Dienstag, 21. Mai 2013
edit am Ende des Eintrags.


Samstag, halb drei in Deutschland. Die Welt ist noch in Ordnung, Ms Golightly, die Egoschleuder und die Hipsterbraut sind bei mir auf der Terasse der Gruftterasse, ein Noch-Wirtschaftsinformatik-bald-aber-BWL-Student findet mich total faszinierend und ich fühle mich zum ersten Mal seit Beginn meiner (mehr oder weniger freiwilligen) Besuche hier ansatzweise wohl.
Keine Deplatziertheit, fast keine Angst vor fremden Menschen dank vertrauter Umgebung und theoretisch verlässlicher Begleitung. Vielleicht steht auch einfach der Mond günstig, oder so.
Jedenfalls ansatzweise Wohlgefühl, deshalb schaffe ich es sogar, mit mir unbekannten Personen zu reden. Mit Rapunzel, wobei es sich hier um einen Mann handelt, und eben mit dem Bald-BWLer, der sich uns als Rambo vorstellt und sich später am Abend der Lebensaufgabe stellt, mir und Ms Golightly Billard spielen beizubringen, nachdem ich ihm erklärt habe, dass ich es prinzipiell versuchen kann, aber nicht, wenn andere, fremde Menschen zuschauen.
"Ist doch egal", lacht er und spielt solange eben gegen Ms Golightly, nicht, ohne immer wieder mit mir Blickkontakt aufzubauen, den ich nicht immer reflexmäßig vermeiden kann, wodurch ich die Egoschleuder ziemlich eifersüchtig mache.
Genervtes Schweigen, gelegentliches Spontanverschwinden und diverse bissige Kommentare über den Bald-BWLer sind die Folge.
Ich lache die Egoschleuder ein bisschen aus und fühle mein Selbstwertgefühl etwas aufgepäppelt, bin gleichzeitig aber auch ein bisschen genervt, weil wir erstens nicht zusammen sind, zweitens sein gleichbleibend hoher Verschleiß an Ghettofraktionsmitgliedern und anderen Dumpfbacken-Fans von mir akzeptiert wird und unkommentiert bleibt (was er auch so erwartet und als Selbstverständlichkeit ansieht) und drittens das schließlich meine Sache ist.
Ein Gespräch mit Rapunzel ergibt, dass sich die Egoschleuder auch bei ihm über den bald-BWLer aufgeregt hat. Nicht etwa aufgrund spontan erwachter Gefühle für mich, sondern viel mehr wegen verletzer "Besitzansprüche". Schließlich handelt es sich doch bei ihm um meine aktuelle Gemeinschaft für engeren Körperkontakt, und auch,wenn er rumhuren darf, bedeutet das doch noch lange nicht, dass mir das auch erlaubt ist.
Einmal gehörig verbal Ankotzen nimmt ihm auch diese Illusion, und die nächste Zeit verbringt die Egoschleuder damit, mehr oder weniger beleidigt einer Fünfzehnjährigen nachzurennen, die mit Aufsichtswisch hier ist und um deren Beinchen ein weißes Röckchen flattert, das so kurz ist, dass man bei jeder Drehung/Bewegung/Hinsetzversuchen aller Art die sich darunter befindende pink-schwarz gestreifte, mit Glitzertotenkopf verzierte Unterhose sieht, die davon abgesehen auch beim Laufen durchscheint.
An dieser Stelle möchte ich diversen Bands, dem Internet und allen anderen Faktoren, die bei mir zur Stilfindung beigetragen haben, dafür danken, dass ich niemals so aussah, egal, wie tief ich gerade in der Emophase (die ich bis heute nicht bereue) oder namenlosen Stilmutationen (von denen ich nur eine bereue) drin steckte.
Außerdem danke ich meiner Mutter dafür, dass sie in der Schwangerschaft immer Hüttenkäse und ganz viel anderes gesundes Zeugs gegessen hat, sodass ich nicht nur, trotz Frühgeburt, mit ohrlangen, schwarzen Haaren und (für ein Baby) Endloswimpern, sondern auch mit einem gut funktionierenden Gehirn auf die Welt gekommen bin, das dadurch, dass ich immer in meiner Babywippe auf dem Küchentisch oder gleich neben dem Herd stand, wenn sie gerade gekocht/gebügelt/Zeitung gelesen hat, weiter geschult wurde und auch den (für ein Baby) nicht gerade angenehmen Sturz von der Wickelkommode, von der sie mich mit 6 Monaten runtergeschmissen hat, ohne Schäden überstanden hat.
Somit war ich nämlich bei sämtlichen selbstgestochenen Piercings schlau genug, mir nicht einfach planlos eine Nähnadel durch sonstwelche Körperteile zu hauen und mich dann zu wundern, wieso das Endergebnis schief, siffend und im Falle des nach wie vor sehr populären Lippenpiercings auch noch zahn(-fleisch-)schädigend ist.

