Morgens halb sieben in Deutschland. Ich betrete leise die Wohnung meines Großvaters, um zu sehen, ob er es alleine geschafft hat, aufzustehen, oder ob ich helfen muss.
Er sitzt am Küchentisch und wirkt ein wenig verloren und sehr alt, sagt, er hat es zwar geschafft aufzustehen und so weit zu kommen, aber ich solle ihm bitte Socken und Schuhe anziehen.
Mache ich, Kaffee gleich auch, er ist nämlich nach seinem kleinen Unfall auch physisch angeknackst, wenn es dumm läuft, sogar im wahrsten Sinne des Wortes.
Er bedankt sich und sagt, gegen neun Uhr soll ich doch bitte Feuerholz bringen.
"Ja Opa, mach ich. Bis dann", verabschiede ich mich, krieche zurück ins warme Bett und werde um Punkt halb neun von einem energischen Klopfen gegen die Zimmerdecke (oder den Boden, je nachdem, von welcher Wohnung aus man die Sache betrachtet) geweckt. Im Erwartung des Schlimmsten reiße ich im (ziemlich schnellen) Verlassen unserer Wohnung auf dem Weg zur Treppe die Notfalltasche, die neuerdings wegen ihm an unserer Türe hängt, an mich, hetze in die Küche, aus der das Klopfen kam, und renne ihn fast über den Haufen.
Aus verständnislosen Augen, die von der dicken Brille tausendfach vergrößert werden, schaut er mich an.
"Willste nicht mal mein Feuerholz holen?"
Oh, ach so. Ist ja nur noch eine halbe Stunde bis zur ausgemachten Uhrzeit.
"Ja, kann ich machen. Wo ists denn?"
-"Heuboden, gleich links. Und bring Tannenzapfen und zwei Briketts mit, sonst geht das Feuer nicht an".
Ich wickle mich in meine Strickjacke und schlurfe, noch beschlafanzugt, aber mit besagter Jacke, über den Hof in Richtung des Erfüllungsortes meiner Mission.
Der Heuboden ist tiefdunkel, heu-los, nicht isoliert und so instabil,dass Opa Mayhem mir versprechen musste, da nicht mehr raufzugehen. So einen Fall aus 2, 3 Metern Höhe vertrage ich im Zweifelsfall noch besser als er, erst recht in seinem aktuellen Zustand.
Also hangle ich mich hoch, öffne die Luke, greife nach links, wo ich allerdings nicht das erwartete Feuerholz, sondern nur ein morsches Stück Bodenbalken erwische, das prompt abbricht und runterfällt.
How wonderful.
Seufzend schwinge ich mich ganz nach oben, taste mich vorwärts und suche, sobald sich meine Augen an fast völlige Dunkelheit gewöhnt haben, das Feuerholz.
Finde es dann auch, allerdings am anderen Ende des Heubodens und sehr weit vorne, direkt an der Dachkante. Von wo auch das Licht kommt, da die Ziegel nicht komplett dicht sind und nicht bis aufs Mauerwerk herunterreichen.
Also, gaaaaaaaaaanz weit ausstrecken, Holzsscheite angeln, sie ihm bringen.
"Und was ist mit den Tannenzapfen? Und den Briketts?"
Ein einfaches "danke" wäre auch schön, ja.. "Ich hab die Tannenzapfen nicht gefunden, wo sollen die denn sein?"
-"Direkt neben dem Holz, gleich links."
Also kletterte ich wieder hoch, suchte schließlich den ganzen Heuboden ab, fand aber keine Tannenzapfen, in keiner Ecke, nirgends. Etwas verunsichert und mit Horrorszenarien im Kopf (er muss erfrieren,weil er sich kein Feuer machen kann/Ich muss meinen Vater anrufen und um Hilfe bitten) steige ich wieder nach unten, wo er auch prompt in der Tür steht. "Nicht da oben, in der Garage!" Danke für die Info.
Ich spare mir den Hinweis, dass er behauptet hatte, die Tannenzapfen wären auch oben auf dem Heuboden. Bin ja froh,wenn er zusammenkriegt, was er alles für sein Feuerchen braucht.
Die Tannenzapfen sind bald gefunden, auch die Briketts habe ich schnell ausfindig gemacht, und so verkrümle ich mich um dreiviertel zehn erneut ins Bett.
