Thema: monolog
Gestern Nacht.
Mein Vater steht so vor meiner Haustür, klein und alt und so emotionsbetäubt, wie wir es immer sind, wenn wir in Extremsituationen feststecken und kein Ende in Sicht ist, und sagt mir, gestern Nacht ist es passiert. Organversagen, absehbar, man wusste ja, dass es so kommen würde, er habe mir nur Bescheid sagen wollen.
Ich nehme ihn in die Arme, impulshaft, verabschiede ihn und lege mich wieder in mein Bett.
Sieben Uhr dreißig, sagt der Wecker. Vor vier Stunden bin ich eingeschlafen, vor sechs Stunden und fünfzig Minuten ist Opa Mayhem gestorben.
Ich warte immer noch, dass da irgendwas ist. Trauer, Schmerz, sowas.
Was man eben empfindet, wenn jemand stirbt.
Nichts. Stattdessen dumpfe Angst, diffus, aber da.
Der Tod rotiert in meinem Kopf, ich habe Angst davor, Menschen zu verlieren, die mir noch nicht mal so viel bedeuten, Angst davor, nicht alt zu werden, und Angst davor, dass genau das eintritt. Dahinsiechen, das letzte, was man wahrnimmt, der Pflegeheimkrankenhaustodgestank.
Das letzte, was meine Mutter bemerkt hat, waren wohl weiße Badwandfliesen, oder dunkelbraune Holzbaddecke, und Blutgeschmack im Mund.
Vermutlich schmeckt man ziemlich viel Blut, wenn man vom Alkohol krampfadermäßige Dinger in der Luft-/Speiseröhre hat und die dann explodieren.
Wahrscheinlich hat das Schicksal keinen netten, schmerzlosen, angenehmen Tod für mich vorgesehen,sondern irgendwas hochdramatisches, fieses, je nach Tagesform vielleicht auch schmerzhaftes.
Die Angst, zu verlieren bleibt trotzdem stärker als die, verloren zu gehen.
Gegen Mittag sitze ich mit meinem Vater und seiner Freundin an ihrem neuen Küchentisch, esse anstandshalber ein Brötchen und lasse mir von ihr erzählen, was sie schon alles organisiert haben, wie rücksichtslos und kalt der Pfarrer doch sei, und dass ich gefälligst in beiden Rosenkränzen und bei der Beerdigung aufzutauchen habe.
Mein Vater verlegt sich auf ein "es wäre schön", was die Rosenkränze betrifft, und schafft damit viel mehr Druck, als es alle Befehle und Drohungen dieser Welt könnten.
Ich sichere zu, zur Beerdigung zu kommen und mir den Leichenschmaus anzutun, verspreche, die Verwandschaft nach Möglichkeit nicht zu sehr zu erschrecken und bekomme im Gegenzug die Erlaubnis, gegebenenfalls früher heimzugehen (was im Endeffekt auch nur 10 Minuten ausmachen wird, denn "der Anstand gebietet es" schließlich, nicht so früh wieder zu gehen) sowie (aus Rücksicht auf die anderen Anwesenden allerdings nur knöchelhohe) Kampfstiefel auf den Friedhof anzuziehen, damit ich trockene Füße behalte und auf den unbefestigten Wegen nicht komplett im aufgeweichten Erdmatsch versinke, wie es sonst immer der Fall war.
Meine Mutter war die einzige, die sich einen Termin zum Sterben ausgesucht hat, der eine Beerdigung ohne mindestens ein aufgeschürftes Knie (ausrutschen auf spiegelglatten Abhängen) oder ein eingeschlammtes Kind (wie bereits erwähnt, unbefestigte Wege, rutschig, gegebenenfalls glatt) möglich machte.
Als sie geht, bittet mich die Vatersfreundin nochmals, zu den Rosenkränzen mitzukommen, ich sage nochmals, dass ich es ihr nicht versprechen will, erkläre es wieder meinem Vater, der eigentlich erwartet, dass ich hingehe, aber weiß, dass ich mich nicht zwingen lasse (eigentlich) und darüber maßlos enttäuscht ist, und irgendwann kriegen wir die Kurve, reden über geklaute Straßenschilder und darüber, dass mein Vater mal eines bei den Obstbäumen gefunden und mitgenommen hat, und dass ich es haben kann, wenn ich will, und dass er jetzt weiter die Küche renovieren muss.
Ich könne ja abends nochmal vorbeikommen, meint er.
Die einzige noch lebende Person, die sicher blutsverwandt mit mir ist und sich zur engeren Verwandschaft zählen lässt, ist mein Patenonkel.
Wenn mein Vater doch mein Vater ist, sind es immerhin 2.
