Thema: persoenlichkeitsfetzen
31. Mai 13 | Autor: mayhem | 0 Kommentare | Kommentieren
...on the way that has no end
Irgendwie überstehe ich eineinhalb Stunden Kirche und eine Stunde Friedhof im Dunstkreis der Weihrauchschleuder, auf nüchternen Magen natürlich, weil mein Vater darauf bestanden hat, um 13.15 in der Kirche zu sein, schließlich soll es um 14Uhr beginnen.
Zu viele fremde Menschen, zu viel Entfremdung.
Die Kälte, die man sich für Familienzusammenkünfte aufspart, quillt aus allen Rillen und Winkeln und Löchern der mühsam freundlichen Fassade, die die mutmaßliche Restverwandschaft um sich hochgezogen hat, und alles starrt.
Als ich kein Weihwasser auf den Sarg schleudere.
Als ich nicht mitbete.
Als ich nicht zur Kommunion zum Altar gehe.
Als ich nicht mitsinge.
Dastehen, starren, Blicke meiden. Ich weiß, dass ihr mich durchleuchtet.
Wieder singen, wieder beten. Beim "Segne du Maria..." krallen der eventuell-Onkel, Papa Mayhem und ich uns synchron in unsere Schirme.
Der Eventuell-Onkel und ich behalten die Fassung, Papa Mayhem fängt an, aus den Augen zu tropfen.
Männer dürfen doch nicht weinen, erst recht nicht, wenn das halbe Dorf zuschaut.
Den einsekündigen Versuch, seine Hand kurz zu drücken, breche ich genauso schnell wieder ab, wie ich ihn gestartet habe, und kehre zurück in meine Isolation.
Kein Gebet.
Keine Worte.
Kein Erde-aufs-Grab-Schaufeln.
Lediglich eine nur in Gedanken ausgesprochene Entschuldigung dafür, dass ich während dem kompletten Gottesdienst geistig nicht dabei war. Respektlos, ja.
Bitte sei mir nicht böse, denke ich, deute das erste und einzige Kreuzzeichen des heutigen Tages an und versuche, irgendwie zu meiner Mutter durchzukommen.
Keine Chance, Durchgang verstopft, irgendwelche dicken, überschminkten, dauergewellten alten Frauen stehen da und versuchen wiederum, an mir vorbeizukommen, um der Vatersfreundin Beileid zu wünschen, die wenigstens den Anstand hat, so zu tun, als würde sie es wundern, dass alle mit ihr reden wollen und niemand mit mir.
Noch mehr dicke Frauen und Menschen, die ich nicht kenne, rechts neben mir Gräber, links neben mir Hecke, vor mir Stau,hinter mir auch, ich will doch einfach nur zu meiner Mutter.
Und dann ist mit einem Mal das, was an der Urnenwand passiert, interessanter als das Grab, für dessen Zuschaufeln man gerade ansteht.
Ich hasse es.
Zuviel Entfremdung, zu viel Heuchelei, zu wenig Sensibilität.
Das bisschen Rücksichtnahme, das man sich mühsam für heute zusammengekratzt hat, verabschiedet sich innerhalb der ersten zehn Minuten beim Leichenschmaus, die Mutation zum normalen Familientreffen beginnt, als die ersten Krankheitsgeschichten ausgetauscht werden.
Bilanz: zwei Stücke Kuchen, drei Brötchenhälften jeweils mit Käse, fünfmal "Hast du jetzt eigentlich schon deinen Abschluss?", zweimal "Ach, du bist ja eine hübsche junge Frau geworden!", eine Frage nach dem aktuellen Gesundheitszustand des Mayhemmobils.
Zweimal absolute Verstümmelung meines Namens durch einen alten Mann, den ich (wie so viele der Anwesenden) vorher noch nie gesehen habe, und der erst ihre Schwester, dann die Vatersfreundin selbst zu meiner Mutter erklärt. Hat ja schließlich kurze Haare, wie es bei meiner Mutter war, und in etwa die gleiche Körpergröße, und den Rest kann man ja getrost unter den Tisch fallen lassen.