Um um viertel elf wieder geweckt zu werden, diesmal von der Türklingel.
Als ich öffne, sieht mich eine circa Mittvierzigerin, Modell "jungebliebene Mutter" mit zerfärbtem Kurzhaarschnitt und zu viel Make Up etwas überrascht an.
"Habe ich dich jetzt etwa geweckt?"
-"Ja, da waren Sie aber nicht die Erste".
"Oh, das tut mir aber Leid." Sie lacht gekünstelt.
"Die Freundin deines Vaters hat gesagt, du kannst mir auch die Sachen geben? " Ah, da war ja was.
Die Freundin meines Vaters hat eine neue Beschäftigung gefunden, sie dealt jetzt neben ihrem normalen Job mit Plastikschüsseln und ähnlichen Waren; gestern wurde ich sogar darauf hingewiesen, dass heute jemand seine Sachen holen würde. Warum auch immer die bei uns deponiert wurden, die Vatersfreundin scheint wirklich zu vergessen,wo sie wohnt, trotz ihrer immer wieder betonten Selbstständigkeit.
"Siebenundzwanzig siebzig sinds." Ich zeige der Zerfärbten die an der Tüte festgeheftete Rechnung.
Sie scheint zu überlegen, ob sie mir vertrauen kann, händigt mir dann aber das Geld aus und haut wieder ab. Um halb.
Ich starte einen letzten Versuch, zu schlafen, der aber unterbrochen wird, als ich um fünf nach halb elf das Auto meines Vaters ankommen höre. Fiese Welt.
Erhebe mich also endgültig, gehe raus in die kalte Welt,beziehungsweise den Flur, um ihm zu sagen, dass bei Opa Mayhem alles in Ordnung ist, und wäre fast auf einen Schmetterling getreten.
Ein Schmetterling.
Mitten im Winter.
Sitzt so desorientiert auf dem Boden, direkt vor mir,bewegt langsam seine Flügel und dreht sich noch langsamer, aber stetig im Kreis.
Ein Tagpfauenauge ist es. Mitten im Winter.
Ich hole ein Blatt Papier, schiebe es vorsichtig unter den Schmetterling, schlittere über den Hof und trage das Tier vorbei an meinem verdutzten Vater in den Garten, wo ich es auf dem Boden, nahe dem Mauerwerk des Heubodens, absetzte. Schmetterlinge überwintern auch in Mauern, das haben sie uns irgendwann einmal beigebracht, und ich dachte so bei mir,wenn ich ihn dort absetze, kann der Schmetterling ein Winterquartier beziehen oder wo anders hin, je nachdem, was er denn vorhat.
Ich hätte ihm gerne einen Tee gekocht, er sah nämlich ziemlich verfroren aus,der Schmetterling. so lies ich ihn dann sitzen,weil ich es mir schwierig vorstellte, eine Tasse zu finden,die klein genug für ihn ist.
Teetrinken mit einem Schmetterling wäre aber bestimmt interessant gewesen, gewiss hätte er viel zu erzählen gehabt, hätte er denn mit mir sprechen können.
"Mayhem, hast du es auch geschafft mit dem Fahren, schön!" Der Veranstaltungsveranstalter umarmt mich und deutet auf vier meiner Mitsanitäter. "Die sind auch da, kannst dich ja zu ihnen setzen." Was bleibt mir denn anderes übrig?
Die Begrüßung fällt eher verhalten aus, allgemein reden wir nicht viel, eine ist mir unsypmathisch, die anderen drei sind zusammen mit der Vierten so eine feste Gruppe, wie die ganze Sanitätsgruppe es ist, ich habe es in über einem Jahr nicht geschafft, da Fuß zu fassen. So sitze ich zurückhaltend-schweigend auf meinem Stuhl und starre aus dem Fenster, bis mir die Sicht verstellt wird- vom Bedreadeten.
Nachdem er mir erst in der Bahn,dann auf mehreren Rotkreuzveranstaltungen begegnet war, hatte ich ihn ja irgendwie nicht mehr gesehen, auch jetzt stand er mit dem Rücken zu mir.
Ich hatte ihn damals seltsam gefunden, vielleicht auch, weil er anscheinend etwas trennungstraumatisiert gewesen war..wie er so einfach so von seiner essgestörten Ex erzählt hatte, mir, einer Fremden.
