Thema: oh happy day.
30. Juli 12 | Autor: mayhem | 0 Kommentare | Kommentieren
Das Auto des Rauchers ist das Erste seit langem, in dem ich hinten sitze, ohne mich ausgeschlossen zu fühlen; im Gegenteil, ich bin gesprächsintegriert, und der jetzt schon angetrunkene Musiker und er sind angenehm einfach, wenn es darum geht, die Unterhaltung irgendwie am Laufen zu halten, sodass ich mit Stolz von mir sagen kann, eine weitere Prüfung in Sachen "Kommunikation mit flüchtig Bekannten" gemeistert zu haben.
Mit dem Fremden wechsle ich den ganzen Abend lang nur wenige Worte. Er sitzt am anderen Ende der Bierzeltgarnitur, an die wir eine weitere Bank quer herangerückt haben, damit alle Leute draufpassen, umgeben von den Freundinnen der Ghettoschwester, von denen ihn zwei Stück anschmachten und dabei auffälliger sind, als ich es zu Anfangszeiten des Problems war.
Er ist betrunken, der Fremde; leicht glasiger Blick, aber er freut sich, uns zu sehen, und zwischendurch startet er Versuche einer Unterhaltung, die aber schnell wieder abbrechen, und so rede ich die meiste Zeit mit dem Raucher. Er findet es lustig, wenn ich die Unterhaltungen anderer Menschengruppen, die mit großen Gesten, ausdrucksstarken Gesichtern und viel Alkohol im Blut geführt werden, spontan neu synchronisiere, oder mir einen inneren Monolog ausdenke, der gerade im Kopf einer Person ablaufen könnte, und meine Stimme dazu passend verstelle, so weit das mit meiner Erkältung eben geht. Wir kriegen die Zeit so ganz gut rum, und damit, andere Leute, die Plüschpandas mit sich herumtragen, zu beobachten und zu überlegen, wie man so ein Kuscheltier am Besten stehlen könnte, zwischendurch gehen immer mehr Leute und es kommen neue dazu, da ist zum Beispiel auf einmal das Mädchen mit den schlechten Extensions; sie sieht aus wie eine solariumbraune, schwarzhaarige und überschminkte Version von Barbie, mit mascaraverklebten Kunstwimpern, durchs toupieren zerfetztem Haar, dicker Make Up-Schicht im Gesicht und Kippe in der Hand, und sie scheint ihre Hose vergessen zu haben, denn zur braunen Strumpfhose trägt sie lediglich ein türkises Top, nein, nicht länger geschnitten, und schätzungsweise 12cm Absatz.
An ihrer Seite befindet sich ihr Freund, Typ verzweifelter Jurastudent, auf den sie zwischendurch mit gespitzten Lippen und hochverstellter Stimme einredet.
Der Raucher und ich, wir schauen uns so an und wissen, dass wir das gleiche denken.
Sitzen auf unserer Extrabank und er redet; er erzählt mir anscheinend gerne von allem möglichen, und weil die Welt sowieso untergeht und eigentlich alles egal ist, lasse ich ihn erzählen, zwischendurch drifte ich geistig ab und höre nur auf den Klang seiner Stimme, dann bin ich wieder da und er sieht mich so seltsam an.
Zu viel Wärme in diesem Blick, ich komme mit sowas nicht klar...
Und am anderen Ende des Tisches der Fremde, und in seinen Wolfsaugen wieder dieser Ausdruck, irgendwo zwischen verloren und vertieft in Verzweiflung.
Ich möchte ihm helfen. Aber ich weiß nicht, wie...
"Tach, ich darf doch, oder?"
Ohne meine Antwort abzuwarten, lässt sich ein Bekannter des Barbiefreundes neben mir auf der Extrabank nieder, die der Raucher gerade in Richtung seines Autos verlassen hatte, um sich seinen Pullover zu holen.
Er ist schätzungsweise 32, Modell "schmieriger Typ", mit einer ebenso schmierigen Frisur, randloser Brille, angeschmuddelter Bomberjacke und einem Tablet-PC-Dings unterm Arm, das er sofort aufklappt.
"Ich bin sehr beschäftigt mit der Arbeit", erklärt er mir ungefragt und fängt an, auf dem Gerät herumzutippen.
"Hm." Geh weg, ich will nicht neben dir sitzen.