Während ich der Hipsterbraut einen Einführungsvortrag in die Welt der semi-seriös gestochenen Piercings mit (in jeder Hinsicht) möglichst sauberem Endprodukt gebe, lässt der Beinahe-BWler namens Rambo Ms Golightly immer wieder alleine am Billardtisch stehen, weil er das Bedürfnis hat, jetzt, sofort, auf der Stelle, ohne Verzögerung tanzen zu gehen. Dann steht er mitten auf der Tanzfläche und macht ausschweifende Walla-Walla-Bewegungen, die irgendwie auch nur bei ihm gut aussehen und man erkennt, dass er mit der Nietzschekatze befreundet ist.
Später am Abend traut er sich aber auch ein Stockwerk höher, wo ich (und abhängig von meiner Überzeugungskraft meistens auch ein Großteil der Menschen, mit denen ich da bin) mich meistens verstecke aufhalte, sitzt eine Weile bei Ms Golightly, der Hipsterbraut und mir und beobachtet mich beim Mitwippen, flüchtet dann aber wieder in tanzbarere Gefilde.
"Der steht auf dich", stellt die Hipsterbraut fest.
-"Messerscharf kombiniert". Ms Golightly nippt mit todernstem Blick an ihrem Glas. "Mayhem, bleib anständig!"
-"Ach, hör nicht auf die,lass es krachen!", widerspricht ihr die Hipsterbraut, "Als Single braucht man das!"
Weil ich keine Lust auf Grundsatzdiskussionen und zudem versprochen habe, es zumindest mit dem Billardspielen zu versuchen (damit der Bald-BWLer mir meine absolute Unfähigkeit endlich glaubt), mache ich mich auf die Suche nach ihm. Und der Egoschleuder, auf kuscheliges Billardspielen alleine mit Rambo habe ich nämlich keine Lust und die effektivste Verteidigung gegen eventuell zu aufdringliche Männer ist immer noch, einen anderen mitzuschleifen, der sowieso schon ein bisschen angepisst ist.
Ich finde dann auch beide auf der Raucherterasse, wo sich Rambo nur hinbegeben hat, weil ich dort auch manchmal anzutreffen bin, und wohl notgedrungen angefangen hat, sich mit der Egoschleuder zu unterhalten, die sich wieder beruhigt zu haben scheint und sich sogar etwas anhänglich zeigt.
Meine Theorie, dass es sich bei stark an den eigenen Bedürfnissen orientiertem und keinesfalls anhänglich-weinerlichem Verhalten um die einzig richtige Möglichkeit des Umgangs mit ihm handelt, verfestigt sich somit weiter, und er bleibt tatsächlich brav an meiner Seite, sodass sich Rambo nicht traut, so zudringlich zu werden, wie er vermutlich möchte, weshalb seine Gesellschaft dann auch ganz angenehm ist eigentlich.
Somit bleibt der Abend auch ganz nett, als sie die letzten Besucher und uns rauskehren, wehre ich mir nicht dagegen, Rambos Handynummer zu bekommen, auf die Gute-Nacht-SMS, die ich ihm schreibe, weil ich wissen will, ob meine Flatrate auch für sein Netz gilt (tut sie nicht), bekomme ich fast sofort eine Antwort und die Aufforderung, ihn im sozialen Netzwerk meines Misstrauens und/oder dem Gesichtsbuch, sollte ich dort sein, hinzuzufügen/zu adden (tue ich erstmal nicht), habe am nächsten Morgen eine Anfrage, bekomme eine Nachricht, nach meiner zeitversetzten Antwort werde ich nach einem Date gefragt und das aufgrund von "Hilfe, jemand hat Interesse an mir!"/allgemeiner Panik geschriebene "Ich bin zur Zeit allgemein und besonders wegen dem Abi im Stress, später aber gerne" (Verdammt, wieso "gerne"?) wird mit einem "wäre sehr schön, wenn das klappt :)" und dem Hinweis auf die absolut erotisierende optische Wirkung meiner beiden Lippenpiercings beantwortet.

