Sonntag, 19. Mai 2013
..am Anfang vom Ende zu sein
Die nervlich zusammenbrechende und im Angesicht der Einweisung ihres suizidgefährdeten Freundes absolut mustergültig-lehrbuchgerecht schwersthyperventilierende Ms Golighty irgendwie vom Umkippen abgehalten und stabilisiert, ganz im Gegensatz zur gottverdammten Mutter ihres Freundes, die mir, Schock hin oder her, so dermaßen auf die Nerven ging und zielsicher alles nur schlimmer machte,
nebenher bei der Nixe verkackt, weil sie sich, bei 1,72m 50kg wiegend, "gar nicht zu dünn" findet und weigert, zu essen, "sonst werd ich schwabbelig", und zum Zunehmen betreibe sie schließlich Muskelaufbau, und ich ihre Vorstellungen vorsichtig in Frage gestellt habe,
mich wieder einmal nur knapp davon abgehalten, den Raucher anzurufen,
die Handynummer und ein potenzielles Date von/mit einem Noch-Wirtschaftsinformatik-bald-aber-BWL-Studenten gekriegt, einfach so,
Das Matheabitur, sollten Folgefehler legitim und beide Korrektoren gnädig gestimmt sein, irgendwie bestanden,
und fast einen Kontakt zu Mr.Gaunt hergestellt.
Das nenne ich mal eine Wochenendbilanz.

man kann ja einfach neu beginnen..
Aus einem "ich geh mal schnell Kippen holen, kommt wer mit?" des Mützenträgers, Ms Golightlys Freund, werden zwei Stunden, in denen wir, auf einer Bank vor der Kirche sitzend, einfach reden. Über Ms Golightly, mit der er, zwei Wochen, nachdem seine Ex, die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten ist, Schluss gemacht hat, zusammen gekommen ist, über das Leben, darüber, wegen der Akne, die einen jahrelang im Griff hatte, gemobbt zu werden, und irgendwann darüber, dass sich die Band Esmeraldas, der Opernsängerin, des tanzenden Historikers und Mr.Gaunts aufgelöst hat, bandinterne Probleme, sagt der Mützenträger. Und dass Mr.Gaunt jetzt, wo er wieder Bassist bei der gar nicht mal so unbekannten Black Metal-Überband ist, ein bisschen abheben würde.
Mr.Gaunt.
Eine Minute schweigen, dann sage ich es ihm.
Und der Mützenträger fängt an, übers ganze Gesicht zu strahlen und sagt, ist doch toll, und dass ich zu Mr.Gaunt gehen und es dem auch sagen soll, und ich erkläre ihm, dass das nicht so einfach geht, ohne Grundlage, und Ms Golightlys Freund beschließt kurzerhand, ihn demnächst anzurufen und zu fragen, ob er mal mit will am Wochenende.
"Ich hab mit dem zwar genauso wenig zu tun wie du", meint er achselzuckend, " Aber du hast schon recht, wenn du sagst, ja, Mützenträger, wenn du das mit dem "einfach anrufen und nach einem Date fragen" so toll findest, dann machs doch selbst!"
Meine daraus resultierende gute Laune hält noch genau, bis wir Planet Terror fertig gesehen haben, und dann bröckelt die Positivlage nicht mehr nur langsam ab, sondern implodiert.
....und nen Eimer schwarzer Farbe mitnehmen
für den Fall, dass es mir zu bunt wird