Der schmierige Typ fängt dann einfach an, zu reden, aber nicht auf neutrale bis angenehme Art und Weise, wie es der Raucher getan hat, sondern schmierig und abstoßend, biergeladen, schwanzgesteuert und viel zu nah, und alle Alarmglocken in meinem Kopf schrillen in vollster Lautstärke, ich rutsche weg.
Er rutscht nach. Und grinst. Schmieriges Grinsen.
Arschloch.
Unterhalte mich mit der Ghettoschwester, hoffe, dass er irgendwann abhaut und warte, dass der Raucher endlich wiederkommt, aber der ist auf dem Rückweg am Nachbartisch in einer Unterhaltung versumpft, gerade redet er von seiner Arbeit, noch ein Landschaftsgärtner, und darüber,dass die ihn kostenlos ins Fitnesstudio schicken. Schwing doch bitte dich und deine Muskeln mal hier rüber, ich habe gerade vermutlich rational nicht begründbare Angst vor dem Schmiertyp und hätte gerne einen physischen, menschlichen Platzhalter zwischen uns.
Der Raucher lässt auf sich warten, also stehe ich, sobald das Feuerwerk losgeht, einfach auf und gehe weg vom Tisch, hinter der Schwester des Fremden her in Richtung einer Mauer, auf die ich klettern will, damit ich mehr sehe.
Es scheitert an der Tatsache, dass besagte Mauer mir fast bis zu den Schultern reicht und meine Sportlichkeit sich stark in Grenzen hält. Also stehenbleiben auf der Parkbank davor, Feuerwerk beobachten mit weit in den Nacken gelegten Kopf, zehn Minuten lang, bis es vorbei ist.
Danach Abschied vom Fremden, sie wollen gehen. Er umarmt mich von sich aus und unsere Köpfe stoßen dabei aus Versehen zusammen. Dann erinnert er sich daran,dass er versprochen hat, mir einen Plüschpanda zu besorgen, anscheinend das Festmaskottchen, entschuldigt sich dafür,dass er es nicht geschafft hat und zieht schließlich mit der Ghettoschwester und ihren Freundinnen ab.
Ja, es tut weh.
"Alteeeeeeeeer, deine Ex!" Der Musiker, der sich einen weiteren Cocktail geholt hatte, plumpst neben dem Raucher auf die Extrabank, lacht erstickt und tätschelt ihm die Schulter.
-"Was ist mit der?"
"Alter, die, die.." Er ringt vor lauter Lachen nach Luft, "Die hat mich vorm Klo angelabert, ob sie mal mit dir reden kann, rein freundschaftlich. Mich hat se gefragt, wegen reden mit dir, mich!" Lachkrampf seinerseits.
Der Raucher zieht nur die Augenbrauen hoch und gibt dem Musiker den Rat, nur noch Bier, Cola und Wasser zu trinken, und den Hinweis, ihm eine Schachtel mitzubringen, mit auf den Weg, als er loszieht, um sich neue Zigaretten zu kaufen.
"Meine Ex is so ein bisschen der Terror in Person. Also hat rumtelefoniert, wo ich bin, is mir nachgelaufen und nachgefahren, wenn ich für die Arbeit unterwegs war, und is mir voll aufgelauert, als Schluss war."
-"Krasse Sache." Wenn ich das mal nicht schön auf den Punkt gebracht habe.
Die Raucherex taucht dann auch tatsächlich auf, beugt sich zu ihm herunter, und beginnt, verzweifelt und verkrampft auf ihn einzureden. Nur Freundschaft, mehr nicht; sie wäre ja so gerne mit ihm befreundet, einfach so, und ach, es sei ja so dumm gewesen, ihr Verhalten nach der Trennung, aber jetzt, nachdem sie ein ganz neuer Mensch sei, könnten sie ja..
Sie redet immer schneller und immer verzweifelter, drei Minuten lang. Der Raucher beschränkt sich darauf, ihre Umarmungsversuche und ihr Herumgefuchtel abzuwehren und immer wieder zu betonen, dass er sich die Sache durch den Kopf gehen lassen müsse.
Sie scheint es dann auch zu begreifen, verabschiedet sich und fragt noch, ob sie ihn umarmen dürfe.
"Nein." Klare Ansage seinerseits, hysterisches Lachen ihrerseits, und ihre Rede beginnt von vorne.
"Dein Freund ist gerade beschäftigt?" Der Schmiertyp hatte wohl, ganz, wie das schmierige Typen tun, seine vermeintliche Chance gewittert, einen weiteren Annäherungsversuch zu starten.
"Ich komme trotzdem ganz gut alleine klar, danke."