Schade, dass ich zu alt bin, um wie meine Großgroßcousine das Smartphone zu zücken und völlig legitim nicht mehr ansprechbar zu sein, mit fast 19 kann man leider nicht mehr mit "pubertäre Ultracool-Trotzphase" argumentieren.
Im Gegensatz zu mir mit 13 haut sie zum schwarzen Kajal aber noch eine Ladung grauen Lidschatten aufs Auge und helles Makeup ins Gesicht und perfektioniert damit den Kontrast zu ihrer Kinderkleidung und ihrem Kinderaussehen.
Wenigstens nicht Glitzerlidschatten+zu dunkle Foundation, es scheint sich eindeutig positiv auszuwirken, dass ihr Freund, zumindest den Aufklebern auf seinem Auto (ich gehe davon aus, dass es seines ist, schließlich ist er 21) nach zu urteilen, der Metalfraktion zuzuordnen ist.
"SO JUNG UND SCHON TINNITUS??", schreit mir der Mensch, der die letzte halbe Stunde damit verbracht hat, meinem wahrscheinlich dauerhaft arbeitsunfähigen Vater zu erklären, wie anstrengend seine Reha für ihn, aber wie gut es doch ist, dass man bei ihm die angerissene Rotatoren-Manschette in der Schulter früh bemerkt hat, ins kaputte Ohr.
"Kein Tinnitus, nur Reißen und Rauschen, wenn man laut reinschreit oder es allgemein laut ist", korrigiere ich, möglichst neutral im Ton, "Und nach zu großer Lärmbelastung höre ich eine Weile nicht ganz so gut drauf."
-"Jaja, ich hab das ja auch, mit dem Tinnitus, das ist so eine Sache...."
Ich beschließe, meinem Tinnitus, der keiner ist, meinem Vater, dessen Rotatoren-Manschette nicht angerissen, sondern aufgeplatzt, abgerissen und zerfetzt ist, und mir einen Gefallen zu tun und uns mit einem freundlichen, aber bestimmten "Willst du eine Brötchenhälfte?" wieder an unseren Tisch zurück und raus aus der Unterhaltung mit dem Schreimenschen von nebendran zu holen.
Familienhälfte eins (Team Eventuell-Onkel) und Familienhälfte zwei (Team Papa Mayhem-Vatersfreundin-so halb ich) schweigen sich noch eine Weile an und verachten sich eisig und wortlos, die Eventuell-Tante beobachtet genau, was und wie viel ich esse und legt sich demonstrativ nur eine Scheibe Belag auf ihre Brötchenhälfte, wenn ich mich zu zwei Scheiben Käse pro Hälfte überrede und das auch knallhart durchziehe.
Trotzdem bin ich dünner als sie.
"Wir sind ja jetzt verlobt", verkündet die Eventuell-Cousine gedehnt und tätschelt ihrem Jetzt-Verlobten die Hand. "Ich habe gehört, dein Freund und du haben sich getrennt, mayhem?"
-"Ja, ist jetzt bald nen Monat her."
"Ach, das tut mir aber Leid."
Falsche Schlange.
-"Das passt schon, lieber so, als dann irgendwann in ner Sackgasse zu stehen und zu merken, dass man nur aus Gewohnheit und Angst vorm Alleinesein überhaupt da gelandet ist". Was in etwa der Beziehungssituation entspräche, in der sowohl ihre Eltern, als auch sie selbst stecken.
Ich bin lieber halb tot vor Herzschmerz und dafür ehrlich verliebt, als bequem in steriler Scheinzufriedenheit festbetoniert...
Denke es mir und frage mich noch im selben Moment, warum es das Schicksal zur Zeit mit dem "halb tot vor (Herz)schmerz" so verdammt ernst meinen muss.
