Thema: von herzen
Mr.Gaunt, der damals einer der Hauptgründe für die Wahl meines Studienortes war (erst schlug er von sich aus vor, er würde an den eigentlich geplanten mit umziehen, dann doch nicht mehr; als ich nicht sicher war, ob ich meine Wohnung halten kann, bot er erst an, Kater Mayhem und ich könnten zu ihm ziehen, um schließlich beiläufig überm Neujahrs-Sushi zu meinen, dass ich da ganz eindeutig etwas falsch verstanden habe), hat damit eine der schmerzhaftesten und schönsten Ereignisketten überhaupt angestoßen und ich bin gottfroh, dass ich hier gelandet bin.

Was er in der Zwischenzeit so gemacht hat:
ein paar Wechsel der Persönlichkeit abhängig davon, welchen anderen Bassistengott er gerade verehrt
- paar Beziehungen, paar mal Herzschmerz, bisschen rumficken.

Und dann bekomme ich so am Rande mit, hey, meine Bekannte, von der ich damals schon dachte, sie würde sich an ihn ranmachen, die das aber vehement verneinte, ist jetzt mit ihm verlobt.
Nach drei Tagen Beziehung ist er zu ihr gezogen, hat sich nach etwa 8 Monaten mit ihr verlobt und lebt jetzt seinen sogenannten Rock'n'Roll-Lifestyle parallel zur Titelverteidigung als Dorfkuriosität und, weil sie das schon eine Weile macht, Co-Manager des dortigen Karnevals.
Er kann plötzlich Zuneigung zeigen und seine Partnerin endlich mit ihm mithalten: genauso trinkfest, genauso kettenrauchend, und so bar jeglicher Abgründe, dass sie sich einfach darauf konzentrieren können, ihr bestes Leben zu leben und er sich darauf verlassen kann, niemals dazu verleitet zu werden, seine eigenen zu reflektieren.
Er will auf einmal Kinder (wenn das Thema in unserem damaligen Freundeskreis, der ja doch ein Stückchen älter war als ich, aufkam, wurde er nicht müde, zu betonen, dass er niemalsnie welche bekommen und stattdessen eine Haustierherde adoptieren würde - noch etwas, das ich so angenehm an ihm fand).

Ich empfinde ehrliche und tiefe Freude, weil da zwei Menschen gnaden- und kompromisslos glücklich sind.
Weil sie das haben, was ich jahrzehntelang schmerzlich vermiss(te): eine mittelmäßige, solide und stabile Existenz, in der der schlimmste Dämon der Kater am nächsten Morgen ist.

Da ist ein bisschen Gram, weil/wenn ich mich in einem Abwärtsvergleich platziere.
Das ist der Mann, dem ich fast gesagt hätte, dass ich ihn liebe, und ich hätte es so gemeint.
Mit jeder Faser meines Emotions-Körpers hätte ich es so gemeint.
Das ist der Mensch, der mich der Unhaushaltbarkeit des Seins und den Zweifeln an meinem Verstand anheim gegeben hat, wenn er sagte, es ist nichts und ich spürte, es ist was.
Der Mensch, der mich lehrte, meine Intuiton zu hassen - weil sie verfickteverdammtescheißenochmal Recht hat, wenn sie diagnostiziert, etwas ist anders, jemand liebt mich nicht mehr, ich werde verlassen. Egal, ob ich, oder der Andere, betont, alles ist gut, das sind die Paranoia.
Dem ich aus der Nase ziehen musste, dass es doch so ist, wie ich es monatelang gespürt habe; dass es tatsächlich schon monatelang so ist. Und der dann trotzdem nicht die Eier hatte, es endgültig auszusprechen, sodass ich das übernommen habe.

Der Mensch, der meine Therapie-Odyssee angestoßen hat - weil es mir, vor der Trennung, als er endlich in Worte fasste, was los ist (um es dann zu revidieren und mir seine Liebe zu versichern, kurze Verbesserung, wieder abwärts, Ende des Schmierentheaters) so nachhaltig nicht-mehr-irgendwie-ging, ich über Traurigkeit und Schmerz hinaus im Taubheitsnebel angekommen war, dem einzigen Ort in meinem Gehirn, vor dem ich Todesangst habe.
Als ich damals von der Arbeit heimgefahren bin, habe ich gemerkt, dass ich mich gegen einen Baum setzen könnte und es mir sogar egal wäre, was dann mit Kater Mayhem ist.
Dann habe ich umgedreht, einer ehemaligen Schulkollegin gesagt, ich bin unter der Glasglocke und alles, was ich bin, erstickt in Watte, ich spüre nichts und alles ist mir egal, nur manchmal, da tut es weh, und ich kann dir nicht sagen, ob das schlimm ist, weil ich gar nichts mehr spüre, aber alter, das ist so nachhaltig, mir wäre es egal, wenn ich weg bin und die Katze dann alleine, deshalb bin ich jetzt mal hier her gekommen, was machen wir damit jetzt, irgendwas müssen wir damit machen.