Wieder mal Krach zwischen Ms Golightly und dem Mützenträger, weil er dauerreizbar ist und sie es blöd findet, dass er so viel trinkt und raucht heute (mengentechnisch allerdings kein Vergleich zum Raucher und Co), irgendwann sagt sie, dann schläft sie eben bei der Nixe und mir im Gästezimmer, er rennt ein paar Mal rein, um Kippen, den Rest Rum, Met und seine Jacke zu holen und nach draußen zu verschwinden, sie bittet darum, von Inkonsequenz abgehalten zu werden, marschiert dann aber doch rüber, als er wieder von draußen kommt und sich ins andere Zimmer legt, kehrt wieder zu uns zurück, als er aufsteht, um auf die Arbeit zu gehen, und gerade, als die Nixe schon wieder am Einschlafen war, kommt sein Vater rein, fragt, was gestern Abend los war, und sagt dass sein Sohn sich umbringen will.
Aus dem Raum schießende Ms Golightly, dann Ruhe.
Kirchturmläuten, Vogelstimmen.
Irgendwo haben zwei Katzen lautstark Geschlechtsverkehr.
Unten in der Wohnung rumpelt es gewaltig, dann ist wieder Ruhe.
Die Nixe sagt, sie hat ein schlechtes Gewissen, nicht dabei zu sein, ich beschließe, auf mein Gefühl zu hören und dementsprechend erstmal hier oben zu bleiben.
Bis der Mützenträger in der Tür steht, mayhem, wir brauchen dich, meine Freundin kippt gleich um.
Aufspringende und ihre Decke irgendwo in die Ecke schmeißende Frau Mayhem, die, in Boxershort und Gammelshirt, mit wehendem Haar quer durch das ganze Haus und an lauter gaffenden Fremden vorbei rennt , sich mit nackten Knien auf den (steinernen) Fußboden neben den Stuhl wirft, auf dem Ms Golightly schneller schnappatmet als jeder aufs Land geworfene Goldfisch, und ihr sagt, sie soll jetzt gefälligst in die scheiß Brotzeittüte atmen.
Zwanzig Minuten atmen wir in die Brotzeittüte, dann atmen wir wieder zusammen. Dann fängt die Mützenträgermutter schon wieder damit an, zu betonen, wie sehr sie das alles gerade aus dem Gleichgewicht bringt, und dass Ms Golightly doch "ein Engel" sei, den "der Himmel geschickt" habe, um ihren Sohn zu "retten", woraufhin diese wieder anfängt, gleichzeitig zu heulen und zu hyperventilieren, was atmen generell eher erschwert. Ich weise also die Mutter daraufhin, dass das Thema gerade wohl nicht so gut ist, und schaffe es tatsächlich, Ms Golightly zu beruhigen.
Bis die Mutter wieder anfängt, zu jammern und pseudo-ruhig-durchdachte "Wir müssen jetzt alle stark sein"-Sprüche raushaut und die Brotzeittüte zum dritten Mal zum Einsatz kommt.
So spielen wir das noch ein paar Mal durch, bis die Mützenträgermutter nach draußen geht, um nach dem Notarzt zu schauen, der, vom angerufenen Seelsorger gerufen, samt Rettungsdienst und Polizei anrückt.
Draußen reden sie über die Psychatrie, den Vorschlag, der den Mützenträger vorhin ausrasten und laut polternd das Haus demolieren lassen hat, drinnen bitte ich die Nixe, die Türe und das Fenster zu schließen, man muss Ms Golightly ja nicht alles mit anhören lassen, und baue diese, so gut es eben geht, wieder auf. Wenn es etwas gibt, dass ich von meinem Vielleicht-auch-nicht-Vater für Notfälle gelernt habe, dann das Gefühle ausblenden-Beruhigen-Ablenken-Aufbauen.
Und so mache ich schlechte Witze und rede über Positiverinnerungen von damals, als der Raucher noch nicht feindlich gegen alles und jeden außer mir war und wir zusammen was gemacht haben, und irgendwann können wir die Brotzeittüte weglegen und auch die Küchenrolle, die als Taschentuchersatz diente, wieder wegstellen.
Draußen bleibt es eine Weile ruhig, dann verabschiedet sich der Mützenträger von Ms Golightly. Hat sich doch für Klinik entschieden, ihr zuliebe, weil er sie nicht mehr mit seiner Laune runterziehen will, sagt er.
Dann rücken die Sanitäter mit ihm ab, seine Eltern packen ihm eine Reisetasche mit den wichtigsten Sachen, Ms Golightly weint noch ein bisschen, die Nixe lebt ihren Ordnungszwang aus und bringt sein Zimmer so hartnäckig auf Vordermann, dass es danach aussieht wie im Möbelhaus.
Zwischendurch kommt die Mutter immer mal reingelaufen, sagt irgendwas unpassendes und geht wieder raus, dann werden wir zum Frühstück geschleift, wo die Nixe angewidert und nach langem Drängeln der Mützenträgereltern ein Croissant erst seziert und anschließend in winzigen Bissen isst und mit dem ihr aufgezwungenen Kaba runterspült, während die Eltern die ganze Zeit versuchen, sich selbst zu beruhigen, indem sie uns erzählen, dass er es ihnen schon nicht die auf ewig vorhalten wird, dass es besser so war, dass sie ihm schließlich nicht mehr helfen konnten, und so weiter.
"Ich weiß, dass Sie sich jetzt gerade damit beruhigen wollen, und dass es sowas von gar nicht klappt. In der Situation ist beruhigen grad einfach nicht drin, aber Sie haben keinen Grund für Vorwürfe. Wirklich. Sie haben ihn nicht abgeschoben. Und er denkt auch nicht, dass Sie ihn nur loshaben wollen."
-"Jaja, jaja, da hast du ganz Recht", sagt die Mutter und versucht immer noch, Kontrolle vorzuspielen, wo keine ist, während die Nixe auf ihrem Teller Croissanthüllenbrösel in die eine Ecke und die Fetzchen des Inneren in die andere Ecke schiebt, "und wir haben ja versucht, ihm zu helfen. Aber er will ja keine Medikamente nehmen, außer jetzt halt das Johanniskraut, aber das ist ja pflanzlich, was soll das schon bringen.."
Ich verzichte darauf, den Hinweis, dass auch Pflanzen wirken, und das, oh wunder, auf chemischem Weg ("aber es ist doch natürlich!"), anzubringen und gehe gleich zum wichtigsten Punkt über:
"Sie können ihm nicht helfen."
Fassungslose Mutter, ansatzweise verstehender Vater.
"Sie können ihm nicht helfen, da rauszukommen. Sie können als Familie vielleicht stabilisieren, und anbieten, da zu sein. Aber der Rest ist seins. Und damit muss er alleine fertig werden."
Ach, ich sei ja so gefasst und klar denkend, man würde richtig merken, dass ich stabil mit beiden Beinen im Leben stehe und deshalb die Situation so gut unter Kontrolle habe.
Die Nixe prustet in ihren Kaba.