Als ich die Haustür aufschließe, habe ich der Egoschleuder für Mittwochabend abgesagt, einerseits prophylaktisch, falls ich in den Rosenkranz gehe und somit die Möglichkeit, mit seiner Schwester zu fahren, verpasse, andererseits, weil er gestern weinend die gesammelte Scheiße, die er so im Leben gebaut hat, vor mir ausgebreitet und außerdem die Vermutung geäußert hat, zu glauben, eventuell in mich verliebt zu sein, obwohl wir beide genau wissen, dass es sich nur um Ersatzanziehung handelt, weil er immer noch an der Nixe hängt und ich im Moment die einzige Person bin, die für ihn da ist, und außerdem die Nachbarin abgeschmettert, die am Freitag mit mir irgendwas unternehmen wollte.
Dann ruft Ms Golightly an und verkündet, nicht ohne Stolz, dass sie a) demnächst beim Raucher vorbeistiefeln, ihm gehörig die Meinung sagen und bei der Gelegenheit meinen Leitpfosten holen würde, den Mist, den er rumerzählt, könne man so schließlich nicht stehen lassen, und b) ihren Freund davon überzeugt hat, sich mal bei Mr.Gaunt zu melden und zu fragen, ob er am Wochenende schon was vor hat.
Donnerstag sieht sie den Mützenträger wieder und es wird angerufen, Freitag ist das angepeilte Datum.
"Da wird mein Großvater beerdigt, ich weiß nicht, ob.."
-"Oh, das tut mir Leid. Naja, aber bis abends wirst du da fertig sein. Drück uns die Daumen, dass wir ihn überzeugen können, mit zu gehen, obwohl er meinen Hasen nur unwesentlich besser "kennt" als dich. Bis dann!"
Ich hasse es, wenn Menschen ihren Partner "Hase" nennen.
Mein Vater steht so vor meiner Haustür, klein und alt und so emotionsbetäubt, wie wir es immer sind, wenn wir in Extremsituationen feststecken und kein Ende in Sicht ist, und sagt mir, gestern Nacht ist es passiert. Organversagen, absehbar, man wusste ja, dass es so kommen würde, er habe mir nur Bescheid sagen wollen.
Ich nehme ihn in die Arme, impulshaft, verabschiede ihn und lege mich wieder in mein Bett.
Sieben Uhr dreißig, sagt der Wecker. Vor vier Stunden bin ich eingeschlafen, vor sechs Stunden und fünfzig Minuten ist Opa Mayhem gestorben.
Ich warte immer noch, dass da irgendwas ist. Trauer, Schmerz, sowas.
Was man eben empfindet, wenn jemand stirbt.
Nichts. Stattdessen dumpfe Angst, diffus, aber da.
Der Tod rotiert in meinem Kopf, ich habe Angst davor, Menschen zu verlieren, die mir noch nicht mal so viel bedeuten, Angst davor, nicht alt zu werden, und Angst davor, dass genau das eintritt. Dahinsiechen, das letzte, was man wahrnimmt, der Pflegeheimkrankenhaustodgestank.
Das letzte, was meine Mutter bemerkt hat, waren wohl weiße Badwandfliesen, oder dunkelbraune Holzbaddecke, und Blutgeschmack im Mund.
Vermutlich schmeckt man ziemlich viel Blut, wenn man vom Alkohol krampfadermäßige Dinger in der Luft-/Speiseröhre hat und die dann explodieren.
Wahrscheinlich hat das Schicksal keinen netten, schmerzlosen, angenehmen Tod für mich vorgesehen,sondern irgendwas hochdramatisches, fieses, je nach Tagesform vielleicht auch schmerzhaftes.
Die Angst, zu verlieren bleibt trotzdem stärker als die, verloren zu gehen.
Gegen Mittag sitze ich mit meinem Vater und seiner Freundin an ihrem neuen Küchentisch, esse anstandshalber ein Brötchen und lasse mir von ihr erzählen, was sie schon alles organisiert haben, wie rücksichtslos und kalt der Pfarrer doch sei, und dass ich gefälligst in beiden Rosenkränzen und bei der Beerdigung aufzutauchen habe.
Mein Vater verlegt sich auf ein "es wäre schön", was die Rosenkränze betrifft, und schafft damit viel mehr Druck, als es alle Befehle und Drohungen dieser Welt könnten.
Ich sichere zu, zur Beerdigung zu kommen und mir den Leichenschmaus anzutun, verspreche, die Verwandschaft nach Möglichkeit nicht zu sehr zu erschrecken und bekomme im Gegenzug die Erlaubnis, gegebenenfalls früher heimzugehen (was im Endeffekt auch nur 10 Minuten ausmachen wird, denn "der Anstand gebietet es" schließlich, nicht so früh wieder zu gehen) sowie (aus Rücksicht auf die anderen Anwesenden allerdings nur knöchelhohe) Kampfstiefel auf den Friedhof anzuziehen, damit ich trockene Füße behalte und auf den unbefestigten Wegen nicht komplett im aufgeweichten Erdmatsch versinke, wie es sonst immer der Fall war.