Genau eine Stunde später trudelt eine Nachricht der Nietzschekatze ein, die gestern mit Rambo auf einem Konzert war und jetzt, nachdem ich mich schon kilometertief in der ominösen Friendzone wähnte, mit mir ins Kino möchte. Alleine.
Und die auf meine Bedenken bezüglich meines Wieder-Heimkommens (Auto massiv am Spinnen, Züge immer noch ein selten gesichteter Luxus, der nach wie vor 6km entfernt alle paar Stunden mal durch die Pampa rattert und abends/nachts gar nicht mehr fährt) vorschlägt, ich könne bei ihr übernachten und dann am nächsten Tag, wenn es wieder Züge in meine Richtung gibt, heimfahren, vorausgesetzt, es wäre mir nicht unangenehm, weil wir uns noch nicht so lange kennen.
Mit Zwinkersmiley.

Ich bin panisch, weil mich auf einmal jemand mag, weiß nicht, wie weit ich erlaubterweise gehen darf, wenn ich dabei niemandes Gefühle verletzen will (das letzte Mal, als ich diesen Gedanken hatte, endete damit, dass ich auf einmal fest mit dem Raucher zusammen war, meine Anspannung bezüglich dieser Thematik ist also eindeutig legitim), und überhaupt wäre ich viel lieber humorvoll-sympathisch-anscheinend ansatzweise charismatisch, wenn ich einem Ernstfall wie Mr.Gaunt gegenüber stehe, und nicht nur, wenn es jemand wie Rambo ist, der sympathisch und nicht ganz hässlich, aber mehr auch nicht (und davon abgesehen kurzhaarig!) ist.
Aber nein, wenn es mal angebracht wäre, sich zusammen zu reißen, bin ich ängstlich-verkrampft-schweigend-schüchtern-arrogant wirkend-doof und die Wasserflasche, an die ich mich dann klammere (Gläser kann man zerquetschen oder sie rutschen einem aus der Hand) tut mir jedes Mal aufs neue Leid, wenn ich ihren vollkommen zerdellten Plastikkörper und ihr nicht nur zerrupftes, sondern zerschreddertes Etikett anschaue, nachdem die Stresssituation vorbei ist.

Die überlasten mich. Alle miteinander.


Edit: und GENAU in diesem Moment kommt eine sms von der Egoschleuder an, die nicht nur ein (wie man am Schreibstil der dazugehörigen Wünsche, die sich mit "alles soll gut werden für dich" zusammenfassen lassen) aus einer anderen Nachricht kopiertes Satzzeichen-Bärchen enthält, sondern auch ein "Ich liebe dich (in nem gewissen Grad).
A) "Ich liebe dich"?
B) "In nem gewissen Grad"??
I. heißt es nicht "(bis) zu einem gewissen Grad"?
II. Was will der Mensch mit damit sagen?
C.Ist das auch aus einer anderen sms kopiert, wie das Bärchen und seine Wünsche, soll es mich nur verunsichern und ist ein Auswuchs der BWLer-Eifersucht, ist er betrunken, oder meint er es ernst?

Wie schon gesagt: Die überlasten mich, alleallealle miteinander.