Überlege, ihm sein Tablet gegen den Kopf zu schlagen.
-"Ach, alleine ist doch langweilig. Und ich sitz hier ja auch rum und die anderen sind schon weg.."
"Dann such die mal lieber." Ich fühle mich belästigt. Massiv. Vor allem durch das, was er nicht sagt.
-"Willst du mich loswerden oder wie?" Schmieriges Lachen, er hat Zahnlücken. Das personifizierte Klischee.
"Ja." Wieder Lachen, er versucht,näher zu rutschen, ich stehe wortlos auf und vermutlich ist das Flucht.
Vermutlich ist es nicht so schlau, den Raucher alias meine Fahrgelegenheit einfach zurückzulassen, aber die Kombination "fremd", "Annäherungsversuch","gruselig", "Schmiertyp" hat meiner noch in den Kinderschuhen steckenden stoischen Ruhe einen ziemlichen Schlag ins Gesicht versetzt. Also laufe ich weg, erstmal ziellos, bis zu einem Kneipenparkplatz.
Dort holen sie mich auch ein, die Negativgefühle; Angst vor dem Schmiertypen, Verlustangst in Sachen Fremder, überhaupt die Unsicherheit wegen dem Fremden.
Die Art der Depressivität, die einen nach einem lauten Abend und vorzugsweise nach Mitternacht dann einholt,wenn man alleine ist.
Und eigentlich sollte doch alles ganz anders sein.
Einfacher vielleicht, ausnahmsweise mal einfach und so, wie es sein soll.
Stattdessen ist er weg, betrunken oder beides, und ich bin auf der Flucht vor einem Pedobären, der nur darauf gelauert hat,dass die Raucherex sich auf die einzige noch anwesende und nüchterne Person außer mir stürzt.
Ich sollte mich am Montag für die Schule krank melden. Böse Erkältung und böser Herzschmerz, das verträgt sich nicht mit "Sport- und Spaßtag für die ganze Schule".
Überhaupt bin ich sozial schwer kompatibel, zumindest, wenn es dauerhaft und echt sein soll.
Dem Raucher scheint das bis jetzt nichts auszumachen.
Aber bis jetzt ist er auch überzeugt davon, dass ich super bin, und tatsächlich hat er es geschafft, meine durchgefrorene Wenigkeit auf dem Parkplatz zu finden.
"Was war denn los, wieso bist du auf einmal weggelaufen? Angst vor meiner Ex?" Eigentlich war der letzte Teil des Satzes humorvoll gemeint, aber der Gesichtsausdruck des Rauchers schwingt schnell in ernsthaft bis besorgt um.
"Jetzt mal echt. Irgendwas passiert?"
Ich habe sowieso schon Probleme mit Kontakt zu fremden Leuten, mich vom Schmiertyp belästigt gefühlt, bin außerdem frustriert, weil ich in deinen besten Kumpel verliebt bin und das irgendwie phasenweise nicht so rosig aussieht, außerdem habe ich Angst davor,dass du mich toll findest, die Freundin meines Vaters ist furchtbar und ich friere hier gerade fest.
-"Mir war der Schmiertyp unheimlich. "
"Boah, da haste aber auch Recht, pass bloß auf bei dem. Der ist eigentlich verheiratet, aber versucht dauernd, sich an irgendwelche total jungen Mädchen ranzumachen und hängt auch immer bei der Barbie und so rum, keine Ahnung, was das soll.. aber getan hat er dir nichts, oder?"
-"Nee, bin ja dann weg; gruselig ist der trotzdem. Aber vielleicht reagiere ich auch über..:"
"Ach Quatsch." Er startet einen vorsichtigen Versuch, mich zu umarmen, entscheidet sich aber doch auf halbem Weg für die leichter erträgliche Variante, lediglich einen Schritt näher zu kommen und mir eine Hand auf die Schulter zu legen.
"Aber mayhem, wenn der wieder ankommt, dann sag mir das auf jeden Fall, dann red ich mal Klartext mit dem."
-"Danke."
"Kein Ding."
Stehen so auf dem Kneipenparkplatz und schweigen uns an.
Kein angenehmes Schweigen wie manchmal mit dem Fremden, oder mit Faust, sondern dieses peinlich-seltsam-unangenehme Schweigen, wegen dem ich eine passende deutsche Entsprechung fürs englische awkward suche.
