Sonntag, 22. Januar 2012
"Hey du".
Freundliches Lächeln seitens der alten Sache, als ich, nachdem ich erst eine dreiviertel Stunde am Abfahrts- und dann nochmal zwanzig Minuten am Ankunftsbahnhof gewartet habe (im ersten Fall auf den Zug, im zweiten Fall auf die Feindin, die versprochen hatte, mich aufzusammeln und mitzunehmen), relativ eingefroren und ohne perfekt sitzende Frisur nebst Feindin das Haus seiner Eltern betrete, natürlich nicht durch die Haustür, sondern, wie alle anderen irgendwie auch, über die Terasse.
Er sitzt so da mit seiner Freundin und ich will gerade auch zu ihr Hallo sagen, als etwas auf mich zuschießt, mich so fest umarmt,dass mir die Luft wegbleibt und mich ein Stück hochhebt (das muss man(n) erstmal schaffen).
Es ist der Kumpel mit der weiblichen Seite, der,während er mich umarmt, leider nicht mitbekommt, wie mich seine Freundin mit Blicken erdolcht.
Als er mich loslässt, umarmt sie mich auch, dieses "iiih, muss ich das jetzt anfassen?"-Umarmen, das manche Leute so machen, wenn sie jemanden eigentlich nicht mögen, aber so "kill them with kindness"mäßig drauf sind.
Die alte Sache umarmt mich nicht, seine Freundin begrüßt mich ebenfalls freundlich (sie kann sprechen?) und ich gehe davon aus,dass wir nicht mehr Leute werden, als sie mit einer anderen Bekannten in den Raum kommt, kurz grüßt und sich dann sofort in einer Diskussion über die 15cm-Absatzstiefel versenkt, die sie gerne hätte. Geht aber nicht, sie spart seit drei Jahren für einen Frankreichaufenthalt.
Ich lasse mich neben dem Familienhund auf dem Sofa nieder, der sofort seinen Kopf zum Kraulen auf meinem Bein ablegt. Man könnte dem Hund auch kurze Zöpfe flechten, fällt mir gerade auf. Dabei ist es kein Handtaschenhund, sondern ein ganz normaler.
Hm, sollten sie Liebesfilme sehen wollen,könnte ich dem Hund immernoch Rastas -"ALTER! wieso habt ihr mich nicht eingeladen?"
In der Terassentür steht der Student, leicht bläulich angelaufen, ebenfalls Kategorie "vom Winde verweht", mit Jogginghose an den Beinen und Wahnsinn im Blick, und starrt die alte Sache vernichtend an.
"Meine Schwester hat eingeladen."
Der Blick des Bösen wandert zur Schwester."Och, dich hab ich vergessen", lacht sie. Ist typisch für sie, alles nicht so dramatisch.
"Naja, macht ja nichts." Die plötzlich hinter mir aufgetauchte Stimme lässt mich zusammenzucken.
Faust tritt hinter dem Sofa (!) hervor, soweit man eben aus einer Zimmerecke, die von einem Sofa verstellt wird, hervortreten kann, lässt sich neben mir nieder und fragt, ob er mich erschreckt habe.
Ich verneine und weise darauf hin,dass ich lediglich nicht daran gewöhnt bin,dass die Wand hinter mir vermeintlich anfängt zu sprechen.
Oder sich Leute hinter mir und hinter dem Sofa verstecken.
Der Student will sich auf meiner anderen Seite hinsetzen, aber ich ziehe die Feindin am Arm aufs Sofa, sie reagiert auch prompt, wirkt zwar etwas irritiert, als ich aber in Richtung des tiefgefrorenen Studenten nicke, versteht sie. Wenigstens der Hund ist ein netter Mensch und dackelt zum Studenten, um sich von ihm weiterstreicheln zu lassen, Faust hatte ihm ja seinen Platz neben mir streitig gemacht.
Weil Hasischatzi sich auf ihrem Freund ablegen will, sitzen schließlich Faust, ich, die Feindin, sie und ihre Bekannte gequetscht auf einem Drittel des Sofas, während Hasischatzi und der Kumpel auf den anderen zwei Dritteln liegen. Die alte Sache war wenigstens so nett, sich mit seiner Freundin in einen der großen Sessel zu verlagern.
Ich beschließe, mal ein wenig Stimmung zu machen, auch, weil Hasischatzi so erdolchungsblickmotiviert ist.
"Sag mal Kumpel, wieso antwortest du eigentlich nicht auf meine sms?"
Er wirkt irritiert. "Welche sms? die letzte, die ich von dir habe, ist vom 12.Juni."
-"Ich hab dir letztes Jahr im November schon geschrieben,eigentlich auch an Silvester, aber irgendwie kam da nix zurück und anderweitig gemeldet hast du dich ja auch nicht so wirklich".
