Mittwoch, 30. Juli 2014
Oder: Chroniken eines Umzugs, Part 1

Immer noch geschlaucht von der Begegnung mit Mr.Gaunt und neuem Anhang vor zwei Wochen schwanke ich so zwischen nichtrealisieren (oder so) und ein bisschen Herzschmerz. Der mich überraschenderweise nicht (mehr?) zersprengt. Bis jetzt.
Läuft eben beständig im Hintergrund mit, man kennt es. Der Grauschleier, der sich über alles legt.


Genau so die Noch-WG. Ich bin unfassbar froh, wenn ich weg bin, und habe Angst, auch dann nicht in Ruhe gelassen zu werden.
Dunkelgrauschleier, seit Monaten.
Weltuntergang, akut seit Beginn der Woche.
Meiner letzten Woche.

Es hagelt Umzugshelferabsagen, und dann ruft der letzte Mensch mit einem Kombi, beziehungsweise überhaupt einem Auto, alias der Postbote, an und verkündet die unheilvolle Botschaft Magenschleimhautentzündung. Bettruhe.

Stundenlanges Telefonieren bringt nichts, immerhin Papa Mayhem hilft eventuell, meine Küche ins Zwischenlager zu bringen.
Das wird mit lediglich (s)einem Auto und kleinem Anhänger aber nichts, und er kann die finale Fahrt mit den Büchern, dem Kaktus, der Aloe, der Katze, ggf ein paar Sachen aus dem Zwischenlager und meiner Wenigkeit nicht übernehmen.
"Frag doch mal deinen Exfreund. Den mit dem großen Auto."
-"Papa, ich kann Mr.Gaunt nicht fragen. Ich hab seine Nummer gelöscht, er will mich nicht in seinem Leben haben und ich kann im Moment noch nicht wieder mit ihm zu tun haben."
"Hmpf. Und der andere? Der kann auf jeden Fall schwer heben und hat keine zwei linken Hände." Im zweiten Satz schwingt gefühlt mehr Anerkennung mit, als ich in meinem ganzen Leben von ihm erhalten habe.
-"Ich weiß nicht, ob das so ne gute Idee ist.."
"Ach, da haben wir doch noch die Nummer, seine Mutter ist doch unsere Tupperwaredealerin. Oder hat der endlich mal ein eigenes Festnetz in seiner Wohnung?"
Mein Vater ist da eher unsensibel bis grenzenlos pragmatisch.
-"Papa, ich glaub echt, der will nichts mit mir zu tun haben."
"Das musst du wissen. Aber du hast doch keine andere Wahl, oder?"

Zwei Stunden später hat der Raucher eine SMS von mir.
Eine halbe Stunde später habe ich eine Antwort.
Und am Donnerstag einen Umzugshelfer, wenn er nicht wieder bis 20Uhr Ortskerne pflastern und Straßen teeren muss und danach klinisch tot ist.

Umzug mit dem Raucher und teilweise Papa Mayhem.
Wieder in einen Dachbunker.
Mit zusammengeschnorrten Möbeln und der ewigen Frage, wo zur Hölle ich die halbe Bücherei, die ich angesammelt habe, unterbringen soll.
Mit dem Unterschied, dass ich Kater Mayhem vor eineinhalb Jahren einfach in meinen großen Wäschekorb packen und die paar hundert Meter bis zum Luftschloss tragen konnte.
Für über eine Stunde Autofahrt sollte ich ihm vielleicht eine standesgemäßere Transportmöglichkeit besorgen*.

Irgendwo in dem ganzen Weltuntergang klettert das Stimmungsbarometer auf "leicht sentimental". Aber auf die gute Art, glaube ich.
Ich beschließe hiermit, das als gutes Zeichen zu sehen und verzichte darauf, es weiter zu hinterfragen, während ich darauf warte, dass die Noch-WG endlich betrunken genug ist, um einzuschlafen, sodass ich in Ruhe mein Zimmer entmüllen (klingt dieses Mal ausnahmsweise dramatischer, als es ist), Wäsche waschen, und irgendwann schlafen gehen kann.
Schließlich hat Rewe auch nicht immer Bananenkisten und ich muss morgen früh genug auf der Matte stehen, um mir genug davon zu krallen, um ein paar Kleidungsstücke, ein bisschen Haar- und Schminkkram und 1000000000000000000 Bücher einzupacken.

Alles wird gut.



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*Die, die ich beim Umzug in die Noch-WG hatte, war nur geliehen und steht nicht mehr zur Verfügung




Mittwoch, 23. Juli 2014


Mayhem betritt WG,
Mayhem textet den WG-Häuptling planlos zu und hilft bei akutem Nikotinentzug dank großartiger Drehfähigkeiten aus.
Eins zu Null.