"...aber wir sind ja stark, eine Kämpferfamilie, wir haben ja schon alles mitgemacht", plappert die Mützenträgermutter, während sie und ihr Mann uns nach Hause fahren, "Damals, als der Mützenträger gerade geboren war, Ms Golightly, ich habs dir ja erzählt, da hatte er einen wunden Darm, und da mussten wir wieder ins Krankenhaus, obwohl wir gerade erst draußen waren, und seine Schwester, die war auch drin, und das war ja so schrecklich. Und dann haben sie noch festgestellt, dass ich Diabetes bekommen habe, und mein Hüftgelenk total kaputt ist und gesagt, das liegt an meinem Gewicht. Und dann ist noch der Cousin meines Mannes gestorben.Alles auf einmal, das war schon sehr schwierig für uns. Aber wir sind ja eine Kämpferfamilie, eine Familie aus Kämpfern, jawohl."
Ich suche irgendwo in mir Verständnis, echtes Verständnis und viel Mitgefühl für diese Familie und diese Frau, die gerade in ihrem "die Welt geht unter, aber wir müssen stark sein", feststeckt, aber da ist nichts.
Nur Leere, und ein bisschen Wut.
Weil die Frau da die ganze Zeit sagt, man muss eben einfach stark sein. Weil sie (noch?) keine Ahnung hat, dass es eben manchmal nicht mehr geht mit dem stark sein, und es wichtig ist, diesen Punkt verdammt nochmal wahrzunehmen. Und trotzdem weiter zu machen.
Einfach weiteratmen. Auch, wenn nichts mehr geht, nichtmal mehr kriechen.
Einfach weiteratmen.
Ein bisschen traurig ist vielleich auch da.
Weil mein Vater gesagt hat, dass das sowieso alles nur sinnlose Geldverschwendung an Idioten ist, als ich zu einem Psychologen wollte, und dass Depression nur eine Erfindung eben dieser Geldeinheimser ist, die ich jetzt als bequeme Ausrede heranziehen würde, ich sei einfach nur faul und Ende, und dass ich mich auf die Reihe kriegen und "wieder wie ein Mensch essen" soll,als nichts ging außer fressen oder gar nichts, von der Vatersfreundin kommentiert mit "du frisst uns noch die Haare vom Kopf und dich noch fetter".
Begegnungen mit allzu liebevollen Familien verstören mich immer ein bisschen.
Und ein bisschen trotziges Unverständnis, zusammen mit dem Gedanken, ich bin das Kind einer Frau, die seit ihrem 17. Lebensjahr alkoholabhängig war, einen Monat nach meinem dreizehnten Geburtstag gestorben ist, mich nach 13 Jahren Hassliebe, in denen sie mich durch schon surreale Geschichten und diverse Scheiße durchgejagt hat, die mir ein heißes Bügeleisen an den Hals geknallt, mir ihrem blutigen Speichel ins Gesicht gespuckt, mich standardmäßig geschlagen und mir sämtliche Dinge, die ich gar nicht wissen wollte, weil ich dazu eindeutig zu jung war, erzählt hat,
die eigentlich nicht da war, für mich, aber immer noch mehr als alle anderen,
die mich so wahnsinnig wütend, und so namenlos verzweifelt machen konnte,
die gelegentlich mal meinen Vater mit dem Messer bedroht hat,
der einmal vor mir geweint und ein anderes Mal meinen Hals so fest zwischen Türrahmen und seinem Arm eingeklemmt hat, dass ich seitdem weiß, dass das Gefühl, dass ich habe, wenn ich mit fremden Menschen alleine auf meiner Meinung nach für diese Situation zu wenig Platz sein muss, "ersticken" heißt,
der mir mit 9 oder 10 mal verboten hat, im Haus zu schlafen, weshalb ich mit einer Flasche Wasser im Auto meiner Mutter in der dazugehörigen Garage eingesperrt wurde, weil ich mein Zimmer nicht aufgeräumt hatte.
Mein Großvater siecht schon die ganze Zeit vor sich hin, scheint jetzt aber endgültig seinen Wunsch, zu sterben, erfüllen zu können, die Anderen haben sich schon vorher verabschiedet, ich bin wegen der ersten 13 Jahre ein Trauma- und gelegentlich Nervenbündel, die Zeit danach war auch nicht gerade die Beste, außerdem die Vaterschaftssache, der Raucher, der ganze Rest.

Und dann sagt sie mir, dass ich ja so toll stabil bin und sie am Ende sind, weil sie schon alles mitgemacht haben.?





------------------
Zitate aus Komm zum Punkt von Thoughts Paint The Sky