Er schaut sehr irritiert, Hasischatzi sehr böse.
"Ach, das liegt nur an deinem Handy", winkt er ab.
Und später aufs Thema Eifersucht angesprochen:"Also mein Hasischatzi, die ist ja gar nicht eifersüchtig".
Die Feindin lacht ihr kurzes, kleines Lachen, dass sie bei Aussagen, die fast schon ironisch sein könnten, immer lacht. "Also das würde ich ja jetzt nicht so sagen". Und widmet sich wieder ihrem Handy, wie immer. Erneut habe ich das Gefühl,dass sie eigentlich gar keine Lust hat, hier zu sein.
"Und du, du bist immer noch single?", fragt mich Hasischatzi mit Gehässigkeit in der Stimme, die von Pseudofreundlichkeit nur schlecht überdeckt wird.
"Ja, ich hätte keinen Bock drauf,dass da jemand an mir dranklebt, mich nonstop einschränkt und Terror bei jeder Gelegenheit macht, die sich bietet."
Faust grinst in seine neueste Bartmode, Modell klein und geflochten, hinein, Hasischatzi macht große Augen.
Muss ja auch mal geklärt werden, sowas.
"Wobei so eine Beziehung ja auch Vorteile hat..", gibt er zu bedenken.
"...ab einem gewissen Grad an "Schatzimausipupsi" und Klettigkeit aber irgendwie nervig wird", ergänze ich, und erinnere mich an ein Wort, dass ich bei Morphine gelesen habe: Beziehungsimperialismus (ich möchte bitte, dass es in den Duden aufgenommen wird).
"Stimmt, ich seh das ja auch so",pflichtet mir der inzwischen nicht mehr ganz so bläuliche Student bei.
"Sag mal, wo kommst du eigentlich her?", frage ich ihn, "Ich denke, du bist dieses Wochenende in deinem Studienort?"
-"ja, aber dann dachte ich mir, dvd-Abend wäre ja ganz nett, und du meintest ja,dass heute was ist, also bin ich hergefahren... Bis kurz vorher hat mich der Intellektuelle mitgenommen,die restlichen 7km bin ich halt gelaufen".
Ja gut, nach 5km zum Bahnhof und dem Warten sah ich wohl ähnlich aus.
Natürlich ist er nur wegen den Filmen hier.

Man einigt sich darauf, einen bösen Horrorfilm zu sehen, der dann garnicht so böse ist, aber auch nur, weil wir nebenher reden, manchmal, nichts zu tiefgründiges, aber immerhin, wir reden.
Irgendwann meint die alte Sache, er möchte mir etwas zeigen, und wir sitzen vor seinem Laptop und schauen Bilder an, vom Konzert, zu dem er mich eingeladen hatte, unter der Woche, dann von seiner Schulzeit.
Vom Leistungskurs mit dem Studenten, vom Abiturstreich. Von ihm, während er sich auf ebendiesen vorbereitet, mit zurückpomadisierten Haaren, enger schwarzer Hose, schwarzem Shirt und rundglasiger Sonnenbrille. Von seinem Hund.
Ich sitze so nebendran und ein bisschen Melancholie ist da schon,weil es gerade wieder ist wie früher.
Selbst, als er seine Freundin dazuruft und ihr Bilder zeigt und erklärt, ist da kein Gefühl von Ausgestoßenheit oder fünftes Rad am Wagen. Ich entschließe mich dann trotzdem, wieder an meinen Platz zu gehen, der inzwischen von Hasischatzis Füßen vereinnahmt wird, und während ich so rüberschaue, zu den zwei am Computer, ist da überraschenderweise kein Stahlseil, das mein Herz zerteilen will (hilfe, dieser Horrorfilm hat mich traumatisiert). Irgendjemand hat das Herz mit Polstermaterial eingepackt, deswegen ist da nur Druckschmerz, aber nichts akut lebensgefährliches, also irgendwie abgetrennte Herzteile oder eine tiefe Fleischwunde. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht hier. Nicht für ihn.
Vielleicht sind aber die Gefühlsprozesse, die leise und ständig an einem nagen, die gefährlicheren. Who knows.
Sie sehen glücklich aus, zur Abwechslung auch mal beide, nicht nur er.
Denke so bei mir,dass das schön ist, dass er glücklich ist.
Zwar nicht mit mir, aber immerhin, glücklich. Wenigstens einer.

Irgendwann nach dem dritten Film verabschiedet sich Faust und nimmt den Studenten gleich mit.
Ersterer sagt, es war schön, mal wieder mit mir zu reden, und zwirbelt dabei den gezopften Bart, letzterer sagt kein Wort und geht dann auch. Vielleicht, weil die alte Sache in seinem Auftrag ausloten sollte, wie es denn so emotional bei mir aussieht, und ich ziemlich viel Deutlichkeit in meine Aussage gepackt hatte.