Aber ich scheine für manche Leute ja irgendwie eine sehr vertrauenserweckende Ausstrahlung zu haben.
Hm. Hallo sagen?
Nein, beschließe ich. Die Wahrscheinlichkeit,dass er sich nicht mehr an mich erinnerte, war doch ziemlich groß.. Was er wohl heute hier tat? Vielleicht wieder kochen.
"Also,wir fangen dann mal an". Der Veranstaltungsveranstalter startet seine Präsentation, die die nächsten Stunden in Anspruch nimmt.
Irgendwann drifte ich ab und widme mich der genaueren Betrachtung des Auslagentisches, wo es nicht nur Prospekte mit Fortbildungen (einige schon rum, von vielen den Anmeldeschluss verpasst, der Rest beißt sich mit der Klausurenphase und der ultimative Kurs geht leider an dem Tag los, an dem ich den Besuch abends in die Absteige schleifen werde, weshalb ich nicht teilnehmen kann- wird nur angerechnet, wenn man an jedem Tag da ist), usb-Sticks (alle weg, bevor ich mich traue, mir einen zu nehmen) und Gummibärchen gibt, sondern auch Plüschbären.
Weiße und braune Plüschbären, mit schiefen Gesichtern und Flicken.
"Das sind die Tröstebären", sagt der Bedreadete, der am Auslagentisch lehnt und anscheinend meinen Blick bemerkt hat, "die hatten wir auf dem Rettungswagen sonst immer für Kindernotfälle dabei, damit die Kleinen wenigstens ein bisschen abgelenkt sind. Die da waren ne Fehlproduktion, sieht man ja am Gesicht, deswegen sind die jetzt hier."
Ich empfinde spontan Sympathie für die aussortierten Plüschbären, die nicht mal eine Chance bekommen hatten, ihre Tröstebärqualitäten unter Beweis zu stellen.
"Sag mal, kann man die sich mitnehmen?", frage ich, Plüschtieren generell nicht abgeneigt.
"Willst du dir jetzt son hässliches Vieh mitnehmen?" Die unsympathische Mitsanitäterin sieht mich mit einer Mischung aus Verachtung und Spott an. "Wofür brauchst du überhaupt so einen Tröste-Teddy?", fragt eine andere Mitsanitäterin.
"Ach, seid doch ruhig", grunzt der Bedreadete unwillig und wirft mir einen weißen Plüschbären in die Arme.
"Behalt den, das ist jetzt deiner."
Und als ich anscheinend etwas verwirrt schaue, deutet er auf einen anderen Bären,der ein paar Plätze weiter neben einer Tasche mit "vegan and proud"-Aufnäher sitzt. "Da ist meiner. Und den behalte ich auch."
Sein Bär war nicht richtig weiß und nicht richtig braun und hatte ebenfalls ein krummes Gesicht.
"Die bräunlichen Bären sind eigentlich schöner als die anderen", stelle ich fest,während das unvermeidliche Getuschel der Mitsanitäterinnen losgeht, "Aber die hätte man doch alle noch verwenden können."
"Nee, der Chef hat gesagt, wenn wir schon sowas wollen,dann werden nur die guten verwendet und der Rest geschreddert", erklärt der Bedreadete und geht langsam zu seinem Platz, nimmt den bräunlichen Tröstebären und setzt sich mit ihm auf den freien Stuhl neben mir.
Wir stellen fest, dass unsere Bären sich sehr ähnlich sehen, und während bei allen anderen Bären das linke Auge ein wenig höher sitzt als das rechte, ist es bei unseren Bären ein gutes Stück tiefer platziert.
"Die sehen ähnlich mutiert aus, bestimmt sind das Plüschebärenkumpels", meint der Bedreadete, und so sitzen wir in unserem Vortrag, zwei theoretisch (so gut wie) Erwachsene, und reden über Plüschbären, bis der Bedreadete in der Küche verschwindet.
Er kommt da auch nicht so schnell wieder raus,auch nicht nach der Essensausgabe und nachdem alle fertig sind, und während ich so vor mich hin überlege, ob ich mich mit ihm anfreunden möchte oder nicht, taucht bereits Papa Mayhem auf, der mich abholen möchte.