Es erinnert mich an das peinliche Schweigen im Auto des Studenten, nachdem er mich mal heimgefahren hatte und anscheinend darauf wartete, dass teeniefilmmäßig was passiert, nur mit dem Unterschied, dass ein bierüberschwemmter Kneipenparkplatz, auf dem Maßkrugscherben und Kotze im Straßenlaternenlicht schimmern nicht ganz so klischee"romantisch" ist.
"Raucher, wo hast du eigentlich den Musiker gelassen?"
Mal die allgemeine Stille durchbrechen, und der Musiker hat sonst auch niemanden, der ihn heimfährt.
-"Puh, gute Frage.." Der Raucher kratzt sich am Kopf.
Der Musiker hat Talent dafür, verloren zu gehen, dann verwirrt und verlassen anzurufen und dabei äußerst präzise Angaben wie "Ich bin hier, vor mir sind Häuser.Kommt her und holt mich!" bezüglich seines Standortes zu machen.
Allerdings kann sich sein Bierkonsum fast mit dem des Fremden messen, und nachdem die meisten Stände schon geschlossen haben wissen wir wenigstens, wo wir nach ihm suchen müssen.
Finden ihn dann auch, vertieft in eine Diskussion mit einem fünfzigjährigen Amerikaner, der nur immer auf den gegelten Iro des Musikers zeigt und dabei dauernd "Just like yours, my hair used to be just like yours!" wiederholt.
"Ich glaube, das dauert noch." Der Raucher zündet sich noch eine Zigarette an.
-"Alteeeeeeeeeeeeer, der hat mir n Bier ausgegeben, weil ich geile Haare hab!" Für den Musiker ist wieder alles lustig, und er schreit mir so laut in mein Ohr, dass ich Angst habe, dass das Pfeifen wieder einsetzt.
Tut es aber nicht, zum Glück. Entscheide mich trotzdem dafür, ein paar Schritte ums Eck zum Raucher zu gehen und mich neben ihm ins Fenster eines Hotels zu setzen.
"Mayhem, ich glaub, ich muss öfter nüchtern bleiben. Das ist total krass, wie komisch Besoffene sind, du hattest echt Recht."
-" Muss schon faszinierend sein, zur Abwechslung den ganzen Abend bewusst zu erleben." Da ist genug Humor in meiner Stimme, um es nicht als Angriff zu sehen. Hoffe ich.
"Ja, irgendwie echt. Total krass."
Ein Bierkrug fliegt in unsere Richtung, ihm folgt ein "Scheiß Grufties!" aus irgendeiner Ecke.
Der Raucher grinst mich an, ich ihn ansatzweise auch. Schubsen uns mit einem "scheiß Grufti ey" gespielt ernsthaft gegenseitig aus dem Fenster, um anschließend darüber zu philosophieren, warum schwarze Kleidung, Stiefel und Nietengürtel uns trotz des Arch Enemy-Pullovers des Rauchers und meiner treuen Bandjacke automatisch in die Gruftiecke schieben. Der Raucher tippt auf meine Piercings, wobei zu bedenken sei, dass die in der Menge eigentlich eher in Punkkreisen vertreten seien.
Auch der Musiker kann uns keine Antwort geben, der findet nur wieder alles lustig, schwankt, stützt sich auf uns ab und fällt fast um, und als wir ihn zum Auto tragen, will er mir irgendwann die Hand geben, unterbricht seinen Lachanfall und schaut mich auf einmal todernst an, um mir dann sein Beileid dafür auszudrücken, dass ich keinen Plüschpanda mehr bekommen habe.
"Soo Leid tust du mir, sooo Leid.... das ist echt schlimm, ey." Er schüttelt nur immer weiter den Kopf, bis wir das Auto erreicht haben und ihn auf der Rücksitzbank querlegen.
"Soo Leid, sooooooo Leid...."
-"Alter, halt die Klappe, ich muss mich aufs Fahren konzentrieren!"
"Soooooooo Leid..." Der Musiker fängt tatsächlich an, zu weinen.
-"Ist der immer so?", will ich vom Raucher wissen, und weiß nicht, ob ich das Verhalten des Musikers lustig oder traurig finden soll.
"Ja, eigentlich schon." Er dreht Kataklysm lauter, um das Gejammere des Musikers zu übertönen, schafft es tatsächlich, sein Auto auf einer gefühlt pappschachtelgroßen Fläche zu wenden, nimmt bei der Ausfahrt aus dem "Nur für Besucher der Wellness-Anlage!"-Parkplatz aus Versehen fast ein Stück Hecke mit, verfährt sich dreimal, weil er so gutgläubig ist und auf die "Ich kenn ne Abkürzung, jetzt müssen wir nach links"-Zurufe des Musikers hört und muss schließlich eine Vollbremsung hinlegen, weil er über das manische Lachen von der Rücksitzbank und seine Musik hinweg mein kratzig-erkältetes "Halt, da wohne ich!" nicht gehört hat.