Irgendwie überstehe ich eineinhalb Stunden Kirche und eine Stunde Friedhof im Dunstkreis der Weihrauchschleuder, auf nüchternen Magen natürlich, weil mein Vater darauf bestanden hat, um 13.15 in der Kirche zu sein, schließlich soll es um 14Uhr beginnen.
Zu viele fremde Menschen, zu viel Entfremdung.
Die Kälte, die man sich für Familienzusammenkünfte aufspart, quillt aus allen Rillen und Winkeln und Löchern der mühsam freundlichen Fassade, die die mutmaßliche Restverwandschaft um sich hochgezogen hat, und alles starrt.
Als ich kein Weihwasser auf den Sarg schleudere.
Als ich nicht mitbete.
Als ich nicht zur Kommunion zum Altar gehe.
Als ich nicht mitsinge.
Dastehen, starren, Blicke meiden. Ich weiß, dass ihr mich durchleuchtet.
Wieder singen, wieder beten. Beim "Segne du Maria..." krallen der eventuell-Onkel, Papa Mayhem und ich uns synchron in unsere Schirme.
Der Eventuell-Onkel und ich behalten die Fassung, Papa Mayhem fängt an, aus den Augen zu tropfen.
Männer dürfen doch nicht weinen, erst recht nicht, wenn das halbe Dorf zuschaut.
Den einsekündigen Versuch, seine Hand kurz zu drücken, breche ich genauso schnell wieder ab, wie ich ihn gestartet habe, und kehre zurück in meine Isolation.
Kein Gebet.
Keine Worte.
Kein Erde-aufs-Grab-Schaufeln.
Lediglich eine nur in Gedanken ausgesprochene Entschuldigung dafür, dass ich während dem kompletten Gottesdienst geistig nicht dabei war. Respektlos, ja.
Bitte sei mir nicht böse, denke ich, deute das erste und einzige Kreuzzeichen des heutigen Tages an und versuche, irgendwie zu meiner Mutter durchzukommen.
Keine Chance, Durchgang verstopft, irgendwelche dicken, überschminkten, dauergewellten alten Frauen stehen da und versuchen wiederum, an mir vorbeizukommen, um der Vatersfreundin Beileid zu wünschen, die wenigstens den Anstand hat, so zu tun, als würde sie es wundern, dass alle mit ihr reden wollen und niemand mit mir.
Noch mehr dicke Frauen und Menschen, die ich nicht kenne, rechts neben mir Gräber, links neben mir Hecke, vor mir Stau,hinter mir auch, ich will doch einfach nur zu meiner Mutter.
Und dann ist mit einem Mal das, was an der Urnenwand passiert, interessanter als das Grab, für dessen Zuschaufeln man gerade ansteht.
Ich hasse es.
Zuviel Entfremdung, zu viel Heuchelei, zu wenig Sensibilität.
Das bisschen Rücksichtnahme, das man sich mühsam für heute zusammengekratzt hat, verabschiedet sich innerhalb der ersten zehn Minuten beim Leichenschmaus, die Mutation zum normalen Familientreffen beginnt, als die ersten Krankheitsgeschichten ausgetauscht werden.
Bilanz: zwei Stücke Kuchen, drei Brötchenhälften jeweils mit Käse, fünfmal "Hast du jetzt eigentlich schon deinen Abschluss?", zweimal "Ach, du bist ja eine hübsche junge Frau geworden!", eine Frage nach dem aktuellen Gesundheitszustand des Mayhemmobils.
Zweimal absolute Verstümmelung meines Namens durch einen alten Mann, den ich (wie so viele der Anwesenden) vorher noch nie gesehen habe, und der erst ihre Schwester, dann die Vatersfreundin selbst zu meiner Mutter erklärt. Hat ja schließlich kurze Haare, wie es bei meiner Mutter war, und in etwa die gleiche Körpergröße, und den Rest kann man ja getrost unter den Tisch fallen lassen.