Er bleibt im Türrahmen stehen, so muss ich den ganzen Raum durchqueren, um ihm zu sagen,dass ich a) gesehen habe,dass er da ist, b) mich vom Rest verabschieden muss, er c) deswegen bitte warten soll und es d) nicht lange dauern wird.
Bis ich wieder bei meinem Platz und somit meiner Tasche und Jacke angekommen bin, ist die "vegan and proud"-Tasche verschwunden, ebenso wie der seltsamfarbene Bär.
Meiner sitzt auf meinen Platz und ich betrachte ihn unschlüssig.
"Nimm ihn mit, du siehst aus wie jemand, der einen gebrauchen kann". Der Bedreadete, in weiter Jacke und fast komplett vermummt mit dickem Schal und großer Mütze, steht wieder neben mir.
"Weshalb bist du dir eigentlich schon wieder so sicher, abschätzen zu können, wie es in mir aussieht?", frage ich ihn.
-"Ach, nur son Gefühl. Und deine Reaktion sagt,dass ich Recht habe."
Idiot.
"Na gut, wenn du sagst,dass wir sie mitnehmen dürfen". Während wir den Ausgang ansteuern, versuche ich, den Tröstebären in meine Tasche zu stopfen, wo ich etwas weiteres, plüschiges ertaste, das sich bei genauerem Hinsehen als der braune Plüschbär entpuppt.
Der Bedreadete bemerkt meinen Blick.
"Das sind doch Plüschbärkumpels, die darf man nicht trennen", erklärt er mir in betont-übersteigertem ernsten Ton, und ich stelle fest, dass jemand eine ähnlich große Macke hat wie ich.
Auf die Frage, ob er nicht einen eigenen Stoffbären bräuchte, zieht er einen weißen aus seiner Jackentasche und lässt ihn zum Abschied winken.
Und jetzt sitze ich so hier, mit meinen zwei Tröstebären, und sie schauen mich aus ihren zu tief platzierten, schiefen Augen an, der braune sieht aus, als hätte er nur ein Auge, der weiße dafür, als hätte er nur ein Ohr, und ich habe zwar immernoch nicht für die Bioklausur gelernt, dafür heute aber einen Schmetterling vor dem Tod,meinen Opa vorm Erfrieren und zwei Plüschbärkumpels vorm Zerschreddern gerettet.
Gute Leistung, würd ich sagen.
Er sitzt am Küchentisch und wirkt ein wenig verloren und sehr alt, sagt, er hat es zwar geschafft aufzustehen und so weit zu kommen, aber ich solle ihm bitte Socken und Schuhe anziehen.
Mache ich, Kaffee gleich auch, er ist nämlich nach seinem kleinen Unfall auch physisch angeknackst, wenn es dumm läuft, sogar im wahrsten Sinne des Wortes.
Er bedankt sich und sagt, gegen neun Uhr soll ich doch bitte Feuerholz bringen.
"Ja Opa, mach ich. Bis dann", verabschiede ich mich, krieche zurück ins warme Bett und werde um Punkt halb neun von einem energischen Klopfen gegen die Zimmerdecke (oder den Boden, je nachdem, von welcher Wohnung aus man die Sache betrachtet) geweckt. Im Erwartung des Schlimmsten reiße ich im (ziemlich schnellen) Verlassen unserer Wohnung auf dem Weg zur Treppe die Notfalltasche, die neuerdings wegen ihm an unserer Türe hängt, an mich, hetze in die Küche, aus der das Klopfen kam, und renne ihn fast über den Haufen.
Aus verständnislosen Augen, die von der dicken Brille tausendfach vergrößert werden, schaut er mich an.
"Willste nicht mal mein Feuerholz holen?"
Oh, ach so. Ist ja nur noch eine halbe Stunde bis zur ausgemachten Uhrzeit.
"Ja, kann ich machen. Wo ists denn?"
-"Heuboden, gleich links. Und bring Tannenzapfen und zwei Briketts mit, sonst geht das Feuer nicht an".
Ich wickle mich in meine Strickjacke und schlurfe, noch beschlafanzugt, aber mit besagter Jacke, über den Hof in Richtung des Erfüllungsortes meiner Mission.
Der Heuboden ist tiefdunkel, heu-los, nicht isoliert und so instabil,dass Opa Mayhem mir versprechen musste, da nicht mehr raufzugehen. So einen Fall aus 2, 3 Metern Höhe vertrage ich im Zweifelsfall noch besser als er, erst recht in seinem aktuellen Zustand.
