur einen Hälfte sitze ich auf dem winzigen Balkon einer viel zu jungen, viel zu glücklichen Familie, damit ich deren Wohnzimmer nicht verräuchere, zur anderen hänge ich irgendwo in der Schwebe und fühle mich heimatlos.
Ein Blick aufs Handy, keine neuen Nachrichten.

Da sind auch keine neuen Nachrichten, als wir um zehn wieder heimfahren und ich überlege, erst den Knastbruder zu foltern und dann ihn, mein sterbendes Mayhemmobil und mich abzufackeln, bis mir einfällt, dass er es nicht verdient hat, im wunderbarsten Auto der Welt, in meinem Auto, sterben zu dürfen.
Pläne schmiede, wie ich ihn am effektivsten leiden lassen könnte, aber doch immer wieder zum Ergebnis komme, dass das rauskommt und ich dann Probleme kriege, von denen 15 Jahre Knast die Geringsten wären. Und etwas, das ich billigend in Kauf nehmen würde.

Bei "unserer" Autobahnabfahrt habe ich mir lange genug vorgebetet, dass Rache nicht die Lösung ist und ich eigentlich nicht auf seine untermenschliche Ebene runtersteigen will, um es mir fast zu glauben.
Zuhause wartet eine schreiende, hungrige Katze auf mich, die mir zur Begrüßung in die Wade beißt, danach aber immerhin die Freundlichkeit besitzt, sich neben mir zusammenzurollen und zu schlafen.
Ich hätte gerne ein Zuhause, das sich auch danach anfühlt.
Habe ich aber noch nicht.




Mittwoch, 2. Juli 2014
Thema: gefunden.


Von Anfang an fest in meinem Gehirn eingebrannt und auf "automatische Wiedergabe", wann immer ich auf der tausendspurigen Schnellstraße langsam von der Unistadt verschluckt werde, oder im Zug an den ersten riesigen Bahnhofshallen vorbeirolle.


Hamburg spuckt in schöner Regelmäßigkeit absolut geniale, psychisch absolut zerbombte Künstler aus.
Oder vielleicht zieht es sie alle dorthin, man weiß es nicht.