Mit dem Fremden wechsle ich den ganzen Abend lang nur wenige Worte. Er sitzt am anderen Ende der Bierzeltgarnitur, an die wir eine weitere Bank quer herangerückt haben, damit alle Leute draufpassen, umgeben von den Freundinnen der Ghettoschwester, von denen ihn zwei Stück anschmachten und dabei auffälliger sind, als ich es zu Anfangszeiten des Problems war.
Er ist betrunken, der Fremde; leicht glasiger Blick, aber er freut sich, uns zu sehen, und zwischendurch startet er Versuche einer Unterhaltung, die aber schnell wieder abbrechen, und so rede ich die meiste Zeit mit dem Raucher. Er findet es lustig, wenn ich die Unterhaltungen anderer Menschengruppen, die mit großen Gesten, ausdrucksstarken Gesichtern und viel Alkohol im Blut geführt werden, spontan neu synchronisiere, oder mir einen inneren Monolog ausdenke, der gerade im Kopf einer Person ablaufen könnte, und meine Stimme dazu passend verstelle, so weit das mit meiner Erkältung eben geht. Wir kriegen die Zeit so ganz gut rum, und damit, andere Leute, die Plüschpandas mit sich herumtragen, zu beobachten und zu überlegen, wie man so ein Kuscheltier am Besten stehlen könnte, zwischendurch gehen immer mehr Leute und es kommen neue dazu, da ist zum Beispiel auf einmal das Mädchen mit den schlechten Extensions; sie sieht aus wie eine solariumbraune, schwarzhaarige und überschminkte Version von Barbie, mit mascaraverklebten Kunstwimpern, durchs toupieren zerfetztem Haar, dicker Make Up-Schicht im Gesicht und Kippe in der Hand, und sie scheint ihre Hose vergessen zu haben, denn zur braunen Strumpfhose trägt sie lediglich ein türkises Top, nein, nicht länger geschnitten, und schätzungsweise 12cm Absatz.
An ihrer Seite befindet sich ihr Freund, Typ verzweifelter Jurastudent, auf den sie zwischendurch mit gespitzten Lippen und hochverstellter Stimme einredet.
Der Raucher und ich, wir schauen uns so an und wissen, dass wir das gleiche denken.
Sitzen auf unserer Extrabank und er redet; er erzählt mir anscheinend gerne von allem möglichen, und weil die Welt sowieso untergeht und eigentlich alles egal ist, lasse ich ihn erzählen, zwischendurch drifte ich geistig ab und höre nur auf den Klang seiner Stimme, dann bin ich wieder da und er sieht mich so seltsam an.
Zu viel Wärme in diesem Blick, ich komme mit sowas nicht klar...
Und am anderen Ende des Tisches der Fremde, und in seinen Wolfsaugen wieder dieser Ausdruck, irgendwo zwischen verloren und vertieft in Verzweiflung.
Ich möchte ihm helfen. Aber ich weiß nicht, wie...
"Tach, ich darf doch, oder?"
Ohne meine Antwort abzuwarten, lässt sich ein Bekannter des Barbiefreundes neben mir auf der Extrabank nieder, die der Raucher gerade in Richtung seines Autos verlassen hatte, um sich seinen Pullover zu holen.
Er ist schätzungsweise 32, Modell "schmieriger Typ", mit einer ebenso schmierigen Frisur, randloser Brille, angeschmuddelter Bomberjacke und einem Tablet-PC-Dings unterm Arm, das er sofort aufklappt.
"Ich bin sehr beschäftigt mit der Arbeit", erklärt er mir ungefragt und fängt an, auf dem Gerät herumzutippen.
"Hm." Geh weg, ich will nicht neben dir sitzen.
Der schmierige Typ fängt dann einfach an, zu reden, aber nicht auf neutrale bis angenehme Art und Weise, wie es der Raucher getan hat, sondern schmierig und abstoßend, biergeladen, schwanzgesteuert und viel zu nah, und alle Alarmglocken in meinem Kopf schrillen in vollster Lautstärke, ich rutsche weg.
Er rutscht nach. Und grinst. Schmieriges Grinsen.
Arschloch.