Also hangle ich mich hoch, öffne die Luke, greife nach links, wo ich allerdings nicht das erwartete Feuerholz, sondern nur ein morsches Stück Bodenbalken erwische, das prompt abbricht und runterfällt.
How wonderful.
Seufzend schwinge ich mich ganz nach oben, taste mich vorwärts und suche, sobald sich meine Augen an fast völlige Dunkelheit gewöhnt haben, das Feuerholz.
Finde es dann auch, allerdings am anderen Ende des Heubodens und sehr weit vorne, direkt an der Dachkante. Von wo auch das Licht kommt, da die Ziegel nicht komplett dicht sind und nicht bis aufs Mauerwerk herunterreichen.
Also, gaaaaaaaaaanz weit ausstrecken, Holzsscheite angeln, sie ihm bringen.
"Und was ist mit den Tannenzapfen? Und den Briketts?"
Ein einfaches "danke" wäre auch schön, ja.. "Ich hab die Tannenzapfen nicht gefunden, wo sollen die denn sein?"
-"Direkt neben dem Holz, gleich links."
Also kletterte ich wieder hoch, suchte schließlich den ganzen Heuboden ab, fand aber keine Tannenzapfen, in keiner Ecke, nirgends. Etwas verunsichert und mit Horrorszenarien im Kopf (er muss erfrieren,weil er sich kein Feuer machen kann/Ich muss meinen Vater anrufen und um Hilfe bitten) steige ich wieder nach unten, wo er auch prompt in der Tür steht. "Nicht da oben, in der Garage!" Danke für die Info.
Ich spare mir den Hinweis, dass er behauptet hatte, die Tannenzapfen wären auch oben auf dem Heuboden. Bin ja froh,wenn er zusammenkriegt, was er alles für sein Feuerchen braucht.
Die Tannenzapfen sind bald gefunden, auch die Briketts habe ich schnell ausfindig gemacht, und so verkrümle ich mich um dreiviertel zehn erneut ins Bett.
Um um viertel elf wieder geweckt zu werden, diesmal von der Türklingel.
Als ich öffne, sieht mich eine circa Mittvierzigerin, Modell "jungebliebene Mutter" mit zerfärbtem Kurzhaarschnitt und zu viel Make Up etwas überrascht an.
"Habe ich dich jetzt etwa geweckt?"
-"Ja, da waren Sie aber nicht die Erste".
"Oh, das tut mir aber Leid." Sie lacht gekünstelt.
"Die Freundin deines Vaters hat gesagt, du kannst mir auch die Sachen geben? " Ah, da war ja was.
Die Freundin meines Vaters hat eine neue Beschäftigung gefunden, sie dealt jetzt neben ihrem normalen Job mit Plastikschüsseln und ähnlichen Waren; gestern wurde ich sogar darauf hingewiesen, dass heute jemand seine Sachen holen würde. Warum auch immer die bei uns deponiert wurden, die Vatersfreundin scheint wirklich zu vergessen,wo sie wohnt, trotz ihrer immer wieder betonten Selbstständigkeit.
"Siebenundzwanzig siebzig sinds." Ich zeige der Zerfärbten die an der Tüte festgeheftete Rechnung.
Sie scheint zu überlegen, ob sie mir vertrauen kann, händigt mir dann aber das Geld aus und haut wieder ab. Um halb.
Ich starte einen letzten Versuch, zu schlafen, der aber unterbrochen wird, als ich um fünf nach halb elf das Auto meines Vaters ankommen höre. Fiese Welt.
Erhebe mich also endgültig, gehe raus in die kalte Welt,beziehungsweise den Flur, um ihm zu sagen, dass bei Opa Mayhem alles in Ordnung ist, und wäre fast auf einen Schmetterling getreten.
Ein Schmetterling.
Mitten im Winter.
Sitzt so desorientiert auf dem Boden, direkt vor mir,bewegt langsam seine Flügel und dreht sich noch langsamer, aber stetig im Kreis.
Ein Tagpfauenauge ist es. Mitten im Winter.