Zweiten WG-Kollegen, den schüchternen Asiaten, gesichtet,
Hallo gesagt,
verlegenes Handschütteln, der schüchterne Asiate flüchtet, weil er, wie ich erfahre, Angst vor Frauen hat.
Zwei zu Null.

Dritte WG-Kollegin am Telefon des Häuptlings.
"Waaaas, sie hat ne Katze? Sie MUSS bei uns einziehen!"
Drei zu Null.

Vierter WG-Kollege am Telefon des Häuptlings.
"Joa, macht ihr das mal. Klingt sympathisch, und wenn se ne Katze mitbringt und Metal hört, is das echt ziemlich cool."
Vier zu Null.

Dreißig Minuten Gespräch, zehn Minuten später, während ich auf meinen Bus warte, kommt der Anruf, wenn ich will, wollen sie auch. Und ich könnte notfalls auch jetzt schon rein.


Somit wohne ich ab spätestens 01.08. mit einem Asiaten, der Angst vor Frauen hat, zwei mir bis jetzt unbekannten, da ebenfalls erst neu eingezogenen Menschen und dem Hippiehäuptling in einem netten, kleinen, sanierten Bauernhaus in einem Vorort, gegen den das Auenland gnadenlos abstinkt.
So, wie die Treppen, Balken, Deckenvorsprünge und Türen (zumindest auf meinem Stockwerk) aussehen, wurde es auch für Hobbits gebaut.
Und es hat Blümchenlinoleumboden in der Küche!
Und alte Holztreppen!
Und einen Garten!
Und die Busverbindungen treiben mich in den Wahnsinn!

5km bis zum Bahnhof. Ich fühle mich wieder wie zuhause.
Aber ne Tanke gibts.
Und es fährt immerhin öfter als einmal am Tag ein Bus vorbei. Gelegentlich sogar Richtung Uni.

Morgen heißt es endgültig Abschied nehmen vom Mayhemmobil, und in einer Woche habe ich wieder das Vergnügen, live aus einem, nein, meinem, Dachbunker zu schreiben.



Well these times ain't always easy
And our money's running dry
These are probably going to be the best days of our lives

So here we go, back on the road again
And wish me well, I've got no soul left to sell
Although we may not have very much to show for it now
At least we have these stories to tell
Yeah we're definitely going to hell




Dienstag, 22. Juli 2014
Adios und alle Liebe, die sich in meinem immer noch nicht ganz zurückgekehrten Herz befindet, ans Mayhemmobil,

aller Hass dieser Welt an den Knastbruder, und aus Prinzip auch an die Vatersfreundin, und an ein paar andere Menschen,

alle Hoffnung, die ich noch habe, an die HippieNerdBanker-WG, die ich morgen besuche,

und ein "Ich lebe noch, die Welt geht unter, aber wenn ich das hier überstehe, wird alles besser" an die werte Leserschaft und so ein bisschen auch an mich selbst.

Auf dass nicht nur verloren gegangene Hoffnungen Wunschvorstellungen, sondern auch Superheldenleistungen, allgemeine Aufwärtstendenzen, und die ein oder andere nette Begegnung*, sowie ein paar gute Möbelfunde zum Ausgleich der wunderprächtigen Erb- und Schnorrstücke, die sich in die Abgründe des Verfalls gestürzt haben, meinen Weg säumen.


Der selbstverständlich nach wie vor begleitet wird von ganz viel Geschepper und Getöse (Wieso habe ich darüber eigentlich noch keinen Blog gestartet?), weltbewegenden Erkenntnissen, diversen seltsamen Auswüchsen meiner Psyche und einem alles bedeckenden Teppich aus Katzenhaar.








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*natürlich gerne langhaarig und bärtig, aber ich bin da ja flexibel und zur Zeit erstaunlich emotionstot, außer dieser eine langhaarige Bärtige,der mal meiner war, steht, samt neuem Anhang, vor mir, wie am Freitag. Aber auch das hat man überlebt. Ich habs drauf.




Sonntag, 13. Juli 2014
Die letzte WG liegt am Ende einer sehr, sehr langen Straßenbahnschienengerade, etwas abseits vom Gehsteig in einem schon etwas älteren Gebäude.
Drinnen riecht es wie im Rathaus in Mayhemsdorf, in dem ich meine halbe Kindheit verbracht habe, weil meine Mutter und der Rest der Theatergruppe (inklusive meinem mutmaßlichen Erzeuger) dort immer geprobt haben, und sogar die Treppe sieht so ähnlich aus.
Als ich den ersten Stock erreiche, stelle ich fest, dass selbst der Boden "passt".
Instant Heimatgefühl.
Nach ein paar Minuten verlässt ein anderer Kandidat die Wohnung und ich werde rein gebeten.