Unterhalte mich mit der Ghettoschwester, hoffe, dass er irgendwann abhaut und warte, dass der Raucher endlich wiederkommt, aber der ist auf dem Rückweg am Nachbartisch in einer Unterhaltung versumpft, gerade redet er von seiner Arbeit, noch ein Landschaftsgärtner, und darüber,dass die ihn kostenlos ins Fitnesstudio schicken. Schwing doch bitte dich und deine Muskeln mal hier rüber, ich habe gerade vermutlich rational nicht begründbare Angst vor dem Schmiertyp und hätte gerne einen physischen, menschlichen Platzhalter zwischen uns.
Der Raucher lässt auf sich warten, also stehe ich, sobald das Feuerwerk losgeht, einfach auf und gehe weg vom Tisch, hinter der Schwester des Fremden her in Richtung einer Mauer, auf die ich klettern will, damit ich mehr sehe.
Es scheitert an der Tatsache, dass besagte Mauer mir fast bis zu den Schultern reicht und meine Sportlichkeit sich stark in Grenzen hält. Also stehenbleiben auf der Parkbank davor, Feuerwerk beobachten mit weit in den Nacken gelegten Kopf, zehn Minuten lang, bis es vorbei ist.
Danach Abschied vom Fremden, sie wollen gehen. Er umarmt mich von sich aus und unsere Köpfe stoßen dabei aus Versehen zusammen. Dann erinnert er sich daran,dass er versprochen hat, mir einen Plüschpanda zu besorgen, anscheinend das Festmaskottchen, entschuldigt sich dafür,dass er es nicht geschafft hat und zieht schließlich mit der Ghettoschwester und ihren Freundinnen ab.
Ja, es tut weh.
"Alteeeeeeeeer, deine Ex!" Der Musiker, der sich einen weiteren Cocktail geholt hatte, plumpst neben dem Raucher auf die Extrabank, lacht erstickt und tätschelt ihm die Schulter.
-"Was ist mit der?"
"Alter, die, die.." Er ringt vor lauter Lachen nach Luft, "Die hat mich vorm Klo angelabert, ob sie mal mit dir reden kann, rein freundschaftlich. Mich hat se gefragt, wegen reden mit dir, mich!" Lachkrampf seinerseits.
Der Raucher zieht nur die Augenbrauen hoch und gibt dem Musiker den Rat, nur noch Bier, Cola und Wasser zu trinken, und den Hinweis, ihm eine Schachtel mitzubringen, mit auf den Weg, als er loszieht, um sich neue Zigaretten zu kaufen.
"Meine Ex is so ein bisschen der Terror in Person. Also hat rumtelefoniert, wo ich bin, is mir nachgelaufen und nachgefahren, wenn ich für die Arbeit unterwegs war, und is mir voll aufgelauert, als Schluss war."
-"Krasse Sache." Wenn ich das mal nicht schön auf den Punkt gebracht habe.
Die Raucherex taucht dann auch tatsächlich auf, beugt sich zu ihm herunter, und beginnt, verzweifelt und verkrampft auf ihn einzureden. Nur Freundschaft, mehr nicht; sie wäre ja so gerne mit ihm befreundet, einfach so, und ach, es sei ja so dumm gewesen, ihr Verhalten nach der Trennung, aber jetzt, nachdem sie ein ganz neuer Mensch sei, könnten sie ja..
Sie redet immer schneller und immer verzweifelter, drei Minuten lang. Der Raucher beschränkt sich darauf, ihre Umarmungsversuche und ihr Herumgefuchtel abzuwehren und immer wieder zu betonen, dass er sich die Sache durch den Kopf gehen lassen müsse.
Sie scheint es dann auch zu begreifen, verabschiedet sich und fragt noch, ob sie ihn umarmen dürfe.
"Nein." Klare Ansage seinerseits, hysterisches Lachen ihrerseits, und ihre Rede beginnt von vorne.
"Dein Freund ist gerade beschäftigt?" Der Schmiertyp hatte wohl, ganz, wie das schmierige Typen tun, seine vermeintliche Chance gewittert, einen weiteren Annäherungsversuch zu starten.
"Ich komme trotzdem ganz gut alleine klar, danke."
Überlege, ihm sein Tablet gegen den Kopf zu schlagen.
-"Ach, alleine ist doch langweilig. Und ich sitz hier ja auch rum und die anderen sind schon weg.."
"Dann such die mal lieber." Ich fühle mich belästigt. Massiv. Vor allem durch das, was er nicht sagt.