Ich hole ein Blatt Papier, schiebe es vorsichtig unter den Schmetterling, schlittere über den Hof und trage das Tier vorbei an meinem verdutzten Vater in den Garten, wo ich es auf dem Boden, nahe dem Mauerwerk des Heubodens, absetzte. Schmetterlinge überwintern auch in Mauern, das haben sie uns irgendwann einmal beigebracht, und ich dachte so bei mir,wenn ich ihn dort absetze, kann der Schmetterling ein Winterquartier beziehen oder wo anders hin, je nachdem, was er denn vorhat.
Ich hätte ihm gerne einen Tee gekocht, er sah nämlich ziemlich verfroren aus,der Schmetterling. so lies ich ihn dann sitzen,weil ich es mir schwierig vorstellte, eine Tasse zu finden,die klein genug für ihn ist.
Teetrinken mit einem Schmetterling wäre aber bestimmt interessant gewesen, gewiss hätte er viel zu erzählen gehabt, hätte er denn mit mir sprechen können.
"Mayhem, hast du es auch geschafft mit dem Fahren, schön!" Der Veranstaltungsveranstalter umarmt mich und deutet auf vier meiner Mitsanitäter. "Die sind auch da, kannst dich ja zu ihnen setzen." Was bleibt mir denn anderes übrig?
Die Begrüßung fällt eher verhalten aus, allgemein reden wir nicht viel, eine ist mir unsypmathisch, die anderen drei sind zusammen mit der Vierten so eine feste Gruppe, wie die ganze Sanitätsgruppe es ist, ich habe es in über einem Jahr nicht geschafft, da Fuß zu fassen. So sitze ich zurückhaltend-schweigend auf meinem Stuhl und starre aus dem Fenster, bis mir die Sicht verstellt wird- vom Bedreadeten.
Nachdem er mir erst in der Bahn,dann auf mehreren Rotkreuzveranstaltungen begegnet war, hatte ich ihn ja irgendwie nicht mehr gesehen, auch jetzt stand er mit dem Rücken zu mir.
Ich hatte ihn damals seltsam gefunden, vielleicht auch, weil er anscheinend etwas trennungstraumatisiert gewesen war..wie er so einfach so von seiner essgestörten Ex erzählt hatte, mir, einer Fremden.
Aber ich scheine für manche Leute ja irgendwie eine sehr vertrauenserweckende Ausstrahlung zu haben.
Hm. Hallo sagen?
Nein, beschließe ich. Die Wahrscheinlichkeit,dass er sich nicht mehr an mich erinnerte, war doch ziemlich groß.. Was er wohl heute hier tat? Vielleicht wieder kochen.
"Also,wir fangen dann mal an". Der Veranstaltungsveranstalter startet seine Präsentation, die die nächsten Stunden in Anspruch nimmt.
Irgendwann drifte ich ab und widme mich der genaueren Betrachtung des Auslagentisches, wo es nicht nur Prospekte mit Fortbildungen (einige schon rum, von vielen den Anmeldeschluss verpasst, der Rest beißt sich mit der Klausurenphase und der ultimative Kurs geht leider an dem Tag los, an dem ich den Besuch abends in die Absteige schleifen werde, weshalb ich nicht teilnehmen kann- wird nur angerechnet, wenn man an jedem Tag da ist), usb-Sticks (alle weg, bevor ich mich traue, mir einen zu nehmen) und Gummibärchen gibt, sondern auch Plüschbären.
Weiße und braune Plüschbären, mit schiefen Gesichtern und Flicken.
"Das sind die Tröstebären", sagt der Bedreadete, der am Auslagentisch lehnt und anscheinend meinen Blick bemerkt hat, "die hatten wir auf dem Rettungswagen sonst immer für Kindernotfälle dabei, damit die Kleinen wenigstens ein bisschen abgelenkt sind. Die da waren ne Fehlproduktion, sieht man ja am Gesicht, deswegen sind die jetzt hier."
Ich empfinde spontan Sympathie für die aussortierten Plüschbären, die nicht mal eine Chance bekommen hatten, ihre Tröstebärqualitäten unter Beweis zu stellen.
"Sag mal, kann man die sich mitnehmen?", frage ich, Plüschtieren generell nicht abgeneigt.
"Willst du dir jetzt son hässliches Vieh mitnehmen?" Die unsympathische Mitsanitäterin sieht mich mit einer Mischung aus Verachtung und Spott an. "Wofür brauchst du überhaupt so einen Tröste-Teddy?", fragt eine andere Mitsanitäterin.