Meine Mutter war die einzige, die sich einen Termin zum Sterben ausgesucht hat, der eine Beerdigung ohne mindestens ein aufgeschürftes Knie (ausrutschen auf spiegelglatten Abhängen) oder ein eingeschlammtes Kind (wie bereits erwähnt, unbefestigte Wege, rutschig, gegebenenfalls glatt) möglich machte.
Als sie geht, bittet mich die Vatersfreundin nochmals, zu den Rosenkränzen mitzukommen, ich sage nochmals, dass ich es ihr nicht versprechen will, erkläre es wieder meinem Vater, der eigentlich erwartet, dass ich hingehe, aber weiß, dass ich mich nicht zwingen lasse (eigentlich) und darüber maßlos enttäuscht ist, und irgendwann kriegen wir die Kurve, reden über geklaute Straßenschilder und darüber, dass mein Vater mal eines bei den Obstbäumen gefunden und mitgenommen hat, und dass ich es haben kann, wenn ich will, und dass er jetzt weiter die Küche renovieren muss.
Ich könne ja abends nochmal vorbeikommen, meint er.
Die einzige noch lebende Person, die sicher blutsverwandt mit mir ist und sich zur engeren Verwandschaft zählen lässt, ist mein Patenonkel.
Wenn mein Vater doch mein Vater ist, sind es immerhin 2.
Als ich die Haustür aufschließe, habe ich der Egoschleuder für Mittwochabend abgesagt, einerseits prophylaktisch, falls ich in den Rosenkranz gehe und somit die Möglichkeit, mit seiner Schwester zu fahren, verpasse, andererseits, weil er gestern weinend die gesammelte Scheiße, die er so im Leben gebaut hat, vor mir ausgebreitet und außerdem die Vermutung geäußert hat, zu glauben, eventuell in mich verliebt zu sein, obwohl wir beide genau wissen, dass es sich nur um Ersatzanziehung handelt, weil er immer noch an der Nixe hängt und ich im Moment die einzige Person bin, die für ihn da ist, und außerdem die Nachbarin abgeschmettert, die am Freitag mit mir irgendwas unternehmen wollte.
Dann ruft Ms Golightly an und verkündet, nicht ohne Stolz, dass sie a) demnächst beim Raucher vorbeistiefeln, ihm gehörig die Meinung sagen und bei der Gelegenheit meinen Leitpfosten holen würde, den Mist, den er rumerzählt, könne man so schließlich nicht stehen lassen, und b) ihren Freund davon überzeugt hat, sich mal bei Mr.Gaunt zu melden und zu fragen, ob er am Wochenende schon was vor hat.
Donnerstag sieht sie den Mützenträger wieder und es wird angerufen, Freitag ist das angepeilte Datum.
"Da wird mein Großvater beerdigt, ich weiß nicht, ob.."
-"Oh, das tut mir Leid. Naja, aber bis abends wirst du da fertig sein. Drück uns die Daumen, dass wir ihn überzeugen können, mit zu gehen, obwohl er meinen Hasen nur unwesentlich besser "kennt" als dich. Bis dann!"
Ich hasse es, wenn Menschen ihren Partner "Hase" nennen.
arboretum,
Montag, 27. Mai 2013, 18:26
Mein Beileid. Ich denke an Dich und wünsche Dir Kraft, die kommenden Tage zu überstehen.
huehnerschreck,
Dienstag, 28. Mai 2013, 12:10
das tut mir so leid!! mein beileid ...
und ms. golightly könnt ich nach deiner schilderung hier grad hauen. nicht, dass das was hülfe ...
ich drück dich aus der ferne!
und ms. golightly könnt ich nach deiner schilderung hier grad hauen. nicht, dass das was hülfe ...
ich drück dich aus der ferne!
threebluesheeps,
Freitag, 31. Mai 2013, 12:45
Es tut mir sehr leid das zu lesen, mayhem. Ich wünsche dir auch ganz viel Kraft in den nächsten Tagen.
Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie muss ich gerade an diesen Song denken, und lasse dir einfach mal den Link hier. Gary Louris - We'll get by
Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie muss ich gerade an diesen Song denken, und lasse dir einfach mal den Link hier. Gary Louris - We'll get by
mayhem,
Freitag, 31. Mai 2013, 20:23
"we'll get by, but we don't know how"
so ein bisschen das motto der letzten zeit.
danke. für gute wünsche und das lied.
so ein bisschen das motto der letzten zeit.
danke. für gute wünsche und das lied.