Dann habe ich wieder was gespürt, nämlich, dass ich keinesfalls stationär irgendwo hin gehe.
Mein Vater und seine Freundin haben mich bei der Schulkollegin abgeholt und zu dem armen Psychologen, der an Sonntagen die Stellung hält, wenn in irgendeinem unserer tausend verstreuten Dörfer jemand durchdreht, gebracht, weil meine Hausärztin darauf bestand, nachdem ich ihr glaubhaft versicherte, immer noch denkend zu sein, tatsächlich sogar so ruhig und reflektiert, dass sie das richtig angegruselt hat.
Die Vatersfreundin hat mir auf der Fahrt vorgehalten, was das soll und was für einen Eindruck das hinterlasse, wenn ich diesen "wildfremden Leuten" sowas erzähle und mit "sowas" zu denen komme, statt zu ihr und meinem Vater, wie sich das gehöre;
dass Mr.Gaunt mich garantiert verlassen wird, weil ich ein Drecksmensch bin, nicht liebenswert, ein blödes Arschloch, unehrlich, eine Mogelpackung, eine Lügnerin, ein faules Stück Scheiße, genauso verkommen wie meine Mutter.
Mein Vater hat gesagt, ich soll mein Maul halten, als ich, nach Weinen und Betteln und flehen, geschrien habe, sie soll ruhig sein.

Das war 2014, vor einem halben Jahrzehnt. Dokumentiert im Blog, vom Anfang des Anfangs bis zum Ende und weiter; weil mein Hirn sonst explodiert, mir meine Haut zu klein ist oder ich in mir ertrinke muss das raus aus mir, damals wie heute.
Seitdem habe ich eine Junkie-WG und ein paar andere, zwei Fehldiagnosen, mehrere Jahre an falscher Medikation und unpassender Therapie, einen teilstationären Aufenthalt, ein weiteres Jahr Therapeutensuche, 12 Semester Bachelorstudium, 10 Semester Theater, den Zugewinn einer weiteren Katze, Tante Emma, Festivals, neue Tattoos, zwei Jahre Sex und Einsamkeit, neue Beziehung, ihr dahinsiechen ("Nee, ist alles gut"), neue Beziehung, ihr Ende (und fucking Trauma), neue Beziehung mit jemandem, dem ich gesagt habe, dass ich ihn liebe, deren Ende ("Nee, es ist nicht" ---"Jo, ist doch so"), einmal neuer Liebeskummer, seitdem weniger Sex und dennoch weniger Einsamkeit,
Gewichtsab- und zu- und ab- und zunahme,
tanzen auf, in und über Abgründe(n),
den ganzen beschissenen schmerzhaften Scheiß,
die Angst
die Verzweiflung
die ganze beschissen perfekte Freude
die Hoffnung aus reiner Sturheit, der Optimismus der Verzweifelten
Quarterlifecrisis
Prag
Festivals
Umzüge
sterbende Menschen
heiratende Menschen
zur Welt kommende Menschen

überlebt.


Und eigentlich, ehrlich betrachtet, grämt es mich gar nicht so sehr.
Der Liebeskummer ist kurz wieder da und erinnert mich daran, wie es war und was ich mit ihm verloren habe.
Und dann setzt sich meine Psyche, dieses Wunderwerk der Biologie, daneben. Erklärt mir, dass es eben so ist.
Dass das traurig ist, vielleicht auch manchmal immer wieder sein wird, aber dass wir nicht darin festhängen.
Ich begegne anderen Menschen.
Mir selbst zum Beispiel.

Was ich von Mr.Gaunt gelernt habe:
Purer extatischer Musikwahnsinn und Mut zum Extrovertiertsein
Gepflegtes Egalsein, wenn andere deswegen an deinem Verstand zweifeln
Black Metal ist Liebe, Black Metal ist Leben
Bärte flechten
Dass ich Respekt verdient habe, und entweder liebenswert bin, oder zumindest irgendwie so, dass man mir das phasenweise erzählt
Gegenwartsverhaftung
wie oberflächlich Freunde und solche, die es gerne wären, sein können

dass es möglich ist, manchmal, in seltenen oder weniger seltenen Momente, bei sich selbst und man selbst zu sein.

Die tiefverankerte und zuhöchst wackelige Überzeugung, dass ich dann der extremlanghaarige, gammelmützentragende, zutätowierte, viel zu charismatische, viel zu traumatisierte Stehaufphönixausderasche dann halt eben selbst bin - irgendwer muss den Job ja machen.

Dass es möglich ist, gleichzeitig im Auge des - und der Sturm selbst zu sein.
Es zu überstehen.
Immer
und
immer
wieder.

Dass ich das kann.
Und dass das ein verdammt großartiges Talent ist.