-"Willst du mich loswerden oder wie?" Schmieriges Lachen, er hat Zahnlücken. Das personifizierte Klischee.
"Ja." Wieder Lachen, er versucht,näher zu rutschen, ich stehe wortlos auf und vermutlich ist das Flucht.
Vermutlich ist es nicht so schlau, den Raucher alias meine Fahrgelegenheit einfach zurückzulassen, aber die Kombination "fremd", "Annäherungsversuch","gruselig", "Schmiertyp" hat meiner noch in den Kinderschuhen steckenden stoischen Ruhe einen ziemlichen Schlag ins Gesicht versetzt. Also laufe ich weg, erstmal ziellos, bis zu einem Kneipenparkplatz.
Dort holen sie mich auch ein, die Negativgefühle; Angst vor dem Schmiertypen, Verlustangst in Sachen Fremder, überhaupt die Unsicherheit wegen dem Fremden.
Die Art der Depressivität, die einen nach einem lauten Abend und vorzugsweise nach Mitternacht dann einholt,wenn man alleine ist.
Und eigentlich sollte doch alles ganz anders sein.
Einfacher vielleicht, ausnahmsweise mal einfach und so, wie es sein soll.
Stattdessen ist er weg, betrunken oder beides, und ich bin auf der Flucht vor einem Pedobären, der nur darauf gelauert hat,dass die Raucherex sich auf die einzige noch anwesende und nüchterne Person außer mir stürzt.
Ich sollte mich am Montag für die Schule krank melden. Böse Erkältung und böser Herzschmerz, das verträgt sich nicht mit "Sport- und Spaßtag für die ganze Schule".
Überhaupt bin ich sozial schwer kompatibel, zumindest, wenn es dauerhaft und echt sein soll.
Dem Raucher scheint das bis jetzt nichts auszumachen.
Aber bis jetzt ist er auch überzeugt davon, dass ich super bin, und tatsächlich hat er es geschafft, meine durchgefrorene Wenigkeit auf dem Parkplatz zu finden.
"Was war denn los, wieso bist du auf einmal weggelaufen? Angst vor meiner Ex?" Eigentlich war der letzte Teil des Satzes humorvoll gemeint, aber der Gesichtsausdruck des Rauchers schwingt schnell in ernsthaft bis besorgt um.
"Jetzt mal echt. Irgendwas passiert?"
Ich habe sowieso schon Probleme mit Kontakt zu fremden Leuten, mich vom Schmiertyp belästigt gefühlt, bin außerdem frustriert, weil ich in deinen besten Kumpel verliebt bin und das irgendwie phasenweise nicht so rosig aussieht, außerdem habe ich Angst davor,dass du mich toll findest, die Freundin meines Vaters ist furchtbar und ich friere hier gerade fest.
-"Mir war der Schmiertyp unheimlich. "
"Boah, da haste aber auch Recht, pass bloß auf bei dem. Der ist eigentlich verheiratet, aber versucht dauernd, sich an irgendwelche total jungen Mädchen ranzumachen und hängt auch immer bei der Barbie und so rum, keine Ahnung, was das soll.. aber getan hat er dir nichts, oder?"
-"Nee, bin ja dann weg; gruselig ist der trotzdem. Aber vielleicht reagiere ich auch über..:"
"Ach Quatsch." Er startet einen vorsichtigen Versuch, mich zu umarmen, entscheidet sich aber doch auf halbem Weg für die leichter erträgliche Variante, lediglich einen Schritt näher zu kommen und mir eine Hand auf die Schulter zu legen.
"Aber mayhem, wenn der wieder ankommt, dann sag mir das auf jeden Fall, dann red ich mal Klartext mit dem."
-"Danke."
"Kein Ding."
Stehen so auf dem Kneipenparkplatz und schweigen uns an.
Kein angenehmes Schweigen wie manchmal mit dem Fremden, oder mit Faust, sondern dieses peinlich-seltsam-unangenehme Schweigen, wegen dem ich eine passende deutsche Entsprechung fürs englische awkward suche.
Es erinnert mich an das peinliche Schweigen im Auto des Studenten, nachdem er mich mal heimgefahren hatte und anscheinend darauf wartete, dass teeniefilmmäßig was passiert, nur mit dem Unterschied, dass ein bierüberschwemmter Kneipenparkplatz, auf dem Maßkrugscherben und Kotze im Straßenlaternenlicht schimmern nicht ganz so klischee"romantisch" ist.
"Raucher, wo hast du eigentlich den Musiker gelassen?"