Schade, dass ich zu alt bin, um wie meine Großgroßcousine das Smartphone zu zücken und völlig legitim nicht mehr ansprechbar zu sein, mit fast 19 kann man leider nicht mehr mit "pubertäre Ultracool-Trotzphase" argumentieren.
Im Gegensatz zu mir mit 13 haut sie zum schwarzen Kajal aber noch eine Ladung grauen Lidschatten aufs Auge und helles Makeup ins Gesicht und perfektioniert damit den Kontrast zu ihrer Kinderkleidung und ihrem Kinderaussehen.
Wenigstens nicht Glitzerlidschatten+zu dunkle Foundation, es scheint sich eindeutig positiv auszuwirken, dass ihr Freund, zumindest den Aufklebern auf seinem Auto (ich gehe davon aus, dass es seines ist, schließlich ist er 21) nach zu urteilen, der Metalfraktion zuzuordnen ist.
"SO JUNG UND SCHON TINNITUS??", schreit mir der Mensch, der die letzte halbe Stunde damit verbracht hat, meinem wahrscheinlich dauerhaft arbeitsunfähigen Vater zu erklären, wie anstrengend seine Reha für ihn, aber wie gut es doch ist, dass man bei ihm die angerissene Rotatoren-Manschette in der Schulter früh bemerkt hat, ins kaputte Ohr.
"Kein Tinnitus, nur Reißen und Rauschen, wenn man laut reinschreit oder es allgemein laut ist", korrigiere ich, möglichst neutral im Ton, "Und nach zu großer Lärmbelastung höre ich eine Weile nicht ganz so gut drauf."
-"Jaja, ich hab das ja auch, mit dem Tinnitus, das ist so eine Sache...."
Ich beschließe, meinem Tinnitus, der keiner ist, meinem Vater, dessen Rotatoren-Manschette nicht angerissen, sondern aufgeplatzt, abgerissen und zerfetzt ist, und mir einen Gefallen zu tun und uns mit einem freundlichen, aber bestimmten "Willst du eine Brötchenhälfte?" wieder an unseren Tisch zurück und raus aus der Unterhaltung mit dem Schreimenschen von nebendran zu holen.
Familienhälfte eins (Team Eventuell-Onkel) und Familienhälfte zwei (Team Papa Mayhem-Vatersfreundin-so halb ich) schweigen sich noch eine Weile an und verachten sich eisig und wortlos, die Eventuell-Tante beobachtet genau, was und wie viel ich esse und legt sich demonstrativ nur eine Scheibe Belag auf ihre Brötchenhälfte, wenn ich mich zu zwei Scheiben Käse pro Hälfte überrede und das auch knallhart durchziehe.
Trotzdem bin ich dünner als sie.
"Wir sind ja jetzt verlobt", verkündet die Eventuell-Cousine gedehnt und tätschelt ihrem Jetzt-Verlobten die Hand. "Ich habe gehört, dein Freund und du haben sich getrennt, mayhem?"
-"Ja, ist jetzt bald nen Monat her."
"Ach, das tut mir aber Leid."
Falsche Schlange.
-"Das passt schon, lieber so, als dann irgendwann in ner Sackgasse zu stehen und zu merken, dass man nur aus Gewohnheit und Angst vorm Alleinesein überhaupt da gelandet ist". Was in etwa der Beziehungssituation entspräche, in der sowohl ihre Eltern, als auch sie selbst stecken.
Ich bin lieber halb tot vor Herzschmerz und dafür ehrlich verliebt, als bequem in steriler Scheinzufriedenheit festbetoniert...
Denke es mir und frage mich noch im selben Moment, warum es das Schicksal zur Zeit mit dem "halb tot vor (Herz)schmerz" so verdammt ernst meinen muss.