Mitbewohner2 ist Koch und gerade nicht da, Mitbewohner1 ist Journalist, um die 40 und, wie ich schnell feststelle, Metalmensch aus Leidenschaft.
Quasi subkultureller Heimvorteil für mich.
Die Tatsache, dass ich nicht nur halbwegs in der Szene verhaftet, sondern auch noch hochsympathisch und mit dem besten Humor der Welt ausgestattet bin (und kein bisschen pseudoarrogant) scheint irgendwie auch zu helfen, jedenfalls verquatscht man sich eine Dreiviertelstunde, bevor ich dann doch los muss, Tante Emma am Bahnhof einsammeln und weitertingeln Richtung Konzert.
Der Journalist sagt, am Dienstag fällt er eine Entscheidung, und ich weise nochmals darauf hin, dass ich eh die sympathischste Kandidatin bin.
Dreistigkeit siegt, und so.
Er meint, ich sei auf jeden Fall mit Abstand die Ehrlichste und Direkteste gewesen und die, die sich am Wenigsten verstellt hat, und es klingt, als ob das ganz gut ist.
Außerdem habe ich den Finsternis-Bonus, den bis jetzt kein einziger Bewerber mitgebracht hat.
Und kann legendäre Rumkekse backen.

Mit diesem Hinweis und einem absolut einnehmenden Grinsen verabschiede ich mich aus der eher kleinen, aber ganz netten Wohnung, in diesem wunderbaren Haus, am Ende der unendlichen Straßenbahngleise.
Renne noch fast einen Studenten über den Haufen, der gerade sein Fahrrad direkt vorm Hauseingang ankettet,
fahre zum Bahnhof, sammle Tante Emma ein, lasse uns vom Postboten einsammeln, um mich ein paar Stunden später mal wieder fast in den Haaren anderer Leute zu verheddern, mich ein bisschen feiern zu lassen und so, wie ich es von Mr.Gaunt gelernt habe, mit der SchreiSchwedin zu reden: Ohne jegliche Hemmungen, vielleicht zwischendurch etwas skurril, aber immer direkt.

Scheint auch ganz gut zu funktionieren, sie stellt sich als anhänglich, aber im angenehmen Maß heraus, bei "Ey, macht mal rum!"-Sprüchen vergräbt sie sich verschämt in meinen Haaren und alles ist ganz wunderbar, bis mich der Mischpultmann bei der letzten Band beiseite und Richtung Bar zieht und mir mitteilt, dass die gute Frau vergeben ist.
Kleiner Dämpfer.

Der Abend endet dort, wo Tante Emma und ich sowieso die meiste Zeit anzutreffen sind, nämlich auf dem Balkon des Mischpultmanns. Mit Mädchenbier, angenehmer Aussicht und sympathischer Gesellschaft.
Meine faszinierende Wirkung scheint ausgeprägter zu sein, als ich angenommen habe, denn, wie ich von seinem Kumpel Bon Jovi indirekt erfahre, hat der Exilsachse mich letztes Mal wohl nicht bewusst-ablehnend ignoriert und sich danach anscheinend sogar nach mir erkundigt.
"Aber der ist Nichtraucher. Und anscheinend normal im Kopf. Und sogar normalgewichtig! Und man sieht noch freie Stellen auf der Haut, die nicht zutätowiert sind!Sicher, dass du den attraktiv findest?" Tante Emma hat mein Standardbeuteschema wohl irgendwie durchschaut.
-"Hat lange Haare, nen Bart und konnte die letzten Male auch zu fortgeschrittener Stunde noch geradeaus laufen. Passt." Ich bin da nicht so anspruchsvoll.
Größer als ich ist er sogar auch. Luxus.
Ich beschließe, Bon Jovi weiter festzuquatschen, in der Hoffnung, nicht nur ihn, sondern vor Allem auch den Exilsachsen demnächst mal irgendwo mit hin schleifen zu können, um mir den Menschen mal näher anzusehen, und das möglichst, bevor ich (hoffentlich!) umziehe.

Man drücke mir also weiterhin die Daumen für alles Mögliche, und vielleicht schreibe ich schon in zwei Wochen aus der Unistadt.
Mit ansatzweise guter Laune (hey, ich habe einen Hoffnungsschimmer. Vielleicht komme ich hier doch heil raus) widme ich mich damit wieder der Metrik und dem ganzen Mist, den irgendwelche Menschen im Mittelalter so verzapft haben, in der Hoffnung (da, schon wieder Hoffnung. Ich werd noch zur Optimistin hier), meine letzte Klausur am Dienstag so gut zu überstehen wie die anderen davor; eventuell gelegentlich unterbrochen von ein paar Mal Aufregen über die SchreiSchwedin und ein, zwei Besuchen pro halbe Stunde des Profils des Exilsachsen. Also, einfach so. Der hat so eine wahnsinnig intensive Augenfarbe. Hach.