"Ach, seid doch ruhig", grunzt der Bedreadete unwillig und wirft mir einen weißen Plüschbären in die Arme.
"Behalt den, das ist jetzt deiner."
Und als ich anscheinend etwas verwirrt schaue, deutet er auf einen anderen Bären,der ein paar Plätze weiter neben einer Tasche mit "vegan and proud"-Aufnäher sitzt. "Da ist meiner. Und den behalte ich auch."
Sein Bär war nicht richtig weiß und nicht richtig braun und hatte ebenfalls ein krummes Gesicht.
"Die bräunlichen Bären sind eigentlich schöner als die anderen", stelle ich fest,während das unvermeidliche Getuschel der Mitsanitäterinnen losgeht, "Aber die hätte man doch alle noch verwenden können."
"Nee, der Chef hat gesagt, wenn wir schon sowas wollen,dann werden nur die guten verwendet und der Rest geschreddert", erklärt der Bedreadete und geht langsam zu seinem Platz, nimmt den bräunlichen Tröstebären und setzt sich mit ihm auf den freien Stuhl neben mir.
Wir stellen fest, dass unsere Bären sich sehr ähnlich sehen, und während bei allen anderen Bären das linke Auge ein wenig höher sitzt als das rechte, ist es bei unseren Bären ein gutes Stück tiefer platziert.
"Die sehen ähnlich mutiert aus, bestimmt sind das Plüschebärenkumpels", meint der Bedreadete, und so sitzen wir in unserem Vortrag, zwei theoretisch (so gut wie) Erwachsene, und reden über Plüschbären, bis der Bedreadete in der Küche verschwindet.
Er kommt da auch nicht so schnell wieder raus,auch nicht nach der Essensausgabe und nachdem alle fertig sind, und während ich so vor mich hin überlege, ob ich mich mit ihm anfreunden möchte oder nicht, taucht bereits Papa Mayhem auf, der mich abholen möchte.
Er bleibt im Türrahmen stehen, so muss ich den ganzen Raum durchqueren, um ihm zu sagen,dass ich a) gesehen habe,dass er da ist, b) mich vom Rest verabschieden muss, er c) deswegen bitte warten soll und es d) nicht lange dauern wird.
Bis ich wieder bei meinem Platz und somit meiner Tasche und Jacke angekommen bin, ist die "vegan and proud"-Tasche verschwunden, ebenso wie der seltsamfarbene Bär.
Meiner sitzt auf meinen Platz und ich betrachte ihn unschlüssig.
"Nimm ihn mit, du siehst aus wie jemand, der einen gebrauchen kann". Der Bedreadete, in weiter Jacke und fast komplett vermummt mit dickem Schal und großer Mütze, steht wieder neben mir.
"Weshalb bist du dir eigentlich schon wieder so sicher, abschätzen zu können, wie es in mir aussieht?", frage ich ihn.
-"Ach, nur son Gefühl. Und deine Reaktion sagt,dass ich Recht habe."
Idiot.
"Na gut, wenn du sagst,dass wir sie mitnehmen dürfen". Während wir den Ausgang ansteuern, versuche ich, den Tröstebären in meine Tasche zu stopfen, wo ich etwas weiteres, plüschiges ertaste, das sich bei genauerem Hinsehen als der braune Plüschbär entpuppt.
Der Bedreadete bemerkt meinen Blick.
"Das sind doch Plüschbärkumpels, die darf man nicht trennen", erklärt er mir in betont-übersteigertem ernsten Ton, und ich stelle fest, dass jemand eine ähnlich große Macke hat wie ich.
Auf die Frage, ob er nicht einen eigenen Stoffbären bräuchte, zieht er einen weißen aus seiner Jackentasche und lässt ihn zum Abschied winken.
Und jetzt sitze ich so hier, mit meinen zwei Tröstebären, und sie schauen mich aus ihren zu tief platzierten, schiefen Augen an, der braune sieht aus, als hätte er nur ein Auge, der weiße dafür, als hätte er nur ein Ohr, und ich habe zwar immernoch nicht für die Bioklausur gelernt, dafür heute aber einen Schmetterling vor dem Tod,meinen Opa vorm Erfrieren und zwei Plüschbärkumpels vorm Zerschreddern gerettet.
Gute Leistung, würd ich sagen.