Mal die allgemeine Stille durchbrechen, und der Musiker hat sonst auch niemanden, der ihn heimfährt.
-"Puh, gute Frage.." Der Raucher kratzt sich am Kopf.
Der Musiker hat Talent dafür, verloren zu gehen, dann verwirrt und verlassen anzurufen und dabei äußerst präzise Angaben wie "Ich bin hier, vor mir sind Häuser.Kommt her und holt mich!" bezüglich seines Standortes zu machen.
Allerdings kann sich sein Bierkonsum fast mit dem des Fremden messen, und nachdem die meisten Stände schon geschlossen haben wissen wir wenigstens, wo wir nach ihm suchen müssen.
Finden ihn dann auch, vertieft in eine Diskussion mit einem fünfzigjährigen Amerikaner, der nur immer auf den gegelten Iro des Musikers zeigt und dabei dauernd "Just like yours, my hair used to be just like yours!" wiederholt.
"Ich glaube, das dauert noch." Der Raucher zündet sich noch eine Zigarette an.
-"Alteeeeeeeeeeeeer, der hat mir n Bier ausgegeben, weil ich geile Haare hab!" Für den Musiker ist wieder alles lustig, und er schreit mir so laut in mein Ohr, dass ich Angst habe, dass das Pfeifen wieder einsetzt.
Tut es aber nicht, zum Glück. Entscheide mich trotzdem dafür, ein paar Schritte ums Eck zum Raucher zu gehen und mich neben ihm ins Fenster eines Hotels zu setzen.
"Mayhem, ich glaub, ich muss öfter nüchtern bleiben. Das ist total krass, wie komisch Besoffene sind, du hattest echt Recht."
-" Muss schon faszinierend sein, zur Abwechslung den ganzen Abend bewusst zu erleben." Da ist genug Humor in meiner Stimme, um es nicht als Angriff zu sehen. Hoffe ich.
"Ja, irgendwie echt. Total krass."
Ein Bierkrug fliegt in unsere Richtung, ihm folgt ein "Scheiß Grufties!" aus irgendeiner Ecke.
Der Raucher grinst mich an, ich ihn ansatzweise auch. Schubsen uns mit einem "scheiß Grufti ey" gespielt ernsthaft gegenseitig aus dem Fenster, um anschließend darüber zu philosophieren, warum schwarze Kleidung, Stiefel und Nietengürtel uns trotz des Arch Enemy-Pullovers des Rauchers und meiner treuen Bandjacke automatisch in die Gruftiecke schieben. Der Raucher tippt auf meine Piercings, wobei zu bedenken sei, dass die in der Menge eigentlich eher in Punkkreisen vertreten seien.
Auch der Musiker kann uns keine Antwort geben, der findet nur wieder alles lustig, schwankt, stützt sich auf uns ab und fällt fast um, und als wir ihn zum Auto tragen, will er mir irgendwann die Hand geben, unterbricht seinen Lachanfall und schaut mich auf einmal todernst an, um mir dann sein Beileid dafür auszudrücken, dass ich keinen Plüschpanda mehr bekommen habe.
"Soo Leid tust du mir, sooo Leid.... das ist echt schlimm, ey." Er schüttelt nur immer weiter den Kopf, bis wir das Auto erreicht haben und ihn auf der Rücksitzbank querlegen.
"Soo Leid, sooooooo Leid...."
-"Alter, halt die Klappe, ich muss mich aufs Fahren konzentrieren!"
"Soooooooo Leid..." Der Musiker fängt tatsächlich an, zu weinen.
-"Ist der immer so?", will ich vom Raucher wissen, und weiß nicht, ob ich das Verhalten des Musikers lustig oder traurig finden soll.
"Ja, eigentlich schon." Er dreht Kataklysm lauter, um das Gejammere des Musikers zu übertönen, schafft es tatsächlich, sein Auto auf einer gefühlt pappschachtelgroßen Fläche zu wenden, nimmt bei der Ausfahrt aus dem "Nur für Besucher der Wellness-Anlage!"-Parkplatz aus Versehen fast ein Stück Hecke mit, verfährt sich dreimal, weil er so gutgläubig ist und auf die "Ich kenn ne Abkürzung, jetzt müssen wir nach links"-Zurufe des Musikers hört und muss schließlich eine Vollbremsung hinlegen, weil er über das manische Lachen von der Rücksitzbank und seine Musik hinweg mein kratzig-erkältetes "Halt, da wohne ich!" nicht gehört hat.