Eigentlich wollte ich ja mit ihm reden, darüber. Hat sich aber nicht ergeben, hm.
Überhaupt bleiben die Gespräche an der Oberfläche, und so rede ich zwischendurch relativ viel, aber die Feindin und der Kumpel mit der weiblichen Seite können mir geistig nicht folgen, finden die absurd-semiwitzige Aussage deshalb nicht ganz so toll wie ich, und die Feindin lacht wieder dieses kleine, fiese Lachen, und hängt ein "bla, bla bla" an. Das Drahtseil hat gerade ein Stück Herzschutzpolstermaterial durchgeschnitten.
Merkt sie natürlich nicht, und fährt fort, auf ihrem Handy herumzutippen.
Als die alte Sache wieder einen Beamtenwitz machen will, verteidige ich die Feindin trotzdem. Und komme rückblickend zu dem Schluss, dass ich mich wohl nicht nur in Beziehungsdingen unfähig anstelle, sondern auch Freundschaften irgendwie nicht so super auf die Reihe bekomme.
Vielleicht liegt es ja auch am Rest der Welt. Bestimmt.

Trotzdem sowas.
Sitze auf dem Balkon vor ihrem Zimmer, habe die Schwester der alten Sache an meiner starken Schulter hängen und beschränke mich darauf, einfach da zu sein.
Das kann ich gut, einfach da sein; etwas sagen ist viel schwerer, und Mitgefühl zeigen sowieso. Oder allgemein Gefühle.
Und sie erzählt so von Faust, den sie toll findet aber er sie nicht, und von dem Mädchen,das mir schon in der AG, in der ich mit ihr und Faust war, das Leben schwer gemacht hat, weil sie dachte, ich wäre Konkurrenz für sie, und davon,dass dieses Mädchen und Faust eben nicht nur freundschaftlich verbunden gewesen waren, und dass sie keine Chancen bei ihm hat und das Leben grausam ist.
Ich sage ihr, dass Liebe manchmal wehtut, sie sagt, verlieben ist ihr vorher nicht so passiert, und sie wusste nicht,dass es so sehr wehtut.
Fast hätte ich gesagt, ich wusste es auch nicht. In keinem der beiden Fälle wusste ich,dass es (wieder) so wehtun würde. Und man es eventuell nicht richtig wegkriegt.
Stattdessen meine ich, dass das wohl dazugehört, dass es wehtut, Ausgeglichenheitsgeschichte. Und dass es mir ganz oft ganz wehtut.
Aber es ist doch Faust, sagt sie. Den sehe sie ja praktisch jedes Wochenende.
Ich denke mir, so ging es mir bei deinem Bruder auch.
Und das Problem, das habe ich jeden Tag gesehen und sehe es immernoch jeden Tag.
Sage ihr, dass es eine richtig beschissene Situation ist, und dass es sich so furchtbar anhört, dieses "Kopf hoch, da musst du jetzt durch!". Und dass sie da nicht durchmuss, und wenn, dann nicht alleine.
Dass ich da bin, jederzeit, egal um welche Uhrzeit, mitgehe,wenn sie nicht alleine mit ihrem Bruder, Faust und den anderen unterwegs sein möchte, und zu ihr komme, wenn sie nicht mit ihnen weggehen, aber auch nicht alleine daheim rumsitzen will.
"Zur Not lauf ich vorbei, an den Bahngleisen entlang geht das relativ flott". Als ich es ausgesprochen habe, fällt mir auf, dass ich es ihrem Bruder mal so ähnlich gesagt hatte, als es ihm gerade schlecht ging.
Hatte ihm gesagt, dass er sich jederzeit melden kann, wenn was ist; dass ich da bin für ihn, und wenn das bedeutet, dass ich an den Bahngleisen entlang, damit es schneller geht und ich mich nicht verirre, zu ihm laufe und da bleibe, bis es ihm besser geht.Weil wir Freunde sind.
Oder eher Freunde waren, sagt das Drahtseil und durchschneidet wieder ein Stück Herzpolstermaterial.
Autsch.

Und wir sitzen so auf den Balkon, die Schwester und ich, jeder mit seiner Tasse Kamillentee vor sich, und starren in den bewölkten Nachthimmel. Ein Stockwerk tiefer geht bei der alten Sache und seiner Freundin das Zimmerlicht aus, und so bleibt der einzige Lichtpunkt die Straßenlaterne auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Sie sagt, wird schon alles werden. Und das es nicht mehr so schlimm ist,jetzt.
Ich sage, liegt bestimmt am Kamillentee, der beruhigt ja.